Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
6B_544/2019
Urteil vom 24. Juni 2019
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Weber.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Kathrin Gruber,
Beschwerdeführer,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Aufhebung einer stationären therapeutischen Massnahme (Art. 62d StGB), Verletzung des Beschleunigungsgebots,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 1. April 2019 (SK 19 44).
Sachverhalt:
A.
Das Obergericht des Kantons Bern sprach X.________ am 24. Juni 2014 in Bestätigung des Urteils des Kollegialgerichts Bern-Mittelland vom 27. September 2013 wegen qualifizierter Erpressung, versuchter qualifizierter Erpressung, mehrfacher versuchter Nötigung, mehrfacher Freiheitsberaubung, einfacher Körperverletzung zum Nachteil eines Wehrlosen und Raubes schuldig. Es verurteilte ihn unter Berücksichtigung der rechtskräftigen erstinstanzlichen Schuldsprüche wegen mehrfacher versuchter Erpressung, Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, teilweise mengenmässig qualifiziert begangen, sowie Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 6½ Jahren und einer Busse von Fr. 200.--. Es ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme gemäss Art. 59 StGB an.
Die gegen das obergerichtliche Urteil erhobene Beschwerde von X.________ hiess das Bundesgericht am 8. April 2015 teilweise gut. Es wies die Sache zur Abklärung der Frage, ob das psychiatrische Gutachten vom 17. April 2012 von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erstellt wurde und damit rechtsgenügend im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist, und gegebenenfalls zur Einholung eines neuen Gutachtens zur Neubeurteilung an das Obergericht zurück (Urteil 6B_884/2014).
B.
Das Obergericht sprach X.________ am 7. Juni 2017 nach Einholung eines neuen forensisch-psychiatrischen Gutachtens erneut wegen qualifizierter Erpressung, versuchter qualifizierter Erpressung, mehrfacher versuchter Nötigung, mehrfacher Freiheitsberaubung, einfacher Körperverletzung zum Nachteil eines Wehrlosen sowie Raubes schuldig. Es verurteilte ihn in Berücksichtigung der erstinstanzlichen Schuldsprüche zu einer Freiheitsstrafe von 6½ Jahren und einer Busse von Fr. 200.--. Es ordnete wiederum eine stationäre therapeutische Massnahme gemäss Art. 59 StGB an und stellte fest, dass diese am 2. Oktober 2012 vorzeitig angetreten worden ist.
Am 18. Januar 2018 wies das Bundesgericht die von X.________ gegen das obergerichtliche Urteil vom 7. Juni 2017 geführte Beschwerde in Strafsachen ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 6B_1287/2017).
C.
Die Bewährungs- und Vollzugsdienste des Kantons Bern (nachfolgend: BVD) stellten am 16. Februar 2018 beim Regionalgericht Bern-Mittelland Antrag auf Verlängerung der angeordneten Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB. Das kantonale Zwangsmassnahmengericht ordnete am 18. April 2018 auf Antrag des Regionalgerichts Sicherheitshaft per 2. Oktober 2017 an und befristete diese bis zum 1. Juni 2018. Es verlängerte die Sicherheitshaft am 24. Mai 2018 bis zum 24. Juli 2018.
Das Regionalgericht verlängerte am 12. Juni 2018 die stationäre therapeutische Massnahme Art. 59 Abs. 4 StGB zufolge um fünf Jahre, rückwirkend ab dem 2. Oktober 2017. Dagegen erhob X.________ Beschwerde.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde verlängerte das Obergericht am 12. September 2018 die stationäre therapeutische Massnahme gemäss Art. 59 StGB bis am 31. März 2019.
Die gegen das obergerichtliche Urteil erhobene Beschwerde von X.________ hiess das Bundesgericht am 17. Januar 2019 teilweise gut, da das Verlängerungsverfahren zu früh eingeleitet wurde. Es wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück (Urteil 6B_1023/2018).
D.
Am 15. Juni 2018 beantragte X.________ bei den BVD, die stationäre therapeutische Massnahme sei aufzuheben, welchen Antrag diese mit Verfügung vom 28. Juni 2018 abwiesen. Die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (nachfolgend: POM) hob die Verfügung auf Beschwerde von X.________ hin am 9. Januar 2019 teilweise auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die BVD zurück.
Dagegen erhob X.________ am 28. Januar 2019 Beschwerde beim Obergericht, welches die Beschwerde am 1. April 2019 abwies, soweit es darauf eintrat.
E.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, die stationäre therapeutische Massnahme sei aufzuheben und er sei in Freiheit zu entlassen. Es sei die Rechtswidrigkeit des Freiheitsentzugs seit dem 24. Juli 2018 festzustellen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeschrift ist in Französisch abgefasst, was zulässig ist (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG). Das Verfahren vor Bundesgericht wird in der Regel jedoch in der Sprache des angefochtenen Entscheids, mithin auf Deutsch geführt (vgl. Art. 54 Abs. 1 BGG).
2.
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Aufrechterhaltung der stationären therapeutischen Massnahme. Zur Frage der Anfechtbarkeit des vorinstanzlichen Beschlusses macht er eine Rechtsverweigerung nach Art. 94 BGG geltend. Der Entscheid der POM die Sache zu neuer Entscheidung an die BVD zurückzuweisen, statt selber zu entscheiden, verletze das Beschleunigungsgebot. Der angefochtene Beschluss bewirke einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil. Da er nicht massnahmewillig sei, sei die stationäre therapeutische Massnahme klar aussichtslos und müsse deshalb laut Art. 62c Abs. 1 StGB sofort aufgehoben werden. Eine Anhörung durch die Konkordatliche Fachkommission (nachfolgend: KoFako) sei unnötig. Sein Freiheitsentzug sei seit dem 24. Juli 2018 rechtswidrig. Die Gutheissung seiner Beschwerde führe zudem sofort einen Endentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG herbei.
2.2. Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen auch Entscheide über den Vollzug von Strafen und Massnahmen (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG). Sie ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, die das Verfahren abschliessen (Art. 80 und Art. 90 BGG).
Nach Art. 93 Abs. 1 BGG ("Andere Vor- und Zwischenentscheide") ist gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide die Beschwerde in Strafsachen zulässig, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).
Die selbständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden bildet aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 139 IV 113 E. 1 S. 115 mit Hinweis). Die Ausnahme ist restriktiv zu handhaben, zumal die Parteien keine Rechte verlieren, wenn sie einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG nicht selbständig anfechten, da sie ihn mit dem Endentscheid anfechten können, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG; BGE 140 V 321 E. 3.6 S. 326 f.; 133 IV 288 E. 3.2 S. 292). Es obliegt dem Beschwerdeführer, detailliert darzutun, dass die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich ist (BGE 141 III 80 E. 1.2 S. 81 mit Hinweis).
Laut Art. 94 BGG kann gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren Entscheids Beschwerde geführt werden.
2.3. Verfahrensgegenstand bildet der angefochtene Beschluss vom 1. April 2019, in welchem die Vorinstanz die (kantonale) Beschwerde abwies und in materieller Hinsicht prüfte, ob die Rückweisung der Sache durch die POM an die BVD korrekt gewesen war. Soweit die Rügen des Beschwerdeführers über diesen Verfahrensgegenstand hinausgehen, ist darauf nicht einzutreten.
Daraus, dass die POM die Beschwerde teilweise guthiess und die Sache zu neuer Entscheidung in Sinne der Erwägungen an die BVD zurückwies, statt reformatorisch zu entscheiden, resultiert entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers keine Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 94 BGG. Der Entscheid der POM ist nicht Anfechtungsobjekt seiner Beschwerde an das Bundesgericht. Auch der Entscheid der Vorinstanz begründet keine unrechtmässige Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung. Die Vorinstanz hat rund zwei Monate nach seiner kantonalen Beschwerde einen unter den Voraussetzungen von Art. 90 ff. BGG mit Beschwerde in Strafsachen anfechtbaren Entscheid gefällt. Dies gilt ebenso für die Anträge des Beschwerdeführers, auf welche sie nicht eintrat. Folglich kann der Beschwerdeführer seine Beschwerdelegitimation nicht auf Art. 94 BGG stützen.
In Konsequenz des Beschlusses der Vorinstanz, in welchem diese die (kantonale) Beschwerde gegen den Entscheid der POM abweist, wäre die Sache zu neuer Entscheidung an die BVD zurückweisen. Somit ist der angefochtene Beschluss kein verfahrensabschliessender Endentscheid, sondern ein selbständig eröffneter Zwischenentscheid gemäss Art. 93 BGG.
Der Beschwerdeführer ist entgegen seinem Standpunkt auch nicht gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG zur Beschwerde legitimiert. Dies unabhängig davon, ob er bezogen auf lit. a dieser Bestimmung zumindest sinngemäss genügend dartut, der angefochtene Beschluss bewirke aufgrund seines Freiheitsentzugs einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil.
Die Vorinstanz erwägt, die Anträge des Beschwerdeführers gingen über den Streitgegenstand hinaus und tritt in der Folge nur teilweise auf die (kantonale) Beschwerde ein. Im Verfahren vor der POM, so die Vorinstanz, sei die Rechtmässigkeit der Haft seit dem 24. Juli 2018 kein Thema gewesen. Die Vorinstanz könne daher weder diese überprüfen noch den Beschwerdeführer sofort frei lassen. Ob die stationäre therapeutische Massnahme sofort aufzuheben sei, sei ebenfalls nur beschränkt Beschwerdegegenstand. Angesichts der Abweisung der Beschwerde habe die Vorinstanz nur zu prüfen, ob die Rückweisung der Sache durch die POM an die BVD korrekt gewesen sei (vgl. angefochtener Beschluss, E. I. 6. S. 3 f.). Materiell erwägt die Vorinstanz, die POM habe die Sache richtigerweise an die BVD zurückgewiesen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei noch nicht erwiesen, ob die stationäre therapeutische Massnahme aussichtslos sei und die BVD hätten sich diesbezüglich noch nicht festgelegt. Da der Beschwerdeführer eine Tat im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB begangen habe, sei gemäss Art. 62d Abs. 2 StGB vor der Aufhebung der Massnahme die KoFako anzuhören. Erst danach könnten die BVD einen Entscheid fällen. Die POM habe sodann korrekterweise festgehalten, es hätten sich während der Dauer des bei ihr hängigen Beschwerdeverfahrens relevante Veränderungen der Sachlage ergeben. Die Sache sei nicht entscheidungsreif, weil weitere Beweismassnahmen durchzuführen seien, die besser von der sachnäheren Behörde getätigt werden könnten (angefochtener Beschluss, E. III. 8.7 und E. III. 9. S. 9 f.).
Inwiefern diese Auffassung der Vorinstanz Bundesrecht verletzt, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist nicht ersichtlich. Dem Beschwerdeführer kann insbesondere nicht gefolgt werden, wenn er vorbringt, die Massnahme sei klarerweise aussichtslos und von der POM reformatorisch aufzuheben gewesen, weil er sich einer Therapie verweigere. Ein Minimum an Willen, sich einer Therapie zu unterziehen sowie diese nicht kategorisch abzulehnen, bildet unerlässliche Voraussetzung für das Gelingen einer Massnahme und muss nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts erwartet werden dürfen (Urteil 6B_359/2018 vom 11. Mai 2018 E. 1.3 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer bestreitet alsdann nicht, dass sich während des Beschwerdeverfahrens bei der POM relevante Veränderungen der Sachlage ergeben hätten. Ferner ist auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz trotz fehlendem entsprechendem Streitgenstand erwähnt, dass die Haft des Beschwerdeführers nicht illegal sei (vgl. angefochtener Beschluss, E. III. 9. S. 10). Das Bundesgericht hielt bereits im Beschwerdeverfahren 6B_1023/2018 fest, die Fünfjahresfrist (vgl. Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB) der mit dem Entscheid vom 7. Juni 2017 rechtskräftig angeordneten stationären therapeutischen Massnahme laufe noch bis zum 6. Juni 2022 (Urteil 6B_1023/2018 vom 17. Januar 2019 E. 1.4). Damit besteht aktuell ein gültiger Rechtstitel für den Freiheitsentzug des Beschwerdeführers.
3.
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Ausgangsgemäss trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten, zumal sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen ist. Seinen finanziellen Verhältnissen ist bei der Kostenbemessung Rechnung zu tragen (Art. 64 Abs. 1 und 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. Juni 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Weber