BGer 6B_805/2018 |
BGer 6B_805/2018 vom 06.06.2019 |
6B_805/2018 |
Urteil vom 6. Juni 2019 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Bundesrichter Rüedi,
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nebenamtliche Bundesrichterin Koch,
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Gerichtsschreiberin Bianchi.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch
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Rechtsanwältin Angelika Häusermann,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Hohlstrasse 552, 8090 Zürich,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Stationäre Massnahme (Nachverfahren),
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
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des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 12. Juni 2018 (UH170398-O/U/BUT).
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Sachverhalt: |
A. Am 15. März 2017 hob das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich die gegen X.________ mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 7. April 2016 angeordnete ambulante Massnahme auf.
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B. Mit Beschluss vom 9. November 2017 nahm das Bezirksgericht Zürich Kenntnis von der Aufhebung der ambulanten Massnahme und ordnete den Vollzug der ursprünglich zugunsten der ambulanten Massnahme aufgeschobenen Freiheitsstrafe von 12 Monaten gemäss Urteil vom 7. April 2016 an.
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C. Gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Zürich erhob X.________ Beschwerde mit dem Antrag, der Vollzug der Freiheitsstrafe sei zugunsten einer ambulanten Massnahme aufzuschieben, eventualiter sei die Strafe bedingt, subeventualiter teilbedingt auszusprechen. Auf Aufforderung des Obergerichts des Kantons Zürich an die Parteien hin, sich zur allfälligen Anordnung einer stationären Massnahme zu äussern, beantragte X.________, von einer solchen sei abzusehen.
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Am 12. Juni 2018 hiess das Obergericht die Beschwerde von X.________ teilweise gut und ordnete eine stationäre Suchtbehandlung an. Den Vollzug der Freiheitsstrafe von 12 Monaten gemäss Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 7. April 2016 schob es wiederum auf.
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D. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, der Beschluss des Obergerichts vom 12. Juni 2018 sei betreffend Ziffern 1 (stationäre Suchtbehandlung, Aufschub der Freiheitsstrafe zugunsten der Massnahme) und 3 (Entschädigung der amtlichen Verteidigung) aufzuheben und an das Obergericht zurückzuweisen. Eventualiter sei der Beschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 9. November 2017 zu bestätigen und die Freiheitsstrafe von 12 Monaten zu vollziehen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen gemäss Ausgang des Verfahrens. Allfällige ihr aufzuerlegende Kosten seien wegen Uneinbringlichkeit abzuschreiben. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und ihre Rechtsvertreterin als unentgeltliche Rechtsvertreterin beizuordnen. Weiter sei ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen. Mit Eingabe vom 31. Mai 2019 reichte sie für das bundesgerichtliche Verfahren eine Honorarnote von Fr. 4'365.85 ein.
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Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 6. Juni 2019 in einer öffentlichen Sitzung beraten.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Anordnung der stationären Massnahme verstosse gegen das Verbot der "reformatio in peius" nach Art. 391 Abs. 2 StPO, Art. 3 Abs. 2 lit. a und c StPO, Art. 5 Abs. 3 BV, Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Sie habe im Rechtsmittelverfahren keine solche Massnahme beantragt. Sie vollziehe lieber die zwölfmonatige Freiheitsstrafe als die stationäre Massnahme von unbestimmter Dauer.
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1.2. Im zu beurteilenden Fall hat bloss die Beschwerdeführerin den Beschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 9. November 2017 beim Obergericht des Kantons Zürich angefochten, weshalb das Verschlechterungsverbot (Verbot der "reformatio in peius") gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO gilt. Danach darf die Rechtsmittelinstanz Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten oder verurteilten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten.
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1.3. |
1.3.1. Wird die ambulante Behandlung wegen Aussichtslosigkeit (Art. 63a Abs. 2 Bst. b StGB), Erreichen der gesetzlichen Höchstdauer (Art. 63a Abs. 2 Bst. c StGB) oder Erfolglosigkeit (Art. 63a Abs. 3 StGB) aufgehoben, so ist die aufgeschobene Freiheitsstrafe zu vollziehen (Art. 63b Abs. 2 StGB). An Stelle des Strafvollzugs kann das Gericht eine stationäre therapeutische Massnahme nach den Artikeln 59-61 StGB anordnen, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer, mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen (Art. 63b Abs. 5 StGB). Nach Aufhebung einer ambulanten Massnahme kann an deren Stelle auch eine andere ambulante Massnahme angeordnet werden (BGE 143 IV 1 E. 5.4 S. 4 mit Hinweisen). Schliesslich ist die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme selbst nach vollständiger Verbüssung der Strafe noch möglich, wobei hierfür strenge Voraussetzungen gelten (BGE 144 IV 113 E. 4.6 S. 119 mit Hinweis).
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1.3.2. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung verstösst die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme im Rechtsmittelverfahren nicht gegen das Schlechterstellungsverbot ("reformatio in peius") nach Art. 391 Abs. 2 StPO. Stationäre Behandlungen können zwar deutlich länger dauern als eine schuldangemessene Strafe; der Gesetzgeber hat jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Behandlung des Betroffenen Vorrang haben soll (BGE 144 IV 113 E. 4.3 S. 116 ff. mit Hinweisen).
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1.3.3. Es besteht kein Anlass, von der Rechtsprechung abzuweichen. Auch wenn es im vorliegenden Verfahren anders als in BGE 144 IV 113 nicht um die erstmalige Anordnung einer Massnahme geht, sondern um ein nachträgliches Verfahren nach Art. 363 ff. StPO, gelten die im erwähnten Leitentscheid genannten Überlegungen auch hier. Die Vollzugsbehörden haben die ursprünglich angeordnete ambulante Massnahme, zu deren Gunsten der Vollzug der Freiheitsstrafe aufgeschoben wurde, wegen Aussichtslosigkeit rechtskräftig aufgehoben (Art. 63a Abs. 2 lit. b StGB), womit nach Massgabe von Art. 63a über die Folgen der Aufhebung insgesamt zu entscheiden war. Die von der Vorinstanz in der Folge angeordnete stationäre Suchtbehandlung nach Art. 60 StGB greift gleichermassen in die Freiheitsrechte der Beschwerdeführerin ein, wie der Vollzug der Freiheitsstrafe selbst, da der Beschwerdeführerin in beiden Fällen die Freiheit entzogen wird. Zwar trifft es zu, dass die mit der stationären Suchtbehandlung einhergehende Freiheitsbeschränkung länger dauern kann als die 12-monatige Freiheitsstrafe, denn die maximale Dauer dieser Massnahme beträgt in der Regel drei Jahre, mit Verlängerungsmöglichkeit auf maximal sechs Jahre (Art. 60 Abs. 4 StGB). Mit der Anordnung der stationären Suchtbehandlung ist jedoch nicht von vornherein gesagt, wie lange diese tatsächlich dauern bzw. dass sie die aufgeschobene Freiheitsstrafe überdauern wird. Immerhin prüfen die Behörden jährlich, ob die betroffene Person zu entlassen ist (Art. 62d Abs. 1 StGB). Abgesehen davon ist die potentiell mögliche Dauer der Massnahme für die Beurteilung des Verbots der "reformatio in peius" nicht entscheidend. Vielmehr ist das Ziel massgebend, welches mit der Massnahme verfolgt wird. Die Behandlung der Suchterkrankung liegt im Interesse des Betroffenen, womit die Grundlage geschaffen werden soll, damit er nicht rückfällig wird. Daneben wird mit einer stationären Massnahme dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung getragen. Die Massnahme wird damit unter anderem auch im Interesse der verurteilten Person angeordnet. Sie hat Vorrang vor einer Bestrafung (BGE 144 IV 113 E. 4.3 S. 116 f. mit Hinweisen). Das Schlechterstellungsverbot steht der Aussprechung einer stationären Massnahme im Rechtsmittelverfahren auch bei nachträglichen Verfahren im Sinne von Art. 363 StPO nicht entgegen.
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1.3.4. Soweit die Beschwerdeführerin zusammen mit der Rüge der Verletzung des Verbots der "reformatio in peius" weitere Normen anruft, so das Gebot von Treu und Glauben nach Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO, den Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung nach Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO sowie den Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK, kommt diesen keine selbständige Bedeutung zu. Die Rügen der Beschwerdeführerin erweisen sich im Übrigen als nicht stichhaltig. Die Vorinstanz hat sie ausdrücklich auf die in Aussicht genommene Möglichkeit einer stationären Massnahme hingewiesen und sie hierzu angehört. Mit dem vorliegenden Verfahrensausgang war daher zu rechnen, zumal die Beschwerdeführerin selbst eine (ambulante) Massnahme beantragt hatte. Es hätte ihr freigestanden, diesen Verfahrensausgang mittels Rückzugs des Rechtsmittels abzuwenden. Dass die Vorinstanz ihrem Antrag nicht folgte, begründet keine Verletzung von Bundesrecht. Die Beschwerdeführerin bringt auch nichts vor, was die angeordnete stationäre Massnahme als rechtswidrig erscheinen liesse. Sie geht vielmehr selbst von einer Therapiebedürftigkeit aus, ohne aber aufzuzeigen, dass und weshalb sie nun, anders als vormals, willens sein soll, die ambulante Therapie selbsttätig anzugehen, namentlich die vereinbarten Termine jeweils einzuhalten. Auch eine wesentliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands gegenüber den Feststellungen gemäss psychiatrischem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich vom 15. Oktober 2010 behauptet sie nicht. Eine allfällige Verletzung von Art. 56 Abs. 3 StGB, indem die Vorinstanz auf ein neuerliches Gutachten verzichtete, ist daher mit Blick auf die Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nicht zu prüfen. Gleiches gilt für die Rechtmässigkeit der Anordnung einer stationären Massnahme unter dem Gesichtspunkt des Anklageprinzips.
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2. |
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe die das Honorar der amtlichen Verteidigung unter Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO und unter Verletzung des Anspruchs auf Behandlung nach Treu und Glauben nach Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO festgesetzt. Sie habe die Vorinstanz darum ersucht, ihr vor dem Entscheid eine Frist zur Einreichung der Kostennote anzusetzen. Stattdessen habe ihr die Vorinstanz den Pauschalbetrag von Fr. 1'500.-- zugesprochen. Der geleistete Aufwand sei angesichts des zur Diskussion stehenden Freiheitsentzuges und der stationären Massnahme viel höher gewesen.
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2.2. Die Festsetzung der Entschädigung der amtlichen Verteidigung richtet sich nach Art. 135 StPO. Rechtsgrundlage bildet das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen dem Kanton und dem von ihm ernannten Vertreter. Die Festsetzung der Höhe der Entschädigung betrifft grundsätzlich nur die Interessen des amtlichen Rechtsbeistands. Er ist zur Beschwerdeerhebung befugt und kann die Honorarfestsetzung persönlich und in eigenem Namen anfechten (Art. 135 Abs. 3 StPO). Die amtlich vertretene Partei ist durch eine behaupteterweise zu tief festgesetzte amtliche Entschädigung nicht betroffen und nicht zur Rüge der Erhöhung der Entschädigung befugt (BGE 140 IV 213 E. 1.4 S. 215). Die Beschwerdeführerin ficht die Festsetzung des Honorars ihres amtlichen Vertreters indes in eigener Person an. Hierzu ist sie nicht legitimiert. Im Übrigen ist für Beschwerden gegen die im kantonalen Rechtsmittelverfahren zugesprochene Entschädigung das Bundesstrafgericht zuständig (BGE 140 IV 213 E. 1.7 S. 216 mit Hinweisen; Urteil 6B_115/2017 vom 6. September 2017 E. 3). Auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.
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Im Übrigen ist die Rüge unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin verstösst die pauschale Festsetzung des Honorars im Rechtsmittelverfahren nicht gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren und gegen das Gebot von Treu und Glauben. Beschwerdeverfahren werden stets schriftlich behandelt (Art. 397 Abs. 1 StPO), weshalb die Beschwerdeführerin gehalten war, mit der Beschwerde selbst die bisherigen Aufwendungen für die amtliche Verteidigung zu beziffern. Hinzu kommt, dass die amtliche Verteidigung nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt wird, in dem das Strafverfahren geführt wurde (Art. 135 Abs. 1 und 2 StPO). Nachdem es sich um ein kantonales Verfahren handelt, ist vorliegend der kantonale Anwaltstarif massgebend (vgl. BGE 139 IV 261 E. 2.2.4 S. 264 mit Hinweis). Das Bundesgericht überprüft die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür (vgl. Art. 95 BGG; BGE 144 IV 136 E. 5.8 S. 143 mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge erhebt die Beschwerdeführerin nicht. Darauf ist nicht einzutreten.
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3. Dem prozessualen Antrag der Beschwerdeführerin auf einen zweiten Schriftenwechsel ist angesichts der klaren bundesgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich sämtlicher gerügter Punkte nicht stattzugeben. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Indessen ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gutzuheissen und es sind keine Kosten zu erheben (Art. 64 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin Angelika Häusermann als unentgeltliche Rechtsvertreterin beizuordnen. Diese ist aus der Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen (Art. 64 Abs. 2 BGG). Es besteht keine Veranlassung, vorliegend von den üblichen Ansätzen abzuweichen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
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3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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4. Rechtsanwältin Angelika Häusermann wird aus der Bundesgerichtskasse ein amtliches Honorar von Fr. 3'000.-- ausgerichtet.
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5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 6. Juni 2019
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Bianchi
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