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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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9C_194/2018
Urteil vom 4. Juni 2018
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Stanger.
Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch Rechtsanwältin Ursula Reger-Wyttenbach,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 18. Januar 2018 (VBE.2017.596).
Sachverhalt:
A.
Die 1962 geborene A.________ meldete sich im September 2009 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau nahm erwerbliche und medizinische Abklärungen vor; insbesondere veranlasste sie zwei psychiatrische Begutachtungen (Expertise des Dr. med. B.________ vom 2. Juni 2014 und des med. pract. C.________ vom 10. Mai 2016). Mit Verfügung vom 3. Juli 2017 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 18. Januar 2018 ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem hauptsächlichen Rechtsbegehren, der Entscheid vom 18. Januar 2018 sowie die Verfügung vom 3. Juli 2017 seien aufzuheben, und es sei ihr ab 1. März 2010 eine (näher konkretisierte) zeitlich abgestufte Invalidenrente auszurichten.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde hat unter anderem die Begehren und deren Begründung zu enthalten, wobei in der Begründung in gedrängter Form - unter Bezugnahme auf und in Auseinandersetzung mit den entscheidenden vorinstanzlichen Erwägungen (BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.) - darzulegen ist, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).
1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es sich grundsätzlich um eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind frei überprüfbare Rechtsfragen (Urteil 9C_194/2017 vom 29. Januar 2018 E. 3.2) die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) und der Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232).
2.
Streitgegenstand bildet der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Rente der Invalidenversicherung.
3.
Das kantonale Versicherungsgericht gelangte in Würdigung der Akten zum Schluss, dass ab 1. März 2010(frühest möglicher Rentenbeginn; Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG)eine mittelgradige depressive Episode und (spätestens) ab 22. Dezember 2010 nur noch eine leichte depressive Symptomatik ausgewiesen sei. Eine Prüfung im Lichte der Standardindikatoren gemäss BGE 141 V 281 ergab, d ass die leichte bis (intermittierend) mittelgradige depressive Störung keinen invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsschaden und somit auch keinen Rentenanspruch begründe.
4.
Vorab rügt die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe eine juristische Parallelüberprüfung vorgenommen, obwohl gemäss RAD-ärztlicher Beurteilung auf das Gutachten von med. pract. C.________ vom 10. Mai 2016 in psychiatrischer wie auch in versicherungsmedizinischer Hinsicht abgestellt werden könne.
4.1. Für die Festsetzung der Arbeitsfähigkeit bei psychischen Leiden definiert das strukturierte Beweisverfahren gemäss BGE 141 V 281 systematisierte Indikatoren, die - unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und von Kompensationspotentialen (Ressourcen) anderseits - erlauben, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen einzuschätzen (BGE 143 V 418 E. 4.1.1 S. 422). Bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit haben sich sowohl die medizinischen Sachverständigen als auch die Organe der Rechtsanwendung in ihrer Einschätzung des Leistungsvermögens an den normativen Vorgaben zu orientieren; die Gutachter im Idealfall gemäss der entsprechend formulierten Fragestellung (BGE 143 V 418 E. 6 S. 426 f.; 141 V 281 E. 5.2 S. 306f.). Gelangt der Rechtsanwender nach der Beweiswürdigung zum Schluss, ein Gutachten erfülle sowohl die mit BGE 141 V 281definierten versicherungsmedizinischen Massstäbe wie auch die allgemeinen rechtlichen Beweisanforderungen (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232), ist es beweiskräftig, und die darin formulierten Stellungnahmen zur Arbeitsfähigkeit sind zu übernehmen. Eine davon losgelöste juristische Parallelüberprüfung nach Massgabe des strukturierten Beweisverfahrens soll nicht stattfinden (BGE 141 V 281 E. 5.2.3 S. 307; Urteil 8C_409/2017 vom 21. März 2018 E. 4.3 [zur Publikation vorgesehen]).
4.2. Die Vorinstanz erwog, med. pract. C.________ habe bei der Beurteilung der retrospektiven Arbeitsfähigkeit zu Unrecht auf die Einschätzung der behandelnden Psychologin abgestellt, wonach eine (zumindest vorübergehende) Verschlechterung des Gesundheitszustands bestanden habe. Sie sei keine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, und zudem habe sie Traumafolge- wie auch Angststörungen festgestellt, die gutachterlich nicht hätten bestätigt werden können. Ausserdem zeige sich, dass die von ihr dargelegten Verschlechterungen stets auf invaliditätsfremde psychosoziale Faktoren (Probleme am Arbeitsplatz und Existenzängste) zurückzuführen seien, welche aus invalidenversicherungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nicht zu berücksichtigen seien. Sodann decke sich die von ihr festgestellte Verschlechterung des Gesundheitszustandes weder mit den Angaben der Arbeitgeberin noch mit der Einschätzung von Dr. med. D.________, Fachärztin für Allgemeine Medizin und Arbeitsmedizin. Weiter stellte die Vorinstanz fest, auch auf die retrospektive Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Gutachters Dr. med. B.________ könne nicht abgestellt werden. Dieser habe ohne kritische Auseinandersetzung mit den Vorakten die von den behandelnden Personen attestierte Arbeitsunfähigkeit übernommen, obwohl überwiegend wahrscheinlich lediglich ein leichter pathologischer Befund vorgelegen habe.
Die Vorinstanz legte somit in nachvollziehbarer Weise dar, weshalb sie von der Einschätzung der beiden Gutachter abwich und (spätestens) ab 22. Dezember 2010 lediglich eine leichtgradige depressive Symptomatik als überwiegend wahrscheinlich erachtete. Eine unzulässige Parallelüberprüfung liegt nicht vor.
4.3. Damit ist auch dem Einwand der Boden entzogen, die Vorinstanz habe "keine zeitliche Aufteilung der verschiedenen Phasen von Arbeitsunfähigkeiten" gemäss den entsprechenden Arztberichten vorgenommen, obwohl med. pract. C.________ die ärztlichen Beurteilungen als nachvollziehbar erachtet habe.
5.
Weiter richtet sich die Beschwerde gegen die vorinstanzliche Indikatorenprüfung.
5.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das kantonale Versicherungsgericht habe in Bezug auf die nur teilweise durchgeführte medikamentöse Behandlung auf das Fehlen eines Leidensdrucks geschlossen. Unberücksichtigt gelassen habe es dabei jedoch die Einschätzung von med. pract. C.________, wonach es sich bei akzentuierten Persönlichkeitszügen um dysfunktionale Persönlichkeitsanteile handle, welche sich auf die Behandlung negativ auswirken könnten, wie im vorliegenden Fall durch eine rigide Ablehnung psychopharmakologischer Therapieoptionen. Ebenso wenig habe die Vorinstanz berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin seit der stationären Behandlung konsequent in (ambulanter) psychotherapeutischer Behandlung stehe.
5.1.1. Im Gutachten von med. pract. C.________ wird zwar ein (möglicher) Zusammenhang zwischen der Diagnose und der Ablehnung von medikamentösen Therapieoptionen hergestellt, gleichzeitig hält der Experte aber fest: "Aus fachpsychiatrischer Sicht besteht keine Unfähigkeit zur Therapieadhärenz. Hier spielen eher motivationale Faktoren bezüglich der pharmakologischen Behandlung sowie mangelnde Information über die bestehende Grundstörung und entsprechenden Behandlungsempfehlungen sowie Risiken und Nebenwirkungen von psychopharmakologischen Präparaten eine Rolle. Eine krankheitsbedingte mangelnde Fähigkeit, Konsequenzen der eigenen Handlungen abzuschätzen, die Realität richtig einzuschätzen und sich für eine therapeutische Option zu entscheiden, ist nicht festzustellen." Weiter führt der Gutachter hinsichtlich der verbleibenden Therapieoptionen aus, dass eine psychopharmakologische Behandlung möglich und sinnvoll sei, um die Restsymptomatik weiter zu behandeln.
Nach der Rechtsprechung ist die fortgesetzte Krankheitsbehandlung, die insbesondere auch die dauernde Einnahme ärztlich verschriebener Medikamente umfasst, in aller Regel eine jederzeit zumutbare Form allgemeiner Schadenminderung (Urteile 8C_625/2016 vom 24. Januar 2017 E. 3.4.1, U 510/05 vom 20. März 2007 E. 3.3 und I 824/06 vom 13. März 2007 E. 3.1 mit Hinweisen, in: SVR 2008 IV Nr. 7 S. 19).
5.1.2. Die Beschwerdeführerin schöpfte das medikamentöse Therapieangebot unbestrittenermassen bei Weitem nicht aus, dies obwohl aus fachärztlicher Sicht - wie dargelegt - eine psychopharmakologische Behandlung als sinnvoll erachtet und eine Unfähigkeit zur Therapieadhärenz verneint wurde. Ebenfalls unbestritten blieb die Feststellung, dass die ambulante psychotherapeutische Behandlung in Zeiten einer mittelgradigen depressiven Symptomatik nur alle zwei Wochen stattfand, während in Phasen ausgewiesener leichter Depression wöchentliche Sitzungen durchgeführt wurden. Der vorinstanzliche Schluss, wonach ein krankheitsbedingter Leidensdruck zu verneinen sei, ist damit nicht zu beanstanden.
5.2. Sodann bringt die Beschwerdeführerin vor, die Vorinstanz setze offenbar eine soziale Vereinsamung als (zusätzliches) Indiz für einen invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsschaden voraus; indessen sei bereits ein sozialer Rückzug zu berücksichtigen, welcher bei ihr vorliege.
Die Vorinstanz stellte zum sozialen Kontext (vgl. dazu BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303) fest, die Beschwerdeführerin lebe sozial zurückgezogen, eine Vereinsamung liege jedoch nicht vor. Sie pflege gewisse Kontakte zu Kollegen sowie Freunden und nehme zumindest noch in einem reduzierten Umfang am sozialen Leben teil, indem sie etwa Einladungen Folge leiste. Sie hätte stets ihrem Hobby, dem Joggen, nachgehen können, habe es jedoch im Vergleich zur Situation vor Krankheitsausbruch reduziert. Diese Feststellungen finden ihre Stütze in den Akten. Damit legte die Vorinstanz im Einklang mit der Rechtsprechung dar, dass bei der Beschwerdeführerin - trotz sozialem Rückzug - (mobilisierbare) Ressourcen vorhanden sind, welche im Rahmen der Indikatorenprüfung zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303).
Im Übrigen wird die vorinstanzliche Indikatorenprüfung nicht bestritten. Sie gibt zu keinen Weiterungen Anlass.
6.
Nach dem Gesagten hält der angefochtene Entscheid vor Bundesrecht stand. Die Beschwerde ist unbegründet.
7.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Pensionskasse des Bundes PUBLICA, Bern, schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 4. Juni 2018
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Stanger