BGer 6B_990/2017
 
BGer 6B_990/2017 vom 18.04.2018
 
6B_990/2017
 
Urteil vom 18. April 2018
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
Verfahrensbeteiligte
A.A.________, handelnd durch B.A.________,
und diese vertreten durch Rechtsanwalt Christian Habegger,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Jugendanwaltschaft des Kantons Thurgau, Kasernenplatz 4, 8510 Frauenfeld,
2. X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Stadelmann,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Einstellung des Strafverfahrens (sexuelle Handlungen mit einem Kind),
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 29. Juni 2017 (SW.2017.25).
 
Sachverhalt:
 
A.
C.C.________ und D.C.________ betreuten als Tagesfamilie die am 22. September 2012 geborene A.A.________. X.________, geboren am 14. Juni 1997, ist der Sohn von C.C.________. B.A.________, die Mutter von A.A.________, reichte am 23. April 2015 bei der Kantonspolizei Thurgau Strafanzeige gegen X.________ ein wegen des Verdachts sexueller Handlungen mit ihrer Tochter, begangen am 8. April 2015.
 
B.
Die Jugendanwaltschaft des Kantons Thurgau verfügte am 6. März 2017 die Einstellung des Strafverfahrens gegen X.________ betreffend sexuelle Handlungen mit einem Kind. Es sprach diesem für die erstandene Haft eine Genugtuung von Fr. 2'400.-- zu und verwies allfällige Zivilforderungen auf den Zivilweg.
Die von A.A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Thurgau am 29. Juni 2017 ab. Die Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren von Fr. 1'500.-- auferlegte es A.A.________. Deren "Offizialanwalt" entschädigte es für das Beschwerdeverfahren mit Fr. 3'050.-- zzgl. Mehrwertsteuer aus der Staatskasse.
 
C.
A.A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 29. Juni 2017 sei aufzuheben und die Jugendanwaltschaft sei anzuweisen, das Verfahren zur Anklage zu bringen. Eventualiter sei die Jugendanwaltschaft anzuweisen, weitere Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Subeventualiter sei das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subsubeventualiter seien die Kosten- und Entschädigungsfolgen des angefochtenen Entscheids dahingehend zu ändern, dass die Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausser Ansatz fällt und ihr Offizialanwalt vom Staat mit Fr. 5'100.-- zzgl. Mehrwertsteuer entschädigt wird. A.A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
 
D.
Die Jugendanwaltschaft und X.________ beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht verzichtete auf eine Stellungnahme. X.________ stellt für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Bei den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG geht es in erster Linie um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gemäss Art. 41 ff. OR, die üblicherweise vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden müssen. Die Privatklägerschaft muss im Verfahren vor Bundesgericht darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderung auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderung es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen).
1.2. Die Beschwerdeführerin wirft dem Beschwerdegegner 2 sexuelle Handlungen mit einem Kind vor, die Anspruch auf eine Genugtuung geben können. Sie ist in der Sache daher im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen gegen die Einstellung des Strafverfahrens legitimiert. Ihre Beschwerdelegitimation ist auch insoweit zu bejahen, als sie sich gegen die ihr auferlegten Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- wendet (vgl. Urteil 6B_1039/2017 vom 13. März 2018 E. 1.2).
 
1.3.
1.3.1. Die Beschwerdeführerin beantragt zudem, ihrem unentgeltlichen Rechtsbeistand seien von den geltend gemachten 34 Stunden mindestens 25 Stunden à Fr. 200.-- zu entschädigen. Die Vorinstanz habe diesem eine unangemessen tiefe Entschädigung zugesprochen, indem sie trotz deutlich höherem Aufwand, erheblichem Aktenumfang und durchgeführtem doppelten Schriftenwechsel von einem anwaltlichen Aufwand von höchstens 15 Stunden à Fr. 200.-- ausgegangen sei. Da sie bei entsprechender Verbesserung der finanziellen Verhältnisse gemäss Art. 138 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO verpflichtet sei, die Differenz zum vollen Honorar zu erstatten, sei sie von der zu tiefen Entschädigung direkt betroffen und zu deren Anfechtung legitimiert.
1.3.2. Zur Rüge, das Honorar des amtlichen Verteidigers bzw. des unentgeltlichen Rechtsbeistands der Privatklägerschaft sei zu tief bemessen worden, ist nach ständiger Rechtsprechung allein der betroffene Anwalt legitimiert, nicht jedoch die amtlich verteidigte bzw. unentgeltlich verbeiständete Person (vgl. etwa Urteile 6B_178/2018 vom 21. Februar 2018 E. 3; 6B_429/2017 vom 14. Februar 2018 E. 4; 6B_45/2012 vom 7. Mai 2012 E. 1.2; je mit Hinweisen). Dies wurde u.a. damit begründet, bei einer Anwendung von Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO müsse die beschuldigte Person nach Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO auch die vom Staat zugesprochene Entschädigung zurückerstatten, weshalb sie kein rechtlich geschütztes Interesse an der Anfechtung einer zu tiefen Entschädigung habe (vgl. Urteile 6B_429/2017 vom 14. Februar 2018 E. 4.3; 6B_847/2017 vom 7. Februar 2018 E. 3; 6B_511/2016 vom 4. August 2016 E. 5.3.1).
1.3.3. Der Beschwerdeführerin wurden die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens auferlegt. Dies zu Unrecht (vgl. nachfolgend E. 4). Zulässig ist es jedoch, die mit ihrem Rechtsmittel unterliegende bedürftige Privatklägerschaft für grundsätzlich kostenpflichtig zu erklären, wenn sie gleichzeitig aufgrund der ihr gewährten unentgeltlichen Rechtspflege von der Kostentragung befreit wird (Art. 136 Abs. 2 lit. b StPO; Urteil 6B_370/2016 vom 16. März 2017 E. 1.2, nicht publiziert in: BGE 143 IV 154; dazu auch hinten E. 4.3). Dies kommt nach der Rechtsprechung einer Verurteilung zu den Verfahrenskosten nach Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 StPO gleich (vgl. BGE 143 IV 154 E. 2.3.6 S. 159 f.). Allerdings hat die Beschwerdeführerin als Opfer im Sinne von Art. 116 Abs. 1 StPO und Art. 1 Abs. 1 OHG zu gelten (vgl. BGE 143 IV 154 E. 2.3.2-2.3.4 S. 157 ff.). Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 StPO gelangt daher nicht zur Anwendung, da Art. 30 Abs. 3 OHG als lex specialis vorgeht (BGE 143 IV 154 E. 2.3.1 S. 157; 141 IV 262 E. 3 S. 266 ff.). Die Beschwerdeführerin muss, auch wenn sie dazu später finanziell in der Lage wäre, folglich weder die ihrem unentgeltlichen Rechtsbeistand zugesprochene Entschädigung an den Staat zurückbezahlen, noch kann der unentgeltliche Rechtsbeistand von ihr die Differenz zum vollen Honorar einfordern. Sie hat demnach kein rechtlich geschütztes Interesse an der Anfechtung der angeblich zu tief bemessenen Entschädigung ihres unentgeltlichen Rechtsbeistands. Auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.
 
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt, der Beschwerdegegner 2 habe anlässlich seiner polizeilichen Befragung vom 28. April 2015 ein Geständnis abgelegt. Die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung seien im Zeitpunkt der Befragung vom 28. April 2015 noch nicht gegeben gewesen. Die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdegegner 2 sei erst nach Durchführung der fraglichen polizeilichen Einvernahme eröffnet worden. Entgegen der Vorinstanz liege daher gar kein Anwendungsfall von Art. 131 Abs. 3 StPO vor und das Geständnis des Beschwerdegegners 2 vom 28. April 2015 sei ohne Weiteres verwertbar. Die Vorinstanz gehe in ihren Erwägungen ohne nähere Begründung davon aus, die notwendige Verteidigung sei schon vor der fraglichen polizeilichen Einvernahme sicherzustellen gewesen.
2.2. Die Kantonspolizei Thurgau befragte den Beschwerdegegner 2 am 28. April 2015, ohne dass eine Verteidigung anwesend war. Der Beschwerdegegner 2 legte im Verlauf dieser Einvernahme ein Geständnis ab. Gleichentags eröffnete die Jugendanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen diesen wegen sexueller Handlungen mit einem Kind und bestellte ihm einen amtlichen Verteidiger. Am 29. April 2015 fand eine delegierte Einvernahme des Beschwerdegegners 2 im Beisein seines amtlichen Verteidigers statt, anlässlich welcher der Beschwerdegegner 2 sein Geständnis widerrief (angefochtener Entscheid S. 3). Die Vorinstanz geht davon aus, die Aussagen des Beschwerdegegners 2 vom 28. April 2015 seien absolut unverwertbar, da dieser ohne die erkennbar notwendige Verteidigung befragt worden sei (angefochtener Entscheid E. 2 S. 6 ff.).
 
2.3.
2.3.1. Der Beschwerdegegner 2 war im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat vom 8. April 2015 17 Jahre alt. Das JStG (Art. 3 Abs. 1) und die JStPO (Art. 1) gelangen daher zur Anwendung. Ein Jugendlicher muss gemäss Art. 24 JStPO u.a. notwendig verteidigt werden, wenn ihm ein Freiheitsentzug von mehr als einem Monat oder eine Unterbringung droht (lit. a), wenn er die eigenen Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann und auch die gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist (lit. b) oder wenn die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft mehr als 24 Stunden gedauert hat (lit. c). Die zuständige Behörde ordnet eine amtliche Verteidigung an, wenn bei notwendiger Verteidigung der beschuldigte Jugendliche oder die gesetzliche Vertretung trotz Aufforderung keine Wahlverteidigung bestimmt (Art. 25 Abs. 1 lit. a JStPO). Die Bestimmungen der StPO sind auch im Jugendstrafprozess anwendbar, soweit die JStPO keine besondere Regelung enthält (Art. 3 Abs. 1 JStPO). Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, so achtet die Verfahrensleitung darauf, dass unverzüglich eine Verteidigung bestellt wird (Art. 131 Abs. 1 StPO). Sind die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung bei Einleitung des Vorverfahrens erfüllt, so ist die Verteidigung nach der ersten Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft, jedenfalls aber vor Eröffnung der Untersuchung, sicherzustellen (Art. 131 Abs. 2 StPO). Art. 131 Abs. 1 und 2 StPO gelten sinngemäss auch im Jugendstrafprozess (Art. 3 Abs. 1 JStPO; BGE 138 IV 35 E. 5.2 S. 36).
2.3.2. Die notwendige Verteidigung (gemäss Art. 130 lit. b StPO) muss spätestens im Zeitpunkt der Untersuchungseröffnung im Sinne von Art. 309 StPO sichergestellt sein (Urteile 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 2.2.1; 6B_883/2013 vom 17. Februar 2014 E. 2.1.2; je mit Hinweisen auf die Lehre). Entscheidend ist dabei nicht die formelle Eröffnung der Strafuntersuchung, sondern wann eine solche hätte eröffnet werden müssen. Wird die Untersuchung verspätet eröffnet und die erkennbar notwendige Verteidigung zu spät sichergestellt, unterliegen die nach dem für die Untersuchungseröffnung relevanten Zeitpunkt erhobenen Beweise der Beweisverwertungseinschränkung von Art. 131 Abs. 3 StPO (Urteil 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 2.6).
2.3.3. Ein Anspruch bzw. eine Pflicht zur notwendigen Verteidigung anlässlich der ersten Befragung im selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren (d.h. vor der Eröffnung der Strafuntersuchung) ist in der StPO indes nicht vorgesehen. Die Gesetzesmaterialien zu dieser Frage sind klar. Der Antrag der Kommissionsminderheit, die notwendige Verteidigung schon vor der ersten Einvernahme sicherzustellen, wurde vom Nationalrat abgelehnt. Der Nationalrat folgte insoweit dem erstberatenden Ständerat und dem Antrag des Bundesrats, der die Ablehnung des Minderheitsantrags damit begründete, ein notwendiger Verteidiger müsse erst nach der ersten Einvernahme, aber jedenfalls vor Eröffnung der Untersuchung, nicht aber im polizeilichen Ermittlungsverfahren beigeordnet werden. Eine notwendige Verteidigung im polizeilichen Ermittlungsverfahren würde weit über das hinausgehen, was das geltende Recht in dieser Sache für richtig halte. Im polizeilichen Ermittlungsverfahren sei der Tatverdacht unter Umständen noch sehr undeutlich. Die notwendige Verteidigung solle auf diejenigen Fälle beschränkt werden, in denen sich bereits klar ein konkretes Verfahren abzeichne (vgl. AB 2007 N 953 f.). Der Gesetzgeber wollte demnach keine "notwendige Verteidigung der ersten Stunde", sondern nur einen Anspruch auf freiwillige Verteidigung im selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren. Die notwendige Verteidigung setzt daher erst nach den polizeilichen Vorermittlungen ein, auch wenn sich diese auf eine Straftat richten, für welche grundsätzlich ein notwendiger Verteidiger eingesetzt werden muss (siehe dazu NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 4 und 5a zu Art. 131 StPO; insoweit unzutreffend Urteil des Kantonsgerichts Waadt vom 27. März 2012, publ. in JdT 2012 III S. 141).
 
2.4.
2.4.1. Die polizeiliche Einvernahme des Beschwerdegegners 2 vom 28. April 2015 erfolgte formell vor der Eröffnung der Strafuntersuchung durch die Jugendanwaltschaft. Die Vorinstanz geht im angefochtenen Entscheid ohne nähere Begründung davon aus, der Beschwerdegegner 2 sei am 28. April 2015 ohne die erkennbar notwendige Verteidigung befragt worden (angefochtener Entscheid E. 2a S. 6). Die Einvernahme sei gemäss Art. 131 Abs. 3 StPO nur verwertbar, wenn der Beschwerdegegner 2 auf ihre Wiederholung verzichtet hätte, was er nicht getan habe (angefochtener Entscheid E. 2b/aa S. 6).
Dass die Jugendanwaltschaft das Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner 2 bereits vor der polizeilichen Befragung vom 28. April 2015 hätte eröffnen müssen, kann dem angefochtenen Entscheid nicht entnommen werden. Diese Auffassung wird jedoch von der Jugendanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vor Bundesgericht vertreten, welche zudem darauf hinweist, dass sich das Obergericht bereits in seinem Entscheid vom 24. September 2015 in diesem Sinne geäussert habe (vgl. act. 19 S. 3). Das Obergericht hiess im erwähnten Entscheid vom 24. September 2015 ein Ausstandsgesuch des Beschwerdegegners 2 gegen die damalige Jugendanwältin gut. Es erwog in diesem Zusammenhang u.a., die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdegegner 2 hätte bereits vor der ersten Befragung vom 28. April 2015 eröffnet werden müssen. Angesichts des gegen diesen bereits vor der ersten Befragung vorhandenen erheblichen Tatverdachts sei in Anwendung von Art. 24 lit. b JStPO eine notwendige Verteidigung zwingend gewesen (Entscheid, a.a.O., E. 5d/bb S. 17).
2.4.2. Die Polizei war im Zeitpunkt der Einvernahme des Beschwerdegegners 2 vom 28. April 2015 im Besitz der Strafanzeige der Mutter der Beschwerdeführerin inklusive der eingereichten Unterlagen. Sodann wurden am 24. April 2015 bereits die Mutter, die Tante und die Grosseltern mütterlicherseits der Beschwerdeführerin polizeilich einvernommen. Aus den Aussagen der Mutter der Beschwerdeführerin und den von Ersterer eingereichten Gesprächsnotizen ging hervor, dass Letztere anfänglich nur gesagt haben soll, sie habe mit E.________ im Keller "gsuuget" (Staubsaugen). Erst drei Tage später (am 11. April 2015) soll sie auf die Frage, ob ihr E.________ weh getan habe, geantwortet haben, "ja, am Schnäggli". Weiter war den Gesprächsnotizen zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin nicht von sich aus sagte, E.________ habe ihr mit seinem "Pfifeli" weh getan und er sei nackt gewesen, sondern dass sie lediglich die entsprechenden Suggestivfragen ihrer Mutter mit "ja" beantwortete (kant. Akten, act. S 17 ff.). Die Aussage der Beschwerdeführerin betrafen zudem nicht den Beschwerdegegner 2, sondern dessen Bruder E.________, der sich zum angeblichen Tatzeitpunkt jedoch nicht zuhause aufhielt. Aus dem von der Mutter der Beschwerdeführerin ebenfalls eingereichten Spitalbericht vom 12. April 2015 ergab sich schliesslich, dass der Genitalbereich der Beschwerdeführerin anlässlich der ärztlichen Untersuchung vom 11. April 2015 keine Auffälligkeiten aufwies (kant. Akten, act. S 23).
Fraglich ist, ob es der Kantonspolizei - wie von der Jugendanwaltschaft geltend gemacht - unter diesen Umständen untersagt war, den Beschwerdegegner 2 vor der formellen Eröffnung eines Strafverfahrens im selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren einzuvernehmen. Dies kann indessen offenbleiben, da auf jeden Fall die Art und Weise, wie die Befragung erfolgte, unzulässig war.
2.4.3. Der Beschwerdegegner 2 wurde am 28. April 2015, um 7:15 Uhr, von der Polizei wegen des Verdachts von sexuellen Handlungen mit einem Kind vorläufig festgenommen. Dem Protokoll seiner Einvernahme vom selben Tag, welche von 8:35 bis 10:31 Uhr, d.h. rund zwei Stunden dauerte, kann entnommen werden, dass er anfänglich mehrmals verneinte, die Beschwerdeführerin angerührt oder sich mit ihr im Keller aufgehalten zu haben, wo der angebliche sexuelle Übergriff stattgefunden haben soll. Dies wurde vom einvernehmenden Polizeibeamten indes konstant als nicht glaubhaft abgetan, welcher ihn eindringlichst aufforderte, ein Geständnis abzulegen. Dabei warf der Polizeibeamte dem Beschwerdegegner 2 u.a. vor, "er habe sich mit seinen Aussagen bereits verstrickt! Es sehe schon ziemlich Scheisse für ihn aus!", "Er mache es nur noch schlimmer!" und "Er habe jetzt die Chance, noch reinen Tisch zu machen!" (kant. Akten, act. S 100).
Ein solches gezieltes und intensives Hinwirken auf ein Geständnis sprengt den Rahmen von selbstständigen polizeilichen Vorermittlungen. Es ist nicht Aufgabe der Polizei, im selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren ohne die Anwesenheit eines grundsätzlich notwendigen Verteidigers und bevor überhaupt ein Strafverfahren eröffnet wurde, auf diese Art ein Geständnis zu erwirken.
Darüber hinaus verstösst das Vorgehen der Polizei auch gegen Art. 140 Abs. 1 StPO. Danach sind Zwangsmittel, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen, Täuschungen und Mittel, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können, bei der Beweiserhebung untersagt (Art. 140 Abs. 1 StPO). Die Polizei machte den Beschwerdegegner 2 anlässlich der Einvernahme vom 28. April 2015 wahrheitswidrig glauben, die ihm vorgeworfene Straftat sei bereits bewiesen. Aus dem Einvernahmeprotokoll geht zudem hervor, dass der Polizeibeamte massiven Druck auf den weinenden Beschwerdegegner 2 ausübte, obschon dieser darauf hingewiesen hatte, dass er seit zwei Jahren an Depressionen leide, immer im Spital gewesen sei und dass er weine, weil er zu Unrecht einer Tat beschuldigt werde (kant. Akten, act. S 100). Nicht ausgeschlossen werden kann daher, dass die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit des jugendlichen und damals psychisch offenbar angeschlagenen Beschwerdegegners 2 aufgrund des ausgeübten Drucks beeinträchtigt war.
2.4.4. Die Vorinstanz erklärte das Geständnis des Beschwerdegegners 2 zu Recht für unverwertbar. Ein unter unzulässigem Zwang erwirktes Geständnis ist absolut unverwertbar (Art. 140 Abs. 1 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 StPO). Damit braucht auf die umstrittene Frage, ob es sich bei Art. 131 Abs. 3 StPO um ein absolutes oder relatives Verwertungsverbot handelt, nicht weiter eingegangen zu werden (vgl. dazu angefochtener Entscheid S. 7-16; Beschwerde S. 10-23; siehe auch BGE 141 IV 289 E. 2.3 und 2.4 S. 293 f.).
 
3.
3.1. Die Staatsanwaltschaft verfügt gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO u.a. die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b) oder wenn Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c).
3.2. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 S. 243 mit Hinweisen).
3.3. Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244 mit Hinweis). Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung eines Strafverfahrens, prüft das Bundesgericht in tatsächlicher Hinsicht, ob die Vorinstanz willkürlich von einem sachverhaltsmässig klaren Fall ausging (vgl. BGE 143 IV 241 E. 2.3.2 S. 244 f.).
3.4. Die Beschwerdeführerin wurde am 4. Mai 2015 durch die Kantonspolizei befragt. Die Vorinstanz geht unter Hinweis auf die Einstellungsverfügung der Jugendanwaltschaft davon aus, die Aussagen der Beschwerdeführerin anlässlich dieser Befragung seien in sich unklar (angefochtener Entscheid E. 3b S. 16 f.). Die Jugendanwaltschaft wies in der Einstellungsverfügung zudem darauf hin, dass Anzeichen für eine vorgängige Beeinflussung der Beschwerdeführerin durch suggestives Ausfragen der Mutter vorliegen (Einstellungsverfügung E. 1.9 S. 5). Die Vorinstanz erwägt zusammengefasst, es liege nur die allgemeine Aussage der Beschwerdeführerin vor, wonach ihr der Beschwerdegegner 2 am "Schnäggli" weh getan habe, sowie die Aussagen ihrer Mutter darüber, was ihr die Beschwerdeführerin erzählt habe. Der Jugendanwaltschaft sei beizupflichten, dass es sich dabei nicht um überzeugende Tatbelastungen handle (angefochtener Entscheid E. 4g S. 22). Die vorinstanzliche Würdigung ist nicht offensichtlich unhaltbar. Die Beschwerdeführerin vermochte trotz eindringlichen Nachfragens durch die Fachspezialistin nicht zu benennen, dass ihr der Beschwerdegegner 2 mit dem "Pfifeli" oder "Schnäbi" am "Schnäggli" weh getan haben soll (vgl. Einstellungsverfügung S. 5 f.). Weitere Beweise für den sexuellen Übergriff liegen nicht vor. Anhaltspunkte für einen solchen können insbesondere auch dem Arztbericht vom 12. April 2015 nicht entnommen werden (angefochtener Entscheid S. 17). Nicht zu beanstanden ist daher, wenn die Vorinstanz einen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklageerhebung verneint.
Die Beschwerdeführerin ficht zwar auch die vorinstanzliche Würdigung der übrigen Beweise an. Weshalb die Vorinstanz insofern in Willkür verfallen sein könnte, zeigt sie allerdings nicht substanziiert auf. Dass sich aus den übrigen Beweisen und den von ihr beantragten weiteren Beweiserhebungen, ungeachtet der von der Vorinstanz zu Recht bestätigten Unverwertbarkeit des Geständnisses des Beschwerdegegners 2 vom 28. April 2015, ein hinreichender Tatverdacht ableiten liesse, behauptet sie zudem zu Recht nicht bzw. legt sie zumindest nicht rechtsgenügend dar. Darauf braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden.
3.5. Die von der Jugendanwaltschaft verfügte Verfahrenseinstellung verstösst nicht gegen Bundesrecht.
 
4.
4.1. Die Beschwerdeführerin moniert, die Vorinstanz habe ihr in Verletzung von Art. 44 JStPO sowie Art. 136 und 428 Abs. 1 StPO die Verfahrenskosten von Fr. 1'500.-- auferlegt.
4.2. Die unentgeltliche Rechtspflege für die Privatklägerschaft umfasst auch die Befreiung von den Verfahrenskosten (Art. 136 Abs. 2 lit. b StPO). Die von der Staatsanwaltschaft gewährte unentgeltliche Rechtspflege gilt nicht automatisch auch für das Beschwerdeverfahren. Die Beschwerdeinstanz im Sinne von Art. 20 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 322 Abs. 2 und Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO ist im vor ihr geführten Beschwerdeverfahren selbst zuständig, über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands zu befinden (Urteile 6B_705/2015 vom 22. September 2015 E. 2; 1B_355/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 2; 1B_705/2011 vom 9. Mai 2012 E. 2.3.2).
4.3. Die Beschwerdeführerin stellte vor der Vorinstanz kein explizites Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Sie wies in ihrer Beschwerde jedoch darauf hin, dass ihr Rechtsvertreter mit Verfügung vom 30. November 2015 als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt wurde (vgl. kant. Beschwerde S. 4). Dies ist zumindest als sinngemässes Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege auch im Beschwerdeverfahren entgegenzunehmen (vgl. Urteil 1B_73/2015 vom 19. März 2015 E. 5.3), was die Vorinstanz offenbar auch tat, da sie den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin als "Offizialanwalt" einsetzte und aus der Staatskasse entschädigte. Die Vorinstanz durfte die Beschwerdeführerin angesichts ihres Unterliegens zwar grundsätzlich für kostenpflichtig erklären (vgl. Art. 44 Abs. 2 JStPO i.V.m. Art. 428 Abs. 1 StPO). Da die Beschwerdeführerin bedürftig ist und eine mögliche Zivilklage nicht aussichtslos war (vgl. Art. 136 Abs. 1 StPO), hätte sie diese jedoch von der Kostentragung befreien (Art. 136 Abs. 2 lit. b StPO) und die Bezahlung der Gerichtsgebühr in analoger Anwendung von Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO stattdesssen davon abhängig machen müssen, dass deren wirtschaftlichen Verhältnisse dies später erlauben (vgl. Urteil 6B_370/2016 vom 16. März 2017 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 143 IV 154). Die Beschwerde ist in diesem Punkt gutzuheissen.
 
5.
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, Dispositiv-Ziff. 2a des angefochtenen Entscheids aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Der Kanton Thurgau hat die Beschwerdeführerin im Umfang ihres teilweisen Obsiegens angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Da diese um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, ist die Entschädigung praxisgemäss ihrem Rechtsvertreter zuzusprechen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird in diesem Umfang gegenstandslos. Es ist im Übrigen gutzuheissen, da die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin erstellt scheint und ihre Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens nicht aussichtslos war.
Die Parteientschädigung des in der Sache vollumfänglich obsiegenden Beschwerdegegners 2 ist von der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu tragen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Sie hat angesichts der Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin als uneinbringlich zu gelten. Das Gesuch des Beschwerdegegners 2 um unentgeltliche Rechtspflege wird daher nicht gegenstandslos. Es ist gutzuheissen, da dessen Bedürftigkeit erstellt scheint. Der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners 2 ist für seine Aufwendungen im bundesgerichtlichen Verfahren daher aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen.
Der Kanton Thurgau trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, Dispositiv-Ziff. 2a des Entscheides des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 29. Juni 2017aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
3. Das Gesuch des Beschwerdegegners 2 um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
4. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
5. Der Kanton Thurgau hat Rechtsanwalt Christian Habegger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
6. Rechtsanwalt Christian Habegger wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
7. Rechtsanwalt Markus Stadelmann wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
8. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. April 2018
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Unseld