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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
1C_537/2018
Urteil vom 28. Mai 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Muschietti,
Gerichtsschreiberin Gerber.
Verfahrensbeteiligte
Gemeinde Ittigen,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch den Gemeinderat,
gegen
Regierungsrat des Kantons Bern,
handelnd durch die Justiz-, Gemeinde-
und Kirchendirektion des Kantons Bern.
Gegenstand
Raumplanungsbericht 2018
(Ergänzung des Inventars der Fruchtfolgeflächen 2018),
Beschluss des Regierungsrats des Kantons Bern
vom 29. August 2018 (RRB 913/2018).
Sachverhalt:
A.
Im Kanton Bern besteht seit 1984 ein Inventar der Fruchtfolgeflächen (FFF). Nachdem sich zeigte, dass die im Inventar ausgewiesenen FFF nicht reichten, um den vom Bund im Sachplan FFF verlangten Kantonsanteil zu gewährleisten, wurden 2010 die Arbeiten für eine Ergänzung des Inventars um zusätzliche Flächen begonnen. Hierfür führte der Kanton 2014 eine Konsultation der Gemeinden durch. Die bestrittenen Zusatzflächen wurden 2015 als "unbereinigte Zusatzflächen" in das Inventar FFF aufgenommen und einer zweiten Prüfung unterzogen; deren Ergebnisse wurden den betroffenen Gemeinden im September 2017 unterbreitet.
Die Gemeinde Ittigen hatte mit Vernehmlassungsantwort vom Dezember 2014 auf die spezielle planerische Situation der FFF im Bereich der Zonen mit Planungspflicht (ZPP) L "Ittigenfeld" und M "Chasseralstrasse" hingewiesen; diese Zonen seien bereits aufgelegt, von der Gemeindeversammlung aber zurückgestellt worden. Überdies kritisierte sie die Aufnahme einer Zusatzfläche auf Parzelle Nr. 3733, weil diese teilweise die Qualitätskriterien des Bundes für FFF nicht erfülle. Mit Schreiben vom 15. November 2017 beantragte sie, die Flächen ZPP L und M seien aus dem Inventar der Fruchtfolgeflächen zu entlassen und von der Aufnahme einer Zusatzfläche auf Parzelle Nr. 3733 sei abzusehen.
B.
Am 29. August 2018 nahm der Regierungsrat des Kantons Bern den Vortrag der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern (JGK) zur Ergänzung des Inventars FFF zur Kenntnis und beschloss, die mit den Gemeinden bereinigten Zusatzflächen (278 ha) in das Inventar in die Kategorie "Fruchtfolgeflächen ausserhalb Bauzonen" aufzunehmen. Die im Inventar FFF als unbereinigte Zusatzflächen bezeichneten Flächen, welche gemäss erfolgter Überprüfung die Kriterien für FFF nicht erfüllten, seien aus dem Inventar zu entlassen.
Mit Schreiben vom 12. September 2018 teilte das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) der Gemeinde Ittigen mit, dass die von ihr bestrittene Zusatzfläche unverändert in der Kategorie "unbereinigte Zusatzflächen" verbleibe. Dem Antrag auf Entlassung der bestehenden FFF im Bereich der geplanten kommunalen Siedlungserweiterungs-/Entwicklungsgebiete ZPP L "Ittigenfeld" und ZPP M "Chasseralstrasse" aus dem Inventar habe nicht entsprochen werden können, weil dies nicht Gegenstand der Anpassung des Inventars gewesen sei.
C.
Daraufhin hat die Gemeinde Ittigen am 12. Oktober 2018 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt:
"1. Der Beschluss des Regierungsrates vom 29. August 2018 über die Anpassung des Inventars Fruchtfolgeflächen sei aufzuheben.
2. Und es sei festzustellen,
a) dass es sich beim Inventar der Fruchtfolgeflächen des Kantons Bern nicht um einen Sach- oder Richtplan im Sinne von Art. 57 BauG handelt und
b) dass die Hinweiskarte des Inventars der Fruchtfolgeflächen des Kantons Bern für den Raum Ittigen bundesrechtswidrig sei.
3a. Das bundesrechtswidrige Inventar der Fruchtfolgeflächen des Kantons Bern für den Raum Ittigen sei aufzuheben.
3b. Eventualiter: Derjenige Teil, nämlich die Hinweiskarte des Inventars der Fruchtfolgeflächen des Kantons Bern für den Raum Ittigen, der bundes rechtswidrig ist, sei aufzuheben."
D.
Die JGK beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) beantragt ebenfalls Beschwerdeabweisung.
In ihrer Replik stellt die Gemeinde Ittigen in Aussicht, ihre Beschwerde zurückzuziehen, sollte die JGK die Befreiung der Gebiete der ZPP M und L von der Kompensationspflicht gemäss Art. 8b Abs. 4 des Berner Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG/BE; BSG 721.0) explizit bestätigen. Es erfolgte jedoch keine Reaktion der JGK.
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts; die Beschwerde steht grundsätzlich gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen offen (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Gemeinden sind beschwerdeberechtigt, wenn sie die Verletzung ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie rügen (Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG) oder wenn sie sich auf die allgemeine Beschwerdebefugnis nach Art. 89 Abs. 1 BGG berufen können.
Vorliegend stellt die Beschwerdeführerin verschiedene Aufhebungs- und Feststellungsanträge, die sich auf den Beschluss des Regierungsrats über die Anpassung des Inventars FFF bzw. das Inventar FFF als Ganzes beziehen. Die Gemeinde begründet ihr Rechtsschutzinteresse indessen nur hinsichtlich gewisser Teilflächen dieses Inventars:
1.1. Sie macht in erster Linie eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend, weil der Regierungsrat die (schon früher inventarisierten) FFF im Bereich der geplanten ZPP M und L nicht aus dem Inventar entlassen habe. Durch die Belassung dieser Flächen im Inventar werde deren Einzonung verunmöglicht, verfüge die Gemeinde doch nicht über die (gemäss Art. 8b Abs. 4 BauG/BE) nötigen Kompensationsflächen. Dies stehe im Widerspruch zum kantonalen Richtplan und zum Regionalen Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzept Bern-Mittelland, wonach es sich um "Vorranggebiete Siedlungsentwicklung Wohnen" handle.
Wie bereits das AGR in seinem Schreiben vom 12. September 2018 mitgeteilt hat, war die Überprüfung der bereits als "FFF ausserhalb Bauzonen" inventarisierten Flächen nicht Gegenstand der Inventaranpassung: Diese betraf vielmehr nur die Ergänzung des Inventars mit den 2014 identifizierten und 2015 vorläufig (als "unbereinigte Zusatzflächen") aufgenommenen Flächen.
Die bereits inventarisierten FFF wurden nicht überprüft und bildeten insofern auch nicht Gegenstand des Regierungsratsbeschlusses vom 29. August 2018. Damit hat der Regierungsrat den Antrag der Gemeinde Ittigen, das Verfahren auf die bereits früher inventarisierten FFF im Bereich der ZPP L und M auszudehnen und diese aus dem Inventar zu entlassen, stillschweigend abgewiesen. Dies wurde der Gemeinde mit Schreiben des AGR vom 12. September 2018 mitgeteilt. Es handelt sich insoweit um einen individuellen (nur die Gemeinde Ittigen betreffenden) und konkreten Entscheid (betreffend zwei inventarisierte Flächen), der als Verfügung zu qualifizieren ist.
Diese Verfügung kann von der Gemeinde grundsätzlich mit Autonomiebeschwerde vor Bundesgericht angefochten werden (Art. 82 lit. a und Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG), sofern der kantonale Rechtsweg ausgeschöpft wurde (vgl. dazu unten E. 2).
1.2. Abgelehnt wurde auch der Antrag der Gemeinde, einen Teil der Parzelle Nr. 3773, der 2015 als "unbereinigte Zusatzfläche" provisorisch ins Inventar aufgenommen worden war, vollständig aus dem Inventar zu entlassen. Die kantonalen Behörden waren der Auffassung, dieser Parzelle komme im südöstlichen Teil FFF-Qualität zu. Aus dem Inventar entlassen wurde deshalb nur der nordwestliche Spickel; der Rest der Teilfläche verblieb in der Kategorie "unbereinigte Zusatzflächen".
Hinsichtlich dieser Teilfläche begründet die Gemeinde indessen nicht, weshalb sie vollständig aus dem Inventar hätte entlassen werden müssen. Sie macht weder Ausführungen zur FFF-Qualität des streitigen Parzellenteils, noch nennt sie planerische Gründe für die Inventarentlassung. Insofern kann daher auf die Beschwerde mangels Begründung nicht eingetreten werden (Art. 42 Abs. 2 und 106 Abs. 2 BGG).
1.3. Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus die Aufhebung des Inventars FFF für den Raum Ittigen oder gar für den gesamten Kanton beantragt, d.h. für inventarisierte Flächen, deren Entlassung sie nicht beantragt hatte, fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse. Dies gilt auch, soweit sie mittels Feststellungsanträgen die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen anstrebt (insbesondere zur Rechtsnatur des Inventars FFF oder zur Bundesrechtskonformität der Hinweiskarte). Auf diese Anträge kann daher nicht eingetreten werden.
2.
Näher zu prüfen ist daher im Folgenden nur, ob die Gemeinde unmittelbar mit Beschwerde vor Bundesgericht die Aufhebung des regierungsrätlichen Beschlusses verlangen kann, soweit dieser ihren Antrag auf Entlassung der Teilflächen ZPP L und M bzw. auf deren Überprüfung (stillschweigend) abgewiesen hat.
2.1. Gemäss Art. 86 BGG setzen die Kantone als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts obere Gerichte ein (Abs. 2). Für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter können sie anstelle eines Gerichts eine andere Behörde einsetzen (Abs. 3).
In Übereinstimmung mit den Materialien legen Lehre und Rechtsprechung die in Art. 86 Abs. 3 BGG enthaltene Ausnahme vom kantonalen Gerichtszugang restriktiv aus (BGE 136 II 436 E. 1.2 S. 438 f.; 136 I 42 E. 1.5 S. 45 f. mit weiteren Hinweisen). Der Begriff des vorwiegend politischen Charakters ist namentlich durch die mangelnde Justiziabilität sowie die spezielle Ausgestaltung der demokratischen Mitwirkungsrechte und die damit verbundenen Aspekte der Gewaltenteilung geprägt (Urteile 2C_885/2011 vom 16. Juli 2012 E. 2.2.3.2; 8C_103/2010 vom 19. August 2010 E. 1.3). Art. 86 Abs. 3 BGG soll den Kantonen insbesondere die Möglichkeit einräumen, nicht justiziable, politisch bedeutsame Verwaltungsakte des Parlaments von der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung auszunehmen (BGE 136 II 436 E. 1.2 S. 439). Der politische Charakter eines Entscheids muss offensichtlich sein und allfällige rechtlich schutzwürdige Interessen als nebensächlich erscheinen lassen (BGE 141 I 172 E. 4.4.1 S. 180; 136 I 42 E. 1.5.4 S. 46; je mit Hinweisen).
2.2. Wie die JGK in ihrer Vernehmlassung darlegt, werden im Berner Inventar FFF alle Flächen ausserhalb der Bauzonen erfasst, welche die bundesrechtlichen Qualitätsanforderungen an FFF (Bodenqualität, Höhenlage, etc.) erfüllen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann im Streitfall ohne weiteres von einem Gericht überprüft werden.
Gleiches gilt aber auch, wenn - wie vorliegend - geltend gemacht wird, das Inventar verletze die Gemeindeautonomie, weil es eine angestrebte, richtplankonforme Nutzungsplanung negativ präjudiziere: Auch dies ist keine politische, sondern eine Rechtsfrage, die der gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (vgl. Urteil 1C_479/2018 vom 31. Januar 2019 E. 3.2, in: AJP 2019 S. 475). Das kantonale Recht bestimmt, ob und inwiefern der Gemeinde bei der Einzonung von FFF Autonomie zusteht und inwiefern der Kanton diese bei der Richt- und Sachplanung bzw. im Inventar FFF berücksichtigen muss.
2.3. Ist Art. 86 Abs. 3 BGG somit nicht anwendbar, muss der angefochtene Beschluss von einem oberen kantonalen Gericht überprüft werden, bevor dagegen Beschwerde an das Bundesgericht erhoben werden kann (Art. 86 Abs. 2 und 3 BGG). Hierfür kommt nur das Verwaltungsgericht des Kantons Bern in Betracht.
Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten und die Sache zuständigkeitshalber an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zu überweisen (Art. 30 Abs. 2 BGG).
Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG) und keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. Die Streitsache wird dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern zum Entscheid überwiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen.
3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Regierungsrat des Kantons Bern und dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 28. Mai 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Die Gerichtsschreiberin: Gerber