Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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9C_411/2018
Urteil vom 24. Oktober 2018
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Gehrig,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. April 2018 (200 18 15 IV).
Sachverhalt:
A.
Der 1973 geborene A.________ meldete sich im Januar 2015 unter Hinweis auf chronischen Durchfall und Untergewicht bei der Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an. Nach Abklärung der Verhältnisse ermittelte die IV-Stelle Bern, davon ausgehend, dass der Versicherte im Gesundheitsfall zu 80 % erwerbstätig und zu 20 % im Haushalt beschäftigt wäre, einen Invaliditätsgrad von 28 %. Mit Vorbescheid vom 26. Februar 2016 verneinte sie einen Rentenanspruch. Auf die Einwände des Versicherten zog die Verwaltung zusätzliche Stellungnahmen ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) und des Bereichs Abklärungen bei. Sie erliess am 17. Juni 2016 einen weiteren, ebenfalls zur Ablehnung eines Leistungsanspruchs gelangenden Vorbescheid (ermittelter Invaliditätsgrad: 32 %). Nachdem der Versicherte erneut Einwand erhoben hatte, holte die IV-Stelle beim ABI, Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel, ein Gutachten ein, welches am 26. Juni 2017 erstattet wurde. Nach weiteren Abklärungen, insbesondere Beizug eines aktuellen Haushaltberichts vom 13. Juli 2017, ermittelte sie einen Invaliditätsgrad von 16 %, weshalb sie A.________ mit Vorbescheid vom 19. Juli 2017 nochmals die Verneinung eines Rentenanspruches in Aussicht stellte. Nach Einwand des Versicherten sowie Einholung weiterer Stellungnahmen des RAD vom 23. November 2017 und des Bereichs Abklärungen vom 4. Dezember 2017 erliess die IV-Stelle am 6. Dezember 2017 eine dem Vorbescheid vom 19. Juli 2017 entsprechende Verfügung.
B.
Beschwerdeweise liess A.________ die Aufhebung der Verfügung beantragen. Es sei ihm rückwirkend ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt eine Invalidenrente zuzusprechen. Eventualiter sei ein Gerichtsgutachten einzuholen und gestützt darauf eine Neubeurteilung des Leistungsanspruchs vorzunehmen. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 30. April 2018 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, der Entscheid vom 30. April 2018 sei aufzuheben. Die Sache sei zu neuem Entscheid an die IV-Stelle und eventualiter an das kantonale Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.
2.1. Die Vorinstanz erwog, es sei fraglich, könne aber letztlich offen gelassen werden, ob die IV-Stelle das rechtliche Gehör des Versicherten dadurch verletzt habe, dass sie ihm die nach seinem Einwand vom 21. August 2017 eingeholten Akten (Stellungnahmen des RAD vom 23. November 2017 und des Bereichs Abklärungen vom 4. Dezember 2017) erst mit der Eröffnung der Verfügung vom 6. Dezember 2017 zur Kenntnis gebracht habe. Der Versicherte habe sich im kantonalen Beschwerdeverfahren dazu äussern können. Eine allfällig erfolgte (leichte) Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre in Anbetracht der uneingeschränkten Kognition im erstinstanzlichen Prozess jedenfalls als geheilt zu betrachten. Unter den gegebenen Voraussetzungen wäre selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von einer Heilung des Mangels auszugehen, weil die Rückweisung der Sache zu einem formalistischen Leerlauf führen würde.
2.2. Der Beschwerdeführer lässt zu Unrecht einwenden, sein rechtliches Gehör sei nicht nur leicht, sondern schwerwiegend verletzt worden. Denn die Antworten des RAD vom 23. November 2017 und des Bereichs Abklärungen vom 4. Dezember 2017 enthielten keine neuen Tatsachen, sondern bestätigten lediglich den dem Vorbescheid vom 19. Juli 2017 zugrundeliegenden bzw. im Abklärungsbericht vom 13. Juli 2017 festgehaltenen Sachverhalt, zu welchem sich der Beschwerdeführer in seinem Einwand vom 21. August 2017 bereits eingehend äussern konnte. Sodann stellen die entsprechenden vorinstanzlichen Erwägungen, anders als der Versicherte ausführen lässt, auch nicht in Frage, dass der Gehörsanspruch grundsätzlich
vor (d.h. nicht
mit oder
nach) dem Verfügungserlass zu gewähren ist (vgl. auch BGE 124 V 181 E. 1b und c S. 181 f.) und nicht einfach dadurch umgangen werden kann, dass der Versicherte auf seine Äusserungsmöglichkeit in einem allfälligen Beschwerdeverfahren verwiesen wird. Dies ändert aber nichts daran, dass ausnahmsweise, wenn (wie hier) eine nicht besonders schwerwiegende Gehörsverletzung vorliegt, die Rechtsprechung eine Heilung in einem (eine uneingeschränkte Überprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ermöglichenden) Rechtsmittelverfahren zulässt (BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390; 127 V 431 E. 3d/aa S. 437 f.). Dass die Vorinstanz die hierfür praxisgemäss erforderlichen Voraussetzungen bejaht hat, verletzt Bundesrecht nicht (E. 1).
3.
3.1. Als weiteren prozessualen Mangel rügt der Beschwerdeführer (wie bereits im Vorbescheid- und im kantonalen Verfahren), dass nicht offengelegt und dokumentiert worden sei, wie viele und welche Gutachterstellen sich im Auswahlverfahren der SuisseMED@P befunden hätten. Seiner Auffassung nach läuft dies der Aktenführungspflicht gemäss Art. 46 ATSG zuwider. Er fordert ein "Korrektiv hin zu einem transparenten Vergabeverfahren".
3.2. Aus der Bestimmung des Art. 46 ATSG, wonach für jedes Sozialversicherungsverfahren alle Unterlagen, die massgeblich sein können, vom Versicherungsträger systematisch zu erfassen sind, vermag der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Ihrer Verpflichtung, alles in den Akten festzuhalten, was zur Sache gehört, und in diesem Sinne ein vollständiges Aktendossier über das Verfahren zu führen, um gegebenenfalls ordnungsgemäss Akteneinsicht gewähren und bei einem Weiterzug diese Unterlagen an die Rechtsmittelinstanz weiterleiten zu können (BGE 138 V 218 E. 8.1.2 S. 223 mit Hinweisen), ist die IV-Stelle im Zusammenhang mit der von ihr angeordneten Begutachtung nachgekommen:
Aktenmässig dokumentiert sind die an den Rechtsvertreter des Versicherten gerichtete Mitteilung vom 2. August 2016 über die geplante Einholung einer nach dem Zufallsprinzip zu vergebenden polydisziplinären medizinischen Expertise, die Antwort des Rechtsvertreters vom 12. August 2016 (keine Einwände gegen die entsprechende Beauftragung), die automatisch generierten Systemnachrichten über die Zuteilung des Gutachtensauftrags ans ABI, die Bestätigung des Auftrags sowie die Information betreffend die Zeitmessung vom 14. und 21. November sowie 25. Dezember 2016, die dazwischen erfolgte Erteilung des entsprechenden Auftrages (samt Aktenzustellung) vom 15. November 2016, die Bekanntgabe von Gutachterstelle und Gutachter vom 13. Dezember 2016, die vom Rechtsvertreter am 28. Dezember 2016 gegen die Beauftragung des ABI vorgebrachten Einwände und die an der ABI-Begutachtung festhaltende Verfügung der IV-Stelle vom 22. Januar 2017.
Über darüber hinausgehende Informationen, welche in den Akten festzuhalten gewesen wären, verfügte die IV-Stelle nicht, weil der gesamte übrige Verlauf der Gutachtenseinholung sich jeweils ausserhalb ihres Bereichs abspielt, indem er über die vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) entwickelte webbasierte Vergabeplattform SuisseMED@P gesteuert und kontrolliert wird (vgl. BGE 140 V 507 E. 3.1 S. 510 f.; zu den einzelnen Verfahrensschritten: SuisseMED@P: Handbuch für Gutachter- und IV-Stellen [Anhang V des Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI)]). Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, erfolgt die Auftragsvergabe dabei zwecks ergebnisneutraler Verteilung mittels Zufallsgenerator und "blind". Dies heisst nichts anderes, als dass "niemand Einblick in den Vergabetopf nehmen kann und daher auch keiner mit Sicherheit weiss, wie viele bzw. welche Gutachterstellen zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Auswahl stehen" (vom BSV herausgegebene Information "Auftragsvergabe und Zufallsprinzip SuisseMED@P", Ziff. 3). Mit anderen Worten ist die (in der Beschwerde beanstandete) Unkenntnis darüber, welche der inzwischen (Stand: 15. März 2018) 31 polydisziplinären Gutachterstellen, die über einen Vertrag mit dem BSV nach Art. 72bis IVV verfügen (Liste abrufbar unter www.bsv.admin.ch), sich im konkreten Einzelfall im Vergabetopf befinden, beabsichtigt.
Die Transparenz über die Anwendungspraxis der Plattform wird rechtsprechungsgemäss sichergestellt durch eine periodische Berichterstattung (Anzahl der bei den angeschlossenen MEDAS eingeholten polydisziplinären Gutachten; SuisseMED@P-Reporting [erstmals erstellt für 2013], abrufbar unter www.bsv.admin.ch), ergänzt durch die ordnungsgemässen (Jahres-) Berichte der einzelnen Institute über ihre sonstige Sachverständigentätigkeit, vor allem bezüglich der bi- und monodisziplinären Expertisen für die IV-Stellen (BGE 139 V 349 E. 5.5 S. 357; vgl. auch RALF KOCHER, Zwei Jahre SuisseMED@P - Wo stehen wir?, in: CHSS 2014 S. 288 ff., 289). Für das vom Beschwerdeführer geforderte Korrektiv besteht mithin kein Anlass.
4.
4.1. In Bezug auf das ABI-Gutachten vom 26. Juni 2017, welches dem Versicherten eine Arbeits- und Leistungsfähigkeit von 80 % in sämtlichen geeigneten Erwerbstätigkeiten attestiert, wird in der Beschwerde erneut geltend gemacht, es sei nicht lege artis erstellt worden und damit keine taugliche Grundlage für die Beurteilung des Leistungsanspruchs. Indessen hat die Vorinstanz dem ABI-Gutachten vom 26. Juni 2017 zu Recht Beweiskraft zuerkannt. Sie hat begründet, weshalb es die dafür erforderlichen Kriterien (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis) erfüllt. Der Versicherte legt keine konkreten Indizien dar, die an dessen Zuverlässigkeit zweifeln liessen (vgl. dazu BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Vielmehr beschränkt er sich in weiten Teilen darauf, die ärztlichen Unterlagen abweichend vom angefochtenen Entscheid zu würdigen und daraus andere Schlüsse zu ziehen, was nicht genügt (Urteile 9C_494/2016 vom 19. Dezember 2016 E. 3.5 mit Hinweisen).
4.2. Der Beschwerdeführer stellt sich sodann zu Unrecht auf den Standpunkt, es verletze "Beweisrecht", dass die Vorinstanz die Einschätzung des RAD vom 9. Juli 2015 (Arbeitsfähigkeit von 60 % bei einer Leistungsfähigkeit von 80 %) mangels persönlicher Untersuchung durch den RAD-Arzt als nicht massgeblich betrachte, habe doch eine solche gemäss Art. 49 Abs. 2 IVV nur "bei Bedarf" stattzufinden. Denn es trifft zwar zu, dass eine RAD-Stellungnahme als medizinisches Aktengutachten grundsätzlich eine zulässige Entscheidungsgrundlage darstellen kann (RKUV 1993 Nr. U 167 S. 95 E. 5d; Urteile 9C_29/2014 vom 18. Februar 2014 und 8C_199/2011 vom 9. August 2011 E. 2 mit Hinweis), wobei einem reinen Aktengutachten nur Beweiswert zuzuerkennen ist, wenn es im Wesentlichen um die Beurteilung eines feststehenden medizinischen Sachverhaltes geht (Urteil I 1094/06 vom 14. November 2007 E. 3.1.1 in fine). Ohnehin aber kommt den Berichten versicherungsinterner medizinischer Fachpersonen praxisgemäss nicht dieselbe Beweiskraft zu wie einem im Verfahren nach Art. 44 ATSG in Auftrag gegebenen Gutachten (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 469). Bei dem hier zur Diskussion stehenden RAD-Bericht vom 9. Juli 2015 handelt es sich im Übrigen um eine erste, sich auf die Unterlagen der behandelnden Ärzte stützende Einschätzung, welche im Verlaufe des Verfahrens ihren Beweiswert verlor, weil der RAD selbst an ihr nicht mehr festhielt, sondern die abweichende Beurteilung durch das ABI vom 26. Juni 2017 für einschlägig erklärte (Stellungnahme des RAD vom 23. November 2017).
4.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass das kantonale Gericht auf das ABI-Gutachten vom 26. Juni 2017 abstellen durfte, ohne Bundesrecht zu verletzen. Der Verzicht auf weitere Abklärungen erfolgte in zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f. mit Hinweisen; 124 V 90 E. 4b S. 94). Die Vorinstanz hat die Beweise nicht willkürlich gewürdigt, wenn sie die ABI-Beurteilung als aussagekräftig, schlüssig und nachvollziehbar qualifiziert hat.
5.
Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer ebenso beanstandeten Statusfrage kann (ebenso wie für die gesamte Invaliditätsbemessung) auf die vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden, wonach unabhängig davon, ob mit der IV-Stelle von einem erwerblichen Anteil von 80 % und einem Haushaltanteil von 20 % oder von einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit ausgegangen wird, ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad resultiert. Damit hat es mit dem angefochtenen Entscheid sein Bewenden. Weiterungen erübrigen sich.
6.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 24. Oktober 2018
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann