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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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8C_824/2017
Urteil vom 27. März 2018
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin.
Gerichtsschreiberin Polla.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 11. Oktober 2017 (IV 2017/274).
Sachverhalt:
A.
A.a. Die 1957 geborene A.________ meldete sich im Juli 2004 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Sie litt an einem lumbospondylogenen Syndrom bei Status nach Diskushernienoperation mit mikroskopischer Sequesterektomie L4/5 rechts bei grosser rechts paramedianer Diskushernie L4/5 mit Kompression der Wurzel L5, rechts, mehrsegmentalen Spinalkanalstenosen und einer linksbetonten Beinschwäche (Bericht der Klinik für Orthopädische Chirurgie des Spitals B.________ vom 14. Juli 2004). Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen sprach ihr bei einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit von 50 % für eine leichte, wechselbelastende Tätigkeit ab 1. Dezember 2004 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu (Verfügung vom 1. November 2005). Anlässlich eines im Jahr 2008 durchgeführten Revisionsverfahrens wies die Versicherte auf zwei Rückenoperationen hin und machte eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation geltend. Im Dezember 2009 berichtete die Klinik für Orthopädische Chirurgie des Spitals B.________, dass sich 18 Monate nach den Operationen der Zustand deutlich verbessert habe. Am 14. Januar 2010 führte Dr. med. C.________, Oberarzt am Spital B.________, ergänzend aus, objektivierbare Einschränkungen lägen keine mehr vor, die limitierte Arbeitsfähigkeit finde in der subjektiven Schmerzhaftigkeit der Versicherten ihre Begründung, wobei sie selbst ebenfalls eine Zustandsverbesserung berichte. Der Regionale Ärztliche Dienst der IV-Stelle (RAD) hielt in seiner (undatierten) Stellungnahme ebenfalls eine deutliche Beschwerdeverbesserung gestützt auf die Berichte des Spitals B.________ fest, erachtete die Versicherte aber immer noch zu 50 % arbeitsunfähig und verneinte weiteren Abklärungsbedarf. Am 22. Januar 2010 teilte die IV-Stelle A.________ mit, es bestünde weiterhin Anspruch auf eine halbe Invalidenrente.
A.b. Im September 2012 meldete A.________ erneut eine Verschlechterung des Gesundheitszustands. Gemäss Bericht des Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 8. Oktober 2012 leide sie an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode sowie an einer Persönlichkeitsveränderung bei einem chronischen Schmerzsyndrom. Dr. med. D.________ erachtete eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft als ungeeignet, längerfristig sei eine Arbeitsunfähigkeit von 60 bis 70 % gegeben (Bericht vom 8. März 2013). Nach Einholung eines polydisziplinären Gutachtens der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Bern, vom 25. November 2013, wonach spätestens seit der Verlaufskontrolle im Juni 2009 beim Spital B.________ eine vollständige Arbeitsfähigkeit für eine leidensadaptierte Tätigkeit bestehe, hob die IV-Stelle die Invalidenrente revisionsweise mit Verfügung vom 14. April 2014 auf Ende Mai 2014 auf. Die hiergegen eingereichte Beschwerde der Versicherten hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen gut und hob die Verfügung vom 14. April 2014 auf (Entscheid vom 15. Februar 2017). Die dagegen von der IV-Stelle geführte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hiess das Bundesgericht mit Urteil 8C_185/2017 vom 6. Juli 2017 gut; es wies in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids die Sache zu neuer Entscheidung über die Beschwerde an die Vorinstanz zurück. Es erwog, die Vorinstanz habe die Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten sei, durch Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenzusprache (Verfügung vom 1. November 2005) bestand, mit demjenigen zur Zeit der Verfügung vom 14. April 2014 vorzunehmen.
B.
In Bejahung der Voraussetzungen einer revisionsweisen Rentenanpassung nach Art. 17 Abs. 1 ATSG wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 11. Oktober 2017 die gegen die Verfügung vom 14. April 2014 eingereichte Beschwerde ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und im Wesentlichen beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr die per 1. Juni 2014 eingestellte Invalidenrente weiterhin auszurichten. Ferner wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2. Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; siehe auch BGE 134 III 102 E. 1.1 S. 104 f.).
2.
2.1. Die Vorinstanz vertritt die Ansicht, da das Dispositiv des bundesgerichtlichen Rückweisungsurteils 8C_185/2017 nicht explizit auf die Erwägungen verweise, sei sie rechtsprechungsgemäss nicht daran gebunden, sondern nur an die Anweisung, einen neuen Beschwerdeentscheid zu erlassen. Dieser könne zulässigerweise identisch mit dem vom Bundesgericht aufgehobenen Entscheid vom 15. Februar 2017 sein.
2.2. Diese Auffassung ist unzutreffend. Zwar erwächst der Entscheid nur in jener Form in Rechtskraft, wie er im Dispositiv zum Ausdruck kommt, doch ergibt sich dessen sachliche Tragweite vielfach erst aus dem Beizug der Erwägungen. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung werden daher die Erwägungen eines letztinstanzlichen Rückweisungsentscheids für die Behörde, an welche die Sache geht, und - im Hinblick auf ein zweites Urteil - auch für das Bundesgericht selbst verbindlich. Weder das kantonale Gericht noch das Bundesgericht dürfen sich deshalb in ihrem neuen Entscheid auf Erwägungen stützen, die das Bundesgericht im Rückweisungsentscheid ausdrücklich oder sinngemäss verworfen hat. Wegen dieser Bindungswirkung der Gerichte ist es ihnen wie auch den Parteien, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen oder die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt oder überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.2 S. 335 f. mit Hinweisen). Dementsprechend hat die kantonale Instanz, die sich erneut mit der Sache auseinanderzusetzen hat, die rechtliche Einschätzung, mit der die Rückweisung begründet wird, ihrer Entscheidung zugrunde zu legen, ohne dass im Dispositiv ausdrücklich auf die Erwägungen verwiesen wird (BGE 117 V 237 E. 2a S. 241 f.; STEFAN HEIMGARTNER/HANS WIPRÄCHTIGER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 26 f. zu Art. 61 und ULRICH MEYER/ JOHANNA DORMANN, ebenda, N. 18 zu Art. 107).
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es die von der Beschwerdegegnerin am 14. April 2014 revisionsweise verfügte Aufhebung der bisherigen halben Invalidenrente bestätigte.
3.2. Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprechung der Rente, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes revidierbar (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit Hinweisen).
4.
4.1. Die Vorinstanz stellte zur Frage, ob eine in revisionsrechtlicher Hinsicht bedeutsame Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin eingetreten ist, fest, die rentenzusprechende Verfügung vom 1. November 2005 habe auf dem Bericht der Klinik E.________ vom 26. Juli 2005 beruht, wonach ein chronisches Panvertebralsyndrom zusammen mit einer Adipositas die Arbeitsfähigkeit beeinflusse und diese für eine körperlich leichte, wechselbelastende Tätigkeit um 50 % einschränke. Weiter mass sie dem polydisziplinären Gutachten der MEDAS Bern vom 25. November 2013, worauf sich die Verfügung vom 14. April 2014 stützte, Beweiskraft bei. Demgemäss sei es nach den zwei operativen Eingriffen an der Halswirbelsäule (Spondylodese C5 bis C7) sowie an der Lendenwirbelsäule (L3 bis S1) im Einklang mit dem Bericht des Spitals B.________ vom 14. Januar 2010 zu einer deutlichen postoperativen Verbesserung gekommen, sodass kein sicheres pathologisches Korrelat mehr für die geklagten Schmerzen festgestellt worden sei. Eine ideal angepasste Tätigkeit könne die Versicherte daher seit Juni 2009 uneingeschränkt ausüben.
4.2. Dass die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Entwicklung des Gesundheitszustandes offensichtlich unrichtig (unhaltbar, willkürlich: BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153; Urteil 9C_607/2012 vom 17. April 2013 E. 5.2) sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht substanziiert geltend gemacht. Entgegen den Darlegungen in der Beschwerde machte die Vorinstanz deutlich, dass die Gutachter der MEDAS gerade nicht bloss einen gleich gebliebenen medizinischen Sachverhalt anders bewerteten, sondern plausibel aufzeigten, dass sich der Gesundheitszustand aus objektiver Sicht seit den im Jahr 2008 durchgeführten operativen Interventionen an der Wirbelsäule massgeblich verbessert hat. Eine psychiatrische Diagnose schränkte ferner im Zeitpunkt der Rentenzusprache die Arbeitsfähigkeit nicht ein. Die Klinik E.________ führte damals aus, durch das chronische unspezifische Panvertebralsyndrom habe sich eine deutlich reduzierte Belastbarkeit der Wirbelsäule eingestellt. Dies hänge einerseits mit dem schmerzbedingten Schon- und Vermeidungsverhalten zusammen und andererseits mit einer deutlichen Gewichtszunahme. Damit wurde die der ursprünglichen Verfügung vom 1. November 2005 zugrunde gelegte 50%ige Arbeitsfähigkeit mit Rückenschmerzen in Form eines chronischen Panvertebralsyndroms begründet, einer Krankheit des Muskel-Skelett-Systems, auch wenn unter derselben Diagnose psychische Faktoren und Verhaltensfaktoren, Resignation und Frustration durch Kündigung aufgeführt wurden (ICD-10 M54.8, F54 und Z56.0). Eine psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit bestand damals aus Sicht des Dr. med. F.________, Leitender Arzt Psychosomatik, Klinik E.________, gerade nicht. Soweit sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang auf lit. a Abs. 1 der am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) beruft, geht dies demnach fehl. Denn diese Schlussbestimmung bezieht sich einzig auf Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, welcher Sachverhalt hier nach dem soeben Gesagten nicht vorliegt. Damit ging die Vorinstanz bundesrechtskonform auf der Basis des MEDAS-Gutachtens von einer revisionsrechtlich erheblichen gesundheitlichen Verbesserung hinsichtlich der Wirbelsäulenproblematik nach den erfolgten operativen Eingriffen am Stützapparat aus.
4.3. Stichhaltige Gründe, weshalb das kantonale Gericht dem Gutachten der MEDAS keine Beweiskraft hätte beimessen dürfen, bringt die Beschwerdeführerin sodann nicht vor. Insbesondere macht sie zu Recht nicht geltend, die in psychiatrischer Hinsicht diagnostizierte chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) würde im Lichte der Indikatoren gemäss BGE 141 V 281 zu einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit führen. Der psychiatrische Experte hielt fest, dass keine versicherungsmedizinisch wirksamen quantitativen Einschränkungen auf psychisch-geistiger Ebene bestünden. Die berichteten Störungen könnten lediglich als Befindlichkeitsstörungen angesehen werden. Es fänden sich subjektive Beschwerden, die mit Schlafstörungen, Geräuschempfindlichkeit und verminderter Belastbarkeit umschrieben würden. Diese seien unspezifischer Natur und entsprächen keinem definierten psychiatrischen Zustandsbild, weshalb er diesen Befindlichkeitsstörungen nachvollziehbar den Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit absprach. Eine invalidisierende Gesundheitsbeeinträchtigung mit erheblichen funktionellen Leistungseinschränkungen liegt damit nicht vor (vgl. BGE 142 V 106 E. 4.2 und 4.4 S. 109 ff. und 143 V 418 E. 7.1 S. 427 f.).
4.4. Die übrigen Faktoren der Invaliditätsbemessung sowie der Umstand, dass die halbe Rente ohne Durchführung von Eingliederungsmassnahmen aufgehoben wurde, rügt die Beschwerdeführerin nicht. Insbesondere gibt auch das Absehen von Eingliederungsmassnahmen keinen Anlass zu Weiterungen, nachdem die Versicherte seit der Rentenzusprache im November 2005 durchgehend über eine Arbeitsfähigkeit von 50 % in einer angepassten Tätigkeit verfügt, die sie jedoch nie ausgeschöpft hat, weshalb nicht von einer langjährigen invaliditätsbedingten Abstinenz vom Arbeitsmarkt auszugehen ist (vgl. Urteile 9C_752/2013 vom 27. Juni 2014 E. 4.3.2; 8C_393/2016 vom 25. August 2016 E. 3.6 und 3.7). Die Beschwerde ist unbegründet.
5.
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihr wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. März 2018
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Die Gerichtsschreiberin: Polla