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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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9C_730/2018
Urteil vom 27. März 2019
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Saskia Lieb,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Rente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 19. September 2018 (200 17 836 IV).
Sachverhalt:
A.
A.________, tätig gewesen als Sevicetechniker, stürzte am........ bei der Arbeit. Am 11. Januar 2016 und 26. Juli 2017 wurde er am Knie rechts und am 22. September 2016 an der Schulter rechts operiert. Im Januar 2016 hatte sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Im Rahmen ihrer Abklärungen holte die IV-Stelle Bern die Akten der Unfallversicherung, Berichte der behandelnden Ärzte sowie verschiedene Stellungnahmen des regionalen ärztlichen Dientes Bern/ Freiburg/Solothurn (RAD) ein. Mit Verfügung vom 23. August 2017 sprach sie dem Versicherten ab 1. September 2016 eine bis 31. März 2017 befristete ganze Rente zu.
B.
Dagegen erhob A.________ Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 19. September 2018 abwies.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, Gerichtsentscheid und Verwaltungsverfügung seien aufzuheben, und es seien ihm die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung (einschliesslich neuer Abklärung tatsächlicher und/oder medizinischer Natur) an die IV-Stelle oder an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Die IV-Stelle Bern ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer beantragt zur Hauptsache, es seien ihm die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Aus der Begründung des Begehrens ergibt sich, dass er ab einem früheren Zeitpunkt als dem 1. September 2016 eine ganze Rente will, welche nicht auf Ende März 2017 zu befristen sei.
2.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine solche Verletzung von Bundesrecht liegt etwa vor, wenn der angefochtene Entscheid eine entscheidwesentliche Tatfrage, im Streit um eine Rente der Invalidenversicherung namentlich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person, auf unvollständiger Beweisgrundlage beantwortet (Urteil 9C_558/2016 vom 4. November 2016 E. 3 mit Hinweisen).
3.
Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer hätte mit Ablauf des Wartejahres nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG im März 2016 bis zur Operation an der rechten Schulter am 22. September 2016 zu 100 % eine leidensangepasste Tätigkeit ausüben können. Danach habe für jegliche Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % bestanden. Ab Mitte November 2016 sei er wiederum ohne Einschränkung in einer leidensangepassten Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig gewesen. In Bezug auf die (zweite) Operation am rechten Knie vom 26. Juli 2017 sei von einer kurzen Rehabilitationszeit ohne dauerhafte Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit auszugehen. Diese Feststellungen stützen sich im Wesentlichen auf die Beurteilungen des RAD (Aktennotiz Dr. med. B.________, Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates, vom 10. Mai 2017, Bericht Dr. med. C.________, Facharzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 11. Mai 2017 und Stellungnahme Dr. med. D.________, Facharzt für Orthopädie, vom 24. Januar 2018) sowie die Berichte des Zentrums E.________ vom 7. April und 7. Juli 2016. Ausgehend von der grundsätzlichen Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit hat die Vorinstanz durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG i.V.m. Art. 28a Abs. 1 IVG) für die Zeit vom 1. Juli 2016 (frühest möglicher Rentenbeginn; Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG) bis 22. September 2016 und ab Mitte Dezember 2016 bzw. Mitte März 2017 (Art. 88a Abs. 1 IVG) einen Invaliditätsgrad von höchstens 32 % ermittelt, was für den Anspruch auf eine Rente nicht ausreicht (Art. 28 Abs. 2 IVG). Für den Zeitraum dazwischen ist sie von einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % ausgegangen. Dementsprechend hat sie die angefochtene Verfügung bestätigt, mit welcher dem Versicherten ab 1. September 2016 eine bis 31. März 2017 befristete ganze Rente zugesprochen worden war.
4.
Der Beschwerdeführer rügt, die Aktenbeurteilung des RAD bilde keine rechtsgenügliche Grundlage für die Festsetzung der gesundheitlich bedingt noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit. Die rechtsprechungsgemässen Voraussetzungen, um allein darauf abzustellen, seien nicht gegeben. Sodann bestreitet er die Verwertbarkeit seiner Restarbeitsfähigkeit.
5.
5.1.
5.1.1. Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und wenn die Schlussfolgerungen des Arztes begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232).
5.1.2. Nach der Rechtsprechung ist es zulässig, im Wesentlichen oder einzig auf versicherungsinterne medizinische Unterlagen abzustellen. In solchen Fällen sind an die Beweiswürdigung jedoch strenge Anforderungen in dem Sinne zu stellen, dass bei auch nur geringen Zweifeln an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der ärztlichen Feststellungen ergänzende Abklärungen vorzunehmen sind (BGE 142 V 58 E. 5.1 S. 64; 122 V 157 E. 1d S. 162).
5.1.3. Selbst nicht auf eigenen Untersuchungen beruhende Berichte und Stellungnahmen regionaler ärztlicher Dienste können beweiskräftig sein, sofern ein lückenloser Befund vorliegt und es im Wesentlichen nur um die Beurteilung eines an sich feststehenden medizinischen Sachverhalts geht, mithin die direkte fachärztliche Befassung mit der versicherten Person in den Hintergrund rückt (Urteile 9C_822/2017 vom 19. Februar 2018 E. 4.1.1-2 und 9C_25/2015 vom 1. Mai 2015 E. 4.1 mit Hinweisen).
5.2.
5.2.1. Die einzige ausführliche Aktenbeurteilung des RAD erfolgte durch den Allgemeinmediziner Dr. med. C.________ im Bericht vom 11. Mai 2017. Die Vorinstanz hat diesem Umstand keine die Beweiskraft mindernde Bedeutung beigemessen. Zur Begründung hat sie angeführt, die über die nötige fachliche Qualifikation verfügende Orthopädin Dr. med. B.________ habe in ihrer Aktennotiz vom 10. Mai 2017 das Zumutbarkeitsprofil formuliert, welches von Dr. med. C.________ im Bericht vom 11. Mai 2017 wiedergegeben werde. Dies ändert indessen nichts daran, dass der Verfasser der Aktenbeurteilung kein Facharzt war, wie der Beschwerdeführer einwendet. Es kommt dazu, dass unklar ist, auf welchen Grundlagen, insbesondere aufgrund welcher Befunde Dr. med. B.________ das Zumutbarkeitsprofil festlegte, was umso schwerer wiegt, als (auch) sie keine eigene Untersuchung vorgenommen hatte.
5.2.2. Sodann ergibt sich aus den Feststellungen in E. 4.2 des angefochtenen Entscheids, dass nach der Knieoperation vom 11. Januar 2016 erstmals im Bericht des Zentrums E.________ vom 7. Juli 2016 eine Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit (100 % bei reiner Bürotätigkeit, sitzend) festgehalten wurde. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, es überzeuge daher nicht, dass der Kreisarzt der SUVA, Facharzt für Chirurgie, im Bericht vom 20. Juni 2016 über die Untersuchung vom 15. Juni 2016 festhielt, es könne mit Blick auf die noch erforderliche Behandlung der Schulter zum jetzigen Zeitpunkt kein provisorisches Zumutbarkeitsprofil erstellt werden, ist unhaltbar, soweit damit ohne Weiteres der Einschätzung der behandelnden Ärzte gefolgt werden wollte. Vielmehr lag eine Diskrepanz vor, und es konnte insofern nicht von einem an sich feststehenden medizinischen Sachverhalt ausgegangen werden, welcher die direkte fachärztliche Befassung mit dem Versicherten in den Hintergrund gerückt hätte (E. 5.1.3). Im Übrigen bestreitet der Beschwerdeführer, wie schon im Einwand gegen den Vorbescheid, mangels Ausbildung und Erfahrung im kaufmännischen Bereich ohne Umschulung für sitzende Büroarbeiten einsetzbar zu sein.
5.2.3. Im Kontext von Bedeutung ist weiter der Bericht des Zentrums E.________ vom 27. Juni 2016. Darin wurde u.a. folgende Diagnose gestellt: "Anterosuperiorer Konflkt, Tendinopathie der langen Bizepssehne und degenerative SLAP-Läsion, Tendinopathie der Supraspinatussehne, kleines Oberrandganglion der Subscapularissehne und symptomatische AC-Gelenksarthrose". Die orthopädischen Fachärzte hielten fest, es bestehe eine unter konservativen Massnahmen nicht mehr tolerierbare Schmerzsituation. Eine Operationsindikation sei gegeben. Der Eingriff könne durchgeführt werden, sobald der Befund von Seiten des Meniskus des rechten Knies bekannt sei bzw. eine allfällige Therapie abgeschlossen sei und der Patient keine Gehstöcke mehr benötige. Der Bericht vom 27. Juni 2016 wurde in der Aktenbeurteilung des Dr. med. C.________ vom 11. Mai 2017 nicht erwähnt, er ist indessen für die Arbeitsfähigkeit, insbesondere das Zumutbarkeitsprofil ab 1. Juli 2016 (frühest möglicher Rentenbeginn; E. 3) bis zum Eingriff vom 22. September 2016 bedeutsam, wie der Beschwerdeführer vorbringt.
5.2.4. In der Stellungnahme vom 24. Januar 2018 bestätigte Dr. med. D.________ die Aktenbeurteilung des Dr. med. C.________ vom 11. Mai 2017. Anlass waren die vom Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren eingereichte Einschätzung des SUVA-Kreisarztes vom 10. September und 25. Oktober 2017 sowie das Ärztliche Zeugnis vom 16. Oktober 2017 und der Bericht vom 18. Oktober 2017 der Orthopädie F.________, welche den zweiten Eingriff am Knie rechts vom 26. Juli 2017 betrafen. Die Vorinstanz hat die Ausführungen des RAD-Orthopäden, namentlich dass sich die von der Klinik attestierte Arbeitsunfähigkeit (100 % bis 28. November 2017) auf den angestammten Beruf beziehe, als schlüssig und überzeugend bezeichnet, ebenso die von der RAD-Orthopädin Dr. med. B.________ am 10. Oktober 2017 angegebene Rehabilitationsphase von 14 Tagen bei derartigen Eingriffen. Wie der Beschwerdeführer vorbringt, persistierten indessen nach dem Eingriff vom 26. Juli 2017 unter Belastung verstärkte Schmerzen, was die Fachärzte der Orthopädie F.________ und auch der SUVA-Kreisarzt auf eine Entzündungsreaktion zurückführten. Sodann waren bereits im Bericht des Zentrums E.________ vom 18. Januar 2017 erneute Beschwerden im Rahmen einer möglichen Meniskopathie oder Re-Ruptur des medialen Hinterhorns sowie vermehrte Schmerzen der bekannten retropatellären Chondropathie erwähnt worden. Sollte sich im Übrigen die von den behandelnden Ärzten jeweils attestierte Arbeitsunfähigkeit lediglich auf die angestammte Tätigkeit als Servicemonteur bezogen haben, wie die Vorinstanz angenommen hat, konnte daraus nicht ohne Weiteres im Umkehrschluss auf eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit in einer dem Belastbarkeitsprofil entsprechenden Tätigkeit geschlossen werden, wie der Beschwerdeführer sinngemäss einwendet.
5.3. Zusammenfassend bestand im Verfügungszeitpunkt eine unklare Aktenlage. Insbesondere wichen die Einschätzungen des SUVA-Kreisarztes, welcher den Versicherten untersucht hatte, und des RAD erheblich voneinander ab. Auf dessen Aktenbeurteilung konnte daher nicht ohne Weiteres abgestellt werden. Der angefochtene Entscheid beruht somit in einem wesentlichen Punkt auf unvollständiger Beweisgrundlage (E. 2). Die Beschwerdegegnerin wird ein fachärztliches Gutachten einzuholen haben und danach über den streitigen Rentenanspruch neu verfügen. Die Beschwerde ist im Eventualstandpunkt begründet.
6.
Bei diesem Ergebnis braucht auf die Vorbringen in der Beschwerde betreffend den vorinstanzlichen Einkommensvergleich und die Frage der Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit im Besonderen nicht eingegangen zu werden.
7.
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 19. September 2018 und die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 23. August 2017 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. März 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Der Gerichtsschreiber: Fessler