BGer 6B_1042/2017 |
BGer 6B_1042/2017 vom 16.04.2018 |
6B_1042/2017 |
Urteil vom 16. April 2018 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiberin Schär.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Mehrfaches fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Führerausweises; Widerruf des bedingten Strafvollzugs; Verfahrensmängel,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 22. Juni 2017 (STBER.2016.47).
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Sachverhalt: |
A. |
X.________ wurde am 17. Dezember 2014 wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, mehrfacher Urkundenfälschung sowie mehrfacher Anstiftung dazu, versuchter Erpressung und Veruntreuung angeklagt.
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Mit Strafbefehl vom 26. März 2015 verurteilte die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn X.________ ferner wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Führerausweises. Ihm wird vorgeworfen, am 18. und 19. Oktober 2014 seinen Personenwagen gelenkt zu haben, obwohl ihm der Führerausweis am 24. September 2014 entzogen worden war. X.________erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Sache dem erstinstanzlichen Gericht.
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Das Richteramt Thal-Gäu vereinigte am 11. Juni 2015 die beiden Strafverfahren.
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B. |
Am 3. Dezember 2015 sprach das Amtsgericht Thal-Gäu X.________ der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung, der mehrfachen Urkundenfälschung, der mehrfachen Anstiftung dazu, der versuchten Erpressung, der Veruntreuung und des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Ausweises schuldig und bestrafte ihn mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten. Zudem widerrief es den mit Urteil des Obergerichts Solothurn vom 9. Januar 2014 gewährten bedingten Vollzug einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 100.--.
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C. |
X.________ erhob Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 3. Dezember 2015. Das Obergericht Solothurn bestätigte das erstinstanzliche Urteil am 22. Juni 2017 bezüglich der Vermögens- und Urkundendelikte teilweise und sprach X.________ ebenfalls des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Führerausweises schuldig. Es fällte eine bedingte Freiheitsstrafe von 22 Monaten und eine bedingte Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 210.-- aus und widerrief den mit Urteil des Obergerichts Solothurn vom 9. Januar 2014 gewährten bedingten Vollzug einer Geldstrafe.
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D. |
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 22. Juni 2017 sei in Bezug auf die Ziffern 3e (Schuldspruch wegen mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Führerausweises) und 6 (Widerruf) aufzuheben. Er sei vom Vorwurf des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Ausweises freizusprechen. Das Verfahren bezüglich des Widerrufs des mit Urteil der Vorinstanz vom 9. Januar 2014 gewährten bedingten Vollzugs einer Geldstrafe sei einzustellen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Obergericht Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Stellungnahme. X.________ machte von seinem Replikrecht Gebrauch und hielt an seinen Anträgen fest.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Strafbefehl vom 26. März 2015 basiere lediglich auf der polizeilichen Einvernahme vom 19. Oktober 2014. Derselbe Strafbefehl habe als Anklage gedient. Mit Urteil des Amtsgerichts Thal-Gäu sei er im Sinne der Anklage verurteilt worden, ohne zum Verkehrsregelverstoss befragt worden zu sein. Auch zum angedrohten Widerruf sei er nicht befragt worden. Er habe bereits mit der Berufungserklärung vom 11. August 2016 die unterlassene Befragung beanstandet. Daneben habe er die Rückweisung der Sache an die Erstinstanz gemäss Art. 409 Abs. 1 StPO verlangt. Die Vorinstanz habe seinen Verfahrensantrag auf Rückweisung mit Beschluss vom 24. November 2016 abgewiesen, ihn in der Folge aber ebenfalls weder zur Verkehrsregelverletzung noch zum Widerruf der bedingten Geldstrafe befragt. Damit verletze sie Art. 341 Abs. 3 StPO.
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1.2. Gemäss Art. 341 Abs. 3 StPO befragt die Verfahrensleitung zu Beginn des Beweisverfahrens die beschuldigte Person eingehend zu ihrer Person, zur Anklage und zu den Ergebnissen des Vorverfahrens. Die Bestimmung findet auch im Berufungsverfahren Anwendung (vgl. Urteil 6B_886/2017 vom 26. März 2018 E. 1.3.2). Bezüglich der Befragungspflicht der verschiedenen Gerichtsinstanzen im kantonalen Verfahren ergingen unlängst mehrere Entscheide des Bundesgerichts. Daraus geht im Wesentlichen hervor, dass auf die Befragung der beschuldigten Person sowohl zur Person als auch zur Sache nicht verzichtet werden kann. Es kann auf die ausführliche Darstellung in den ergangenen bundesgerichtlichen Entscheiden verwiesen werden (BGE 143 IV 288 E. 1.4.1 ff. S. 290 ff.; 143 IV 408 E. 6.2 S. 414 f.; Urteil 6B_886/2017 vom 26. März 2018 E. 1.3).
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1.3. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zur Person und anschliessend zu den Delikten befragt, die Gegenstand der Anklage vom 17. Dezember 2014 bildeten. In der Verhandlung vor dem Obergericht wurde der Beschwerdeführer erneut befragt, allerdings wiederum nicht zum SVG-Verstoss. Auch erhielt der Beschwerdeführer nicht die Gelegenheit, sich frei zur Sache zu äussern. Die Vorinstanz führt in ihrer Stellungnahme vor Bundesgericht aus, der Beschwerdeführer habe die Befragung zum Verkehrsregelverstoss lediglich für den Fall der Rückweisung an die erste Instanz beantragt. Im Berufungsverfahren fehle ein entsprechender Antrag. Es habe ohnehin keinen Anlass gegeben, ihn diesbezüglich zu befragen. Denn der Sachverhalt sei in objektiver und subjektiver Hinsicht erstellt. Der Argumentation der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer bestreitet den Sachverhalt betreffend den SVG-Verstoss, soweit er die ordnungsgemässe Eröffnung der Entzugsverfügung und das Wissen um den Entzug des Führerausweises betrifft. Die Vorinstanz durfte aufgrund dessen und im Lichte der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht auf eine Befragung des Beschwerdeführers zum Vorwurf des Fahrens trotz Entzug des Führerausweises verzichten. Es obliegt der Verfahrensleitung, den gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensgang sicherzustellen (BGE 143 IV 288 E. 1.4.3 S. 292). Hinzu kommt vorliegend, dass der Beschwerdeführer bereits in der Berufungserklärung vom 11. August 2016 darauf hinwies, dass er zur SVG-Widerhandlung und dem damit verbundenen Widerruf nicht befragt wurde und dass es sich dabei um einen wesentlichen Mangel handle. Die Staatsanwaltschaft legte in ihrer Stellungnahme im vorinstanzlichen Verfahren vom 23. Oktober 2016 ebenfalls nahe, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich noch zu befragen wäre. Im Beschluss vom 24. November 2016, worin entschieden wurde, dass die Sache nicht an die erste Instanz zurückgewiesen werde, erwog die Vorinstanz hinsichtlich der unterbliebenen Befragung, dass diese auch im Berufungsverfahren noch erfolgen könne. Im Grunde brachten damit sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Vorinstanz zum Ausdruck, dass sie eine Befragung für erforderlich halten. Der Verzicht auf die Befragung durch die Vorinstanz ist insofern inkonsequent. Damit erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Vorinstanz wird die Befragung hinsichtlich des Verkehrsregelverstosses zu ergänzen haben. Sie wird in diesem Zusammenhang auch über den Widerruf des in einem früheren Urteil gewährten bedingten Vollzugs einer Geldstrafe neu zu befinden haben. Es erübrigt sich unter diesen Umständen, auf die Einwände der unrechtmässigen Eröffnung und der fehlenden Rechtskraft der Entzugsverfügung einzugehen.
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2. |
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts Solothurn vom 22. Juni 2017 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Kosten erhoben.
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3. Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 16. April 2018
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Schär
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