BGer 9C_239/2019
 
BGer 9C_239/2019 vom 05.09.2019
 
9C_239/2019
 
Urteil vom 5. September 2019
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin N. Möckli.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Magdalena Schaer,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle für Versicherte im Ausland IVSTA, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Valideneinkommen),
Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2019 (C-4880/2017).
 
Sachverhalt:
A. Der 1965 geborene A.________ arbeitete als Flugzeugmechaniker, Polygraph und zuletzt als Techniker HF in Polygraphie mit Leitungsfunktion. Im April 2013 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach verschiedenen erwerblichen und medizinischen Abklärungen sprach ihm die IV-Stelle für Versicherte im Ausland vom 1. Oktober 2013 bis 31. Juli 2014 und ab 1. Januar 2016 eine Dreiviertelsrente zu (Verfügung vom 23. Juni 2017).
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 28. Februar 2019 ab.
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten ihm eine ganze Rente auszurichten. Eventualiter sei die Sache zur Sachverhaltsergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die IV-Stelle für Versicherte im Ausland lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet hingegen auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Es prüft sodann grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu beurteilen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1  S. 254 mit Hinweisen).
2. 
2.1. Letztinstanzlich unbestritten geblieben - und für das Bundesgericht deshalb verbindlich - ist die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Beschwerdeführer in einer angepassten Tätigkeit noch zu 40 % arbeitsfähig ist. Uneinig sind sich die Verfahrensbeteiligten hingegen in Bezug auf das dem Einkommensvergleich zugrunde zu legende Valideneinkommen.
 
2.2.
2.2.1. Bei der Ermittlung des Valideneinkommens ist in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Lohn anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein. Auf Erfahrungs- und Durchschnittswerte darf nur unter Mitberücksichtigung der für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren abgestellt werden (BGE 139 V 28 E. 3.3.2 S. 30 mit Hinweisen). Dabei ist mit Blick auf den Gesetzeswortlaut von Art. 16 ATSG zu präzisieren, dass als Valideneinkommen dasjenige Einkommen gilt, das die versicherte Person überwiegend wahrscheinlich ohne Gesundheitsschaden tatsächlich erzielen würde (BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325 f.). Ist der zuletzt bezogene Verdienst markant überdurchschnittlich hoch gewesen, ist er nur dann als Validenlohn heranzuziehen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass er weiterhin erzielt worden wäre (Urteil 9C_838/2016 vom 3. März 2017 E. 3.1).
2.2.2. Soweit es bei der Invaliditätsbemessung um die Frage geht, welche Löhne an einer bestimmten Stelle bezahlt werden oder erreicht werden können, handelt es sich um Feststellungen tatsächlicher Natur, die letztinstanzlicher Korrektur nur unter den Voraussetzungen von Art. 97 Abs. 1 BGG zugänglich sind. Hingegen ist die Frage, welche hypothetischen Erwerbseinkommen im Rahmen des Einkommensvergleichs nach Art. 16 ATSG miteinander in Beziehung zu setzen sind, eine Rechtsfrage, welche vom Bundesgericht frei zu prüfen ist, dies analog zur Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind und welches die massgebende Tabelle ist (Urteil 9C_838/2016 vom 3. März 2017 E. 3.2).
2.3. 
2.3.1. Die Vorinstanz erwog, nachdem über die letzte Arbeitgeberin des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 der Konkurs eröffnet worden sei, wäre dieser auch im Gesundheitsfall nicht mehr in diesem Betrieb tätig. Ein Arbeitsvertrag mit der B.________ AG sei nicht zustande gekommen und der Beschwerdeführer habe diese Stelle nicht angetreten. Es sei daher nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer als Gesunder diese Anstellung angetreten hätte. Das Bundesverwaltungsgericht stellte alsdann für das Valideneinkommen auf Tabellenlöhne des Kompetenzniveaus 4 (Tätigkeit mit komplexer Problemlösung und Entscheidfindung, welche ein grosses Fakten- und theoretisches Wissen in einem Spezialgebiet voraussetzt) im Sektor Verlagswesen, audiovisuelle Medien, Rundfunk ab und ermittelte basierend darauf ein Valideneinkommen von monatlich   Fr. 9'132.85. Dieses sei deutlich über den Einkommen des Beschwerdeführers der letzten Jahre, womit der IV-Stelle nicht vorgeworfen werden könne, die Ermittlung des Valideneinkommens gestützt auf Tabellenlöhne sei zu dessen Ungunsten ausgefallen.
2.3.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, es sei ihm trotz zeitlebens bestehenden psychischen Einschränkungen gelungen, sich beruflich und ausbildungsmässig bis im August 2012 weiterzuentwickeln. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass ohne die Erkrankung seine Aussichten auf eine solide berufliche Karriere ausserordentlich gross gewesen wären. Daher stelle das bis zum Zusammenbruch erzielte Jahreseinkommen von Fr. 120'000.- ein realistisches Valideneinkommen dar. Unter Hinweis auf eine E-Mail vom 29. Juni 2014 [recte: 16. Juni 2014] der B.________ AG macht er zudem geltend, die Höhe eines solchen Valideneinkommens werde mit diesem konkreten Stellenangebot der B.________ AG mit einem Jahreslohn inklusive Prämie von Fr. 135'000.- belegt.
2.3.3. Die Beschwerdegegnerin bringt insbesondere vor, dass betreffend das Valideneinkommen nicht auf den Lohn der B.________ AG abgestellt werden könne.
2.4. Der Beschwerdeführer arbeitete vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ab 1. April 2010bei der C.________ AG. Per 1. August 2011 hatte er dort die Produktionsleitung übernommen und erhielt in Anerkennung seines Einsatzes eine Lohnerhöhung. Er verdiente ab 1. Dezember 2011 ein monatliches Gehalt von Fr. 10'000.-. Damit erzielte er ein Einkommen, das mit fast 10 % über jenem des Tabellenlohns liegt. Nach Eintritt der Erkrankung bemühte sich der Beschwerdeführer um eine berufliche Eingliederung und nahm u.a. Vertragsverhandlungen mit der B.________ AG auf. Ihm wurde von dieser eine Anstellung als Geschäftsführer mit einem Jahresgehalt von Fr. 115'000.- zuzüglich eines Bonus von Fr. 20'000.- bei 100%iger Zielerreichung offeriert.
Nachdem über die C.________ AG der Konkurs eröffnet worden war, kann - wie die Vorinstanz zutreffend erkannte - nicht davon ausgegangen werden, dass er weiterhin bei dieser tätig wäre (Urteil 8C_767/2018 vom 5. Februar 2019 E. 4.2.1). Der im Rahmen dieser Anstellung erzielte Lohn und das von der B.________ AG offerierte Gehalt zeigen jedoch, dass die Anstellung bei der C.________ AG für den Beschwerdeführer betreffend das realistischerweise erzielbare Einkommen nicht bloss ein Glücksfall war. Vielmehr erscheint daher überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer ohne Gesundheitsschaden auch in Zukunft ein vergleichbar hohes Einkommen wie bei der C.________ AG verdient hätte.
Soweit die Vorinstanz einem Valideneinkommen von monatlich Fr. 10'000.- entgegenhielt, der Tabellenlohn liege über den schwankenden Einkommen des Beschwerdeführers der letzten Jahre (vgl. Auszug aus dem Individuellen Konto), greift dies zu kurz. Diese Begründung lässt ausser Acht, dass der Beschwerdeführer diese Einkommen in Verwertung seiner verschiedenen Lehrabschlüsse und noch vor jener zum Techniker HF in Polygraphie (Oktober 2009) realisiert hatte. Diese in der Vergangenheit niedrigeren Verdienste sprechen somit nicht dagegen, dass der Beschwerdeführer ohne Gesundheitsschaden in Verwertung seiner Ausbildung zum Techniker HF in Polygraphie ein monatliches Einkommen von Fr. 10'000.- erzielen würde.
2.5. Das vom Bundesverwaltungsgericht festgestellte Invalideneinkommen von Fr. 2'959.05 wird von den Parteien nicht beanstandet und es ist diesbezüglich auch keine Fehlerhaftigkeit ersichtlich (E. 1 hiervor). Somit hat es beim vom Bundesverwaltungsgericht Festgelegten sein Bewenden. Aus einer Gegenüberstellung des Valideneinkommens mit dem Invalidenverdienst ergibt sich ein Invaliditätsgrad von 70.4 % ([Fr. 10'000.- - Fr. 2'959.05] / Fr. 10'000.-), weshalb der Beschwerdeführer Anspruch auf eine ganze Rente hat (vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG).
3. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Verfahrenskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom 28. Februar 2019 und die Verfügung der IV-Stelle für Versicherte im Ausland IVSTA vom 23. Juni 2017 werden aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer vom 1. Oktober 2013 bis 31. Juli 2014 und ab 1. Januar 2016 eine ganze Rente auszurichten.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, zurückgewiesen.
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. September 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Die Gerichtsschreiberin: Möckli