BGer 2C_284/2017
 
BGer 2C_284/2017 vom 18.07.2018
 
2C_284/2017
 
Urteil vom 18. Juli 2018
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Genner.
 
Verfahrensbeteiligte
Stiftung A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Dr. Beat Baumgartner und/oder MLaw Georges Frick, Rechtsanwälte,
gegen
Eidgenössische Steuerverwaltung,
Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer, Stempelabgaben, Eigerstrasse 65, 3003 Bern.
Gegenstand
Rückforderung der Verrechnungssteuer (gemäss Doppelbesteuerungsabkommen),
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 31. Januar 2017 (A-2122/2016).
 
Sachverhalt:
 
A.
Die Stiftung A.________ ist eine nach niederländischem Recht errichtete und im niederländischen Handelsregister eingetragene Stiftung, welche im Wesentlichen die Durchführung der beruflichen Vorsorge für die ihr angeschlossenen Unternehmungen und deren Angestellte bezweckt. Dem Gesuch der Stiftung um Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Zusammenhang mit Dividendenzahlungen von schweizerischen Gesellschaften in den Jahren 2009 bis 2011 kam die Eidgenössische Steuerverwaltung (nachfolgend: ESTV) insoweit nach, als sie die Verrechnungssteuer im Umfang von 20 % der Bruttodividenden zurückerstattete.
 
B.
Mit Eingaben vom 28. Dezember 2012 - betreffend die Fälligkeitsjahre 2009 und 2010 - und vom 23. Dezember 2013 - betreffend das Fälligkeitsjahr 2011 - beantragte die Stiftung die vollständige Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Umfang von 35 % der betroffenen Bruttodividenden unter Anrechnung der bereits erhaltenen Rückerstattungsbeträge. Am 23. Februar 2016 verweigerte die ESTV die ergänzende Rückerstattung für die Ertragsfälligkeiten 2009, 2010 und 2011 im Gesamtbetrag von Fr. 38'348.20 entsprechend dem Umfang von 15 % der betroffenen Bruttodividenden mit der Begründung, das für die Stiftung als Vorsorgeeinrichtung mit statutarischem Sitz in den Niederlanden anwendbare Doppelbesteuerungsabkommen sehe bei Dividendenzahlungen keine vollständige Rückerstattung der schweizerischen Verrechnungssteuer vor.
Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 31. Januar 2017 ab.
 
C.
Am 9. März 2017 hat die Stiftung Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2017 sei aufzuheben, der Entscheid der ESTV vom 23. Februar 2016 sei aufzuheben, die Anträge auf vollständige Rückerstattung der Verrechnungssteuer nach Formular 81 für die Ertragsfälligkeiten in den Jahren 2009, 2010 und 2011 seien vollumfänglich gutzuheissen und der noch nicht an sie - die Stiftung - überwiesene Betrag von Fr. 38'348.20 sei ihr innert 30 Tagen nach Urteilsfällung zu überweisen.
Die ESTV beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Angefochten ist ein Endurteil des Bundesverwaltungsgerichts in einem Verrechnungssteuerstreit, somit in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gemäss Art. 82 lit. a BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Erhebung des Rechtsmittels legitimiert. Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde (vgl. Art. 42, Art. 100 Abs. 1 BGG) ist einzutreten, wobei Gegenstand des Verfahrens ausschliesslich das angefochtene Urteil bildet (Devolutiveffekt).
1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (vgl. Art. 95 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist daher weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder sie mit einer vom angefochtenen Entscheid abweichenden Begründung abweisen (Motivsubstitution, vgl. BGE 140 II 353 E. 3.1; 139 II 404 E. 3 S. 415).
 
2.
2.1. Der Bund erhebt gestützt auf Art. 132 Abs. 2 BV eine Verrechnungssteuer u.a. auf dem Ertrag beweglichen Kapitalvermögens (Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer [VStG; SR 642.21]). Steuerbarer Ertrag von Aktien, Stammanteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften ist nach Art. 20 Abs. 1 der Verrechnungssteuerverordnung vom 19. Dezember 1966 (VStV; SR 642.211) jede geldwerte Leistung der Gesellschaft oder Genossenschaft an die Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte oder an ihnen nahestehende Dritte, die sich nicht als Rückzahlung der im Zeitpunkt der Leistung bestehenden Anteile am einbezahlten Grund- oder Stammkapital darstellt (u.a. Gratisaktien). Art. 21 Abs. 1 lit. a VStG bestimmt, dass ein nach Art. 22-28 VStG Berechtigter Anspruch auf Rückerstattung der ihm vom Schuldner abgezogenen Verrechnungssteuer hat, wenn er bei Fälligkeit der steuerbaren Leistung das Recht zur Nutzung des den steuerbaren Ertrag abwerfenden Vermögenswertes besass. Die Steuer beträgt 35 Prozent der steuerbaren Leistung (Art. 13 Abs. 1 lit. a VStG).
2.2. Die Verrechnungssteuer führt bei ausländischen Empfängern schweizerischer Dividenden grundsätzlich zu einer endgültigen, an der Quelle erhobenen steuerlichen Belastung (Art. 22 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 2 VStG). Personen, die bei Fälligkeit der steuerbaren Leistung Sitz oder Wohnsitz im Ausland hatten, können die Rückerstattung der Verrechnungssteuer nur insoweit verlangen, als ihnen ein zwischenstaatliches Abkommen Anspruch darauf vermittelt (BGE 141 II 447 E. 2.2 mit Hinweisen).
2.3. Streitig ist die Rückerstattung von Verrechnungssteuerbeträgen für die Steuerperioden 2009 bis 2011 an eine in den Niederlanden domizilierte Vorsorgestiftung. Zur Anwendung kommt das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich der Niederlande vom 12. November 1951 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (aDBA CH-NL) in der Fassung gemäss Änderung vom 22. Juni 1966 (AS 1966 1630), welche am 22. Dezember 1966 in Kraft getreten ist. Nicht anwendbar ist das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich der Niederlande vom 26. Februar 2010 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA CH-NL; SR 0.672.963.61), welches am 9. November 2011 in Kraft getreten ist, da dieses grundsätzlich nur auf die Steuerjahre und -perioden ab 1. Januar 2012 Anwendung findet (vgl. Art. 29 Abs. 1 DBA CH-NL).
2.4. Gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a aDBA CH-NL kann bei Dividenden die Steuer auf Einkommen aus beweglichem Kapitalvermögen, die einer der beiden Staaten im Abzugswege an der Quelle erhebt, von dem im anderen Staate wohnhaften Einkommensempfänger innert zwei Jahren durch Vermittlung seines Wohnsitzstaates auf Grund einer amtlichen Bescheinigung über den Wohnsitz und über die Heranziehung zu den direkten Steuern im Wohnsitzstaat zurückgefordert werden:
- mit dem vollen Betrag, wenn der Empfänger der Dividenden eine Kapitalgesellschaft ist, die mindestens 25 Prozent des Gesellschaftskapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft besitzt, vorausgesetzt, dass die Verbindung zwischen den beiden Gesellschaften nicht in erster Linie in der Absicht hergestellt worden ist oder beibehalten wird, sich diese volle Rückerstattung zu sichern;
- mit dem 15 Prozent der Dividenden übersteigenden Betrag in allen anderen Fällen.
2.5. Die Staatsangehörigen eines der beiden Staaten dürfen in dem anderen Staate weder einer Besteuerung noch einer damit zusammenhängenden Verpflichtung unterworfen werden, die anders oder belastender sind als die Besteuerung und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen, denen die Staatsangehörigen des anderen Staates unter gleichen Verhältnissen unterworfen sind oder unterworfen werden können (Art. 10 Abs. 1 aDBA CH-NL).
Der Ausdruck "Staatsangehörige" bedeutet:
- alle juristischen Personen, die die Staatsangehörigkeit eines der beiden Staaten besitzen (Art. 10 Abs. 2 lit. a aDBA CH-NL);
- alle juristischen Personen, Personengesellschaften und anderen Personenvereinigungen, die nach dem in einem der beiden Staaten geltenden Recht errichtet worden sind (Art. 10 Abs. 2 lit. b aDBA CH-NL).
 
3.
3.1. Es ist unbestritten, dass die erfolgte - beschränkte - Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Umfang von 20 % der Bruttodividende im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 lit. a aDBA CH-NL (vgl. E. 2.4) steht. Streitig ist dagegen, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 10 Abs. 1 aDBA CH-NL Anspruch auf volle Rückerstattung der Verrechnungssteuer hat. Dabei geht es ausschliesslich um die Frage, ob Art. 10 Abs. 1 aDBA CH-NL in der vorliegenden Konstellation zur Anwendung kommt. Die weiteren Voraussetzungen zur Rückerstattung - insbesondere ein fristgerechter Antrag - wären gegebenenfalls erfüllt.
3.2. Die Vorinstanz hat die gestützt auf Art. 10 Abs. 1 aDBA CH-NL geltend gemachten Ansprüche der Beschwerdeführerin u.a. mit der Begründung verneint, das Diskriminierungsverbot sei der Verteilungsnorm in Art. 9 aDBA CH-NL untergeordnet: Das Diskriminierungsverbot wolle eine steuerliche Diskriminierung ausschliessen, die an die Staatsangehörigkeit oder an ähnliche Gründe anknüpfe. Das Verbot betreffe nicht die im Doppelbesteuerungsabkommen selber enthaltenen Kollisions- und anderen Regelungen. Es handle sich um einen doppelbesteuerungsrechtlichen Korrekturmechanismus, mit welchem Differenzierungen gemäss nationalem Recht zurückgedrängt werden sollen. Im Weiteren habe es seit jeher dem Verständnis beider Vertragsstaaten entsprochen, dass Unterschiede, die sich aufgrund der Ansässigkeit ergeben, zulässig sind.
3.3. Dieser Auffassung der Vorinstanz ist zuzustimmen. Art. 9 aDBA CH-NL sieht explizit eine konkrete - allenfalls vom jeweiligen internen Recht abweichende - Behandlung von Steuerpflichtigen, welche im anderen Vertragsstaat ansässig sind, in Bezug auf die Rückerstattung von Quellensteuern auf Dividenden vor: Ungeachtet darum, welche Ansprüche auf Rückerstattung der Quellensteuer ein im Quellenland ansässiger Steuerpflichtiger hat, wird dem im anderen Land ansässigen Steuerpflichtigen nur unter bestimmten Bedingungen und allenfalls bloss teilweise diese Rückerstattung gewährt. Ob die (volle) Rückerstattung aufgrund des Verrechnungssteuergesetzes erfolgt, oder ob eine (volle oder bloss teilweise) Rückerstattung gestützt auf das Doppelbesteuerungsabkommen gewährt wird, hängt nicht von der Staatsangehörigkeit der die Rückerstattung beantragenden Person ab, sondern ausschliesslich von deren steuerlichen Ansässigkeit. Bereits aus diesem Grund kann eine auf Art. 9 Abs. 2 lit. a (ii) aDBA CH-NL gestützte, an die steuerliche Ansässigkeit anküpfende bloss teilweise Rückerstattung der Verrechnungssteuer keine Diskrimierung aufgrund der Staatsangehörigkeit im Sinn von Art. 10 aDBA CH-NL darstellen.
3.4. Die Beschwerdeführerin hat ihre Ansässigkeit gemäss DBA unbestrittenermassen in den Niederlanden. Sie bestreitet zudem nicht, dass ihre Rückerstattungsanträge Dividenden von schweizerischen Aktiengesellschaften betreffen, an denen sie zu weniger als 25 % beteiligt war (sog. Portfoliodividenden).
Aufgrund ihrer Ansässigkeit in den Niederlanden wurde der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 9 Abs. 2 lit. a (ii) aDBA CH-NL zu Recht die Verrechnungssteuer bloss im Umfang von 10 % zurückerstattet. Die Beschränkung der Rückerstattung für die "Portfoliodividenden"-Verrechnungssteuer erfolgte einzig gestützt auf die - wie erwähnt unbestrittene - Ansässigkeitsfeststellung. Dies beachtet die Beschwerdeführerin mit ihrer weit ausholenden Begründung nicht, welche letztlich auf das Argument hinausläuft, sie sei aufgrund ihrer niederländischen Staatsangehörigkeit (im Sinn von Art. 10 Abs. 2 lit. b aDBA CH-NL) diskriminiert worden. Entgegen ihren Vorbringen übersieht die Vorinstanz nicht, dass für die Beurteilung des Rückerstattungsanspruchs "die Ansässigkeit [...] nicht das einzige ausschlaggebende Kriterium darstellt, sondern die effektive Besteuerung." Vielmehr vermengt die Beschwerdeführerin selbst die gestützt auf das Verrechnungssteuergesetz zu beurteilenden Rückerstattungsansprüche inländischer Steuerpflichtiger mit den auf Doppelbesteuerungsabkommen gestützten Ansprüchen ausländischer Steuerpflichtiger. Die Argumentation der Beschwerdeführerin geht bereits im Ansatz fehl, weshalb nicht im Detail auf deren Vorbringen einzugehen ist. Aus dem gleichen Grund erübrigt sich eine detaillierte Prüfung der übrigen Begründungselemente des angefochtenen Urteils.
 
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. Juli 2018
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Die Gerichtsschreiberin: Genner