BGer 6B_746/2018 |
BGer 6B_746/2018 vom 02.10.2018 |
6B_746/2018 |
Urteil vom 2. Oktober 2018 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Matt.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Schurtenberger,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Verletzung des Anklageprinzips (Widerhandlung gegen das kantonale Hundegesetz),
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 20. Juni 2018 (SK 18 85).
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Sachverhalt: |
A. |
Die Staatsanwaltschaft wirft X.________ eine Widerhandlung gegen das kantonale Hundegesetz vor, indem sie am 16. Mai 2017 in Bern ihre Pflichten als Hundehalterin zum Schutz von Mensch und Tier im öffentlichen Raum verletzt habe. Am 8. Januar 2018 verurteilte sie das Regionalgericht Bern-Mittelland deswegen zu einer Übertretungsbusse von Fr. 600.--. Die dagegen erhobene Berufung von X.________ wies das Obergericht des Kantons Bern am 20. Juni 2018 ab.
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B. |
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Sache sei zur Vervollständigung der Anklageschrift an das Obergericht, eventualiter an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und die Verfahrenskosten seien neu festzusetzen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren.
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Erwägungen: |
1. |
Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG muss die Beschwerde einen Antrag in der Sache enthalten. Ein kassatorisches Rechtsbegehren genügt, wenn sich aus der Begründung ergibt, was mit der Beschwerde angestrebt wird (Urteil 6B_515/2014 vom 26. August 2014 E. 2.1 mit Hinweis). Dies ist vorliegend unklar. Namentlich ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, ob die Beschwerdeführerin den Tatvorwurf an sich bestreitet und im Ergebnis einen Freispruch erreichen will, oder ob sie nur eine Neubemessung des Strafmasses sowie der Verfahrenskosten anstrebt. Entgegen ihrer Auffassung kann das Bundesgericht zudem ohne Weiteres in der Sache selbst entscheiden, und entweder die Beschwerdeführerin wegen Verletzung des Anklageprinzips freisprechen oder den vorinstanzlichen Entscheid bestätigen (dazu BGE 134 III 379 E. 1.3; 130 III 136 E. 1.2; Urteil 1B_396/2017 vom 21. März 2018 E. 1.3 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Im Übrigen wäre sie abzuweisen.
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2. |
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes. Da ihre Verurteilung auf kantonalem Recht beruht, ist die StPO lediglich als ergänzendes kantonales Recht anwendbar (Art. 1 Abs. 1 StPO), sodass vor Bundesgericht eine qualifizierte Rügepflicht gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG).
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2.1. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Entscheidend ist, dass die beschuldigte Person genau weiss, welcher konkreter Handlungen oder Unterlassungen sie beschuldigt und wie ihr Verhalten rechtlich qualifiziert wird, damit sie sich in ihrer Verteidigung richtig vorbereiten kann. Solange klar ist, welcher Sachverhalt der beschuldigten Person vorgeworfen wird, kann auch eine fehlerhafte und unpräzise Anklage nicht dazu führen, dass es zu keinem Schuldspruch kommen darf. Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken; es ist Sache des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen. Dieses ist an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden (Art. 350 Abs. 1 StPO; BGE 143 IV 63 E. 2.2; Urteil 6B_229/2018 vom 25. Juni 2018 E. 1.1; je mit Hinweisen).
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2.2. |
2.2.1. Der als Anklageschrift geltende Strafbefehl (Art. 356 Abs. 1 StPO als ergänzendes kantonales Recht; Art. 1 Abs. 1 StPO) der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland vom 13. Juli 2017 lautet im Wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführerin wird vorgeworfen, sie habe ihren Appenzeller-Sennenhund Mischling am 16. Mai 2017 um ca. 16.30 Uhr in Bern an einen Baum auf dem Vorplatz der Bern-Expo angeleint und über längere Zeit unbeaufsichtigt zurückgelassen. In der Folge habe der Geschädigte, welcher in der Nähe sein Fahrzeug parkiert und den Ticketautomaten gesucht habe, bei einer sich in der Nähe aufhaltenden Personengruppe nach dem Standort des Automaten gefragt. Dabei sei es dem Hund gelungen, den Geschädigten in den rechten Unterarm, den linken Oberarm etwas oberhalb des Ellenbogens und den linken Oberschenkel zu beissen. Die Beschwerdeführerin sei ihrer Verantwortung als Hundehalterin, das Tier so zu erziehen, zu sozialisieren, zu führen und zu beaufsichtigen, dass es Mitmenschen oder andere Tiere nicht beeinträchtige oder gefährde, nicht nachgekommen.
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2.2.2. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, ergibt sich der gegen die Beschwerdeführerin erhobene Vorwurf aus dem Strafbefehl in tatsächlicher Hinsicht klar. Dieser besteht augenscheinlich darin, dass sie ihren Hund an einem öffentlichen, gut frequentierten Ort längere Zeit unbeaufsichtigt zurück liess und dadurch eine Gefahr für Dritte schuf, welche sich denn auch verwirklichte. Aus den dargestellten Umständen erhellt ohne Weiteres, welche ihrer Handlungen resp. Unterlassungen weshalb konkret eine Gefährdung von Personen oder Tieren verursachten und warum die Beschwerdeführerin mit einer Gefährdung oder Belästigung rechnen konnte und musste. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass die Umschreibung der Örtlichkeit - der Vorplatz des Kongressgebäudes auf einem Messegelände und der Hinweis auf die nahen Parkplätze - die tatsächlichen Elemente enthält, woraus auf ein erhebliches Personenaufkommen und eine mögliche Gefährdung Dritter zu schliessen war. Es handelt sich beim Expo-Gelände denn auch notorischerweise um einen gut besuchten, öffentlichen Ort, sodass ohne Weiteres mit Personen oder Tieren gerechnet werden musste. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin beschreibt die Anklageschrift sehr wohl auch ein rechtmässiges Alternativverhalten zu deren Schutz. Dieses bestand schlicht in der genügenden Aufsicht, sei es durch die Beschwerdeführerin selbst oder einen Dritten, d.h. darin, den Hund nicht unbeaufsichtigt in der Öffentlichkeit zurückzulassen. Indem das Strafgericht auf diese - offensichtliche - Möglichkeit hinweist, nimmt es keine sachverhaltliche Lückenfüllung vor, welche allein der Staatsanwaltschaft zukommen würde. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass und weshalb die Beschwerdeführerin ihren Hund nicht unter Kontrolle gehabt haben soll. Im Übrigen verlangt der Anklagegrundsatz nicht die Benennung von zulässigen Alternativverhalten. Zutreffend ist zwar, dass sich aus dem Strafbefehl nicht zweifelsfrei ergibt, ob der Beschwerdeführerin eine vorsätzliche oder fahrlässige Tatbegehung vorgeworfen wird. Dies schadet jedoch nicht. Obwohl die Sachverhaltsumschreibung des Strafbefehls grundsätzlich denselben Anforderungen genügen muss wie die Anklageschrift, genügt es, wenn die beschuldigte Person anhand der Bussenverfügung nicht im Unklaren sein kann, was Gegenstand des Verfahrens bildet (vgl. NIGGLI/HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordung, 2. Aufl. 2014, N. 49 und N. 61a zu Art. 9 StPO). Dies war vorliegend der Fall. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin konnte sie sich gegen die erhobenen Vorwürfe ohne Weiteres angemessen verteidigen. Im Übrigen scheint sie zu verkennen, dass das Gericht unter dem Gesichtspunkt des Anklagegrundsatzes zwar an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden ist.
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3. |
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen, zumal ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen ist (Art. 66 Abs. 1 und Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtskosten ist den finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin Rechnung zu tragen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. Oktober 2018
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Matt
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