BGer 9C_752/2018
 
BGer 9C_752/2018 vom 12.04.2019
 
9C_752/2018
 
Urteil vom 12. April 2019
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Williner.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Olivier Zigerli,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 28. September 2018 (200 18 74 IV).
 
Sachverhalt:
A. Nachdem die IV-Stelle Bern (nachfolgend: IV-Stelle) ein erstes Leistungsbegehren des 1971 geborenen A.________ mit Verfügung vom 31. Oktober 2006 abgewiesen hatte, meldete sich dieser im Mai 2016 erneut an. Die IV-Stelle veranlasste verschiedene Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht; insbesondere veranlasste sie auf Empfehlung des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) und nachdem sie den Versicherten zur kontrollierten Drogenabstinenz aufgefordert hatte je monodisziplinär ein psychiatrisches und ein neuropsychologisches Gutachten (Expertisen vom 20. Juli und vom 31. August 2017). Nach Rücksprache mit dem RAD und durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch (Verfügung vom 13. Dezember 2017; Invaliditätsgrad 23 %).
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 28. September 2018 ab.
C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, es sei ihm unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids ab November 2016 eine halbe Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie unter Wahrung seiner Mitwirkungsrechte ein bidisziplinäres (psychiatrisch-neuropsychologisches) Gutachten einhole.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung; in diese greift das Bundesgericht auf Beschwerde hin nur bei Willkür ein, insbesondere wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche grundlos ausser Acht lässt. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (vgl. zum Ganzen BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53).
2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen im bundesgerichtlichen Verfahren nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Tatsachen oder Beweismittel, die sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereignet haben oder entstanden sind (sog. echte Noven), können nicht durch dieses Erkenntnis veranlasst worden sein und sind deshalb von vornherein unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit Hinweisen; 140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548). Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde sind somit die Telefonnotiz vom 3. Oktober und die Stellungnahme der lic. phil. B.________ vom 18. Oktober 2018 unbeachtlich.
3. Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Invalidenrente hat. Die Vorinstanz hat die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen zu den Begriffen der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG i.V.m.Art. 4 Abs. 1 IVG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zu den bei einer Neuanmeldung des Versicherten analog zur Revision anwendbaren Regeln (Art. 17 ATSG; Art. 87 Abs. 2 f. IVV; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132; 117 V 198 E. 3a S. 198) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Erwägungen zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
4. Die Vorinstanz würdigte die medizinischen Unterlagen eingehend und bejahte aufgrund eines veränderten Gesundheitszustands einen Revisionsgrund. Zur Prüfung der Auswirkungen dieser Veränderung auf den Rentenanspruch stützte sie sich auf das psychiatrische Gutachten der Dr. med. C.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 20. Juli 2017, welches sie als beweiswertig erachtete. Im Gegensatz dazu bezeichnete das kantonale Gericht die neuropsychologische Expertise des lic. phil. D.________, Fachpsychologe für Neuropsychologie FSP, vom 31. August 2017 als nicht schlüssig und sprach ihr den Beweiswert ab. Zur Begründung führte es aus, die neuropsychologischen Testresultate, welche gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung für sich allein nicht ausreichten, um Diagnosen zu stellen und Arbeitsfähigkeiten zu beurteilen, seien nicht überprüf- und nachvollziehbar und würden sich nicht schlüssig in die anderen Abklärungsergebnisse einfügen. Zudem mangele es ihnen schon deshalb an der nötigen Aussagekraft, weil der Beschwerdeführer am Untersuchungstag kein Ritalin eingenommen habe.
Gestützt auf die psychiatrische Expertise der Dr. med. C.________, wonach der Beschwerdeführer (mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit) einzig an einer unter Ritalin weitgehend regredienten ADHS im Erwachsenenalter (ICD-10 Ziff. F90.0) leidet und in einer angepassten Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig ist, ermittelte die Vorinstanz einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 31 %.
5. Der Beschwerdeführer wendet ein, die neuropsychologische Expertise des lic. phil. D.________ füge sich in die Abklärungsergebnisse des psychiatrischen Gutachtens der Dr. med. C.________ ein. Deren Beweiswert werde auch nicht dadurch geschmälert, dass der Beschwerdeführer allenfalls am Untersuchungstag kein Ritalin eingenommen habe. Beide monodisziplinären Gutachten würden die jeweiligen fachärztlichen Beurteilungen wiedergeben und seien unabhängig voneinander zu berücksichtigen, wobei im Ergebnis auf das fundiert begründete neuropsychologische Gutachten abzustellen sei. Indem die Vorinstanz einzig auf das psychiatrische Gutachten abgestellt habe, seien zudem die Beweiswürdigungsregeln gemäss Art. 61 lit. c ATSG und der Anspruch auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt worden.
5.1. Anders als die Beschwerde vermuten lässt, stehen sich hier nicht zwei gleichwertige, aber sich widersprechende monodisziplinäre fachärztliche Beurteilungen gegenüber, die im Rahmen der Beweiswürdigung "unabhängig voneinander" zu berücksichtigen sind. So handelt es sich bei der Expertise des lic. phil. D.________ um keine Beurteilung eines Facharztes, sondern lediglich um eine Zusatzuntersuchung eines Neuropsychologen (vgl. dazu nachfolgend E. 5.3). Die in diesem Zusammenhang gerügten Verletzungen der Beweiswürdigungsregeln sowie des Anspruchs auf ein faires Verfahren zielen bereits deshalb ins Leere.
5.2. Die vorinstanzliche Feststellung, der Beschwerdeführer habe gemäss lic. phil. D.________ am Tag der neuropsychologischen Untersuchung kein Ritalin eingenommen, ist für das Bundesgericht verbindlich (vgl. E. 1.1 hievor). Dasselbe gilt für den Schluss, es sei evident, dass die neuropsychologischen Testresultate schlechter bzw. die kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen erheblich grösser ausgefallen seien, als sie unter der Wirkung der indizierten Medikation ausgefallen wären. Inwiefern dieser mit gutachterlichen Aussagen untermauerte Schluss oder die diesem zugrunde liegenden Feststellungen offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig sein sollen (vgl. E. 1.2 hievor), ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer macht denn auch gar nicht geltend, er habe - entgegen seinen damaligen Ausführungen gegenüber dem Gutachter - am Tag der neuropsychologischen Untersuchung Ritalin eingenommen. Er beschränkt sich vielmehr auf den unverfänglichen Hinweis, die fehlende Medikation sei nicht mittels Blut- oder Urintests belegt.
Wie das kantonale Gericht richtig erwogen hat, ist der Aussagegehalt und letztlich der Beweiswert der neuropsychologischen Expertise mit Blick auf das eben Dargelegte empfindlich gestört. Daran ändert der Einwand nichts, lic. phil. D.________ hätte die Begutachtung verschoben, wäre er von einer Auswirkung der fehlenden Medikation ausgegangen. Der Beschwerdeführer lässt ausser Acht, dass die Abgabe von Ritalin eine ärztliche Aufgabe ist. Der Neuropsychologe wies denn auch darauf hin, er könne die kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen (er ging im Ergebnis von einer Einschränkung der qualitativen Leistungsfähigkeit von etwa 50 % aus) nicht eindeutig zuordnen.
5.3. Fehlt der neuropsychologischen Begutachtung des lic. phil. D.________ der Beweiswert, fragt sich, ob sich diesbezüglich weitere Abklärungen, wie etwa die eventualiter beantragte bidisziplinäre psychiatrisch-neuropsychologische Begutachtung, aufdrängen. Der angefochtene Entscheid äussert sich dazu nicht explizit.
Es ist grundsätzlich Aufgabe des psychiatrischen Facharztes, die Arbeitsfähigkeit unter Berücksichtigung allfälliger neuropsychologischer Defizite einzuschätzen. Eine neuropsychologische Abklärung stellt lediglich eine Zusatzuntersuchung dar, welche bei begründeter Indikation in Erwägung zu ziehen ist (vgl. Urteile 9C_566/2017 vom 20. November 2017 E. 2.1 und 9C_338/2016 vom 21. Februar 2017 E. 5.4; je mit Hinweis auf Ziff. 4.3.2.2 der Qualitätsleitlinien für psychiatrische Gutachten in der Eidgenössischen Invalidenversicherung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie [SGPP] 2016). Eine begründete Indikation in diesem Sinne geht weder aus den Stellungnahmen des RAD vom 6. April und vom 17. Oktober 2017 noch aus der unbestritten beweiskräftigen psychiatrischen Expertise der Dr. med. C.________ hervor. Während der RAD die Zusatzuntersuchung ohne jede Begründung (monodisziplinär) empfahl, wies die psychiatrische Gutachterin immerhin darauf hin, möglicherweise werde das zusätzlich in Auftrag gegebene neuropsychologische Gutachten näher Auskunft geben, inwieweit die kognitive Leistung durch das ADHS und inwieweit durch die Psychose beeinträchtigt sei. Dass sie eine solche Testung für angezeigt hielt, lässt sich daraus aber ebenfalls nicht ableiten. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass Dr. med. C.________ bei entsprechender Indikation die Testergebnisse in ihre Beurteilung hätte einfliessen lassen wollen und sie deshalb Vorbehalte angebracht hätte. Sie verneinte aber vorbehaltlos jegliche aktuellen Hinweise auf ein psychotisches Erleben und vermochte eine der klinisch beobachteten, multifaktoriellen Einschränkung der kognitiven und sozialen Fähigkeiten geschuldete Leistungseinschränkung konkret mit 20 % zu beziffern.
5.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass die psychiatrische Expertise der Dr. med. C.________ eine schlüssige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit erlaubt. Weitere Abklärungen, namentlich die eventualiter beantragte bidisziplinäre (psychiatrisch-neuropsychologische) Expertise sind nicht angezeigt. Mit Blick darauf braucht auch nicht beantwortet zu werden, weshalb die IV-Stelle zwei mono- statt eine bidisziplinäre Expertise veranlasst hatte und warum sie nach deren Erstattung keine fachärztliche Stellungnahme zu den für sich allein wenig aussagekräftigen neuropsychologischen Testresultaten einholte.
5.5. Nicht bestritten wird der von der Vorinstanz durchgeführte Einkommensvergleich. Weiterungen dazu erübrigen sich.
6. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. April 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Der Gerichtsschreiber: Williner