BGer 6B_290/2018 |
BGer 6B_290/2018 vom 19.02.2019 |
6B_290/2018 |
Urteil vom 19. Februar 2019 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Traub.
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Verfahrensbeteiligte |
X._________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Roman Kost,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern,
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2. A._________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Schumacher,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Kostenverlegung im Strafverfahren,
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Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 25. Januar 2018
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(2N 17 128/2U 17 24).
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Sachverhalt: |
A. Die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen stellte eine gegen X._________ angehobene Strafuntersuchung betreffend falscher Anschuldigung, allenfalls Verleumdung und übler Nachrede, ein (Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO). X._________ wurde verpflichtet, Verfahrenskosten von Fr. 200.-- und eine Parteientschädigung von Fr. 900.-- an den Privatkläger A._________ zu bezahlen (Verfügung vom 31. August 2017).
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B. Gegen diese Kostenverlegung führte X._________ Beschwerde. Das Kantonsgericht Luzern wies das Rechtsmittel wie auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ab (Entscheid vom 25. Januar 2018).
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C. X._________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, die vorinstanzliche Verfügung sei aufzuheben und es seien ihr weder Verfahrenskosten noch eine Parteientschädigung an den Privatkläger aufzuerlegen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung).
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A._________ stellt Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
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Erwägungen: |
1. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat ein Fristerstreckungsgesuch für eine Replik gestellt (Eingabe vom 11. Februar 2019; vgl. Verzicht auf Stellungnahme vom 18. Februar 2019). Mit Blick auf den Ausgang des Verfahrens kann der Entscheid ungeachtet dessen sogleich ergehen.
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2.
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2.1. Sachverhaltlich ging die Vorinstanz mit der Staatsanwaltschaft davon aus, X._________ habe, als ihr Ehemann von zwei Polizeibeamten an ihr Krankenbett im Kantonsspital Luzern geführt worden sei, fälschlicherweise mit dem Finger auf einen der anwesenden Polizisten, den Privatkläger, gedeutet und ihn als denjenigen Beamten identifiziert, welcher tags zuvor anlässlich einer Hausdurchsuchung ihr und den gemeinsamen Kindern gegenüber den Ehemann als "Kriminellen" bezeichnet habe, welcher "mit Waffen verhaftet" worden sei. Es stehe indessen fest, dass der Privatkläger bei der Hausdurchsuchung nicht anwesend war.
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Der Ehemann der Beschwerdeführerin, Y._________, und der Privatkläger reichten wechselseitig Strafanträge wegen übler Nachrede und Verleumdung ein, der Privatkläger zusätzlich Strafanzeige wegen falscher Anschuldigung gegen Y._________. Später wurde das Verfahren auf die Beschwerdeführerin ausgedehnt (Verfahren SA2 17 4872 21).
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Strittig ist allein die Verlegung der Verfahrenskosten gemäss Verfügung vom 31. August 2017 (Akten-Nr. SA2 17 4872 21), mit welcher die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen die Beschwerdeführerin eingestellt hat.
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2.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die vorinstanzliche Feststellung, sie habe "vom Spitalbett aus auf den Privatkläger gezeigt", sei aktenwidrig und daher willkürlich. Es sei kein Fehlverhalten nachgewiesen, jedenfalls kein klares, welches für die zur Kostenauferlegung vorausgesetzte zivilrechtliche Verantwortlichkeit notwendig wäre. Sie habe stets auf die richtige Person gezeigt. Ihr Verhalten könne nicht adäquat kausal für den entstandenen Verfahrensaufwand resp. die entsprechenden Kosten gewesen sein. Die angefochtene Verfügung verletze somit Art. 426 Abs. 2 und Art. 433 Abs. 1 StPO.
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3.
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3.1. Nach Art. 426 Abs. 2 StPO können auch einer Person, deren Verfahren eingestellt worden ist, die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie die Einleitung des Verfahrens rechtswidrig und schuldhaft bewirkt hat. Die Kostenüberbindung stellt eine Haftung prozessualer Natur für die Mehrbeanspruchung der Untersuchungsorgane und die dadurch entstandenen Kosten dar. Das Verhalten eines Angeschuldigten ist als widerrechtlich zu qualifizieren, wenn es klar gegen Normen der Rechtsordnung verstösst, die ihn direkt oder indirekt zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten (vgl. Art. 41 Abs. 1 OR). Vorausgesetzt sind regelmässig qualifiziert rechtswidrige, rechtsgenüglich nachgewiesene Verstösse. Die Untersuchungs- resp. Verfahrenskosten müssen mit dem "zivilrechtlich" vorwerfbaren Verhalten in einem adäquat kausalen Zusammenhang stehen (BGE 144 IV 202 E. 2.2 S. 204). Wenn die beschuldigte Person nach Art. 426 Abs. 2 StPO kostenpflichtig ist und gewisse formelle Voraussetzungen erfüllt sind, hat die Privatklägerschaft ihr gegenüber Anspruch auf angemessene Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Verfahren (Art. 433 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 StPO).
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Bei der Bestimmung von Art. 426 Abs. 2 StPO handelt es sich um eine Kann-Vorschrift. Das Bundesgericht beurteilt den vorinstanzlichen Kostenentscheid insoweit zurückhaltend. Es schreitet nur ein, wenn das Sachgericht den ihm zustehenden Ermessensspielraum überschritten hat (Urteil 6B_318/2016 vom 13. Oktober 2016 E. 4.3).
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3.2. Die Vorinstanz führt aus, die Anschuldigung des - bei der Hausdurchsuchung nicht anwesenden - Privatklägers begründe ein zivilrechtlich schuldhaftes und widerrechtliches Verhalten. Obwohl die Beschwerdeführerin eine Verwechslung selber nicht ausgeschlossen habe, habe sie sich nicht vergewissert, dass es sich beim Beanzeigten tatsächlich um den möglichen Täter handle, und ihren Ehemann nicht bloss gegen Unbekannt Strafantrag einreichen lassen. Hierin liege ein fahrlässig erhobener schwerer Ehrverletzungsvorwurf gegen den Privatkläger, der objektiv geeignet sei, dessen Persönlichkeit relevant zu verletzen (Art. 28 ZGB). Die Anschuldigung gegenüber dem Privatkläger sei adäquat kausal für dessen Strafklage gegen die Beschuldigte und für die leichtfertig generierten Verfahrenskosten gewesen. Die Auferlegung von Verfahrenskosten zulasten der Beschwerdeführerin sei somit rechtmässig.
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Dieser Kostenentscheid präjudiziere die Entschädigungsfrage (BGE 137 IV 352 E. 2.4.2 S. 357), weshalb die Beschwerdeführerin auch eine Parteientschädigung für das Untersuchungsverfahren an den Privatkläger zu bezahlen habe. Die gesprochene Entschädigung von Fr. 900.-- erscheine angemessen.
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3.3. Die Vorinstanz folgt den tatsächlichen Feststellungen der Staatsanwaltschaft. Diese ist davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin habe sich in der Person geirrt und fälschlicherweise auf den Privatkläger gezeigt statt auf den anderen anwesenden Polizisten. Sie habe ihrem Ehemann später mitgeteilt, dass der Privatkläger an der Hausdurchsuchung teilgenommen und sich dabei unkorrekt geäussert habe. Diese Information sei objektiv falsch gewesen. Die Fehlleistung sei (nur) durch die Stresssituation im Spital erklärbar. Allerdings sei der Irrtum vermeidbar gewesen; es hätte der Beschuldigten spätestens nach der Operation, als sie wieder "im Klaren" war, in den Sinn kommen können und müssen, dass die Identifizierung fehlerhaft sein könnte.
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Legt man der strittigen Frage diesen Sachverhalt zugrunde, so wusste der Privatkläger bereits im Zeitpunkt des Strafantrages gegen ihn sicher, dass er bei der Hausdurchsuchung nicht beteiligt gewesen ist, dass dies umgehend festgestellt werden und er somit - unabhängig vom weiteren Verhalten der Beschwerdeführerin - nicht mit einem Untersuchungsverfahren belastet sein würde. Daran ändern die Ausführungen des Beschwerdegegners in der Beschwerdeantwort - so, die Vorkommnisse hätten sich in der Luzerner Polizei schnell herumgesprochen und es habe mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis das Strafverfahren rechtskräftig eingestellt worden sei - nichts. Unter diesen Umständen konnten seine Persönlichkeitsrechte von vornherein nicht im Sinne von Art. 28 ZGB ernsthaft verletzt sein. Rechtswidrigkeit nach Art. 426 Abs. 2 StPO ist somit nicht gegeben.
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Offen bleiben kann, ob die vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdeführerin habe tatsächlich auf den Privatkläger gedeutet, willkürlich zustande gekommen ist. So oder anders liegt nach dem Gesagten kein Grund für eine Kostenauflage nach Art. 426 Abs. 2 und Art. 433 Abs. 1 lit. b StPO vor.
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4. Die angefochtene Verfügung verletzt Bundesrecht. Die Beschwerde ist gutzuheissen und die vorinstanzliche Verfügung aufzuheben. Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des Untersuchungs- und des Beschwerdeverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG).
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Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 resp. 4 BGG). Der Kanton Luzern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Von einer (teilweisen) Auferlegung der Parteientschädigung zu Lasten des Beschwerdegegners wird umständehalber Umgang genommen. Die Entschädigung ist praxisgemäss dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin auszurichten. Damit wird deren Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Kantonsgerichts des Kantons Luzern vom 25. Januar 2018 aufgehoben und die Sache zur Neuregelung der Kosten- sowie Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3. Der Kanton Luzern bezahlt dem Vertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Roman Kost, eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.--.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 19. Februar 2019
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Traub
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