Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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2C_729/2017, 2C_741/2017
Verfügung vom 4. Januar 2019
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Haag, als Einzelrichter,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
Verfahrensbeteiligte
2C_729/2017
Swisslos,
Interkantonale Landeslotterie Genossenschaft,
Beschwerdeführerin 1, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Stefan Rechsteiner und/oder Manuel Blättler,
und
2C_741/2017
Société de la Loterie de la Suisse romande (LoRo), Beschwerdeführerin 2,
vertreten durch Rechtsanwalt Thibault Blanchard,
gegen
Euro-Lotto Tipp AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Frei,
Lotterie- und Wettkommission.
Gegenstand
Aufsichtsverfahren,
Beschwerden gegen das Urteil der Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten vom 22. Mai 2017.
Sachverhalt:
A.
Die Euro-Lotto Tipp AG (ELT) bot während Jahren "vor- und nachgelagerte Dienstleistungen" für Spieler der in der Schweiz bewilligten Grosslotterie "Euro Millions" an. Die Swisslos, Interkantonale Landeslotterie Genossenschaft, und die LoRo, Société de la Loterie de la Suisse romande, gelangten wiederholt an die Lotterie- und Wettkommission (Comlot) und verlangten, dass diese gegen die Euro-Lotto Tipp AG lotterierechtlich vorgehe. Nachdem sich die Comlot ursprünglich auf den Standpunkt gestellt hatte, dass sie über keine entsprechenden Kompetenzen verfüge, kam sie später hierauf zurück. Das Zwischenverfahren hinsichtlich ihrer Kompetenzen endete am 9. Juli 2015 mit dem Urteil des Bundesgerichts 2C_1086/2013 (BGE 141 II 262 ff.) : Das Gericht erkannte unter Berücksichtigung einer geltungszeitlichen Auslegung des Gesetzestextes, dass die Comlot befugt sei, ein administratives Unterstellungsverfahren zu führen und abzuklären, ob ein Spiel oder eine Geschäftspraktik in den Anwendungsbereich des Bundesgesetzes vom 8. Juni 1923 betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (Lotteriegesetz, LG) falle oder nicht; gegebenenfalls könne sie die geeigneten Anordnungen treffen, um den gesetzeskonformen Zustand wieder herzustellen. Untersagt seien ihr - gestützt auf das geltende Recht - rückwirkende sanktionierende Massnahmen, da hierfür nach dem geltenden Lotterierecht die kantonalen Strafbehörden zuständig blieben.
B.
Am 13. Oktober 2016prüfte die Comlot die Geschäftsaktivitäten der Euro-Lotto Tipp AG auf ihre lotterierechtliche Zulässigkeit hin und entschied:
"1. Die Comlot stellt fest, dass die Aktivitäten der ELT im Zusammenhang mit der gewerbsmässigen Organisation von Tippgemeinschaften für die Teilnahme an einer Lotterie nach dem LG in den Geltungsbereich des LG fallen und widerrechtlich sind.
Widerrechtlich sind insbesondere die folgenden Handlungen
a) Die Werbung, d.h. jede Form von Marketingkommunikation, im Zusammenhang mit der gewerbsmässigen Organisation von Tippgemeinschaften für die Teilnahme an Euro Millions
- im Rahmen von Messen,
- im Internet,
- durch Sponsoring oder
- Werbe- oder Verkaufsgespräche, sei es im direkten physischen Gespräch, sei es per Telefon.
b) Die Eingehung und/oder Vermittlung von Vertragsverhältnissen mit bzw. von Kunden, welche die Verpflichtung zur Teilnahme an einer gewerbsmässig organisierten Tippgemeinschaft für Euro Millions beinhalten;
c) Die Abwicklung des Geldverkehrs, konkret
- die Entgegennahme und/oder Weiterleitung von Kundengeldern zwecks Einsatz bei Euro Millions bzw. Kauf entsprechender Spielscheine;
- der Einsatz bzw. Kauf von Spielscheinen von Euro Millions mit den entgegengenommenen Kundengeldern;
- die Ausrichtung der bei Euro Millions erzielten Gewinne an die Kunden.
2. Die ELT wird verpflichtet, die unter Ziff. 1 lit. a-c umschriebenen Handlungen innerhalb einer Frist von 180 Tagen nach Eröffnung dieser Verfügung dauernd einzustellen.
-..]
5. Die Kosten für dieses Verfahren werden auf CHF 50'000.00 bestimmt und der ELT auferlegt. Es wird keine Parteientschädigung gesprochen."
C.
Am 22. Mai 2017 hiess die Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten (RekKommComlot) die von der Euro-Lotto Tipp AG hiergegen eingereichte Beschwerde gut und hob den Entscheid der Comlot vom 13. Oktober 2016 auf.
D.
Gegen den Entscheid der RekKommComlot gelangten die Swisslos am 31. August 2017 (2C_729/2017) und die LoRo am 1. September 2017 (2C_741/2017) mit je einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.
E.
Am 27. September 2018 vereinigte der Instruktionsrichter die Verfahren 2C_729/2017 und 2C_741/2017 (Art. 32 Abs. 2 und Art. 71 BGG i.V.m. Art. 5 und 72 BZP ).
Erwägungen:
1.
1.1. Die Euro-Lotto Tipp AG hat über Jahre hinweg als Dritte gewerbsmässig Spielgemeinschaften für die Grosslotterie "Euro Millions" organisiert. Fraglich ist im hängigen Verfahren, ob dies mit dem Lotteriegesetz vereinbar war. Dieses steht inzwischen indessen nicht mehr in Kraft: Die Eidgenössischen Räte haben am 29. September 2017 das Bundesgesetz über Geldspiele (BGS) verabschiedet; das entsprechende Gesetz wurde am 10. Juni 2018 in der Referendumsabstimmung angenommen (mit 72,9 Stimmenprozent) und ist in den hier wesentlichen Punkten am 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Das Geldspielgesetz ist unter anderem an die Stelle des Bundesgesetzes vom 8. Juni 1923 betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten getreten (Art. 139 BGS i.V.m. Anhang I Ziff. 1). Art. 61 Abs. 1 Satz 2 BGS verbietet heute "die gewerbliche Organisation von Spielgemeinschaften zur Teilnahme an Grossspielen durch Dritte" (BBl 2017 6245, 6261). Gestützt hierauf sind die Aktivitäten der Euro-Lotto Tipp AG in der bisherigen Form nicht mehr zulässig.
1.2. Es stellt sich unter diesen Umständen die Frage, ob noch ein aktuelles Rechtsschutzinteresse daran besteht, dass das Bundesgericht die aufgeworfenen lotterierechtlichen Probleme prüft, nachdem das entsprechende Gesetz von 1923 nach dem Inkrafttreten des Geldspielgesetzes keine Anwendung mehr findet (AS 2018 5103, 5144). Gestützt auf die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel der Euro-Lotto Tipp AG hat diese bis Ende 2018 ihre Geschäftstätigkeit nicht einstellen müssen. Es besteht aufgrund der neuen Rechtslage keine Notwendigkeit, dass sich das Bundesgericht noch zur Auslegung des bisherigen Lotterierechts äussert.
2.
2.1. Der Instruktionsrichter hat den Verfahrensbeteiligten am 27. September 2018 Gelegenheit gegeben, sich zur Frage einer allfälligen Gegenstandslosigkeit bzw. eines Rückzugs der Beschwerden zu äussern und darzulegen, welches konkrete aktuelle Interesse sie noch an der Beschwerdebeurteilung haben bzw. aus welchem Grund das Bundesgericht ausnahmsweise vom Erfordernis des aktuellen Interesses absehen sollte.
2.2. Die Verfahrensbeteiligten haben zwischen dem 6. und dem 9. November 2018 zu den aufgeworfenen Fragen Stellung genommen:
2.2.1. Die Swisslos, Interkantonale Landeslotterie Genossenschaft, teilte mit, dass sie nicht bereit sei, ihre Beschwerde zurückzuziehen. Sie wehre sich indessen nicht gegen die Feststellung der Gegenstandslosigkeit des Verfahrens aufgrund des gesetzlichen Verbots der Geschäftstätigkeit der Euro-Lotto Tipp AG unter dem neuen Recht. Sie setze jedoch voraus, dass die Parteikosten wettgeschlagen und die "guten Prozessaussichten" ihrer Beschwerde bei der Verteilung allfälliger Gerichtskosten angemessen berücksichtigt würden.
2.2.2. Die Société de la Loterie de la Suisse romande (LoRo) informierte das Gericht, dass aus ihrer Optik kein aktuelles praktisches Interesse mehr daran bestehe, die sich unter dem Lotteriegesetz stellende Frage der Zulässigkeit der Geschäftstätigkeit der Euro-Lotto Tipp AG zu vertiefen; das Geldspielgesetz untersage die Aktivitäten der Euro-Lotto Tipp AG heute (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 BGS). Die Parteikosten der Verfahren seien wettzuschlagen; bei der Kostenverteilung seien die guten Erfolgschancen ihrer Beschwerde zu berücksichtigen. Die Société de la Loterie de la Suisse romande (LoRo) beantragt im Übrigen, dass im Abschreibungsentscheid eindeutig festgehalten werde, dass die Aktivitäten der Euro-Lotto Tipp AG unter dem neuen Recht unzulässig seien.
2.2.3. Die Euro-Lotto Tipp AG räumt ein, dass ihre bisherigen Aktivitäten unter dem Geldspielgesetz nicht mehr möglich sind, was das Feststellungsbegehren der Société de la Loterie de la Suisse romande (LoRo) hinfällig werden lässt. Sie stelle - so die Euro-Lotto Tipp AG weiter - die umstrittenen Aktivitäten denn auch auf den 1. Januar 2019 ein. Unter diesen Umständen sei "ein aktuelles Rechtsschutzinteresse für die Behandlung der Beschwerden vor Bundesgericht in der Tat nicht mehr ersichtlich". Die Euro-Lotto Tipp AG weist daraufhin, dass sie die Gegenstandslosigkeit nicht zu vertreten habe, weshalb ihr allfällige Gerichtskosten nicht auferlegt werden dürften. Sie verzichte auf eine Parteientschädigung für die Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht, falls beide Beschwerdeführerinnen sich einverstanden erklärten, ihre Beschwerden als gegenstandslos abschreiben zu lassen.
2.2.4. Die Lotterie- und Wettkommission teilt die Ansicht der Verfahrensbeteiligten, dass das neue Geldspielgesetz die bisherige Geschäftstätigkeit der Euro-Lotto Tipp AG untersage; es erscheine somit "wenig sinnvoll", das bundesgerichtliche Verfahren weiterzuführen. Es sei aber zu berücksichtigen, dass keine der Parteien die Gegenstandslosigkeit zu verantworten habe. Die Kosten des Zuständigkeitsverfahrens (Fr. 5'000.--) seien rechtskräftig der Euro-Lotto Tipp AG auferlegt worden. Was die Kosten des Hauptverfahrens angehe, erscheine es sachgerecht, diese dem mutmasslichen Ausgang folgend der Euro-Lotto Tipp AG aufzuerlegen.
3.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (BGE 141 II 113 E. 1 S. 116).
3.1. Im Verfahren der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten muss das Interesse an der Beschwerdeführung im Zeitpunkt der Beurteilung der Angelegenheit durch das Bundesgericht noch aktuell sein (vgl. BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143; 136 II 101 E. 1.1 S. 103; FLORENCE AUBRY GIRARDIN, in: Commentaire de la LTF, 2. Aufl. 2014, N. 23 f. zu Art. 89 BGG; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl. 2018, N. 17 zu Art. 89 BGG). Fehlt das aktuelle Interesse bereits im Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerde, ist auf die Eingabe nicht einzutreten. Fällt es - wie hier - im Verlaufe des bundesgerichtlichen Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP [SR 273]; BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143 mit Hinweisen; HANSJÖRG SEILER, in: SHK BGG, 2. Aufl. 2015, N. 66 zu Art. 89 BGG). Unter Verzicht auf das Erfordernis eines aktuellen Interesses tritt das Bundesgericht ausnahmsweise auf ein Rechtsmittel dennoch ein, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und deren Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143 mit Hinweisen; MATTHIAS HÄRRI, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl. 2018, N. 12 f. zu Art. 32 BGG).
3.2. Alle Verfahrensbeteiligten sind der Meinung, dass das ursprünglich bestehende schutzwürdige aktuelle Interesse durch das Inkrafttreten des Geldspielgesetzes, welches die Geschäftstätigkeit der Euro-Lotto Tipp AG in der bisherigen Form ausschliesst, hinfällig geworden ist. Der entsprechenden Auffassung ist zuzustimmen. Weder machen die Verfahrensbeteiligten geltend, noch ist ersichtlich, aus welchen Gründen es sich rechtfertigen könnte, vom Erfordernis des schutzwürdigen aktuellen Interesses im vorliegenden Zusammenhang abzusehen. Das vereinigte Verfahren 2C_741/2017 und 2C_729/2017 ist demnach, weil nachträglich gegenstandslos geworden, abzuschreiben (vgl. HÄBERLI/MERZ, in: Geiser et al. [Hrsg.], Prozessieren vor Bundesgericht, 4. Aufl. 2014, N. 5.126).
3.3. Diesem Verfahrensausgang entsprechend hat der Instruktionsrichter mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrunds zu entscheiden (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP; MATTHIAS HÄRRI, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl. 2018, N. 20 f. zu Art. 32 BGG; THOMAS GEISER, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl. 2018, N. 14 zu Art. 66 BGG; HANSJÖRG SEILER, in: SHK BGG, 2. Aufl. 2015, N. 37 zu Art. 66 BGG; PHILIPP GELZER, in: Geiser et al. [Hrsg.], Prozessieren vor Bundesgericht, 4. Aufl. 2014, N. 5.126). Es geht dabei nicht darum, den potentiellen Prozessausgang in der Sache selber umfassend zu prüfen und zu begründen. Durch den Kostenentscheid sollen keine heiklen Rechtsfragen beantwortet oder präjudiziert werden (PHILIPP GELZER, in: Geiser et al. [Hrsg.], Prozessieren vor Bundesgericht, 4. Aufl. 2014, N. 7.71; DOMINIK VOCK, in: Spühler et. al. [Hrsg.], Praxiskommentar Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2013, N. 5 zu Art. 32 BGG). Fehlt das aktuelle praktische Interesse in der Sache, ist nicht über die Kostenfrage ein vertiefter Entscheid mit dem damit verbundenen Aufwand zu fällen.
3.4. Alle Verfahrensbeteiligten sind damit einverstanden, dass die Anwaltskosten wettgeschlagen werden. Es rechtfertigt sich ex aequo et bono, die bisherigen bundesgerichtlichen Kosten im Umfang von Fr. 2'000.-- den beiden Beschwerdeführerinnen (unter solidarischer Haftung) je zu einem Anteil von Fr. 500.-- und den restlichen Betrag von Fr. 1'000.-- der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen.
Demnach verfügt das Bundesgericht:
1.
Das vereinigte Verfahren 2C_729/2017 und 2C_741/2017 wird als gegenstandslos abgeschrieben.
2.
Die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 2'000.-- werden je zu Fr. 500.--, unter solidarischer Haftung unter sich, den Beschwerdeführerinnen sowie im Umfang von Fr. 1'000.-- der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Parteikosten werden wettgeschlagen.
4.
Diese Verfügung wird den Verfahrensbeteiligten, der Lotterie- und Wettkommission, der Rekurskommission Interkantonale Vereinbarung Lotterien und Wetten sowie dem Bundesamt für Justiz schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Januar 2019
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Einzelrichter: Haag
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar