BGer 8C_437/2018
 
BGer 8C_437/2018 vom 20.05.2019
 
8C_437/2018
 
Urteil vom 20. Mai 2019
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Grünvogel.
 
Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael B. Graf,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 2. Mai 2018 (UV 2016/27).
 
Sachverhalt:
A. Der gegen Unfallfolgen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch versicherte, 1931 geborene, an einem komplexen Beschwerdebild (u.a. rezidivierende Synkopen ohne Prodromi unklarer Genese; dialysebedürftige Niereninsuffizienz; hypertensive, valvuläre und koronare Herzkrankheit und normokardes Vorhofflimmern) leidende B.________ stürzte während eines stationären Spitalaufenthalts am 14. August 2014 aus dem Rollstuhl. Beim Kopfaufprall erlitt er u.a. eine leichte intracranielle Blutung, was die ihn zu dieser Zeit behandelnden Ärzte im Spital C.________ dazu bewog, die gegen Lungenembolien geführte Therapie (orale Antikoagulation) zwecks Vermeidung einer erneuten intracraniellen Blutung abzusetzen.
Am 27. August 2014 verschlechterte sich der Allgemeinzustand des zwischenzeitig in die Rehaklinik D.________ eingewiesenen B.________ plötzlich und unerwartet. Man entschied sich für ein palliatives Vorgehen, verabreichte an Stelle der bisherigen Medikamente Morphin und stellte die Perionealdialyse ein. Am Folgetag verstarb B.________.
Mit Verfügung vom 15. Juli 2015 lehnte es die Suva ab, A.________ als Witwe des Verstorbenen eine Hinterlassenenrente auszurichten mit der Begründung, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem versicherten Sturzereignis vom 14. August 2014 und dem Tod sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Daran hielt die Suva mit Einspracheentscheid vom 4. Februar 2016 fest.
B. Auf Beschwerde hin hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid in Bejahung einer Teilursächlichkeit des Sturzes vom 14. August 2014 für den am 28. August 2014 eingetretenen Tod auf und wies die Angelegenheit an den Versicherer zurück, damit er über die Ausrichtung der Hinterlassenenrente neu verfüge (Entscheid vom 2. Mai 2018).
C. Die Suva führt dagegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Erwägungen:
1. 
1.1. Da der angefochtene Rückweisungsentscheid als Zwischenentscheid im Sinne von Art. 92 f. BGG der Suva mit der Bejahung der Teilursächlichkeit Vorgaben für den Erlass einer ihres Erachtens rechtswidrigen Verfügung macht, ist auf deren Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ohne weiteres einzutreten. Der hierfür geforderte nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 2 lit. a BGG ist damit evident (Näheres dazu: BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 286 mit Hinweisen).
1.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter Beachtung der Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - nur die geltend gemachten Rügen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
 
2.
2.1. Der Anspruch auf Hinterlassenenrente setzt unter anderem einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tod voraus (Art. 28 UVG; BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112). Bei organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen spielt dabei die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der aus dem natürlichen Kausalzusammenhang sich ergebende Haftung des Unfallversicherers praktisch keine Rolle (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112; 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen).
Für die Bejahung der natürlichen Unfallkausalität genügt eine Teilursächlichkeit (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125), wobei sich die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers auch auf mittelbare bzw. indirekte Unfallfolgen erstreckt (nicht publ. E. 3a des Urteils BGE 127 V 491; SVR 2016 UV Nr. 21 S. 66, 8C_134/2015 E. 5.2.2 mit Hinweis). Mit anderen Worten: Es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen zum Tod geführt hat, der Unfall somit nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Schaden (Tod) entfiele (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181, 402 E. 4.3.1 S. 406; 119 V 335 E. 1 S. 337). Ist der Tod nur teilweise die Folge des Unfalls, sind Invalidenrenten, Integritätsentschädigungen und Hinterlassenenrenten gemäss Art. 36 Abs. 2 UVG angemessen zu kürzen.
2.2. Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 144 V 427 E. 3.2 S. 429).
3. Zu Recht herrscht unter den Parteien Einigkeit darüber, dass die beim Sturz entstandenen Hirnblutungen nicht unmittelbar zum Tod des Versicherten geführt haben. Streitig und näher zu prüfen ist hingegen, ob der Sturz - wie das kantonale Gericht erkannt hat - eine indirekte bzw. mittelbare Teilursache für das Ableben darstellt.
4. Dass das Absetzen der eine Lungenembolie verhindernden oralen Antikoagulation unfallbedingt war, ist unbestritten. Im Streit liegt hingegen, ob sich der Gesundheitszustand des Versicherten am 27. August 2014 tatsächlich infolge aufgetretener Lungenembolie akut verschlechtert hatte und dies letztlich zum Tode geführt hat.
4.1. Dazu führt der den Verstorbenen zuletzt behandelnde Dr. med. E.________, Facharzt für Neurologie und Innere Medizin FMH, Rehaklinik D.________, am 5. November 2014 näher aus, auf Grund der am 27. August 2014 plötzlich aufgetretenen Symptomkombination Schmerz und Atemnot halte er eine Lungenembolie als die wahrscheinlichste Ursache für die damit einhergehende plötzliche und unerwartete Verschlechterung des Allgemeinzustandes; differenzialdiagnostisch komme jedoch ein Herzinfarkt in Frage; woher genau die Schmerzen kamen, habe nicht eindeutig festgestellt werden können; eine Verschlechterung infolge einer Hirnblutung könne hingegen aus dem weiteren Verlauf ausgeschlossen werden, da in diesem Falle weitere neurologische Ausfälle zu erwarten gewesen wären; auf Grund der Vorgeschichte habe der Dienstarzt als Todesursache eine Niereninsuffizienz festgehalten; dies sei durchaus denkbar, da es bei einer ungenügenden Nierenfunktion früher oder später zu einer Erhöhung von Elektrolyten, zu Herzrhythmusstörungen und zu einem Herzstillstand komme; in Absprache mit den Angehörigen des Verstorbenen habe man auf eine Abklärung der unmittelbaren Todesursache verzichtet.
4.2. Frau Dr. med. F.________, Fachärztin für Neurologie FMH, Abteilung Versicherungsmedizin der Suva, hielt am 11. Mai 2015 fest, auf Grund der von Dr. med. E.________ geschilderten Symptomatik gehe auch sie eher von einer Lungenembolie als Ursache für die am 27. August 2014 akut aufgetretene Verschlechterung des Gesundheitszustands aus; eine Hirnblutung schliesse auch sie wegen der fehlenden neurologischen Ausfallsymptome aus; als Ursache der allenfalls aufgetretenen Lungenembolie sei ein Zusammenspiel der sturzbedingten Beendigung der oralen Antikoagulation mit Einfluss auf die Blutgerinnung und der Immobilisation zu vermuten; eine Aussage zur effektiven Todesursache könne sie indessen (mangels durchgeführter Autopsie) mit dem erforderlichen Beweisgrad nicht tätigen; vielmehr bleibe alles hypothetisch.
4.3. Prof. Dr. med. G.________, Facharzt für Neurologie FMH, Neurozentrum H.________, bezeichnet in seinem Aktengutachten vom 19. Juli 2016 das Sturzereignis vom 14. August 2014 als nicht unerheblich hinsichtlich der Todesursache; ohne das Sturzereignis wären die zur Vermeidung von Lungenembolien verordneten oralen Antikoagulantien nicht abgesetzt worden, was das Risiko einer Lungenembolie erhöht habe; gemäss Aussagen von Dr. med. E.________ sei eine solche Lungenembolie die wahrscheinlichste Ursache für den abrupten Abfall des allgemeinen Gesundheitszustands am 27. August 2014; diese Zustandsverschlechterung habe wiederum zum Entscheid geführt, die Dialyse abzubrechen; danach sei der Tod - der Argumentation der Klinik D.________ folgend - wegen Niereninsuffizienz bei sistierter Dialyse eingetreten.
4.4. Die Vorinstanz liess die Frage, ob der Tod letztlich durch eine Lungenembolie oder eine Niereninsuffizienz eingetreten sei, unbeantwortet, da dies für die Annahme einer mittelbaren Teilkausalität nicht entscheidend sei; massgeblich sei, dass die Kausalkette, wie von Prof. Dr. med. G.________ beschrieben, auch von Dr. med. F.________ als die wahrscheinlichste betrachtet werde; relevant sei, dass der Tod des Versicherten ohne das Sturzereignis überwiegend wahrscheinlich nicht in gleicher Weise bzw. im gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre; anders gesagt könne der Unfall bzw. die damit verursachte Gesundheitsschädigung nicht weggedacht werden, ohne dass auch der am 28. August 2014 eingetretene Tod des Versicherten entfiele; damit sei der Kausalzusammenhang rechtsgenüglich ausgewiesen und der Beschwerdegegnerin eine gestützt auf Art. 36 Abs. 2 UVG (Zusammentreffen verschiedener Schadensursachen) allenfalls zu kürzende Hinterlassenenrente geschuldet.
4.5. Diesen Ausführungen hält die Suva entgegen, weder die Ursache der unerwarteten Zustandsverschlechterung vom 27. August 2014 mit plötzlichen Schmerzen und Atemnot noch jene des Todes vom 28. August 2014 seien medizinisch abgeklärt worden; auf die Durchführung einer Autopsie sei von Seiten der behandelnden Ärzte und der Nachkommen des Verstorbenen verzichtet worden; vielmehr bestünden verschiedene Möglichkeiten; welche sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zugetragen habe, sei nicht erstellt; anderes liesse sich auch nicht den Ausführungen von Prof. Dr. med. G.________ entnehmen, welche ihrerseits auf Mutmassungen der Dres. med. E.________ und F.________ beruhen würden.
4.6. Entscheidend ist, ob sich eine Teilursächlichkeit mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellen lässt. Dies ist vorliegend trotz ausgebliebener Obduktion der Fall. Zwar kann die unmittelbare Todesursache nicht abschliessend bestimmt werden. Genau so wenig kann mit Bestimmtheit die effektive Ursache für die plötzliche Verschlechterung des Gesundheitszustands am 27. August 2014 ermittelt werden. Als in Frage kommende Ursachen für die Gesundheitsverschlechterung nannten die Ärzte indessen übereinstimmend lediglich zwei Möglichkeiten, wovon die Lungenembolie als die wahrscheinlichere bezeichnet wurde. Andere Ursachen schlossen sie dagegen entweder ausdrücklich (Hirnblutung) oder stillschweigend aus. Insoweit ist die Zustandsverschlechterung gemäss den allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen (vgl. E. 2.2 hiervor) überwiegend wahrscheinlich als durch eine Lungenembolie hervorgerufen zu betrachten, welche wiederum dem unfallbedingten Absetzen der oralen Antikoagulantien zuzuschreiben war. Sollte der Versicherte alsdann am Folgetag tatsächlich wegen der Lungenembolie und nicht, wie von ärztlicher Seite wegen der Beendigung der Dialyse als alternative Möglichkeit aufgegriffen, an einer Niereninsuffizienz gestorben sein, wäre damit die mittelbare Teilursächlichkeit des Unfalls für den Tod ohne weiteres gegeben. Wird hingegen der von den Angehörigen wegen des schlechten Allgemeinzustandes getroffene, von den behandelnden Ärzten mitgetragene Entscheid, die Dialyse einzustellen, als die wahrscheinlichere unmittelbare Todesursache betrachtet, ist der Beschwerdeführerin zwar insoweit zu folgen, als sich dieser Entscheid als richtungsweisend für den Tod (zum eingetretenen Zeitpunkt) erweist. Daran ändert aber nichts, dass die Umstände, die zu diesem von ärztlicher Seite getragenen Entscheid geführt haben, zumindest teilweise durch den Unfall mitverursacht worden sind, hätte doch ohne diesen ein solcher Entscheid gar nicht erst gefällt werden müssen. Hätte der Entscheid indessen ohne den Unfall erst gar nicht gefällt werden müssen und erweist er sich als sachlich begründet, kann auch nicht geltend gemacht werden, damit sei die Kausalkette "Unfall - Hirnblutung - Sistierung der Antikoagulation - Zustandsverschlechterung (Lungenembolie) - Tod" unterbrochen worden. Vielmehr ist sie für den Fall, dass der Tod nicht unmittelbar durch die Lungenembolie, sondern durch Niereninsuffizienz eingetreten ist, um die Glieder "Entscheid Einstellung Dialyse - Niereninsuffizienz - Tod" zu erweitern. Für andere unmittelbare Todesursachen finden sich in den Akten keine Hinweise. Ebenso wenig wird Derartiges behauptet. Damit erweist sich der vorinstanzliche Entscheid als rechtens.
5. Die Gerichtskosten sind in Nachachtung von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG ausgangsgemäss der Beschwerdeführerin zu überbinden. Der Beschwerdegegnerin steht gemäss Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG eine Parteientschädigung zu.
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung III, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. Mai 2019
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Der Gerichtsschreiber: Grünvogel