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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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9C_878/2017
Urteil vom 19. Februar 2018
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Parrino,
Gerichtsschreiberin Dormann.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 14. September 2017 (IV.2017.00591).
Sachverhalt:
A.
A.________ meldete sich im Januar 2012 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 26. September 2013 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Rentenanspruch. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht die Verfügung vom 26. September 2013 auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen und erneuter Verfügung an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 28. März 2014). Nach weiteren Ermittlungen - insbesondere Einholung des polydisziplinären Gutachtens des Swiss Medical Assessment- and Business-Centers (SMAB) vom 23. Juni 2015 - und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 28. April 2017 wiederum einen Leistungsanspruch.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 14. September 2017 ab.
C.
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 14. September 2017 sei ihm eine halbe Invalidenrente vom 1. November 2012 bis zum 31. August 2014, eine Dreiviertelsrente vom 1. September bis zum 31. Dezember 2014 und eine halbe Rente ab 1. Januar 2015 zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur Berechnung des Invaliditätsgrades an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit handelt es sich entgegen dem Beschwerdeführer grundsätzlich um eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Ebenso stellt die konkrete Beweiswürdigung eine Tatfrage dar. Dagegen sind die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) und der Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten Rechtsfragen (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; Urteil 8C_691/2015 vom 11. Februar 2016 E. 1.2).
2.
Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die u.a. während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sind und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid (Art. 8 ATSG) sind (Art. 28 Abs. 1 lit. b und c IVG).
3.
Die Vorinstanz hat dem SMAB-Gutachten vom 23. Juni 2015 in Bezug auf den medizinischen Sachverhalt Beweiskraft beigemessen. Sie hat festgestellt, dass dem Versicherten die bisherige Tätigkeit als Schneider seit November 2011 nicht mehr zumutbar sei. Was leidensangepasste Tätigkeiten anbelangt, so sei er infolge eines Herzinfarktes vom 28. Juni 2014 bis Ende Juli 2014 zu 100 % und anschliessend bis Ende September 2014 zu 50 % arbeitsunfähig gewesen. Für die übrige Zeit hat sie in Abweichung von der ärztlichen Arbeitsfähigkeitsschätzung - die Experten attestierten eine Einschränkung von 30 % - eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit festgestellt. Im Zusammenhang mit der Invaliditätsbemessung hat das kantonale Gericht erwogen, auch wenn grundsätzlich auf die geltend gemachten Vergleichseinkommen abgestellt werde, ergebe sich kein anspruchsbegründender Invaliditätsgrad, weil das vom Beschwerdeführer herangezogene Invalideneinkommen entsprechend der Arbeitsfähigkeit auf ein volles Arbeitspensum aufzurechnen sei. Im Zusammenhang mit der vorübergehenden gesundheitlichen Verschlechterung im Sommer 2014 sei die erneut zu bestehende Wartezeit (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG) nicht erfüllt. Folglich hat es einen Rentenanspruch verneint.
4.
4.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, das kantonale Gericht sei in Willkür (Art. 9 BV) verfallen, indem es sich über die polydisziplinäre medizinische Arbeitsfähigkeitsschätzung gemäss SMAB-Gutachten hinweggesetzt habe; es habe keine Gesamtbeurteilung, sondern lediglich eine unzulässige isolierte Betrachtung der psychiatrischen Aspekte vorgenommen.
4.2. Soweit diesbezüglich überhaupt von einer genügend substanziierten Rüge gesprochen werden kann (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 4.2 S. 367; 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53), ergibt sich nichts für den Beschwerdeführer. Das kantonale Gericht hat festgestellt, die konsensual attestierte Arbeitsunfähigkeit von 30 % sei ausschliesslich psychiatrisch begründet worden, und zwar mit den sich aus der diagnostizierten leichten depressiven Episode (ICD-10: F32.0) und Agoraphobie (ICD-10: F40.00) ergebenden Beeinträchtigungen. Durch die psychiatrische Behandlung (seit 2012; anfänglich zweiwöchentlich, "aktuell" noch alle zwei bis vier Wochen eine Einzelsitzung) inklusive Psychopharmakotherapie habe sich das depressive Leiden verbessert. Es leuchte nicht ein, weshalb der nurmehr leichten depressiven Symptomatik nicht mit einer Intensivierung der therapeutischen Massnahmen begegnet werden könne. Angesichts der nur dezenten psychiatrischen Befunde sei davon auszugehen, dass psychosoziale Belastungsfaktoren (lange Arbeitslosigkeit, schlechte berufliche Entwicklungschancen, Krankheit der Ehefrau, soziale Desintegration) das Beschwerdebild mitbestimmten. In Bezug auf die Agoraphobie habe der psychiatrische Experte festgehalten, dass der Versicherte trotz seiner Ängste alleine zur Begutachtung angereist sei und nur noch von leichten Einschränkungen auszugehen sei. Diese dürften im Rahmen einer Arbeitstätigkeit kaum eine Rolle spielen.
4.3. Diese Beweiswürdigung steht im Einklang mit den verschiedenen SMAB-Teilgutachten; sie ist einleuchtend und nachvollziehbar. Von Willkür (vgl. dazu BGE 142 II 369 E. 4.3 S. 380 mit Hinweisen) kann dabei keine Rede sein.
4.4. Weiter hat die Vorinstanz zutreffend berücksichtigt, dass sie sich im Rahmen der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) weder über die (den beweisrechtlichen Anforderungen genügenden) medizinischen Tatsachenfeststellungen hinwegsetzen noch sich die ärztlichen Einschätzungen und Schlussfolgerungen zur (Rest-) Arbeitsfähigkeit unbesehen ihrer konkreten sozialversicherungsrechtlichen Relevanz und Tragweite zu eigen machen darf (BGE 141 V 281 E. 5.2.1 S. 306 f.; 140 V 193 E. 3 S. 194 ff.; Urteil 8C_255/2017 vom 18. Dezember 2017 E. 4.4; je mit Hinweisen). Anders als der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, sind seine psychischen Beeinträchtigungen nicht vergleichbar mit Leiden wie tumorassoziierte Fatigue (vgl. BGE 139 V 346 E. 3 S. 347 f.). Dass das kantonale Gericht von der im SMAB-Gutachten attestierten 30-prozentigen Arbeitsunfähigkeit (in angepassten Tätigkeiten) abgewichen ist, stellt auch im Lichte der neueren Rechtsprechung (Urteile 8C_841/2016 und 8C_130/2017 vom 30. November 2017 [zur Publikation bestimmt]; BGE 141 V 281 E. 2-4 S. 285 ff.) keine Rechtsverletzung dar.
Nach dem Gesagten bleiben die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit (E. 3) verbindlich (E. 1.1).
5.
5.1. Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, er sei seit November 2011 in seiner angestammten Tätigkeit als Schneider bleibend zu 100 % arbeitsunfähig; somit sei das Kriterium von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG im Juni 2014 erfüllt gewesen. Die zu diesem Zeitpunkt infolge eines Herzinfarktes eingetretene Verschlechterung habe drei Monate gedauert, weshalb er jedenfalls vom 1. September bis zum 31. Dezember 2014 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente habe.
5.2. Das kantonale Gericht hat diesbezüglich auf das Urteil 9C_942/2015 vom 18. Februar 2016 E. 3.3.2-3.3.3 verwiesen und erwogen, es könne keine Rente zugesprochen werden, da der Versicherte vier (recte: drei; E. 3 und 4.4) Monate nach dem Herzinfarkt seine vorherige volle Arbeitsfähigkeit für angepasste Tätigkeiten und damit einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad wieder erlangt habe.
5.3. Das Bundesgericht erwog im Urteil 9C_412/2017 vom 5. Oktober 2017 E. 3.2.2, dass im von der Vorinstanz zitierten Entscheid 9C_942/2015 die Wartezeit nach Art. 29 Abs. 1 IVG im Fokus stand. Es erkannte weiter, dass bei einer länger als ein Jahr dauernden und weiterhin anhaltenden Arbeitsunfähigkeit in der angestammten Tätigkeit von ausreichender Ausprägung (in jenem Fall 50 %) die Anspruchsvoraussetzung von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG erfüllt ist. Mit dem Eintritt einer nunmehr vollständigen Arbeitsunfähigkeit auch in jeder anderen Arbeit besteht ein Invaliditätsgrad von 100 %, womit die Voraussetzung nach Art. 28 Abs. 1 lit. c IVG ebenfalls erfüllt ist (Urteil 9C_412/2017 vom 5. Oktober 2017 E. E. 4.3). Mit anderen Worten: Besteht für die bisherige Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit von erheblicher Dauer und Ausprägung, während vorerst mit der verbliebenen Arbeitsfähigkeit in angepassten Tätigkeiten ein rentenausschliessendes Einkommen erzielt werden kann resp. könnte, so entsteht - unter Vorbehalt anderer Voraussetzungen (vgl. insbesondere Art. 29 Abs. 1 IVG) - bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes ein Rentenanspruch, sobald die Invalidität mindestens 40 % beträgt (in diesem Sinn bereits BGE 121 V 264 E. 5b S. 270 und E. 6b/bb S. 273 mit Verweis auf BGE 105 V 156). In einer solchen Konstellation gelangt denn auch die Wartezeit gemäss Art. 88a Abs. 2 IVV (SR 831.201) nicht zur Anwendung (Urteil 8C_777/2014 vom 28. Januar 2015 E. 4.2 mit Hinweisen). Diese Auffassung scheint auch das BSV zu teilen (vgl. Rz. 2008 ff., 2020 f. und 4013 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH]). Aus dem von den Verfahrensbeteiligten angerufenen Urteil 9C_942/2015 vom 18. Februar 2016 ergibt sich nichts anderes.
5.4. Eine Verbesserung der Erwerbsfähigkeit ist für die Herabsetzung oder Aufhebung der Leistung von dem Zeitpunkt an zu berücksichtigen, in dem angenommen werden kann, dass sie voraussichtlich längere Zeit dauern wird (Art. 88a Abs. 1 Satz 1 IVV).
5.5. In concreto steht fest, dass der Versicherte seit November 2011 in der bisherigen und ab dem 28. Juni 2014 auch in jeder anderen Tätigkeit vollständig arbeitsunfähig war; zu diesem Zeitpunkt erreichte der Invaliditätsgrad 100 %. Anschliessend verbesserte sich sein Gesundheitszustand insoweit, als ihm angepasste Tätigkeiten ab Ende Juli 2014 zu 50 % und ab Ende September 2014 wiederum zu 100 % zumutbar waren (E. 3).
Nach dem Gesagten hat der Beschwerdeführer (grundsätzlich, vgl. E. 5.6) vom 1. Juni bis zum 31. Juli 2014 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, während vom 1. August bis zum 30. September 2014 ein befristeter Rentenanspruch auf der Grundlage der 50-prozentigen Arbeitsfähigkeit besteht (Art. 28 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 3 IVG; E. 5.4). Weder das kantonale Gericht noch die IV-Stelle äusserte sich abschliessend zum Invaliditätsgrad resp. zu den massgeblichen Vergleichsgleichseinkommen (vgl. E. 3 oben resp. E. 5.4 des angefochtenen Entscheids; S. 2 der Verfügung vom 28. April 2017). Dies wird die Verwaltung nachzuholen haben.
5.6. Das Bundesgericht darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer beantragt für den massgeblichen Zeitraum (E. 5.5) lediglich eine halbe Rente bis zum 31. August 2014 und eine Dreiviertelsrente ab dem 1. September 2014. Somit kann ihm für Juni und Juli 2014 eine halbe Rente zugesprochen werden. Die IV-Stelle wird über den Anspruch für August und September 2014 erneut verfügen.
6.
Die Gerichtskosten sind entsprechend dem Ausmass des Obsiegens und Unterliegens aufzuteilen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der teilweise obsiegende Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 14. September 2017 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 28. April 2017 werden aufgehoben, soweit sie den Rentenanspruch vom 1. Juni bis zum 30. September 2014 betreffen. Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer eine halbe Invalidenrente für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Juli 2014 zu entrichten. In Bezug auf den Rentenanspruch vom 1. August bis zum 30. September 2014 wird die Sache zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden zu Fr. 720.- dem Beschwerdeführer und zu Fr. 80.- der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 280.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 19. Februar 2018
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Dormann