BGer 1B_81/2019 |
BGer 1B_81/2019 vom 07.03.2019 |
1B_81/2019 |
Urteil vom 7. März 2019 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Chaix, Präsident,
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Bundesrichter Karlen, Fonjallaz,
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Gerichtsschreiber Härri.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Wirz,
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gegen
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Staatsanwaltschaft See/Oberland,
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Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster.
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Gegenstand
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Haftentlassung,
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Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 23. Januar 2019 (SB180262).
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Sachverhalt: |
A. |
Am 23. November 2017 verurteilte das Bezirksgericht Uster den rumänischen Staatsangehörigen A.________ wegen mehrfacher Erpressung, mehrfachen Vergehens gegen das Waffengesetz und mehrfachen Hausfriedensbruchs zu 40 Monaten Freiheitsstrafe, unter Anrechnung der Haft sowie des vorzeitigen Strafvollzugs von insgesamt 386 Tagen. Ausserdem verwies es ihn für 8 Jahre des Landes.
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Dagegen erhoben A.________ und die Staatsanwaltschaft See/Oberland Berufung, welche beide in der Folge zurückzogen.
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Am 28. Juli 2018 ersuchte A.________ um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug per 21. Januar 2019.
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Mit Verfügung vom 23. Januar 2019 wies der Präsident der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich das Entlassungsgesuch ab.
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B. |
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, ihn mit sofortiger Wirkung aus der Haft zu entlassen. Eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an den Präsidenten der II. Strafkammer zurückzuweisen.
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C. |
Der Präsident der II. Strafkammer und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen: |
1. |
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Die Vorinstanz hat gemäss Art. 233 i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Der angefochtene Entscheid kann ihm einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken. Die Beschwerde ist auch insoweit zulässig. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
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2. |
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen. Dem entsprechenden Verfahrensantrag ist damit Genüge getan.
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3. |
3.1. Das Vollzugsende der vom Bezirksgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe fällt auf den 1. März 2020. Zwei Drittel waren am 21. Januar 2019 verbüsst. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz stelle zu hohe Anforderungen für seine Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe. Dies verletze Art. 86 Abs. 1 StGB und Art. 236 StPO.
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3.2. Der Beschwerdeführer und die Staatsanwaltschaft haben ihre Berufungen im Juni 2018 zurückgezogen. Das Obergericht hat das Berufungsverfahren jedoch noch nicht abgeschrieben. Der Beschwerdeführer geht mit der Vorinstanz zutreffend davon aus, dass deshalb die vom Bezirksgericht ausgesprochene Strafe noch nicht vollstreckbar ist. Darüber, ob die Rückzüge der Berufungen rechtsgültig sind, hat das Obergericht zu befinden. Erst wenn es dies bejaht und das Berufungsverfahren rechtskräftig abgeschrieben hat, ist dieses beendet und die vom Bezirksgericht ausgesprochene Strafe vollstreckbar (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 386 StPO und N. 5a zu Art. 399 StPO). Der Beschwerdeführer befindet sich daher - was er anerkennt - mangels rechtskräftiger Abschreibung des Berufungsverfahrens nach wie vor im vorzeitigen und nicht im definitiven Strafvollzug. Damit beurteilt sich die Rechtmässigkeit der Haft nach den Kriterien, die für die Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft gelten (BGE 143 IV 160 E. 2 S. 161 ff. mit Hinweisen).
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3.3. Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe (...) verbüsst, so ist er gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.
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Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung der zulässigen Dauer der Untersuchungs- und Sicherheitshaft die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach Art. 86 Abs. 1 StGB grundsätzlich ausser Acht zu lassen. Die bedingte Entlassung hängt vom Verhalten des Gefangenen im Strafvollzug und von der Prognose hinsichtlich seines künftigen Verhaltens in Freiheit ab. Die Beantwortung dieser Fragen fällt in das Ermessen der zuständigen Behörde (Art. 86 Abs. 2 StGB), hier des Amts für Justizvollzug des Kantons Zürich (§§ 5 lit. a, 8 lit. a und 67 f. der Justizvollzugsverordnung vom 6. Dezember 2016 des Kantons Zürich; LS 331.1; TRECHSEL/AEBERSOLD, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 13 zu Art. 86 StGB). Es ist in der Regel nicht Sache des Haftrichters, eine solche Prognose zu stellen. Die Möglichkeit der bedingten Entlassung ist nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise zu berücksichtigen, wenn es die konkreten Umstände des Einzelfalles gebieten, insbesondere wenn absehbar ist, dass die bedingte Entlassung mit grosser Wahrscheinlichkeit erfolgen dürfte (BGE 143 IV 160 E. 4.2 S. 166 mit Hinweisen).
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3.4. Wie sich aus dem Vollzugsbericht der Justizvollzugsanstalt Pöschwies vom 8. Januar 2019 ergibt, wurden dem Beschwerdeführer als Disziplinarmassnahme 3 Tage Arrest auferlegt, weil es zwischen ihm und einem Mitgefangenen zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen war. Der Beschwerdeführer ist wegen Betrugs und Versuchs dazu vorbestraft. Zwar empfiehlt die Justizvollzugsanstalt die bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe. Sie beurteilt die Legalprognose allerdings als nach wie vor belastet. Bei einem Rückfall mit gleichartigen Delikten müsse davon ausgegangen werden, dass eventuell erneut Personen von physischen und psychischen Gewaltandrohungen betroffen wären.
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In Anbetracht dessen kann nicht gesagt werden, dass die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers nach zwei Dritteln der Strafe mit grosser Wahrscheinlichkeit erfolgt wäre. Die bedingte Entlassung erscheint vielmehr zweifelhaft. Wenn die Vorinstanz die Entlassung des Beschwerdeführers aus dem vorzeitigen Strafvollzug abgelehnt hat, hält das im Lichte der dargelegten Rechtsprechung daher vor Bundesrecht stand. Die konkreten Umstände des Falles gebieten die Berücksichtigung der Möglichkeit der bedingten Entlassung nicht. Die Vorinstanz hat Art. 86 Abs. 1 StGB deshalb nicht verletzt.
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Inwiefern sie gegen Art. 236 StPO, der den vorzeitigen Strafvollzug regelt, verstossen haben soll, legt der Beschwerdeführer - wozu er gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG verpflichtet gewesen wäre - nicht dar. Da eine Bundesrechtsverletzung insoweit nicht offensichtlich ist, hat sich das Bundesgericht dazu nicht weiter zu äussern (BGE 140 III 115 E. 2. S. 116 mit Hinweisen).
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3.5. Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, dass das Obergericht den Abschreibungsbeschluss längst hätte fällen können. Ein derartiger Beschluss ist nicht aufwendig. Das Obergericht wird eingeladen, den Abschreibungsbeschluss nunmehr beförderlich zu erlassen. Nach dessen Rechtskraft wird das Amt für Justizvollzug ebenso zügig über die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers zu entscheiden haben.
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4. |
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe dem erwähnten Arrest entscheidende Bedeutung beigemessen. Der Vorfall, der zum Arrest geführt habe, sei jedoch nie näher geklärt worden. Die Vorinstanz hätte den Beschwerdeführer daher vor ihrem Entscheid dazu anhören müssen. Indem sie das unterlassen habe, habe sie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.
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Die Rüge ist unbegründet. Dass die Vorinstanz den Arrest bei der Prüfung der Möglichkeit der bedingten Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe nach Art. 86 Abs. 1 StGB berücksichtigen würde, war für den Beschwerdeführer voraussehbar. Die Vorinstanz stützte ihren Entscheid insoweit nicht auf einen Gesichtspunkt, mit dem der Beschwerdeführer nicht rechnen musste. Deshalb hatte die Vorinstanz keinen Anlass, ihn vor ihrem Entscheid zum Arrest anzuhören (vgl. zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 1C_393/2018 vom 14. Dezember 2018 E. 3.1 mit Hinweisen); dies umso weniger, als sich der Beschwerdeführer im Entlassungsgesuch (Ziff. 7) in der Sache bereits dazu geäussert hatte.
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5. |
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.
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Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers kann angenommen werden. Da die Haft einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG wird daher bewilligt. Es werden keine Gerichtskosten erhoben und dem Anwalt des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.
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3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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4. Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Thomas Wirz, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.
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5. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft See/Oberland und dem Präsidenten der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. März 2019
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Chaix
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Der Gerichtsschreiber: Härri
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