Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
2C_161/2018
Urteil vom 22. Februar 2018
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Gerichtsschreiber Feller.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Wicki,
gegen
Migrationsamt des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 38, 9001 St. Gallen,
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen,
Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen, Abteilung II, vom 16. Januar 2018 (B 2016/111).
Erwägungen:
1.
A.________, 1990 geborener Kosovar, reiste 1999 mit seinen Eltern und sechs Geschwistern in die Schweiz ein. Das Asylgesuch der Familie wurde abgewiesen, wobei die Wegweisung nicht vollzogen, sondern die Familie (vorerst gruppenweise, danach individuell) vorläufig aufgenommen wurde. Die vorläufige Aufnahme wurde 2007 beendet, das Bundesverwaltungsgericht wies die diesbezügliche Beschwerde ab. Am 6. April 2009 heiratete A.________ eine Schweizer Bürgerin und anerkannte den 2008 geborenen gemeinsamen Sohn. Die Ehe wurde am 15. September 2011 geschieden, das Kind unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt. 2010 und 2012 stellte A.________ in Belgien Asylgesuche. Ein auch in der Schweiz gestelltes Asylgesuch wurde nach Rückübernahme durch Belgien am 25. November 2012 durch Nichteintreten erledigt.
Am 11. Dezember 2012 heiratete A.________ eine österreichische Staatsangehörige, worauf er im Familiennachzug eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA im Kanton St. Gallen erhielt, gültig bis zum 16. Dezember 2017. Am 12. Februar 2014 wurde er eheschutzrichterlich zum Verlassen der ehelichen Wohnung verpflichtet. Seine Ehe mit der EU-Bürgerin wurde am 6. Dezember 2016 geschieden. Am 13. Februar 2017 heiratete er eine Schweizer Bürgerin, mit welcher er eine 2010 geborene Tochter und einen 2015 geborenen Sohn hat; die Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht. Ehefrau und Kinder leben im Kanton Luzern, A.________ wohnt nach eigenen Angaben auch im Kanton Luzern, der im Zusammenhang mit einem offenbar gestellten Gesuch um Kantonswechsel den dortigen Aufenthalt während der Hängigkeit des St. Galler Verfahrens duldete.
Schon zuvor, am 8. August 2014, hatte das Migrationsamt des Kantons St. Gallen die Aufenthaltsbewilligung widerrufen; der Rekurs an das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen blieb erfolglos. Gegen den Rekursentscheid vom 9. Mai 2016 gelangte A.________ mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (23. Mai 2016, Ergänzung 19. August 2016). Dieses fällte am 16. Januar 2018 folgenden Zirkulationsentscheid: Teilweise Gutheissung der Beschwerde und Aufhebung des Rekursentscheids vom 9. Mai 2016 mit Ausnahme des Kostenspruches; Rückweisung der Angelegenheit an das Migrationsamt zur Überprüfung beziehungsweise Ergänzung des Sachverhalts im Sinn der Erwägungen und zu neuer Entscheidung; Ablehnung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege (wegen fehlenden Bedürftigkeitsnachweises) und Kostenauflage an A.________.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 1. Februar 2018 beantragt A.________ dem Bundesgericht namentlich, der Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben; dem Beschwerdeführer sei eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen; die gesamten Verfahrenskosten der kantonalen Instanzen seien dem Kanton St. Gallen aufzuerlegen und dieser habe den jeweiligen Rechtsvertretern eine volle Parteientschädigung gemäss Kostennote zuzusprechen; dem Beschwerdeführer sei für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege inklusive unentgeltliche Rechtsvertretung ab dem 13. September 2016 (Datum der entsprechenden Gesuchseinreichung) zu gewähren.
Es ist weder ein Schriftenwechsel noch sind andere Instruktionsmassnahmen angeordnet worden.
Mit dem vorliegenden instanzabschliessenden Urteil wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
2.
2.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Entscheid, mit welchem die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. Rückweisungsentscheide, welche (wie vorliegend) der Vorinstanz, an welche die Sache zurückgewiesen wird, Entscheidungsspielraum belassen, gelten grundsätzlich als Zwischenentscheide, weil sie das Verfahren nicht abschliessen (BGE 134 II 124 E. 1.3. S. 127; 133 V 477 E. 4 S. 480-482).
Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen End- und Teilentscheide ( Art. 90 und 91 BGG ), gegen Zwischenentscheide hingegen nur unter bestimmten Voraussetzungen ( Art. 92 und 93 BGG ). Art. 92 Abs. 1 BGG lässt die Beschwerde zu gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen andere selbstständig eröffnete Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Ist die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 BGG nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- oder Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Art. 93 Abs. 3 BGG).
Der hier angefochtene Zwischenentscheid fällt nicht unter Art. 92 BGG, wird doch die vom Verwaltungsgerichts des Kanton St. Gallen beanspruchte (s. E. 1.2) Zuständigkeit für die Beurteilung des Entscheids über den Bewilligungswiderruf nicht in Frage gestellt. Er ist nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 BGG anfechtbar. Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 93 Abs. 1 lit. a sowie b BGG .
2.2. Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier schon darum ausser Betracht, weil selbst die (hier ohnehin nicht gegebene; s. dazu nachfolgend E. 2.3.3) Möglichkeit, durch die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeizuführen, regelmässig nicht genügt. Zusätzlich müsste ein sofortiger Endentscheid es erlauben, einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren zu ersparen. Dass dies der Fall wäre, legt der Beschwerdeführer nicht dar.
2.3.
2.3.1. Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG liegt dann vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (etwa BGE 141 IV 289 E. 1.2 S. 291). Der Nachteil muss in der Regel rechtlicher Natur sein (BGE 141 IV 284 E. 2.2 S. 287, 289 E. 1.2 S. 291). Vom der Regelung von Art. 93 BGG zugrundeliegenden, auf dem Gedanken der Verfahrensökonomie beruhenden Zweck, dass das Bundesgericht sich mit einer Sache möglichst nur einmal zu befassen habe, soll nur mit Zurückhaltung abgewichen werden (BGE 142 III 798 E. 2.2 S. 801; 141 III 80 E. 1.2 S. 81). Keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt die blosse Verteuerung des Prozesses oder dessen Verlängerung (BGE 142 III 798 E. 2.2 S. 801 mit Hinweisen); vorbehalten bleiben ganz ausserordentliche Verhältnisse bezüglich der Verfahrensdauer (BGE 136 II 165 E. 1.2 S. 170 f.; Urteil 8C_633/2014 vom 11. Dezember 2014 E. 2.2).
2.3.2. Nach dem Gesagten lässt sich mit der (gemäss Beschwerdeführer überlangen) Verfahrensdauer, die im Übrigen nicht unwesentlich durch die mehrfachen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse bedingt war (s. Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Entscheids, lit. C zweiter Absatz) und keinesfalls ganz ausserordentlich erscheint, ein nicht wieder gutzumachender Nachteil nicht dartun. Dasselbe gilt hinsichtlich der Überlegungen des Beschwerdeführers zur möglichen Rolle des Staatssekretariats für Migration in einem allfälligen Zustimmungs- oder Beschwerdeverfahren.
2.3.3. Soweit unter dem Aspekt Rechtsverzögerung die Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG behauptet wird, ist zusätzlich Folgendes anzuführen: Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist der Widerruf einer durch den Kanton St. Gallen erteilten Aufenthaltsbewilligung. Über die Rechtmässigkeit des Bewilligungswiderrufs hatte der Kanton St. Gallen zu entscheiden, in letzter Instanz das Verwaltungsgericht (s. dazu E. 1.2 seines Entscheids). Die widerrufene Bewilligung ist am 16. Dezember 2017 durch Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer erloschen (Art. 61 Abs. 1 lit. c AuG). Dessen ist sich auch der Beschwerdeführer bewusst, beantragt er doch die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.
Ausländische Personen können nur in einem einzigen Kanton eine Aufenthaltsbewilligung besitzen (Art. 66 VZAE). Ist eine Bewilligung erloschen, liegt es am Wohnsitzkanton, aufgrund der aktuellen Sachlage über den weiteren Aufenthalt und das Bestehen von Widerrufsgründen bzw. die Verhältnismässigkeit der damit verbundenen aufenthaltsbeendenden Massnahme zu befinden (Urteil 2C_1115/2015 vom 20. Juli 2016 E. 1.3.2 und 1.3.3). Die widerrufene und mittlerweile erloschene Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA im Kanton St. Gallen beruhte auf der Ehe des Beschwerdeführers mit einer Unionsbürgerin. Heute will er eine Aufenthaltsbewilligung gestützt auf die Ehe mit einer Schweizer Bürgerin bzw. auf die Beziehung zu den gemeinsamen Kindern (ihrerseits Schweizer Bürger) beanspruchen (Art. 42 AuG bzw. Art. 8 EMRK), welche im Kanton Luzern leben, wo auch er sich seit einiger Zeit aufhält. Unter diesen Umständen war zwingend vorab über den Wohnsitz des Beschwerdeführers zu entscheiden, um den zuständigen Bewilligungskanton zu bestimmen. Selbst im Falle einer Zuständigkeit des Kantons St. Gallen wäre es dem Verwaltungsgericht wohl verwehrt, selber als erste Instanz darüber zu befinden, ob dem Beschwerdeführer aufgrund der neuen tatsächlichen Verhältnisse und auf neuer Rechtsgrundlage eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen sei. Unter keinen Umständen stünde ihm aber zu, über eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton Luzern zu entscheiden. Dass das Verwaltungsgericht nicht selber materiell über die Bewilligungserteilung entschieden hat, was ihm der Beschwerdeführer primär vorwirft, sondern die Sache für die Klärung der Wohnsitzfrage an das Migrationsamt zurückweist, bewirkt keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.
2.4. Der Beschwerdeführer bezeichnet den mit dem Rückweisungsentscheid verbundenen Kostenentscheid als Endentscheid. Nach feststehender Rechtsprechung gilt ein derartiger Kostenentscheid seinerseits als Zwischenentscheid, der keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt, und ist erst zusammen mit dem Endentscheid anfechtbar (BGE 137 V 57 E. 1.1 S. 59; 135 III 329 E. 1.2.2 S. 333; 133 V 645 E. 2 S. 647 f.). Dasselbe gilt für den Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege, wenn nicht mehr das Eintreten der Vorinstanz auf das dortige Rechtsmittel davon abhängt (BGE 139 V 600 E. 2.3 S. 603).
2.5. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Rückweisungsentscheid ist nach Art. 93 Abs. 1 BGG unzulässig. Es ist darauf mit Entscheid des Abteilungspräsidenten als Einzelrichter im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 BGG nicht einzutreten.
2.6. Da die Beschwerde aussichtslos erschien, kann dem für das bundesgerichtliche Verfahren gestellten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nicht entsprochen werden (Art. 64 BGG). Es rechtfertigt sich allerdings, angesichts der besonderen (kantonalen) Verfahrenskonstellation, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Insofern wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.
Demnach erkennt der Präsident:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos ist.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung II, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Februar 2018
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Der Gerichtsschreiber: Feller