Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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8C_707/2017
Urteil vom 2. März 2018
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiber Grunder.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt und Notar
Claude Wyssmann,
Beschwerdeführerin,
gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, Speichergasse 12, 3011 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren; unentgeltliche Rechtspflege),
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 6. September 2017 (200 16 1258 IV).
Sachverhalt:
A.
Mit rechtskräftig gewordener Verfügung vom 27. Mai 2009 wies die IV-Stelle Bern das Leistungsgesuch der 1956 geborenen A.________ vom 29. September 2008 ab.
Am 1. September 2015 meldete sich die Versicherte erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle zog regelmässig die Akten der Krankentaggeldversicherung bei und holte das auf allgemeininternistischen und dermatologischen Untersuchungen beruhende Gutachten der ABI, Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel, vom 3. Juni 2016 ein. Danach bestand wegen des chronischen hyperkeratotisch-rhagadiformen Kontaktekzems an beiden Händen für alle Tätigkeiten mit Kontakt zu den sensibilisierenden Stoffen sowie zu toxischen und irritativen Substanzen und für Feuchtarbeiten eine vollständige Arbeitsunfähigkeit. Mittelschwere und schwere Tätigkeiten mit starker Belastung der Hände sollten gemieden werden. Die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Raumpflegerin fiel in dieses Belastungsprofil und war nicht mehr zumutbar. Für andere, angepasste und leichtere Tätigkeiten war die Explorandin vollständig arbeitsfähig. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 15. November 2016 wiederum einen Anspruch auf Invalidenrente.
B.
Hiegegen liess A.________ Beschwerde führen und beantragen, ihr seien ab wann rechtens die gesetzlichen Leistungen (berufliche Massnahmen, Invalidenrente) nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von mindestens 40 % zuzüglich eines Verzugszinses von 5 % ab wann rechtens auszurichten; eventualiter sei die Sache zur Durchführung neuer medizinischer und beruflich-erwerblicher Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen. Das gleichzeitig gestellte Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit der Begründung ab, die Rechtsbegehren erschienen aussichtslos (Verfügung vom 6. September 2017).
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr für das kantonale Beschwerdeverfahren betreffend Invalidenrente die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie darüber neu befinde. Weiter lässt A.________ beantragen, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Ferner ersucht sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Dazu lässt sich A.________ mit einer weiteren Eingabe vernehmen. Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Gegen selbständig eröffnete, weder die Zuständigkeit noch den Ausstand (vgl. Art. 92 BGG) betreffende Zwischenentscheide ist die Beschwerde an das Bundesgericht - abgesehen vom hier nicht gegebenen Ausnahmefall gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG - nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Angefochten ist ein in einem hängigen kantonalen Beschwerdeverfahren ergangener Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege; dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, von dem die Rechtsprechung annimmt, er bewirke in der Regel einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, jedenfalls wenn nicht nur die unentgeltliche Rechtspflege verweigert, sondern - wie hier - zugleich auch die Anhandnahme des Rechtsmittels von der Bezahlung eines Kostenvorschusses durch die gesuchstellende Partei abhängig gemacht wird (Urteil 9C_286/2009 vom 28. Mai 2009 E. 1 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG).
3.
3.1. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 140 V 521 E. 9.1 S. 537 mit Hinweisen).
3.2. Es ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe des Bundesgerichts ist, dem Sachgericht vorgreifend zu prüfen, ob das vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen sei oder nicht, sondern lediglich, ob der vom Bedürftigen verfolgte Rechtsstandpunkt im Rahmen des sachlich Vertretbaren liegt, beziehungsweise nicht von vornherein unbegründet erscheint (BGE 119 III 113 E. 3a S. 115). Das Bundesgericht greift in den Spielraum des Sachgerichts bei der prognostischen Beurteilung der Erfolgsaussichten nur dann ein, wenn das Sachgericht von anerkannten Rechtsgrundsätzen abgewichen ist, Umstände berücksichtigt hat, die für die Prognose im Einzelfall keine Rolle spielen dürfen oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen (Urteile 8C_857/2013 vom 14. Juli 2014 E. 3.2, 8C_551/2011 vom 29. September 2011 E. 4.4, 4A_336/2008 vom 2. September 2008 E. 2.1).
4.
4.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, die IV-Stelle sei gestützt auf das Gutachten der ABI vom 3. Juni 2016 davon ausgegangen, dass die Versicherte in einer den Handleiden angepassten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig sei. Nach summarischer Prüfung bestünden keine konkreten Indizien gegen die Zuverlässigkeit der ausführlichen und schlüssigen Expertise der ABI, sodass darauf abzustellen sei. Im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und angesichts der relativ hohen Hürden betreffend die Unverwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit auch älterer Menschen sei ein erheblich erschwerter Zugang der Versicherten mit Jahrgang 1956 zum Arbeitsmarkt zu verneinen. Dies insbesondere auch deshalb, weil dem Zumutbarkeitsprofil angepasste, körperlich leichte Arbeiten zu einem Pensum von 100 % uneingeschränkt zumutbar seien und Hilfsarbeitertätigkeiten altersunabhängig nachgefragt würden. Der zu unterstellende ausgeglichene Arbeitsmarkt weise einen breiten Fächer an Arbeitsplätzen auf, die den Handleiden der Versicherten angepasst seien. Daher bestehe aufgrund des von der IV-Stelle vorgenommenen, nicht zu beanstandenden Einkommensvergleichs nach summarischer Prüfung kein Anspruch auf eine Invalidenrente. Da nach dem ersten Studium der Akten der angestrengte Prozess aussichtslos erscheine, sei das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Beiordnung von Rechtsanwalt Wyssmann als amtlicher Anwalt abzuweisen.
4.2. Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, dringt nicht durch. Ihre Vorbringen zielen darauf ab, vom Bundesgericht prüfen zu lassen, ob die im kantonalen Verfahren gestellten Rechtsbegehren materiell zu schützen seien. So macht sie in erster Linie geltend, das kantonale Gericht lege nicht dar, weshalb hinsichtlich des zeitlichen Umfangs einer zumutbaren Arbeitstätigkeit auf das Gutachten der ABI statt auf den unabhängig davon verfassten, von der Krankentaggeldversicherung eingeholten Bericht des Zentrums B.________, C.________, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, vom 22. Juni 2016 abzustellen sei, womit es den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) verletzt habe. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass sich die Vorinstanz rechtsprechungsgemäss auf eine vorläufige und summarische Prüfung der Prozessaussichten hat beschränken dürfen (vgl. Urteil 4A_336/2008 vom 2. September 2008 E. 5.2). Daher ist auch die Berufung auf das Urteil 8C_345/2014 vom 10. September 2013 E. 4.3.2, in der das Bundesgericht Beispiele aus der Kasuistik nannte, die für, beziehungsweise gegen die Aussichten einer versicherten Person sprachen, das ihr verbliebene Leistungsvermögen wegen des fortgeschrittenen Alters auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt verwerten zu können, im vorliegenden Kontext unbehelflich. Zu den weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei nicht in der Lage, die im Gutachten der ABI erwähnten Verweistätigkeiten, insbesondere Büroarbeiten, auszuüben, hat sich die Vorinstanz, wie aus dem in E. 4.1 hievor zitierten Entscheid ohne Weiteres hervorgeht, sachbezogen geäussert. Schliesslich ist nicht ersichtlich, inwiefern das kantonale Gericht, indem es der IV-Stelle im vorinstanzlichen Verfahren zunächst Gelegenheit zur Beschwerdeantwort gegeben und danach einen zweiten Schriftenwechsel vor Erlass des angefochtenen Entscheids angeordnet hat, ihren Rechtsvertreter in unter anderem gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossender Weise zusätzlichen Aufwand hat betreiben lassen. So ist das prozessuale Vorgehen der Vorinstanz im vorliegenden Fall nicht zu werten. Denn nach der Rechtsprechung müssen Indizien, die erst nach Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege bekannt werden, aber darauf hinweisen, dass das Gesuch seinerzeit begründet (oder unbegründet) war, bei dessen Beurteilung berücksichtigt werden (BGE 140 V 521 E. 9.2 S. 537 mit Hinweis). Auch unter diesem Blickwinkel betrachtet ist die Beschwerde abzuweisen.
5.
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
6.
Als aussichtslos muss auch die Beschwerde ans Bundesgericht bezeichnet werden, weshalb die hier beantragte unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung abzuweisen ist ( Art. 64 Abs. 1-3 BGG ). Die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 BGG) sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der IV-Stelle Bern schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 2. März 2018
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Der Gerichtsschreiber: Grunder