Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
1C_39/2018
Urteil vom 4. Juli 2018
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Schoch.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern.
Gegenstand
Entzug des Führerausweises,
Beschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern vom 14. Juni 2017 (RK 055/17).
Sachverhalt:
A.
Am 6. Februar 2008 lief ein gegen A.________ wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz ausgesprochener Führerausweisentzug ab.
Wegen des Vorwurfs, er sei am 5. Februar 2013 mit seinem Personenwagen auf der Autobahn A 6 bei Lyss in Richtung Biel auf dem rechten Fahrstreifen an einem Lastwagen vorbei gefahren, wurde A.________ rechtskräftig der groben Verkehrsregelverletzung durch Rechtsüberholen und der mehrfach begangenen einfachen Verkehrsregelverletzung durch Befahren einer Sperrfläche und Unterlassen der Richtungsanzeige schuldig gesprochen (Urteil des Bundesgerichts 6B_212/2016 vom 8. Dezember 2016).
Mit Verfügung vom 1. März 2017 ordnete das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern deswegen einen Führerausweisentzug für sechs Monate gegenüber A.________ an.
Am 14. Juni 2017 wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern die Beschwerde von A.________ hiergegen ab.
B.
A.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Antrag, den Entscheid der Rekurskommission aufzuheben.
Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt sowie das zur Stellungnahme eingeladene Bundesamt für Strassen ASTRA schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik am erwähnten Antrag fest.
C.
Mit Verfügung vom 20. Februar 2018 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gewährt.
Erwägungen:
1.
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund liegt nicht vor (Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer ist als Inhaber des Führerausweises und direkter Adressat des angefochtenen Entscheids gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten ist.
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), den es nur berichtigen oder ergänzen kann, wenn er offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen). Eine entsprechende Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische (allein das bereits Vorgebrachte wiederholende) Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253 mit Hinweisen). Die Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpfen sich zu einem grossen Teil in allgemeiner Beanstandung des vorinstanzlichen sowie insbesondere der strafgerichtlichen Entscheide. So rügt er beispielsweise, dass ein porschefahrender Bauunternehmer (wie er) sich über Verkehrsregeln hinwegsetze, sei als plausibel beurteilt worden, weil es zu den geläufigen Vorurteilen passe. Auf solche pauschale Kritik ist nicht einzutreten.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Sachverhaltsermittlung verstosse gegen die Unschuldsvermutung und das Willkürverbot. Die tatsächlichen Feststellungen des konnexen Strafverfahrens würden einzig auf den ihn belastenden Aussagen der anderen direkt beteiligten Person beruhen. Insbesondere weil deren Angaben bezüglich der Beschaffenheit (Typ, Farbe und Verzierungen) seines Fahrzeugs nicht korrekt seien, hätten jedoch Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Aussagen aufkommen müssen. Indem die Vorinstanz und die Strafbehörden die Relevanz dieser Umstände verkennen würden, seien sie bei der Beweiswürdigung in Willkür verfallen. Die Vorinstanz hätte daher die Sachverhaltsfeststellung der Strafbehörden durch die selbständige Erhebung von Beweisen oder zumindest durch eine eigene und kritischere Beweiswürdigung korrigieren müssen.
2.2. Ein Strafurteil vermag die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden, weshalb die Verwaltungsbehörde beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts nur abweichen darf, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafgericht unbekannt waren, wenn sie zusätzliche Beweise erhebt oder wenn das Strafgericht bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, namentlich die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat. Die Verwaltungsbehörde hat insbesondere dann auf die Tatsachen im Strafurteil abzustellen, wenn dieses im ordentlichen Verfahren mit öffentlicher Verhandlung unter Anhörung der Parteien und Einvernahme von Zeugen ergangen ist, es sei denn, es bestünden klare Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Tatsachenfeststellung; in diesem Fall hat die Verwaltungsbehörde nötigenfalls selbständige Beweiserhebungen durchzuführen. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts - namentlich auch des Verschuldens - ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber frei, ausser die rechtliche Qualifikation hängt stark von der Würdigung von Tatsachen ab, die der Strafrichter besser kennt, etwa weil er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat (BGE 136 II 447 E. 3.1 mit Hinweisen).
2.3. Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat sich im parallelen Strafverfahren bereits eingehend mit den Rügen zur Sachverhaltsfeststellung auseinandergesetzt. Dabei hat sie geschlossen, gestützt auf die Aussagen des Belastungszeugen sei der streitgegenständliche Sachverhalt willkürfrei festgestellt worden (Urteil 6B_212/2016 vom 8. Dezember 2016 E. 1.4). Die Vorinstanz hat sich dieser Beurteilung angeschlossen. Das ist nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Verfahren bringt der Beschwerdeführer ebenfalls keine klaren Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Sachverhaltsfeststellung im Strafverfahren vor. Er tut auch keine anderen Gründe dar, aus welchen die Verwaltungsbehörde beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters abweichen dürfte. Beides ist auch nicht ersichtlich.
Wie das Bundesgericht im Strafverfahren erwogen hat, ist für die Erstellung des Sachverhalts nicht entscheidend, ob der Belastungszeuge einzelne Merkmale des Fahrzeugs des Beschwerdeführers korrekt wiedergegeben hat. Deshalb bieten diesbezügliche Ungenauigkeiten auch keinen Anlass, die Glaubhaftigkeit von dessen Aussagen in Zweifel zu ziehen. Im Weiteren wies das Bundesgericht den Beschwerdeführer bereits im strafrechtlichen Urteil darauf hin, dass seine Aussagen nicht als unglaubhaft beurteilt worden seien, weil er ein Fehlverhalten bestritten habe, sondern da sie für widersprüchlich gehalten worden seien (a.a.O. E. 1.4.3). Daher ist sein Vorbringen, die Strafbehörden hätten die Bestreitung der Vorwürfe als Indiz für die Unglaubwürdigkeit seiner Person verwendet und dadurch die Unschuldsvermutung umgekehrt, nicht stichhaltig.
Schliesslich vermag der Einwand, er (der Beschwerdeführer) hätte sich unmittelbar nach der Begehung mehrerer Verkehrsregelverletzungen kaum selber bei der Polizei gemeldet, die Beweiswürdigung nicht ernsthaft in Frage zu stellen. So bringt er in der Beschwerdeschrift selber vor, er habe unter Schock die Polizei verständigt, nachdem der Belastungszeuge wutentbrannt auf seinen Wagen zugekommen sei, an dessen Fahrertüre gerissen habe, bis diese kaputt gegangen sei, mit den Händen an die Fensterscheibe geschlagen habe und der Fahrertüre Fusstritte verpasst habe. Unter den geschilderten Voraussetzungen erscheint es nachvollziehbar, dass er trotz vorheriger Verkehrsregelverletzungen die Polizei benachrichtigt hat.
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz zu Recht auf den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt und die diesem zugrunde liegende Beweiswürdigung abgestellt.
3.
3.1. Das Verbot des Rechtsüberholens wird aus Art. 35 Abs. 1 SVG, wonach rechts zu kreuzen und links zu überholen ist, abgeleitet. Ausnahmen von diesem Verbot sehen Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 (VRV) allgemein und Art. 36 Abs. 5 VRV für Autobahnen und Autostrassen vor. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Fahrzeug vom linken auf den rechten Fahrstreifen gewechselt und ist an einem vor ihm fahrenden Lastwagen vorbei gefahren. Eine Ausnahme liegt nicht vor. Das Manöver verstösst gegen das Verbot des Rechtsüberholens.
3.2. Nach Art. 16c Abs. 1 lit. a begeht eine schwere Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Eine schwere Widerhandlung entspricht einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG und setzt kumulativ eine qualifizierte objektive Gefährdung und ein qualifiziertes Verschulden voraus (vgl. Urteil 1C_201/2014 vom 20. Februar 2015 E. 3.2 mit Hinweisen). Nach einer schweren Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis für mindestens sechs Monate entzogen, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis einmal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen war (Art. 16c Abs. 2 lit. b SVG).
Nach ständiger Bundesgerichtspraxis wiegt die Missachtung des Verbots des Rechtsüberholens objektiv schwer und verursacht auf der Autobahn, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden und man sich darauf verlassen können muss, nicht plötzlich rechts überholt zu werden, grundsätzlich eine erhöhte abstrakte Gefährdung (BGE 142 IV 93. E. 3.2 S. 96 f. mit Hinweisen). Die durch Rechtsüberholen auf der Autobahn erzeugte Gefahr ist demnach objektiv schwer, weshalb in aller Regel auch eine schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG vorliegt (Urteil 1C_201/2014 vom 20. Februar 2015 E. 3.5 mit Hinweisen).
Hier hat der Strafrichter den Beschwerdeführer persönlich einvernommen und wegen grober Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG verurteilt. Gründe, weshalb das Überholmanöver vom 5. Februar 2013 ausnahmsweise keine schwere Widerhandlung darstellen sollte, sind nicht ersichtlich und der Beschwerdeführer macht dies auch nicht geltend. Insbesondere bestand kein paralleler Kolonnenverkehr, der es erlaubt hätte, rechts an anderen Fahrzeugen vorbeizufahren (sog. Vorfahren). Folglich handelt es sich um eine Widerhandlung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG. Da dem Beschwerdeführer der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung bis am 6. Februar 2008 entzogen war, ist ihm dieser in Anwendung von Art. 16c Abs. 2 lit. b SVG für mindestens sechs Monate zu entziehen.
Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht.
4.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Juli 2018
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Schoch