BGer 1B_340/2018 |
BGer 1B_340/2018 vom 18.10.2018 |
1B_340/2018 |
Urteil vom 18. Oktober 2018 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Merkli, Präsident,
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Bundesrichter Eusebio, Kneubühler,
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Gerichtsschreiber Dold.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Friedrich Frank,
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Claudio Ravicini, Staatsanwaltschaft Solothurn,
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Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
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Beschwerdegegner,
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Richteramt Thal-Gäu,
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Schmelzihof, Wengimattstrasse 2, 4710 Balsthal.
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Gegenstand
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Strafverfahren; Ausstand,
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, vom 13. Juni 2018 (BKAUS.2018.3).
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Sachverhalt: |
A. Mit Anklageschrift vom 31. Oktober 2017 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen A.________ beim Richteramt Thal-Gäu Anklage wegen qualifizierter grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um 110 km/h sowie wegen Führen eines Motorfahrzeugs ohne Ausweis.
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Am 19. Februar 2018 reichte A.________ ein Sachverständigengutachten ein, gemäss dem er höchstwahrscheinlich nicht der auf den Messfotos abgebildete Fahrer ist. Am 4. Mai 2018 beantragte er die Befragung des Sachverständigen als Zeugen.
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Staatsanwalt Ravicini beantragte mit Schreiben vom 16. Mai 2018 die Abweisung des Antrags auf Zeugeneinvernahme des Sachverständigen. Zur Begründung führte er aus, das Foto einer Geschwindigkeitsüberwachungsanlage könne vom Gericht mit dem Erscheinungsbild des Beschuldigten verglichen werden, ohne dass es eines Gutachtens bedürfe. Der Beschuldigte habe bereits bei der ersten polizeilichen Kontaktnahme die Gelegenheit gehabt, sich zum Lenker und zum Foto zu äussern, sei aber nicht zur Befragung erschienen. Zuvor habe es aus dem Kreis seiner Angestellten den Versuch gegeben, den Mitarbeiter B.________ als fehlbaren Lenker zu präsentieren, wobei dieser gemäss Aktenlage als Lenker definitiv nicht in Frage komme. Mit anderen Worten habe es im Umfeld des Beschuldigten einen Vertuschungs- und Begünstigungsversuch gegeben, wobei die Auftragserteilung durch den Beschuldigten bloss vermutet werden könne. Dieser sei immerhin bereits einmal wegen falscher Versicherung an Eides statt verurteilt worden. Anlässlich der Hauptverhandlung werde sich das Gericht also unmittelbar Gewissheit über die Identität des Bildes mit dem Beschuldigten verschaffen können - so dieser denn überhaupt erscheine. Sei dies nicht möglich, wäre allenfalls ein Gutachten durch einen neutralen Experten erstellen zu lassen.
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A.________ stellte am 24. Mai 2018 beim Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu ein Ausstandsgesuch gegen Staatsanwalt Ravicini. Der Amtsgerichtspräsident überwies die Sache der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn. Diese wies das Ausstandsgesuch mit Beschluss vom 13. Juni 2018 ab.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 13. Juli 2018 beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und Staatsanwalt Ravicini in den Ausstand zu versetzen. Eventualiter sie die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Obergericht und das Richteramt Thal-Gäu haben auf eine Stellungnahme verzichtet. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer hat dazu Stellung genommen.
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Mit Präsidialverfügung vom 30. August 2018 hat das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
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Erwägungen: |
1. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren in einer Strafsache (Art. 78 Abs. 1 und Art. 92 Abs. 1 BGG). Das Obergericht hat als letzte und einzige kantonale Instanz entschieden (Art. 80 BGG i.V.m. Art. 59 Abs. 1 StPO). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2. |
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er habe zur Vernehmlassung des Beschwerdegegners, die ihm erst am 31. Mai 2018 zugestellt worden sei, keine Stellung nehmen können.
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2.2. Der Anspruch einer Partei, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu replizieren, bildet einen Teilgehalt des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 6 Abs. 1 EMRK). Diese Garantie umfasst das Recht, von allen beim Gericht eingereichten Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob die Eingaben neue und/oder wesentliche Vorbringen enthalten. Das Gericht muss vor Erlass seines Urteils eingegangene Vernehmlassungen den Beteiligten zustellen, damit diese sich darüber schlüssig werden können, ob sie sich dazu äussern wollen oder nicht (zum Ganzen: BGE 139 I 189 E. 3.2 S. 191 f.; 138 I 484 E. 2.1 S. 485 f.; 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197; je mit Hinweisen).
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2.3. Es obliegt dem Gericht, in jedem Einzelfall den Parteien ein effektives Replikrecht zu gewähren. Es kann dem Betroffenen hiefür eine Frist setzen, doch genügt zur Wahrung des Replikrechts grundsätzlich, dass den Parteien die Eingaben zur Information (Kenntnisnahme, Orientierung) zugestellt werden, wenn von ihnen, namentlich von anwaltlich Vertretenen oder Rechtskundigen, erwartet werden kann, dass sie unaufgefordert Stellung nehmen (BGE 138 I 484 E. 2.4 S. 487; Urteil des EGMR
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2.4. Aus dem Ausgeführten folgt, dass das Kantonsgericht, indem es 13 Tage nach Eintreffen der Vernehmlassung des Beschwerdegegners beim Beschwerdeführer seinen Beschluss fällte, das Replikrecht nicht verletzte. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer reichte während dieser Zeit weder eine Stellungnahme ein noch beantragte er die Einräumung einer Gelegenheit dazu. Das Schreiben des Beschwerdegegners umfasste im Übrigen weniger als zwei Seiten. Die Rüge ist somit unbegründet.
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3. |
3.1. Der Beschwerdeführer kritisiert, der Beschwerdegegner habe sich in seinem Schreiben vom 16. Mai 2018 ohne Not zur Beweiswürdigung geäussert. Dies komme einem unzulässigen "Vorausplädoyer", welches gemäss Art. 326 Abs. 2 StPO nur in einem hier nicht gegebenen Ausnahmefall zulässig sei, gleich. Als Folge davon sei auch das Prinzip der Waffengleichheit verletzt worden, da die begründete Befürchtung bestehe, dass sich die vorweggenommene Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft auf die Entscheidfindung des Gerichts ausgewirkt habe. Dafür spreche die Abweisung des Beweisantrags.
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3.2. Gemäss Art. 56 lit. f StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art 56 lit. a-e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten des Richters begründet sein. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist.
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Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind bei der Ablehnung eines Staatsanwalts nur anwendbar, wenn er ausnahmsweise in richterlicher Funktion tätig wird, wie das bei Erlass eines Strafbefehls zutrifft. Amtet er jedoch als Strafuntersuchungsbehörde, beurteilt sich die Ausstandspflicht nach Art. 29 Abs. 1 BV. Wohl darf der Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen werden. Hinsichtlich der Unparteilichkeit des Staatsanwalts im Sinne von Unabhängigkeit und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV allerdings ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu. Auch ein Staatsanwalt kann abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die objektiv geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken.
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Das gilt allerdings nur für das Vorverfahren. Gemäss Art. 61 lit. a StPO leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zur Anklageerhebung. Die Staatsanwaltschaft gewährleistet insoweit eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens (Art. 62 Abs. 1 StPO). Sie untersucht die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Art. 6 Abs. 2 StPO). Zwar verfügt sie bei ihren Ermittlungen über eine gewisse Freiheit. Sie ist jedoch zu Zurückhaltung verpflichtet. Sie hat sich jeden unlauteren Vorgehens zu enthalten und sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu untersuchen. Sie darf keine Partei zum Nachteil einer anderen bevorteilen.
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Nach Erhebung der Anklage wird die Staatsanwaltschaft dagegen wie die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft zur Partei (Art. 104 Abs. 1 StPO). In diesem Verfahrensstadium ist die Staatsanwaltschaft definitionsgemäss nicht mehr zur Unparteilichkeit verpflichtet und hat sie grundsätzlich die Anklage zu vertreten (Art. 16 Abs. 2 StPO). Insoweit gewähren weder Art. 29 Abs. 1 noch Art. 30 Abs. 1 BV noch Art. 6 Ziff. 1 EMRK dem Beschuldigten einen besonderen Schutz, der es ihm erlauben würde, sich über die Haltung des Staatsanwalts und dessen Äusserungen in den Verhandlungen zu beschweren (zum Ganzen: BGE 141 IV 178 E. 3.2.1 f. S. 179 f.; vgl. auch Urteil 6B_719/2017 vom 10. September 2018 E. 2.1; je mit Hinweisen).
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3.3. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner am 31. Oktober 2017 Anklage erhoben. Das beanstandete Schreiben verfasste er nicht als Untersuchungs- sondern als Anklagebehörde und damit als Verfahrenspartei. Selbst wenn man davon ausgeht, er habe sich darin in unzulässiger Weise zur Beweiswürdigung geäussert, ist darin jedenfalls keine schwere Verletzung von Amtspflichten zu erblicken, wie sie bei einem verfahrensleitenden Staatsanwalt während des Vorverfahrens einen Ausstandsgrund schaffen könnte (vgl. BGE 141 IV 178 E. 3.2.3 S. 180 mit Hinweisen). Umso weniger ist eine Befangenheit des Beschwerdegegners als Vertreter der Anklage zu bejahen. Daran ändert auch die Berufung des Beschwerdeführers auf den Grundsatz der Waffengleichheit nichts. Seine diesbezügliche Kritik richtet sich in der Sache gegen das Gericht, nicht gegen den Beschwerdegegner. Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie einen Ausstandsgrund verneinte.
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4. Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Richteramt Thal-Gäu und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 18. Oktober 2018
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Merkli
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Der Gerichtsschreiber: Dold
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