Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
2C_475/2017
Urteil vom 15. Dezember 2017
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Winiger.
Verfahrensbeteiligte
X.________ AG, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Mayer, Schoch, Auer & Partner,
gegen
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Arbeitsbedingungen.
Gegenstand
Bewilligung für Sonn- und Feiertagsarbeit mit einer Randstunde Nachtarbeit,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung II, vom 6. April 2017 (B-3106/2015).
Sachverhalt:
A.
Die X.________ AG betreibt in St. Gallen u.a. ein Call-Center mit rund 150 Mitarbeitenden. Dieses übernimmt für seine Vertragspartner (Anbieter von Waren und Dienstleistungen) die Entgegennahme von Bestellungen und Kundenanfragen sowie die Kundenberatung, teilweise mit aktiver Beeinflussung zum Kauf eines Zusatzprodukts (sog. Inbound Call-Center). Die Rechtsvorgängerin der X.________ AG (Y.________ AG) verfügte für den Betrieb ihres Call-Centers über eine Bewilligung für Sonntagsarbeit (Kundendienst, ohne Verkaufs- oder verkaufsähnliche Aktivitäten) für den Zeitraum bis zum 31. Januar 2014.
B.
Am 9. Dezember 2013 stellte die Y.________ AG beim Staatssekretariat für Wirtschaft SECO ein Gesuch um Bewilligung für Sonn- und Feiertagsarbeit mit einer Randstunde Nachtarbeit für ihr Call-Center, um für einen Shoppingkanal, der 24 Stunden sende, die Bestellungsaufnahmen sowie die Betreuung und Beratung von Kunden zu übernehmen.
Mit Verfügung vom 15. April 2015 (publiziert im Bundesblatt am 21. April 2015) stellte das SECO fest, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmenden im Rahmen eines Inbound Call-Centers an Sonn- und Feiertagen mit einer Randstunde Nachtarbeit bewilligungspflichtig sei. Das entsprechende Bewilligungsgesuch der Y.________ AG wies das SECO ab.
C.
Mit Urteil vom 6. April 2017 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht auf Beschwerde hin die angefochtene Verfügung des SECO. Es führte aus, die vorliegend zu beurteilende Betreuung von Kunden eines Shoppingsenders zum Zweck des Einkaufs rund um die Uhr sei als kommerzielle Dienstleistung zu qualifizieren, weshalb deren Erbringung nachts sowie an Sonn- und Feiertagen bewilligungspflichtig sei. Die Erteilung einer Bewilligung verweigerte das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung, es liege keine wirtschaftliche Unentbehrlichkeit im Sinne von Art. 17 Abs. 2 bzw. Art. 19 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) vor.
D.
Mit Eingabe vom 22. Mai 2017 beantragt die X.________ AG, das angefochtene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017 sei aufzuheben und ihr sei die Bewilligung zu erteilen, Arbeitnehmer im Rahmen eines Inbound Call-Centers (Entgegennahme von Bestellungen und Kundenanfragen sowie Kundenberatung) an Sonn- und Feiertagen mit einer Randstunde Nachtarbeit zu beschäftigen. Eventualiter sei das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen.
E.
Mit Verfügung vom 15. Juni 2017 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen abgewiesen.
Erwägungen:
1.
1.1. Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Anwendungsbereich des Arbeitsgesetzes können mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 82 ff. BGG). Die Beschwerdeführerin, deren Gesuch um Bewilligung für Sonn- und Feiertagsarbeit mit einer Randstunde Nachtarbeit das SECO erstinstanzlich abgewiesen hat, ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf ihre frist- und formgerecht eingereichte Eingabe ist einzutreten, soweit sie sich darin sachbezogen mit der Argumentation im angefochtenen Urteil auseinandersetzt und sich nicht lediglich darauf beschränkt, unverändert die Ausführungen zu wiederholen, die sie bereits dem Bundesverwaltungsgericht unterbreitet hat (Art. 42 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1-2.3 S. 245 ff.). Soweit die Beschwerdeführerin auf Ausführungen und Akten vor der Vorinstanz verweist (vgl. insbesondere Beschwerdeschrift Ziff. 20 und 21), tritt das Bundesgericht praxisgemäss nicht darauf ein. Die erhobenen Rügen müssen in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein; der blosse Verweis auf Ausführungen in anderen Rechtsschriften oder auf die Akten reicht nicht aus (BGE 133 II 396 E. 3.1 S. 399 f. mit Hinweisen).
1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).
2.
2.1. Nach Art. 17 bzw. Art. 19 ArG bedürfen Ausnahmen vom Verbot der Nachtarbeit bzw. Sonntagsarbeit der Bewilligung (Abs. 1). Dauernde oder regelmässig wiederkehrende Nachtarbeit bzw. Sonntagsarbeit wird bewilligt, sofern sie aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unentbehrlich ist (Abs. 2). Art. 28 der bundesrätlichen Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1; SR 822.111) konkretisiert die Unentbehrlichkeit der Sonntagsarbeit. Danach liegt wirtschaftliche Unentbehrlichkeit insbesondere dann vor, wenn das angewandte Arbeitsverfahren mit unvermeidlich hohen Investitionskosten verbunden ist, die ohne Nacht- oder Sonntagsarbeit nicht amortisiert werden können (Art. 28 Abs. 2 lit. b ArGV 1), oder wenn die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Ländern mit vergleichbarem sozialem Standard wegen längerer Arbeitszeiten oder anderer Arbeitsbedingungen im Ausland erheblich beeinträchtigt ist und durch die Bewilligung die Beschäftigung mit grosser Wahrscheinlichkeit gesichert wird (Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV 1).
2.2. Gemäss der gesetzlichen Regelung genügt blosse Zweckmässigkeit für ein Abweichen vom Nacht- zw. Sonntagsarbeitsverbot nicht. Erforderlich ist vielmehr Unentbehrlichkeit. Dabei ist Ansatzpunkt für die Beurteilung der wirtschaftlichen Unentbehrlichkeit nicht die wirtschaftliche Lage des einzelnen Betriebs, sondern das Arbeitsverfahren, was eine wettbewerbsneutrale Praxis bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen erlaubt (BGE 131 II 200 E. 6.3 S. 209 mit Hinweisen).
3.
3.1. Vor dem Bundesverwaltungsgericht war noch die Frage umstritten, ob die Beschäftigung von Arbeitnehmenden im Rahmen eines Inbound-Call-Centers an Sonn- und Feiertagen mit einer Randstunde Nachtarbeit überhaupt bewilligungspflichtig sei. Die Vorinstanz hat diese Frage mit ausführlicher Begründung bejaht (vgl. angefochtener Entscheid E. 2). Die Beschwerdeführerin hält ihren vor der Vorinstanz vertretenen Rechtsstandpunkt, die streitbetroffene Tätigkeit sei bewilligungsfrei, vor Bundesgericht nicht mehr aufrecht, sondern stellt nur noch den Antrag, es sei dafür eine Bewilligung zu erteilen (vgl. Beschwerdeschrift Ziff. 7).
3.2. Beschwerdegegenstand bildet damit im Folgenden nur noch die Frage, ob die Vorinstanzen das Bewilligungsgesuch der Beschwerdeführerin zu Recht abgewiesen haben.
3.2.1. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass die beantragte Nacht- und Sonntagsarbeit aus wirtschaftlichen Gründen unentbehrlich sei. Sie beruft sich hierfür insbesondere auf den Umstand, dass die Schweizer Call-Center-Branche in Konkurrenz stehe zu Call-Centern aus Deutschland und Österreich; in diesen Ländern mit vergleichbarem sozialen Standard bestehe die Möglichkeit von Sonntagsarbeit, weshalb die Beschwerdeführerin durch die Abweisung des Bewilligungsgesuchs einen wesentlichen Wettbewerbsnachteil erleide. Sie verlangt damit eine Bewilligung gestützt auf Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV1.
3.2.2. Die Vorinstanz hat die Rechtslage umfassend und korrekt dargestellt und sich ausführlich mit den Vorbringen der Beschwerdeführerin befasst (vgl. angefochtener Entscheid E. 3). Sie ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass die Konkurrenzfähigkeit des Call-Centers der Beschwerdeführerin nicht im Sinne von Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV1 erheblich beeinträchtigt sei. Vorliegend könne nicht gesagt werden, dass im Wettbewerbsland insgesamt gesehen deutlich arbeitgeberfreundlichere Arbeitsbedingungen herrschten, weshalb die Erteilung einer Bewilligung für Nacht- und Sonntagsarbeit zur Betreuung von Kunden eines Shoppingkanals zum Zwecke des Einkaufs rund um die Uhr nicht möglich sei.
3.3. Was die Beschwerdeführerin dagegen vor dem Bundesgericht ausführt, vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern der angefochtene Entscheid bundesrechtswidrig (vgl. E. 1.2 hiervor) sein soll.
3.3.1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Nacht- und Sonntagsarbeit nach dem Gesetzestext "unentbehrlich" sein muss (Art. 17 Abs. 2 bzw. Art. 19 Abs. 2 ArG). Blosse Zweckmässigkeitsüberlegungen genügen damit nicht, um das Nacht- oder Sonntagsarbeitsverbot aufzuweichen (vgl. auch E. 2.2 hiervor). Gemäss langjähriger bundesgerichtlicher Praxis sollen Abweichungen vom Nacht- bzw. Sonntagsarbeitsverbot im Interesse eines wirksamen Arbeitnehmerschutzes deshalb die Ausnahme bilden (BGE 139 II 49 E. 6.1 S. 56; 136 II 427 E. 3.2 S. 431; 134 II 265 E. 5.5 S. 270; 131 II 200 E. 6.3 S. 208 ff.; 120 Ib 332 E. 5a S. 335; Urteile 2C_892/2011 vom 17. März 2012 E. 3.3; 2C_344/2008 vom 26. März 2009 E. 5).
3.3.2. Im Hinblick auf den gesetzgeberischen Grundentscheid, Nacht- bzw. Sonntagsarbeit möglichst einzuschränken, verlangt das Verordnungsrecht einen Vergleich mit Ländern "mit vergleichbarem sozialem Standard". Der Schutz des Arbeitnehmers hat in diesem Sinne nur zurückzutreten, wenn Länder mit sozial grundsätzlich gleichwertiger Regelung in bestimmten Branchen weniger strenge Vorschriften kennen, vorausgesetzt allerdings, dass mit diesen Ländern eine Konkurrenzsituation besteht und erhebliche Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Unternehmungen nachgewiesen sind (BGE 131 II 200 E. 6.3 S. 209 mit Hinweisen). Im vorliegenden Verfahren ist unbestritten geblieben, dass Deutschland und Österreich grundsätzlich als Länder mit vergleichbarem sozialen Standard im Sinne von Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV1 in Frage kommen. Ebenso wenig umstritten ist, dass zwischen dem Call-Center der Beschwerdeführerin und Call-Centern in Deutschland und Österreich eine Konkurrenzsituation besteht.
3.3.3. Die Vorinstanz hat indes überzeugend dargelegt, dass die entsprechenden Regelungen in Deutschland mit denjenigen im Schweizerischen Arbeitnehmerschutzrecht vergleichbar sind (vgl. angefochtener Entscheid E. 3.5.3). So regelt das Deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe (§§ 9, 10 und 13 ArbZG) ähnlich restriktiv wie der Schweizerische Gesetzgeber dies im ArG vorgesehen hat.
Die Vorinstanz verweist sodann - im Zusammenhang mit §§ 9, 10 und 13 ArbZG - auf ein Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2014 (BVerwG 6 CN 1.13). Danach vermag das Bedürfnis nach sofortiger Befriedigung von Auskunft, Beratung und Erteilung eines Auftrags im Zusammenhang mit dem Versandhandel keine Ausnahme vom Sonntagsarbeitsverbot zu rechtfertigen; entsprechend hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht eine angefochtene Bestimmung der Bedarfsgewerbeordnung der Hessischen Landesregierung aufgehoben. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann sie aus diesem Urteil - wie auch aus dem Beschluss der deutschen Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom 18./19. November 2015 - nichts zu ihren Gunsten ableiten. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass allfällige, in anderen deutschen Bundesländern bestehende ähnliche Regelungen ebenfalls nicht mehr zu Anwendung kommen würden bzw. als nichtig einzustufen wären.
3.3.4. Die Beschwerdeführerin wendet sich sodann nicht (mehr) gegen den Schluss der Vorinstanz, wonach die entsprechenden österreichischen Vorschriften mit denjenigen im Schweizerischen Arbeitnehmerschutzrecht vergleichbar seien (vgl. angefochtener Entscheid E. 3.5.4).
3.3.5. Schliesslich ist gemäss der Wegleitung des SECO zum Arbeitsgesetz und zu den Verordnungen 1 und 2 im Zusammenhang mit Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV1 ohnehin Vorsicht geboten, wenn ein EU-Land als Wettbewerbsland angegeben wird, da in EU-Mitgliedsländern "ähnliche oder gar arbeitnehmerfreundlichere Arbeitsbedingungen" gelten.
3.4. Damit ist der Schluss der Vorinstanz, die Konkurrenzfähigkeit des Call-Centers der Beschwerdeführerin sei gegenüber Call-Centern in Deutschland und Österreich nicht erheblich beeinträchtigt, nicht zu beanstanden. Die für eine Bewilligung nach Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV1 notwendigen deutlich arbeitgeberfreundlicheren Arbeitsbedingungen im Wettbewerbsland sind hier nicht gegeben, weshalb die übrigen Voraussetzungen von Art. 28 Abs. 2 lit. c ArGV1 (grosse Wahrscheinlichkeit der Sicherung der Beschäftigung) nicht mehr zu prüfen sind. Die Vorinstanz hat damit im Ergebnis zu Recht ausgeführt, dass die Erteilung einer Bewilligung für Nacht- und Sonntagsarbeit im vorliegenden Fall nicht möglich sei.
4.
4.1. Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
4.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird die unterliegende Beschwerdeführerin kostenpflichtig (vgl. Art. 66 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (vgl. Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung II, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Dezember 2017
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Der Gerichtsschreiber: Winiger