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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
9C_805/2017
Urteil vom 27. Juni 2018
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Huber.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Schumacher-Starkl,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 11. Oktober 2017 (5V 17 439).
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 17. August 2017 wies die IV-Stelle des Kantons Luzern das Leistungsbegehren des A.________ ab.
B.
Dagegen erhob der Versicherte Beschwerde beim Kantonsgericht Luzern. Dieses forderte A.________ mit Schreiben vom 19. September 2017 auf, bis zum 4. Oktober 2017 einen Kostenvorschuss von Fr. 800.- zu bezahlen, verbunden mit der Androhung, dass bei Nichtleistung innert der angesetzten Frist auf die Beschwerde nicht eingetreten werde. Mit Entscheid vom 11. Oktober 2017 trat das Kantonsgericht androhungsgemäss wegen Fristversäumnisses auf die Beschwerde nicht ein.
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der vorinstanzliche Entscheid vom 11. Oktober 2017 sei aufzuheben. Das Kantonsgericht sei zu verpflichten, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 18. September 2017 einzutreten. Die Sache sei zu materiellem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um Sistierung des letztinstanzlichen Verfahrens bis zum Vorliegen des Entscheids des Kantonsgerichts betreffend sein Gesuch (vom 27. Oktober 2017) um Wiederherstellung der Frist zur Einzahlung des Kostenvorschusses.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
D.
Das Bundesgericht sistierte das Verfahren vom 16. Februar 2018 bis 14. Mai 2018: Am 23. Februar 2018 trat das Kantonsgericht auf das Fristwiederherstellungsgesuch nicht ein, welcher Entscheid unangefochten blieb.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Soweit sich der angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht in Art. 95 lit. c-e BGG genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch das Bundesgericht demgegenüber thematisch auf die erhobenen und begründeten Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG) und inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht dabei eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des Willkürverbots nach Art. 9 BV. Was die Feststellung des Sachverhalts anbelangt, kann gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG nur gerügt werden, diese sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung nach Art. 95 BGG (BGE 141 I 36 E. 1.3 S. 41; 137 V 143 E. 1.2 S. 145; 135 V 94 E. 1 S. 95; 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158 f.; 134 II 349 E. 3 S. 351).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Vorinstanz zu Recht wegen Fristversäumnisses auf die Beschwerde nicht eingetreten ist.
2.2. Nach § 195 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Luzern vom 3. Juli 1972 (VRG) kann die Behörde von der Partei, die ein Verfahren einleitet und kostenpflichtig werden kann, einen angemessenen Vorschuss zur Sicherstellung der amtlichen Kosten verlangen. Leistet die Partei den Vorschuss trotz Androhung der Folgen nicht innert Frist und ist das Verfahren nicht von Amtes wegen durchzuführen, braucht die Behörde auf die Rechtsvorkehr nicht einzutreten (§ 195 Abs. 2 VRG). Setzt die Behörde einer Partei eine bestimmte Frist, droht sie gleichzeitig die Säumnisfolgen an. Bei Versäumnis von behördlich bestimmten Fristen treten nur die angedrohten Säumnisfolgen ein (§ 32 Abs. 1 und 2 VRG). Fristgebundenes Handeln ist spätestens am letzten Tag der Frist vorzunehmen (§ 33 Abs. 1 VRG).
3.
3.1. Der Beschwerdeführer rügt, er habe den Kostenvorschuss rechtzeitig eingezahlt, weshalb der Nichteintretensentscheid zu Unrecht ergangen sei. Er macht geltend, seine Rechtsschutzversicherung habe einen DTA-Zahlungsauftrag an die hierfür zuständige C.________ zur Einzahlung des einverlangten Kostenvorschusses von Fr. 800.- erstellt. Als Ausführungsdatum sei der 26. September 2017 angegeben worden. Die Rechtsschutzversicherung habe allerdings nicht nur den zuvor genannten Zahlungsauftrag, sondern eine Sammlung von DTA-Zahlungsaufträgen an die C.________ zu Handen der D.________ AG erteilt. Angesichts des korrekten und vollständigen Zahlungsauftrages sei die Rechtsschutzversicherung davon ausgegangen, die C.________ habe die DTA-Files korrekt übermittelt und die Transaktion betreffend den Gerichtskostenvorschuss sei seitens der D.________ AG, wie angewiesen, am 26. September 2017 ausgeführt worden. Erst bei Eingang des Entscheids des Kantonsgerichts Luzern vom 11. Oktober 2017 habe die Rechtsschutzversicherung Kenntnis davon erhalten, dass die Transaktion zur Bezahlung des Gerichtskostenvorschusses erst am 6. Oktober 2017 durchgeführt wurde. Grund dafür sei ein interner IT-Fehler bei der C.________ gewesen, weshalb diese die Zahlung von Fr. 800.- erst mit Valutadatum (Datum, an welchem das Konto der handelnden Person zu belasten ist) vom 6. Oktober 2017 neu in Auftrag gegeben habe.
3.2. Laut Schreiben der Vorinstanz vom 19. September 2017 ist die Frist zur Bezahlung des Kostenvorschusses dann gewahrt, wenn der Betrag spätestens am letzten Tag der Frist beim Kantonsgericht bar bezahlt, zugunsten des Kantonsgerichts bei der Schweizerischen Post eingezahlt oder einem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet worden ist. Mit Blick darauf ist die Bezahlung des Kostenvorschusses als verspätet zu betrachten. Wie der Beschwerdeführer selber vorbringt, erfolgte der Zahlungsauftrag von Fr. 800.- mit Valuta 6. Oktober 2017 und somit nicht fristgemäss am 4. Oktober 2017. Daran vermögen auch die vom Versicherten im letztinstanzlichen Verfahren aufgelegten Akten nichts zu ändern, sofern sie denn nach Art. 99 Abs. 1 BGG überhaupt zu beachten sind, was offen gelassen werden kann.
3.3. Sämtliche Rügen im Zusammenhang mit der Frage, ob der Beschwerdeführer unverschuldeterweise abgehalten worden ist, fristgerecht zu handeln (vgl. Urteile 2C_1096/2013 vom 19. Juli 2014 E. 4.1; 1C_294/2010 vom 28. Oktober 2010 E. 3), sind im vorliegenden Verfahren nicht zu behandeln. Darüber hat die Vorinstanz im unangefochten gebliebenen Entscheid vom 23. Februar 2018 rechtskräftig befunden.
4.
4.1. Der Beschwerdeführer bringt ausserdem vor, das Nichteintreten der Vorinstanz sei überspitzt formalistisch und stelle eine Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV dar.
4.2. Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der Rechtsverweigerung. Von einem solchen wäre auszugehen, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt wäre, zum blossen Selbstzweck würde und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert würde (BGE 135 I 6 E. 2.1 S. 9; 130 V 177 E. 5.4.1 S. 183 f.). Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellt das Nichteintreten auf ein Rechtsmittel mangels rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses regelmässig keinen überspitzten Formalismus dar, wenn die Beschwerde führende Partei - wie im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 19. September 2017 - über die Höhe des Vorschusses, die Zahlungsfrist und die Säumnisfolgen rechtsgenüglich informiert worden ist (Urteil 2C_250/2009 vom 2. Juni 2009 E. 5, in: RDAF 2009 Nr. II S. 516; vgl. auch 2C_795/2016 vom 10. Oktober 2016 E. 4.4 mit weiteren Hinweisen). Daran vermag auch der Umstand, dass der Versicherte den Kostenvorschuss gerade mal zwei Tage nach Ablauf der auf den 4. Oktober 2017 angesetzten Frist bezahlte, nichts zu ändern.
4.3. Unbehelflich ist im Weiteren die Rüge, die Vorinstanz hätte eine Nachfrist zur Leistung des Kostenvorschusses ansetzen müssen. Denn § 195 VRG sieht keine solche Pflicht vor. Für das im Rahmen von Art. 61 ATSG kantonalrechtlich geregelte Verfahren vor den kantonalen Sozialversicherungsgerichten existiert auch keine Vorschrift des Bundesrechts, welche die Kantone zur Ansetzung einer Nachfrist nach unbenutztem Ablauf der (erstmalig) eingeräumten Frist zur Vorschusszahlung verpflichtet. Eine Nachfrist zur Zahlung des Kostenvorschusses rechtfertigt sich verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise (Urteile 8C_399/2017 vom 22. Juni 2017 E. 2.4; 5A_834/2009 vom 15. Februar 2010 E. 2.2.2; 9C_715/2007 vom 17. Juni 2008 E. 6.3.2). Ein entsprechender Ausnahmefall ist nicht ersichtlich.
5.
Nach dem Gesagten ist das vorinstanzliche Nichteintreten wegen Fristversäumnis rechtens und die Beschwerde unbegründet.
6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. Juni 2018
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Huber