Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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1B_85/2019
Urteil vom 8. August 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Kneubühler, Muschietti,
Gerichtsschreiber Härri.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Laura Jetzer,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl,
Büro S-4, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.
Gegenstand
Strafverfahren; Entsiegelung,
Beschwerde gegen das Urteil des Bezirksgerichts Zürich,
Zwangsmassnahmengericht, vom 28. Januar 2019
(GM180045-L/U).
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führt eine Strafuntersuchung gegen den rumänischen Staatsangehörigen A.________. Sie wirft ihm vor, in Zürich mit entwendeten Kreditkarten Einkäufe und Bargeldbezüge getätigt zu haben.
Am 15. Oktober 2018 durchsuchte die Polizei das Hotelzimmer von A.________. Dabei stellte sie zwei Mobiltelefone sicher. Gleichentags führte sie mit A.________ in Anwesenheit seiner Verteidigerin eine Einvernahme durch. Am 16. Oktober 2018 befragte ihn die Staatsanwaltschaft ebenfalls in Anwesenheit seiner Verteidigerin. Am 17. Oktober 2018 stellte die Verteidigerin den Antrag auf Siegelung der beiden Mobiltelefone. Dem entsprach die Staatsanwaltschaft.
Am 26. Oktober 2018 ersuchte die Staatsanwaltschaft das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich darum, die beiden Mobiltelefone zu entsiegeln.
Mit Urteil vom 28. Januar 2019 hiess das Zwangsmassnahmengericht das Gesuch gut und gab die beiden Mobiltelefone der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung und weiteren Verwendung in der Strafuntersuchung frei. Es befand, A.________ habe den Siegelungsantrag verspätet gestellt.
B.
Mit von ihm selbst in französischer Sprache verfasster, undatierter Eingabe an das Bundesgericht, bei diesem am 22. Februar 2019 eingegangen, erhebt A.________ "Opposition" gegen das Urteil des Zwangsmassnahmengerichts. Er beantragt die Gewährung der aufschiebenden Wirkung und weist darauf hin, seine Anwältin werde sich ebenfalls äussern und seine Anträge näher begründen.
Mit Eingabe vom 26. Februar 2019 reicht Rechtsanwältin Laura Jetzer im Namen von A.________ Beschwerde in Strafsachen ein mit dem Antrag, das Urteil des Zwangsmassnahmengerichts aufzuheben und die Sache an dieses zur neuen Beurteilung zurückzuweisen.
C.
Das Zwangsmassnahmengericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
D.
Mit Verfügung vom 19. März 2019 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 54 Abs. 1 BGG wird das bundesgerichtliche Verfahren in einer der Amtssprachen geführt, in der Regel in der Sprache des angefochtenen Entscheids. Von dieser Regel abzuweichen besteht hier kein Grund. Das bundesgerichtliche Urteil ergeht deshalb in deutscher Sprache, auch wenn der Beschwerdeführer die von ihm selbst verfasste Eingabe in französischer Sprache eingereicht hat.
2.
Gegen das angefochtene Urteil ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO und Art. 80 Abs. 2 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da er rechtlich geschützte Geheimnisinteressen hinreichend substanziiert anruft, kann ihm das angefochtene Urteil einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verursachen (BGE 143 IV 462 E. 1 S. 465; Urteil 1B_427/2018 vom 11. Februar 2019 E. 1.2 mit Hinweisen). Die Beschwerde ist daher auch insoweit zulässig. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Staatsanwaltschaft habe innert 20 Tagen kein den gesetzlichen Vorgaben nach Art. 248 Abs. 2 StPO genügendes Entsiegelungsgesuch gestellt.
3.2. Gemäss Art. 248 StPO sind Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Abs. 1). Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben (Abs. 2). Stellt sie ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet darüber innerhalb eines Monats endgültig im Vorverfahren das Zwangsmassnahmengericht (Abs. 3 lit. a).
3.3. Nach der Rechtsprechung darf das Gericht der Staatsanwaltschaft eine kurze Nachfrist zur Behebung von Unklarheiten im Entsiegelungsgesuch ansetzen. So darf das Gericht die Staatsanwaltschaft insbesondere auffordern, den hinreichenden Tatverdacht (Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO) zu verdeutlichen. Es wäre übertrieben formalistisch, wenn das Gericht das Entsiegelungsgesuch abweisen müsste, obwohl die Staatsanwaltschaft allfällige Unklarheiten sogleich beheben könnte (BGE 130 II 193 E. 5.2 S. 200 f.; Urteil 1B_424/2013 vom 22. Juli 2014 E. 2, nicht publ. in BGE 140 IV 108).
3.4. Die Staatsanwaltschaft stellte das Entsiegelungsgesuch am 26. Oktober 2018 und damit innerhalb der Frist von 20 Tagen nach Art. 248 Abs. 2 StPO. Am 14. November 2018 setzte das Zwangsmassnahmengericht der Staatsanwaltschaft eine nicht erstreckbare Frist von 10 Tagen an, um ihm Akten und Gegenstände nachzureichen. Dem kam die Staatsanwaltschaft nach. Dieses Vorgehen ist im Lichte der dargelegten Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Wenn es der Staatsanwaltschaft erlaubt ist, ein Entsiegelungsgesuch inhaltlich nachzubessern, muss es ihr erst recht möglich sein, dem Gericht von diesem für die Beurteilung der Sache als notwendig erachtete Akten und Gegenstände nachzureichen. Die Staatsanwaltschaft hat den Anforderungen von Art. 248 Abs. 2 StPO demnach Genüge getan. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.
4.
4.1. Der Beschwerdeführer wendet ein, er habe das Gesuch um Siegelung der beiden Mobiltelefone rechtzeitig gestellt. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz sei bundesrechtswidrig.
4.2. Nach der Rechtsprechung muss ein Siegelungsgesuch sofort gestellt werden (BGE 127 II 151 E. 4c/aa S. 156; Urteile 1B_487/2018 vom 6. Februar 2019 E. 2.4; 1B_48/2017 vom 24. Juli 2017 E. 5; je mit Hinweisen). Ein mehrere Wochen oder Monate nach der vorläufigen Sicherstellung der Aufzeichnungen oder Gegenstände gestelltes Siegelungsgesuch ist grundsätzlich verspätet (Urteil 1B_454/2016 vom 24. Januar 2017 E. 3.1). Demgegenüber kann ein eine Woche danach gestelltes Gesuch gegebenenfalls noch als rechtzeitig angesehen werden (Urteil 1B_91/2016 vom 4. August 2016 E. 5.2 ff.). Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an (Urteil 1B_91/2016 vom 4. August 2016 E. 4.4).
Die Untersuchungsbehörde, welche Aufzeichnungen und Gegenstände vorläufig sicherstellt, hat deren Inhaber anlässlich der Hausdurchsuchung darüber zu informieren, dass er, falls er Geheimnisrechte geltend machen möchte, die einer Durchsuchung bzw. Beschlagnahme der sichergestellten Unterlagen entgegenstehen könnten, deren Siegelung verlangen kann. Ebenso ist der Betroffene darüber in Kenntnis zu setzen, dass nach erfolgter Siegelung (und auf allfälliges Entsiegelungsgesuch der Untersuchungsbehörde hin) der Entsiegelungsrichter über die Zulässigkeit der Durchsuchung entscheidet und dass der Betroffene mangels sofortigen Siegelungsgesuches den Rechtsschutz verwirkt bzw. mit der Durchsuchung der Unterlagen rechnen muss. Die Information des betroffenen Inhabers über seine Verfahrensrechte muss rechtzeitig, das heisst spätestens nach Abschluss der Hausdurchsuchung, und inhaltlich ausreichend erfolgen. Dies gilt besonders bei juristischen Laien. Ein blosser Abdruck von Gesetzesbestimmungen auf der Rückseite der vom Inhaber unterzeichneten Formulare vermag als ausreichende Orientierung des betroffenen Laien über sein Siegelungsrecht regelmässig nicht zu genügen. Die Untersuchungsbehörde hat vielmehr verständliche Informationen (im oben genannten Sinne) rechtzeitig abzugeben. Dass eine solche Information erfolgt sei, hat die Untersuchungsbehörde (aus Rechtssicherheitsgründen und in ihrem eigenen Beweissicherungsinteresse) ausdrücklich und nachvollziehbar zu protokollieren (vgl. Art. 143 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. c StPO). Ohne den Nachweis einer ausreichenden Information des Betroffenen über seine Verfahrensrechte ist eine "konkludente" Einwilligung in die Durchsuchung nicht zu vermuten und liegt kein verspätetes Entsiegelungsgesuch vor (Urteile 1B_91/2016 vom 4. August 2016 E. 4.5; 1B_309/2012 vom 6. November 2012 E. 5.3-5.7, publ. in Pra 2013 Nr. 19 S. 157 ff.).
4.3. Die Staatsanwaltschaft hat dem Bundesgericht auf dessen Verlangen hin die Akten über die Hausdurchsuchung vom 15. Oktober 2018 nachgereicht. Dass der Beschwerdeführer, welcher juristischer Laie ist und die deutsche Sprache nicht beherrscht, dabei über sein Recht auf Siegelung informiert worden wäre, ergibt sich daraus nicht. Der auf der (dem Bundesgericht nicht zugesandten) Rückseite des Protokolls über die Hausdurchsuchung offenbar enthaltene Hinweis auf Art. 248 StPO genügt nach der dargelegten Rechtsprechung insoweit nicht; dies hier umso weniger, als der Beschwerdeführer die Unterzeichnung des Protokolls verweigert hat. Ergibt sich aus den Akten demnach nicht, dass die kantonalen Behörden den Beschwerdeführer rechtzeitig und ausreichend über seine Rechte nach Art. 248 StPO informiert haben, kann diesem daraus, dass er nicht sofort um Siegelung ersucht hat, kein Nachteil entstehen.
Am 15. Oktober 2018 befragte die Polizei den Beschwerdeführer, am Tag darauf die Staatsanwaltschaft. An beiden Einvernahmen war die Verteidigerin anwesend. Dabei war jedoch nie von den beiden Mobiltelefonen die Rede. Von deren Sicherstellung erfuhr die Verteidigerin nach ihren Angaben erst anlässlich ihrer Akteneinsicht vor der Anhörung des Beschwerdeführers durch das Zwangsmassnahmengericht am 17. Oktober 2018. Dass es sich anders verhalten habe, machen die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz nicht geltend. Nach der Akteneinsicht verlangte die Verteidigerin sofort die Versiegelung der beiden Mobiltelefone.
Unter diesen Umständen kann der zwei Tage nach der vorläufigen Sicherstellung erfolgte Siegelungsantrag nicht als verspätet angesehen werden. Die Beschwerde ist insoweit begründet.
5.
Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird von der Rechtzeitigkeit des Siegelungsantrags auszugehen und sich dazu zu äussern haben, ob die vom Beschwerdeführer angerufenen Geheimnisinteressen der Durchsuchung der Mobiltelefone entgegenstehen (BGE 144 IV 74 E. 2.2 S. 77 mit Hinweisen); ebenso dazu, ob - wie der Beschwerdeführer geltend macht - die Hausdurchsuchung unzulässig war (Urteil 1B_519/2017 vom 27. März 2018 E. 3.3 mit Hinweisen).
6.
Der Beschwerdeführer dringt durch. Es werden daher keine Gerichtskosten erhoben ( Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG ). Der Kanton hat der Vertreterin des Beschwerdeführers eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 f. BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit hinfällig.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Zwangsmassnahmengerichts des Bezirks Zürich vom 28. Januar 2019 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat der Vertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Laura Jetzer, eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. August 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Der Gerichtsschreiber: Härri