Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
9C_839/2018
Urteil vom 28. Juni 2019
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
handelnd durch seine Mutter, und diese
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt,
Beschwerdeführer,
gegen
EGK Grundversicherungen AG,
Brislachstrasse 2, 4242 Laufen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Krankenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus
vom 15. November 2018 (VG.2018.00092).
Sachverhalt:
A.
Der 2000 geborene A.________ lebt zu Hause, wo er unter anderen von seiner Mutter als Angestellte der X.________ GmbH betreut und gepflegt wird. Er ist bei der EGK Grundversicherungen AG obligatorisch krankenpflegeversichert. Mit Verfügung vom 26. Juni 2018 leistete der Krankenversicherer Kostengutsprache für 50 Stunden im Monat für die ambulante Pflege zu Hause durch die Mutter des Versicherten in der Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2018. Mit Einspracheentscheid vom 14. August 2018 sprach die EGK Grundversicherungen AG A.________ zusätzlich zu den 50 Stunden Grundpflege im Monat einmalig 101 Minuten für Massnahmen der Abklärung und Beratung zu.
B.
Die Beschwerde des A.________ mit dem Antrag, der Einspracheentscheid vom 14. August 2018 sei aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die EGK Grundversicherungen AG zurückzuweisen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 15. November 2018 ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts vom 15. November 2018 sei aufzuheben; die EGK Grundversicherungen AG sei zu verpflichten, die beantragten Pflegeleistungen (868 Stunden für Massnahmen der Grundpflege gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2018) zu vergüten oder die Sache sei im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die EGK Grundversicherungen AG beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, eventualiter die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer bringt erstmals vor Bundesgericht vor, seine Mutter habe als Folge der Pflege und Betreuung von ihm einen Erwerbsausfall erlitten. Darauf ist nicht einzugehen (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. auch Urteil 9C_43/2012 vom 12. Juli 2012 E. 4.2, in: SVR 2013 KV Nr. 3 S. 6). Der geltend gemachte Vergütungsanspruch aufgrund der Rechtsfigur der Austauschbefugnis (vgl. dazu Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 574 Rz. 541) ist nicht hinreichend substanziiert (E. 2).
1.2. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, er habe ein schützenswertes Interesse an der Feststellung, "in welchem Umfang er gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV versichert" sei. Soweit er dieses Rechtsbegehren ausdrücklich "nicht zuletzt" im Hinblick auf die Koordination mit dem Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung (vgl. Art. 42quater ff. IVG) sowie die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten im Rahmen der Ergänzungsleistungen (vgl. Art. 14 Abs. 1 lit. b ELG) ab Eintritt der Mündigkeit im September 2018 stellt, ist es neu und daher unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG; BGE 136 V 362 E. 4.2 S. 367). Im Übrigen kommt dem Feststellungsbegehren im Rahmen des Leistungsstreits keine selbständige Bedeutung zu.
2.
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem wegen Verletzung von Bundesrecht erhoben werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig [wie die Beweiswürdigung willkürlich; BGE 142 II 433 E. 4.4 S. 444] ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; zur Rüge- und Begründungspflicht der Parteien Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG sowie BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176 und BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und E. 1.4.2 S. 254).
3.
Streitgegenstand bildet die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem zeitlichen und finanziellen Umfang die von der Mutter des Beschwerdeführers als Angestellte der X.________ GmbH in den Monaten Januar bis März 2018 erbrachten Leistungen (Nr. 10005-10007 und Nr. 10016 gemäss RAI-HC [Resident Assessement Instrument - Homecare]) durch die Beschwerdegegnerin als obligatorischer Krankenpflegeversicherer zu vergüten sind.
4.
Die Vorinstanz hat die streitige Frage im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Bei den Leistungen Nr. 10005 (Erarbeiten und Einüben einer angepassten Tagesstruktur), Nr. 10006 (Trainieren der sozialen Kontaktaufnahme und der Gestaltung von Beziehungen), Nr. 10007 (Aktivitätsaufbau) und Nr. 10016 (Unterstützung beim Einsatz von Orientierungshilfen und Sicherheitsmassnahmen) gemäss dem RAI-HC handle es sich um solche der psychiatrischen Grundpflege nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV. Dabei sei unerheblich, ob dem Beschwerdeführer eine somatische oder eine psychiatrische Diagnose gestellt worden sei. Für die psychiatrische Pflege verfüge die X.________ GmbH über keine Zulassung im Sinne von Art. 51 KVV, weshalb eine Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung bereits aus diesem Grund ausser Betracht falle. Nach der Rechtsprechung seien sodann nur Massnahmen der relativ einfachen Grundpflege oder der Grundpflege in einfachen Situationen, welche von ungelernten Familienangehörigen erbracht werden, vergütungsfähig (unter anderem unter Hinweis auf das Urteil 9C_597/2007 vom 19. Dezember 2007 E. 3). Die psychiatrische Grundpflege falle nicht darunter, da sie sich regelmässig komplexer gestalte. Das Erfordernis der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistung nach Art. 32 Abs. 1 KVG sowie das bestehende Missbrauchspotenzial verlangten, dass solche Leistungen durch Fachpersonal erbracht werden. Mithin könnten lediglich von der Mutter erbrachte Leistungen der somatischen Grundpflege nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden.
5.
Der Beschwerdeführer bringt vor, es liege keine psychiatrische Diagnose mit Selbst- oder Fremdgefährdung vor. Er verstehe sich jedenfalls nicht als psychiatrisch, sondern ausschliesslich als somatisch krank. Aufgrund seiner somatischen Krankheit sei er ebenfalls auf Massnahmen zur Überwachung und Unterstützung in der grundlegenden Alltagsbewältigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV angewiesen. Es sei daher unzutreffend, in Bezug auf die Verrichtungen, soweit die Leistungen Nr. 10005-10007 und Nr. 10016 gemäss RAI-HC betroffen sind, von psychiatrischer Grundpflege auszugehen und die X.________ GmbH insoweit nicht als zugelassenen Leistungserbringer anzuerkennen.
6.
6.1. Nach Art. 7 KLV gelten als Leistungen nach Artikel 33 Buchstaben b KVV Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die aufgrund der Bedarfsabklärung nach Absatz 2 Buchstabe a und nach Artikel 8 auf ärztliche Anordnung hin oder im ärztlichen Auftrag namentlich von Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause (Art. 51 KVV) erbracht werden (Abs. 1 Ingress und lit. b). Zu diesen Leistungen gehören nach Abs. 2 Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination (lit. a), der Untersuchung und der Behandlung (lit. b) sowie der Grundpflege (lit. c) : Allgemeine Grundpflege bei Patienten oder Patientinnen, welche die Tätigkeiten nicht selber ausführen können, wie Beine einbinden, Kompressionsstrümpfe anlegen; Betten, Lagern; Bewegungsübungen, Mobilisieren; Dekubitusprophylaxe, Massnahmen zur Verhütung oder Behebung von behandlungsbedingten Schädigungen der Haut; Hilfe bei der Mund- und Körperpflege, beim An- und Auskleiden, beim Essen und Trinken (Ziff. 1); Massnahmen zur Überwachung und Unterstützung psychisch kranker Personen in der grundlegenden Alltagsbewältigung, wie: Erarbeitung und Einübung einer angepassten Tagesstruktur, zielgerichtetes Training zur Gestaltung und Förderung sozialer Kontakte, Unterstützung beim Einsatz von Orientierungshilfen und Sicherheitsmassnahmen (Ziff. 2). Die Abklärung, ob Massnahmen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV durchgeführt werden sollen, muss von einer Pflegefachfrau oder einem Pflegefachmann (Art. 49 KVV) vorgenommen werden, die oder der eine zweijährige praktische Tätigkeit in der Fachrichtung Psychiatrie nachweisen kann (Art. 7 Abs. 2bis lit. b KLV).
Die Leistungen Nr. 10005-10007 und Nr. 10016 gemäss RAI-HC (zu dessen Bedeutung BGE 136 V 172 E. 4.3.3 S. 178) sind Massnahmen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV (vgl. E. 4).
6.2.
6.2.1. Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV gilt nach seinem Wortlaut lediglich für psychisch kranke Personen. Die Entstehungsgeschichte dieser Verordnungsbestimmung zeigt, dass damit "die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 2 lit. a, b und c Ziff. 1 KLV auf psychisch beeinträchtigte Personen sichergestellt" und "darüber hinaus eine Kostenübernahmepflicht für besondere Massnahmen bei psychisch Erkrankten statuiert werden" sollte (BGE 131 V 178 E. 2.2.3 S. 186 unten). Nach dem Normzweck umfasst das Leistungsspektrum von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV in gleicher Weise wie Ziff. 1 (alle) Verrichtungen, "welche der Überwachung und Unterstützung psychisch erkrankter Personen bei der Alltagsbewältigung dienen (...). Dabei geht es vorab darum, dass die psychisch erkrankte Person die alltäglichen Lebensverrichtungen wieder selbst zu besorgen vermag ('Hilfe zur Selbsthilfe') " (BGE 131 V 178 E. 2.2.3 in fine S. 187). Nicht verlangt ist, dass die Massnahmen die grundlegenden Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung verbessern müssen. In vielen Fällen muss es genügen, dass die Bewältigung des Alltags mit Hilfe möglich bleibt, indem die Selbstpflege gefördert und unterstützt und eine - gesundheitsgefährdende - Selbstvernachlässigung verhindert wird. Dementsprechend können unter Umständen die Aufforderung etwa in Form von Anleitungen und Ermunterungen dazu, bestimmte alltägliche Lebensverrichtungen (vollständig oder zeitgerecht) auszuführen, als Massnahmen der Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV versichert sein. Dies gilt insbesondere, wenn es der versicherten Person dadurch ermöglicht wird, (weiterhin) in ihrem eigenen Zuhause zu wohnen (Urteil 9C_528/2012 vom 20. Juni 2013 E. 5.4.4.1).
6.2.2. Massnahmen nach Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 KLV sind psychiatrischer Natur. Daran ändert die Art der zugrunde liegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung (körperlich, geistig oder psychisch) nichts. Daraus folgt, dass die betreffende Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. e KVG und Art. 51 KVV für die Erbringung von psychiatrischen Leistungen zugelassen sein muss, was auf die X.________ GmbH im interessierenden Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2018 unbestrittenermassen nicht zutrifft. Ohne Fachpersonal war sie auch nicht in der Lage, die Qualität und Zweckmässigkeit der Verrichtungen der Mutter des Beschwerdeführers, welche selber nicht über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte, durch entsprechende intensive Überwachung und Betreuung zu gewährleisten (vgl. Urteil 9C_187/2019 vom 18. April 2019 E. 3.3.1-2 und E. 5.1 mit Hinweisen [zur Publikation vorgesehen] zu Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV). Schliesslich bestehen keine Anhaltspunkte, dass eine Evaluation im Sinne von Art. 7 Abs. 2bis lit. b KLV stattgefunden hatte. Damit fällt eine Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung für die von der Mutter des Beschwerdeführers als Angestellte der X.________ GmbH in den Monaten Januar bis März 2018 erbrachten Leistungen (Nr. 10005-10007 und Nr. 10016 gemäss RAI-HC) ausser Betracht.
6.3. Der angefochtene Entscheid verletzt somit kein (Bundes-) Recht. Die Beschwerde ist unbegründet.
7.
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 28. Juni 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Der Gerichtsschreiber: Fessler