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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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1B_74/2018
Urteil vom 10. April 2018
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Sursee, Abteilung 3, Centralstrasse 35, Postfach 9, 6210 Sursee.
Gegenstand
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 8. Januar 2018 (2U 17 17).
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft Sursee verurteilte A.________ mit Strafbefehl vom 4. April 2014 wegen SVG-Widerhandlungen, Drohung und Tätlichkeiten zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 900.--. A.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl und ersuchte um amtliche Verteidigung, worauf die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt B.________ per 4. Juni 2014 als amtlichen Verteidiger einsetzte.
Am 14. Juli 2014 erliess die Staatsanwaltschaft einen neuen Strafbefehl, gegen den A.________ wiederum Einsprache erhob.
Am 7. April 2016 wurde die Strafuntersuchung gegen A.________ auf zwei Einbruchdiebstähle vom 12. und 13. Oktober 2015 in U.________ ausgedehnt.
Am 8. November 2016 verurteilte die Staatsanwaltschaft A.________ wegen SVG-Widerhandlungen, Drohung, Tätlichkeiten, Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs zu einer unbedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 300.--. A.________erhob auch gegen diesen Strafbefehl Einsprache. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Sache dem Bezirksgericht U.________ zur Beurteilung.
Am 28. April 2017 stellte das Bezirksgericht U.________ das Strafverfahren in Bezug auf verschiedene Vorwürfe wegen Verjährung ein und verurteilte A.________ wegen grober Verkehrsregelverletzung, Drohung, mehrfachen Diebstahls, mehrfachen Hausfriedensbruchs und mehrfacher Sachbeschädigung zu einer unbedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen als Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden vom 17. November 2015 (Geldstrafe von 150 Tagessätzen).
Am 14. Juli 2017 erklärte A.________ Berufung und beantragte im Wesentlichen einen vollumfänglichen Freispruch; für das Berufungsverfahren ersuchte er um amtliche Verbeiständung.
Mit Schreiben vom 23. August 2017 setzte das Kantonsgericht A.________ eine Frist von 20 Tagen an, um seine wirtschaftliche Situation darzulegen. Innert erstreckter Frist teilte A.________ mit, an seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen habe sich während des Strafverfahrens nichts geändert.
Am 8. Januar 2018 wies das Kantonsgericht Luzern das Gesuch von A.________ um amtliche Verteidigung im Berufungsverfahren ab und widerrief das Mandat des amtlichen Verteidigers B.________.
B.
Mit eigenhändig verfasster Beschwerde vom 2. Februar 2018 beantragt A.________, diesen Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und ihm einen amtlichen Anwalt beizugeben. Für das Verfahren vor Bundesgericht ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
C.
Das Kantonsgericht verzichtet auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem das Kantonsgericht das Gesuch des Beschwerdeführers um Einsetzung eines amtlichen Verteidigers abwies und das Mandat des amtlichen Verteidigers widerrief; dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 BGG). Er schliesst das Verfahren indessen nicht ab; es handelt sich mithin um einen Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken könnte. Das ist bei der Verweigerung der amtlichen Verteidigung der Fall (BGE 133 IV 335E. 4 mit Hinweisen; Urteil 1B_436/2011 vom 21. September 2011 E. 1). Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird und dessen Gesuch um amtliche Verteidigung abgelehnt wurde, ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG).
2.
Die Verteidigung ist in den Art. 128 ff. StPO geregelt. In besonders schwer wiegenden Straffällen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen - etwa wenn die Untersuchungshaft mehr als zehn Tage gedauert hat oder eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr in Aussicht steht (Art. 130 lit. a und b StPO) - notwendig, d.h. der beschuldigten Person muss auf jeden Fall ein Verteidiger zur Seite gestellt werden. Bestimmt sie keinen Wahlverteidiger, muss ihr diesfalls zwingend ein amtlicher Verteidiger bestellt werden (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO). In Bagatellfällen besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf amtliche Verteidigung (Art. 132 Abs. 2 StPO), sondern nur ausnahmsweise, etwa wenn der Fall besondere Schwierigkeiten bietet, denen der Beschuldigte nicht gewachsen ist, oder der Ausgang des Verfahrens eine besondere Tragweite aufweist, etwa weil ihm der Entzug einer Berufsausübungsbewilligung droht (Urteile 1B_217/2015 vom 20. August 2015 E. 2.2; 1B_169/2014 vom 16. Juli 2014 E. 2.3). Steht für den Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von über vier Monaten, eine Geldstrafe von über 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden in Aussicht, liegt jedenfalls kein Bagatellfall mehr vor (Art. 132 Abs. 3 StPO). In den dazwischen liegenden Fällen relativer Schwere ist eine amtliche Verteidigung anzuordnen, wenn der Beschuldigte nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen gebotenerscheint (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Letzteres ist dann der Fall, wenn der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Probleme aufwirft, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist (Art. 132 Abs. 2 StPO).
Das Obergericht hat dem Beschwerdeführer die amtliche Verteidigung entzogen mit der Begründung, er sei nicht mittellos im Sinn von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO.
3.
3.1. Nach dem Antrag des Beschwerdeführers auf Bestellung einer amtlichen Verteidigung vom 4. Juni 2014, den die Staatsanwaltschaft in der Folge gutgeheissen hat, verfügt er über eine monatliche Rente von Fr. 547.--. Dazu arbeitet er ca. 10 Tage pro Monat schwarz als Seemann auf verschiedenen Schiffen unter diversen Flaggen. Als Nettoeinkommen sind ca. 2'500.-- Euro angegeben, wobei angefügt wird, dass er die 20 Tage, in denen er in europäischen Häfen auf Arbeit warte, von seinem Lohn lebe; er brauche 1'500.-- Euro für Logis, der Rest für Essen etc. Er habe keine weiteren Einkünfte und kein Vermögen, dagegen noch rund Fr. 40'000.-- Schulden aus einer Alimentenbevorschussung.
An der staatsanwaltlichen Einvernahme vom 27. April 2016 zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt, gab der Beschwerdeführer an, eine Rente von Fr. 547.-- pro Monat zu erhalten und daneben ein Einkommen von Fr. 4'000.-- pro Monat zu erzielen; pro Monat stünden ihm ca. Fr. 4'200.-- bis 4'400.-- zur Verfügung. Er habe Alimentenschulden in unbekannter Höhe, aber keine weiteren Verpflichtungen mehr.
An der Befragung durch das Bezirksgericht U.________ vom 25. April 2017 gab der Beschwerdeführer an, sein Nettoeinkommen betrage zusammen mit der Rente von Fr. 547.-- rund Fr. 4'000.--.
Mit Eingabe vom 15. Dezember 2017 teilte der Beschwerdeführer dem Kantonsgericht mit, an seinen finanziellen Verhältnissen habe sich im Laufe des Strafverfahrens nichts geändert, es sei auf die Zahlen abzustellen, die zur Gutheissung des Gesuchs durch die Staatsanwaltschaft geführt hätten. Bei seinen Angaben vom 25. April 2017 gegenüber dem Bezirksgericht dürfte es sich um ein Versehen gehandelt haben.
3.2. Für das Kantonsgericht ist nicht nachvollziehbar, weshalb es sich bei den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Einkommen vom 25. April 2017 um ein Versehen gehandelt habe könnte. Es geht aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers bzw. deren Fehlens davon aus, dass er über ein Nettoeinkommen von rund Fr. 4'000.-- verfügt und keine relevanten Ausgaben für Miete, Steuern etc. hat. Vor diesem Hintergrund sei die Deckung des Grundbedarfs des Beschwerdeführers in jedem Fall gewährleistet, er sei daher nicht mittellos im Sinn von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO.
3.3. Dem Kantonsgericht kann darin zugestimmt werden, dass es sich bei der Behauptung des Beschwerdeführers, im Monat zusammen mit der Rente über ein Einkommen von gut Fr. 4'000.-- zu verfügen, nicht um ein "Versehen" gehandelt haben kann. Dies schon deswegen, weil er sein Einkommen bereits am 27. April 2016 gleich bezifferte und dies wohl auch schon am 4. Juni 2014 tat, liegt es doch nahe, dass das im Formular mit Fr. 2'500.-- angegebene "Nettoeinkommen" das Einkommen bezeichnen soll, das ihm nach Abzug der mit veranschlagten Fr. 1'500.-- Kosten für seine Hotelunterkünfte verbleiben würde. Es ist zwar durchaus denkbar, dass die ca. Fr. 2'500.--, die ihm nach Abzug der Hotelkosten verbleiben, knapp für die Bestreitung seiner weiteren Lebenshaltungskosten ausreichen und ihm am Monatsende kein Überschuss bleibt. Das steht aber keineswegs fest und der Beschwerdeführer hat nicht einmal den Versuch gemacht, seine Lebenshaltungskosten auszuweisen oder wenigstens plausibel darzulegen. Damit hat er klarerweise seine Mitwirkungspflicht verletzt; sein Argument, er könne sein Einkommen nicht näher darlegen und belegen, weil er schwarz arbeite und daher seine Arbeitgeber nicht nennen könne, geht an der Sache vorbei, weil das Kantonsgericht seine Angaben zur Höhe des Einkommens auch ohne Belege akzeptiert hat. Es hat unter diesen Umständen kein Bundesrecht verletzt, indem es seine amtliche Verbeiständung für das Berufungsverfahren widerrief. Die Beschwerde ist unbegründet.
4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Von der Erhebung von Gerichtskosten kann ausnahmsweise abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Abteilung 3 Sursee und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. April 2018
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Störi