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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
6B_657/2019
Urteil vom 5. September 2019
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
als präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Traub.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Bösch,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren; Willkür, Unschuldsvermutung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer,
vom 24. April 2019 (SST.2019.2).
Sachverhalt:
A.
X.________ wird vorgeworfen, am 20. August 2017 um ca. 15.30 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Autobahn A3 dem vor ihm fahrenden Fahrzeug von A.________ zwischen der Ausfahrt Brugg und der Verzweigung Birrfeld (bei ca. km 58,7) auf einer Strecke von ca. 500 Metern mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 90 km/h und einem ungenügenden Abstand von 12 Metern hinterhergefahren zu sein.
Das Bezirksgericht Brugg verurteilte X.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren (Art. 90 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV) zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen (Probezeit vier Jahre) und einer Busse von Fr. 700.--. Vom ebenfalls erhobenen Vorwurf der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch brüskes Bremsen sprach ihn das Bezirksgericht frei (Urteil vom 20. September 2018).
B.
X.________ erhob Berufung. Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte das erstinstanzliche Urteil bis auf die Probezeit, die sie auf zwei Jahre ansetzte (Urteil vom 24. April 2019).
C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt einen vollumfänglichen Freispruch. Die kantonalen Verfahrens- und Vertretungskosten seien entsprechend anders zu verlegen.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts, willkürliche Beweiswürdigung sowie eine Verletzung der Unschuldsvermutung.
1.1. Strittig ist, ob auf einer Videosequenz, die ein zu nahes Aufschliessen dokumentiert, tatsächlich das Fahrzeug des Beschwerdeführers zu sehen ist. Der Beschwerdeführer hat im vorinstanzlichen Verfahren zum einen geltend gemacht, eine zweifelsfreie visuelle Identifizierung der Fahrzeuge sei nicht möglich. Zum andern hielt er der Anklage entgegen, aufgrund des Zeitraums von 87 Sekunden zwischen den Videosequenzen "A3 km 58,7" (15:31:49) und "A1 km 92,5" (15:33:16) hätte er die dazwischenliegende Strecke von ca. 2 ½ Kilometern mit einer Geschwindigkeit von 103,3 km/h zurücklegen müssen. Auf der betreffenden Strecke der A3 bis zur Einmündung in die A1 sei die Geschwindigkeit indes auf 80 km/h begrenzt. Daran habe er sich gehalten. Somit könne es sich nicht um sein Fahrzeug handeln, das auf dem Bild zu sehen sei.
Die Vorinstanz hält fest, die letzte von verschiedenen Videosequenzen ("A1 km 94,2") decke sich mit den Angaben des Beschwerdeführers. Diese wiederum stimmten mit der Aussage von A.________ überein, dass dieser vor dem Bareggtunnel (A1) noch im letzten Moment auf die rechte Fahrspur gewechselt sei und dabei die Sicherheitslinie überfahren habe. Dies sei in der erwähnten Sequenz klar ersichtlich. Aufgrund der Angaben der Beteiligten und des Umstandes, dass die in verschiedenen Sequenzen gezeigten Fahrzeuge übereinstimmende Merkmale aufwiesen, sei davon auszugehen, dass es sich um den Fiat Croma des Beschwerdeführers und um den VW Golf Variant von A.________ handle. Die Bilder zeigten übereinstimmend mit den Aussagen von A.________, wie der Beschwerdeführer ihm auf der A3 mit geringem Abstand hinterherfahre. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch davon auszugehen, dass er den Streckenabschnitt von der A3, km 58,7, bis zur A1, km 94,2, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 103 km/h zurückgelegt habe, was vorauszusetzen sei, damit er in beiden Sequenzen erscheinen könne. Denn das hintere der beiden Fahrzeuge (der Fiat Croma des Beschwerdeführers) sei laut dem Gutachten des Eidgenössischen Instituts für Metrologie (METAS; S. 11) bei "A3 km 58,7" mit einer Mindestgeschwindigkeit von 102,8 km/h unterwegs gewesen. Hinsichtlich des folgenden Abschnitts auf der A1 habe der Beschwerdeführer selbst ein Tempo von 100 km/h angegeben; zeitweise habe er noch zusätzlich beschleunigt, um zwischen ihm und dem hinteren Fahrzeug Distanz zu schaffen. Die für ein Erscheinen auf beiden Bildern erforderliche Geschwindigkeit sei also erstellt. Unter zusätzlicher Berücksichtigung weiterer Umstände (übereinstimmende Fahrzeugform und -farbe, übereinstimmende Platzierung des "CH-Klebers") gebe es keine Zweifel, dass die jeweiligen Videosequenzen das Fahrzeug des Beschwerdeführers und dasjenige von A.________ zeigten.
Aus diesen Gründen geht die Vorinstanz, wie schon die erste Instanz, u.a. gestützt auf das Gutachten des METAS davon aus, dass der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug Fiat Croma auf der Autobahn A3, km 58,7, dem Fahrzeug von A.________ mit einer Mindestgeschwindigkeit von 102,8 km/h und einem zeitlichen Abstand von höchstens 0,407 Sekunden, entsprechend einem räumlichen Abstand von 11,62 Metern, auf einer Strecke von etwa 500 Metern gefolgt ist (angefochtenes Urteil E. 2.2 und 2.5.3).
1.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz lege nicht dar, inwiefern die auf einer Videosequenz sichtbaren Fahrzeuge übereinstimmende Merkmale mit seinem Fahrzeug resp. mit dem vor ihm fahrenden Auto aufweisen sollten. Das Video sei für die Erstellung des im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachtens des METAS verwendet worden. Mit diesem Gutachten habe die Frage des Verhältnisses von Abstand und Geschwindigkeit geklärt werden sollen; die Identifikation der Fahrzeuge sei nicht Gegenstand des Gutachtenauftrags gewesen. Die Kontrollschilder seien auf keinem Video lesbar. Sowohl die Gutachter wie auch das Gericht hätten nicht davon ausgehen dürfen, dass es sich bei den gezeigten Fahrzeugen um diejenigen des Beschwerdeführers und von A.________ handelte, sondern lediglich um die Fahrzeuge A und B.
Letzteres Vorbringen ist zutreffend, was den Gegenstand der Begutachtung betrifft, hilft dem Beschwerdeführer aber nicht weiter. Wie er selbst ausführt, stützt sich die Vorinstanz in der Frage der Identifikation der Fahrzeuge nicht auf das Gutachten. Dass dessen Ergebnisse unhaltbar wären, macht der Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend. Zum Argument, die Vorinstanz lege nicht dar, inwiefern die auf einer Videosequenz sichtbaren Fahrzeuge übereinstimmende Merkmale mit seinem Fahrzeug resp. mit dem vor ihm fahrenden Auto aufweisen sollten, ist festzuhalten, dass sich die Vorinstanz dazu durchaus äussert (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.5.2 a.E.), dies unter Verweisung auf die erstinstanzliche Urteilsbegründung (Urteil des Bezirksgerichts Brugg vom 20. September 2018 S. 12 ff. E. 2.4.1), was zulässig ist (Art. 82 Abs. 4 StPO).
1.3. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, er sei auf der A3 nur mit etwa 80 km/h gefahren. Deshalb sei es nicht möglich, dass er und der schneller fahrende A.________ bereits Abschnitte der A3 gleichzeitig befahren hätten. Wäre er, der Beschwerdeführer, im Bereich der Verzweigung A3/A1 tatsächlich schneller als 80 km/h gefahren, hätte eine Verzeigung wegen Geschwindigkeitsübertretung erfolgen müssen. Das sei aber gerade nicht geschehen. Damit sei klar, dass auch die Staatsanwaltschaft nicht von einer zu hohen Geschwindigkeit ausgegangen sei. Dieser Schluss ist unzulässig: Aus dem Umstand, dass eine (allfällige) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht strafrechtlich verfolgt worden ist, kann nicht gefolgert werden, dass die Staatsanwaltschaft von einem geringeren Tempo ausgegangen ist; der hier strittige Tatvorwurf setzt die höhere Geschwindigkeit im Streckenabschnitt zwischen den beiden Videostandorten gerade voraus.
In diesem Zusammenhang bringt der Beschwerdeführer vor, die Vorinstanz ziehe falsche Rückschlüsse aus seiner Aussage, er sei auf dem Streckenabschnitt A1 mit 100 km/h unterwegs gewesen. Es sei willkürlich, daraus zu folgern, er sei auch auf dem vorherigen Abschnitt, also auf der A3, gleich schnell gefahren. Indem die Staatsanwaltschaft die Aussagen des Beschwerdeführers betreffend die gefahrene Geschwindigkeit auf der A3 nicht prüfe, habe sie gegen den Untersuchungsgrundsatz (Art. 6 Abs. 2 StPO) verstossen. Dem ist einmal entgegenzuhalten, dass die Vorinstanz, was den Streckenabschnitt auf der Autobahn A3 betrifft, nichts aus dem nachfolgenden Fahrverhalten (auf der A1) ableitet. Vielmehr hat sie sich dafür auf die im Bild festgehaltene Fahrzeugkonstellation einerseits und auf die Berechnungen der METAS anderseits gestützt (dazu angefochtenes Urteil S. 6 oben). Auf weitere Abklärungen durfte sodann ohne Verstoss gegen den strafprozessualen Untersuchungsgrundsatz verzichtet werden.
1.4. Für den Fall, dass er doch mit ca. 103 km/h gefahren wäre, macht der Beschwerdeführer geltend, es fehle am Nachweis, dass er sich hinter dem Fahrzeug von A.________ befunden habe: Auf dem Videobild "A3 km 58,7" sei zu sehen, dass im Zeitpunkt 15:31:44 ein (punkto Farbe, Form und Typ) stark ähnliches Fahrzeug ins Bild komme. Der Beschwerdeführer könne ebensogut dieses andere Fahrzeug gelenkt haben. Der weisse Fleck am Heck sei nicht als CH-Kleber identifizierbar. Auch stimme die Beschreibung, die A.________ von seiner Person abgegeben habe, nicht zu seinem tatsächlichen Signalement. Die Umstände erweckten somit unüberwindbare Zweifel daran, dass er das ihm zugeschriebene Fahrzeug gelenkt habe. Es sei willkürlich, den Sachverhalt bei dieser Beweislage als erstellt anzusehen.
Damit beruft sich der Beschwerdeführer auf einen alternativen Sachverhalt. Ein solches Vorbringen ist nur zu hören, sofern in der Beschwerde substantiiert dargetan wird, dass und inwiefern die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen willkürlich sind (Art. 42 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Konkret führt der Beschwerdeführer zunächst die Ähnlichkeit eines dritten, sich in der Nähe befindlichen Fahrzeuges an. Inwiefern sich daraus eine entscheidende Verwechselbarkeit zwischen diesem und dem dem Beschwerdeführer zugeschriebenen Auto ergeben sollte, vermag er aber nicht darzutun. Was sodann das Argument betrifft, der "weisse Fleck" am Fahrzeugheck sei nicht als CH-Kleber identifizierbar, bezieht sich der Beschwerdeführer auf ein im erstinstanzlichen Urteil angeführtes Indiz. Die Vorinstanz verweist dazu auf die erstinstanzlichen Erwägungen (angefochtenes Urteil S. 6 E. 2.5.2). Danach kommt es letztlich nicht darauf an, ob es sich um einen CH-Kleber oder um einen anderen Aufkleber handelt, sondern darauf, dass auf dem einschlägigen Bild - nach für das Bundesgericht verbindlicher Feststellung der Vorinstanzen - kein weiteres Fahrzeug mit einem entsprechenden "weissen Fleck" erkennbar ist, jedenfalls nicht mit der im Bild sichtbaren Platzierung, die mit derjenigen auf dem Auto des Beschwerdeführers übereinstimmt (vgl. erstinstanzliches Urteil S. 12 f.). Mit dem bereits in der Berufungsbegründung vom 5. März 2019 enthaltenen Hinweis, die Beschreibung seiner Person durch A.________ passe nicht, setzt sich der Beschwerdeführer nicht mit den entsprechenden Ausführungen des Bezirksgerichts (erstinstanzliches Urteil S. 13 f.) auseinander. Insoweit kann auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden.
1.5. Die Feststellungen der Vorinstanz, bei den auf der A3 und der A1 involvierten Fahrzeugen handle es sich um dieselben und das in der fraglichen Szene (auf der Autobahn A3) zu nah aufschliessende Fahrzeug sei dasjenige des Beschwerdeführers, sind nicht im Sinn von Art. 105 Abs. 2 BGG offensichtlich unrichtig resp. willkürlich (BGE 133 II 249 E. 1.2. S. 252). Da das vorinstanzliche Beweisergebnis jedenfalls ausreichend begründet ist, kann der Beschwerdeführer schliesslich nichts aus dem Umstand herleiten, laut Einvernahme von A.________ habe dieser den Fiat Croma erst auf der A1 als solchen erkannt; zum Fahrzeug auf der A3 sage er dagegen nichts aus.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang werden die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. September 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Traub