BGer 6B_1308/2018 |
BGer 6B_1308/2018 vom 11.04.2019 |
6B_1308/2018 |
Urteil vom 11. April 2019 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Rüedi,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Matt.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Fidel Cavelti,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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1. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
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2. X.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Denise Dornier-Zingg,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Einstellung des Strafverfahrens (Körperverletzung),
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Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 25. Oktober 2018 (AK.2018.253-AK).
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Sachverhalt: |
A. Am 23. Juni 2014 kam es zwischen A.________ und X.________ zu einer tätlichen Auseinandersetzung, wobei sich Ersterer nach eigenen Angaben Schürfwunden im Gesicht sowie eine Prellung des linken Unterkiefers mit Beschädigung eines Backenzahns zugezogen haben soll. Das Untersuchungsamt Gossau stellte das an Hand genommene Verfahren wegen einfacher Körperverletzung, Tätlichkeiten und Sachbeschädigung am 4. Juli 2018 ein. Die dagegen erhobene Beschwerde von A.________ wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 25. Oktober 2018 ab.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, die Sache sei zur Fortsetzung des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft, eventualiter zu neuer Beurteilung an die Anklagekammer zurückzuweisen. Diese verzichtet auf eine Stellungnahme, während sich die Staatsanwaltschaft nicht vernehmen lässt und X.________ die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, beantragt. Anlässlich des weiteren Schriftenwechsels halten A.________ und X.________ an ihren Standpunkten fest.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Dies verlangt grundsätzlich, dass die Privatklägerschaft bereits adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht hat. Bei Nichtanhandnahme oder Einstellung des Strafverfahrens wird auf dieses Erfordernis verzichtet. Im Verfahren vor Bundesgericht muss aber dargelegt werden, weshalb sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann, sofern dies, etwa aufgrund der Natur der untersuchten Straftat, nicht ohne Weiteres aus den Akten ersichtlich ist (BGE 137 IV 246 E. 1.3.1, 219 E. 2.4; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht stellt an die Begründung strenge Anforderungen (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).
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1.2. Der Beschwerdeführer macht Schadenersatzansprüche aufgrund von Arzt- und Zahnarztbesuchen im Nachgang zur beanzeigten Auseinandersetzung gegen den Beschwerdegegner geltend. Aus seinen Ausführungen ergibt sich ohne Weiteres, weshalb sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2. Der Beschwerdeführer kritisierte bereits vorinstanzlich einzig die Verfahrenseinstellung wegen einfacher Körperverletzung betreffend Beschädigung eines Backenzahns.
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2.1. Die Staatsanwaltschaft verfügt nach Art. 319 Abs. 1 StPO unter anderem die vollständige oder teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a); kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b); Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c).
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2.1.1. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch müssen Sachverhaltsfeststellungen in Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen "klar" bzw. "zweifelsfrei" feststehen, so dass im Falle einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint.
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Den Staatsanwaltschaften ist es nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel notwendig. Auch insoweit gilt jedoch, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt "in dubio pro duriore", das heisst der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 und E. 2.3.1; 138 IV 186 E. 4.1, 86 E. 4.1; Urteil 6B_899/2018 vom 2. November 2018 E. 2.1.1).
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2.1.2. Wie die Beweise nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu würdigen sind und ob die Vorinstanz gestützt darauf einen hinreichenden Tatverdacht verneinen durfte, prüft das Bundesgericht nur auf Willkür. Es prüft aber im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Einstellung nicht wie beispielsweise bei einem Schuldspruch, ob die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen willkürlich sind (Art. 97 Abs. 1 BGG), sondern ob die Vorinstanz willkürlich von einer "klaren Beweislage" ausging oder gewisse Tatsachen willkürlich für "klar erstellt" annahm. Dies ist der Fall, wenn offensichtlich nicht gesagt werden kann, es liege ein klarer Sachverhalt vor, beziehungsweise wenn ein solcher Schluss schlechterdings unhaltbar ist. Als Rechtsfrage einer freien Prüfung durch das Bundesgericht zugänglich ist demgegenüber, ob die Vorinstanz die Tragweite des Grundsatzes "in dubio pro duriore" richtig erfasst hat und vom korrekten rechtlichen Begriff des hinreichenden Tatverdachts im Sinne von Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO ausging. Der Grundsatz "in dubio pro duriore" als Rechtsregel ist beispielsweise verletzt, wenn die Vorinstanz in ihren Erwägungen einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, aber aus sachfremden Gründen in Überschreitung ihres Ermessens dennoch keine Anklage erhebt, wenn aus ihren Erwägungen hervorgeht, dass sie den Sachverhalt wie ein urteilendes Gericht frei nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" feststellte oder wenn die Vorinstanz die rechtliche Tragweite des Grundsatzes "in dubio pro duriore" sonstwie verkannt hat (BGE 143 IV 241 E. 2.3.3).
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2.2. |
2.2.1. Die Vorinstanz erachtet gestützt auf die Aussage einer neutralen Zeugin zumindest einen Schlag des Beschwerdegegners gegen das Gesicht des Beschwerdeführers für nicht ausgeschlossen. Ob sie solches zweifelsfrei hätte bejahen müssen, wie der Beschwerdeführer rügt, kann offenbleiben. Es ist nicht ersichtlich, was er daraus für sich ableiten könnte. Die Vorinstanz stellt weder die polizeilich dokumentierten Verletzungen noch die Diagnosen seines ab dem 23. Juni 2014 mehrfach konsultierten Hausarztes grundsätzlich in Frage. Sie erwägt, gemäss Polizeibericht habe der Beschwerdeführer mehrere angetrocknete Kratzer am linken Unterkiefer sowie eine frisch blutende Wunde an der Stirn aufgewiesen. Der Hausarzt habe ein Kontusionstrauma am linken Unterkiefer mit Exkoriationen an Nasenwurzel und Stirn sowie einen gespaltenenen Backenzahn am Unterkiefer diagnostiziert. Auch die Vorinstanz geht mithin von Verletzungen im Bereich des linken Unterkiefers im Nachgang der Auseinandersetzung aus.
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2.2.2. Nach dem vorstehend Gesagten rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass es angesichts des vorinstanzlich postulierten Schlages ins Gesicht sowie der Schürfverletzungen am linken Unterkiefer relativ nahe liegt anzunehmen, auch die vom Hausarzt ereignisnah diagnostizierte Beschädigung eines Backenzahns am linken Unterkiefer stehe mit dem inkriminierten Vorfall im Zusammenhang. Daran ändert nichts, dass diese Diagnose nicht unbedingt in die Zuständigkeit eines Hausarztes fällt. Es ist unbestritten, dass auch die vom Beschwerdeführer am 15. Juli 2014 konsultierten Ärzte der Zahnklinik B.________ eine Fraktur bei Zahn 37 diagnostizierten und ausführten, diese sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den erlittenen Faustschlag zurückzuführen. Soweit die Vorinstanz auf Widersprüchlichkeiten in den zahnärztlichen Unterlagen hinweist, wäre sie bzw. das Untersuchungsamt zudem gehalten gewesen, diese soweit möglich durch Ergänzungsfragen auszuräumen. So ist etwa unklar, ob es sich beim zitierten Verweis auf den einwandfreien Zustand Zahn 47 um einen schlichten Verschreiber handelt. Auch, dass keine Röntgenbilder aktenkundig sind, schadet nicht, zumal der Beschwerdeführer solche offensichtlich zum Beweis offerierte. Ob sich angesichts der Zeitspanne von mehr als drei Wochen zwischen dem Vorfall und dem ersten Zahnarztbesuch ein Kausalzusammenhang mit der tätlichen Auseinandersetzung noch rechtsgenüglich beweisen lässt, obliegt schliesslich nicht dem Urteil der Untersuchungsbehörde. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, es liege ein in tatsächlicher Hinsicht klarer Fall vor, welcher bei einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem Freispruch des Beschwerdegegners führen müsste. Indem die Vorinstanz zu diesem Schluss gelangt, nimmt sie die dem Sachgericht obliegende freie Beweiswürdigung vorweg und verletzt den Grundsatz "in dubio pro duriore". Sie verkennt, dass dieser auch dann zur Anklageerhebung führen muss, wenn sich die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs und einer Verurteilung in etwa die Waage halten, mithin das Risiko besteht, dass das Sachgericht in Anwendung der für den Schuldnachweis im gerichtlichen Verfahren geltenden Prozessmaxime "in dubio pro reo" zu einem Freispruch gelangen kann (Urteil 6B_1356/2016 vom 5. Januar 2018 E. 3.3.3 nicht publ. in BGE 144 I 37).
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3. Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 25. Oktober 2018 ist aufzuheben und die Sache zu weiteren Abklärungen, allenfalls zum Erlass eines Strafbefehls oder zur Anklageerhebung durch das zuständige Untersuchungsamt, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Ausgangsgemäss hat der mit seinen Anträgen unterliegende Beschwerdegegner die Kosten zu tragen, zumal dem Kanton St. Gallen keine Kosten aufzuerlegen sind (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Hingegen haben der Kanton und der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer je hälftig eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 25. Oktober 2018 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurückgewiesen.
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2. Der Beschwerdegegner trägt Gerichtskosten von Fr. 1'500.--.
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3. Der Kanton St. Gallen und der Beschwerdegegner haben den Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren mit je Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 11. April 2019
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Matt
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