BGer 8C_483/2019
 
BGer 8C_483/2019 vom 16.09.2019
 
8C_483/2019
 
Urteil vom 16. September 2019
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung
(Kausalzusammenhang; Beschleunigungsmechanismus),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 28. Juni 2019 (200 18 391 UV).
 
Sachverhalt:
 
A.
A.a. A.________, geboren 1963, arbeitete seit dem 1. Januar 2001 bei der B.________ AG und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Nachdem er schon zuvor - am 16. Mai 1993 und am 24. Juni 1998 - mit dem Velo zwei Unfälle erlitten und wegen letzterem auch den Rechtsweg beschritten hatte (vgl. Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [seit 1. Januar 2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] U 415/01 vom 27. August 2002 und U 91/06 vom 24. November 2006), zog er sich am 2. Januar 2005 bei einer Auffahrkollision eine Distorsion der Halswirbelsäule zu. In der Folge litt er unter anhaltenden Beschwerden. Ab dem 8. Juni 2005 war er wieder zu 50 % arbeitsfähig, konnte dieses Pensum jedoch nicht weiter steigern. Mit Verfügung vom 11. September 2008 und Einspracheentscheid vom 30. Dezember 2008 stellte die Suva ihre Leistungen per 30. September 2008 ein mit der Begründung, dass die noch geklagten Beschwerden organisch objektiv nicht ausgewiesen seien und sich nicht adäquat-kausal auf den Unfall vom 2. Januar 2005 zurückführen liessen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 7. September 2010 ab. Das Bundesgericht hob diesen Entscheid sowie den Einspracheentscheid vom 30. Dezember 2008 mit Urteil 8C_844/2010 vom 15. Februar 2011 auf und wies die Sache an die Suva zurück, damit sie, soweit die Adäquanz nicht zu negieren sei, weitere Abklärungen tätige und über ihre Leistungspflicht ab 1. Oktober 2008 neu verfüge.
A.b. Die Suva holte ein Gutachten des Zentrums für Medizinische Begutachtung ZMB, Basel, vom 9. August 2012 ein. Mit Verfügung vom 5. Februar 2013 und Einspracheentscheid vom 28. Februar 2013 schloss sie den Fall - auch unter Berücksichtigung eines weiteren Ereignisses vom 21. Februar 2006 mit Sinus-frontalis-Vorderwandfraktur durch Anschlagen des Kopfes an einem Türpfosten - per 30. September 2008 erneut ab. Einen Anspruch auf eine Invalidenrente sowie auf eine Integritätsentschädigung lehnte sie ab. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 29. September 2014 gut und wies die Sache an die Suva zurück, damit sie ein neues Gutachten einhole und neu verfüge.
A.c. Gestützt auf ein Gutachten der Dres med. C.________, Neurologie FMH, D.________, Oto-Rhino-Laryngologie FMH, und E.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 29. März 2017 stellte die Suva ihre Versicherungsleistungen bezüglich der Unfälle vom 2. Januar 2005 und 21. Februar 2006 wiederum per 30. September 2008 ein und lehnte einen Anspruch auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung ab (Verfügung vom 19. September 2017 und Einspracheentscheid vom 4. Mai 2018).
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 28. Juni 2019 ab.
C. A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem sinngemässen Antrag auf Zusprechung der gesetzlichen Leistungen.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
2. Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es die Leistungseinstellung per 30. September 2008 sowie die Ablehnung der Ansprüche auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung hinsichtlich der Unfälle vom 2. Januar 2005 und 21. Februar 2006 schützte. Zur Frage steht dabei die Adäquanz des Kausalzusammenhanges zwischen den im Einstellungszeitpunkt noch bestehenden Beschwerden und den erwähnten Ereignissen, insbesondere, ob die dafür massgeblichen Kriterien in hinreichender Zahl gegeben seien.
3. Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6 Abs. 1 UVG vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang im Allgemeinen (BGE 142 V 435 E. 1 S. 438; 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181) und bei organisch objektiv nicht ausgewiesenen Beschwerden nach der sogenannten Schleudertrauma-Praxis; BGE 138 V 248 E. 4 S. 250 f.; 134 V 109; Urteil 8C_771/2017 vom 3. Mai 2018 E. 2) beziehungsweise bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V 133 E. 6 und 7 S. 138 ff.; 134 V 109 E. 6.1 S. 116) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Rechtsprechung zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352). Es wird darauf verwiesen.
4. Nach Wiedergabe der Ergebnisse der interdisziplinären Begutachtung durch Dres. med. C.________, D.________ und E.________ stellte die Vorinstanz fest, dass keine organisch objektiv ausgewiesenen Beschwerden vorlägen. Der für die Leistungspflicht vorausgesetzte adäquate Kausalzusammenhang mit den Unfällen vom 2. Januar 2005 und 21. Februar 2006 sei unter Annahme von (höchstens) mittelschweren Ereignissen im Grenzbereich zu den leichten Unfällen nach Massgabe der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen, aber auch nach der Schleudertrauma-Praxis nicht erfüllt. Während die Vorinstanz sämtliche der diesbezüglich beachtlichen Kriterien als nicht gegeben erachtete, macht der Beschwerdeführer geltend, dass vier davon (Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen, erhebliche Beschwerden, schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen sowie erhebliche Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen) hätten bejaht werden müssen.
 
5.
5.1. Beim Kriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen waren nach dem kantonalen Gericht keine früheren Schädigungen der Halswirbelsäule zu berücksichtigen. Inwiefern die diesbezüglichen Feststellungen zum Sachverhalt unrichtig wären, ist nicht erkennbar. So war gemäss Urteil U 415/01 vom 27. August 2002 nach dem (zweiten) Velounfall des Beschwerdeführers vom 24. Juni 1998 (Kollision mit einem Auto) kein Schleudertrauma diagnostiziert worden (E. 2.2). Auch bei seinem bereits am 16. Mai 1993 erlittenen Sturz mit dem Velo war die Halswirbelsäule gemäss neurologischem Teilgutachten des Dr. med. C.________ nicht betroffen. Nach der Vorinstanz bestand zum Zeitpunkt des streitbetroffenen Unfalls vom 2. Januar 2005 auch keine durch eine entsprechende Verletzung bedingte Arbeitsunfähigkeit. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer wegen eines Rückfalls bis zum 31. Januar 2003 Taggeldleistungen der Suva bezog, denn dieser betraf die am 24. Juni 1998 verletzte Schulter (vgl. Urteil U 91/06 vom 24. November 2006). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht eine Exazerbation der Beschwerden wegen erneuter Traumatisierung der Halswirbelsäule ausgeschlossen hat (vgl. SVR 2007 UV Nr. 1 S. 1, U 39/04 E. 3.4.2). Auch dass sich der vorbestehende Tinnitus nach dem Auffahrunfall vom 2. Januar 2005 verstärkt haben mochte, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass er am 21. Februar 2006 eine weitere Kopfverletzung erlitten habe, ging die Vorinstanz gestützt auf die interdisziplinäre gutachtliche Beurteilung davon aus, dass dieser Unfall zu keiner relevanten weiteren Akzentuierung der Beschwerden geführt habe. Das eingangs genannte Adäquanzkriterium ist mit der Vorinstanz zu verneinen.
5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er wegen seiner vorbestehenden psychischen Problematik im Umgang mit den unfallbedingten Schmerzen deutlich eingeschränkt sei, weshalb das Kriterium des schwierigen Heilverlaufs und erheblicher Komplikationen erfüllt sei. Ebenso beruft er sich auf eine erhebliche Arbeitsunfähigkeit. Wegen Übermüdung sowie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen habe er ein 50 %-Pensum gerade noch bewältigen können; einer Steigerung habe der Arbeitgeber deshalb nicht zugestimmt.
5.2.1. Gemäss den bundesgerichtlichen Erwägungen im Urteil 8C_844/2010 vom 15. Februar 2011 war aufgrund der damals vorliegenden Einschätzung der Suva-Ärztin anzunehmen, dass es durch den Unfall vom 2. Januar 2005 und dessen Folgen zu einer Dekompensation einer prätraumatischen (schizoiden) Persönlichkeitsstörung gekommen sei; und zwar im Sinne einer Unmöglichkeit, mit Belastungen, schwierigen Lebensereignissen und Schmerzen umzugehen (E. 4.5 und 4.7). Dies bestätigte sich anlässlich der jüngsten psychiatrischen Begutachtung durch Dr. med. E.________. Erst im Kontext dieser Persönlichkeitsstörung habe es zu der vorliegenden beträchtlichen Ausprägung der Beschwerden (diagnostiziert als anhaltende somatoforme Schmerzstörung beziehungsweise, hinsichtlich des Tinnitus, nicht näher bezeichnete somatoforme Störung) kommen können. Nach Zunahme der Schmerzen und Dekompensation des Tinnitus nach dem Auffahrunfall habe der Versicherte auch die zur Stabilisierung seines psychischen Gleichgewichts nötigen Freizeitaktivitäten (Sport, Reisen) nicht mehr im früheren Umfang realisieren und aus diesem Grund mehr als ein 50 %-Pensum (beziehungsweise das frühere 80 %-Pensum) nicht mehr bewältigen können.
5.2.2. Das Kriterium des schwierigen Heilungsverlaufs ist bei diesen Gegebenheiten zu bejahen. Praxisgemäss genügt es diesbezüglich, dass ein nicht durch den Unfall verursachter Umstand den durchschnittlichen Heilungsprozess eines unfallbedingten Gesundheitsschadens ungünstig beeinflusst (SVR 2018 UV Nr. 3 S. 9, 8C_147/2017 E. 5.3).
Aus dem gleichen Grund ist von einer erheblichen unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Gestützt auf die gutachtlichen Ausführungen ist auch anzunehmen, dass der Beschwerdeführer wegen der prätraumatischen Persönlichkeitsstörung nach dem Unfall vom 2. Januar 2005 nur noch beschränkt in der Lage war, die im Rahmen des Kriteriums geforderten besonderen Anstrengungen zur weiteren Steigerung der Arbeitsfähigkeit zu unternehmen. Da dem Beschwerdeführer aber nach gutachtlicher Einschätzung selbst unter Berücksichtigung der vorbestehenden psychiatrischen Problematik eine Arbeitsfähigkeit von 50 % erhalten geblieben ist (während er zuvor ein 80 %-Pensum versah), kann das Kriterium nicht als in besonders ausgeprägter Weise erfüllt gelten.
5.3. Ob das Kriterium der erheblichen Beschwerden erfüllt sei, wie schliesslich (allerdings ohne Hinweis auf eine besondere Ausprägung) geltend gemacht wird, kann offen bleiben. Bei Unfällen, die zwar zum mittleren Bereich, aber wie hier, was der Beschwerdeführer zu übersehen scheint, zum Grenzbereich zu den leichten Fällen gehören, müssten rechtsprechungsgemäss mindestens vier Kriterien erfüllt sein, damit der adäquate Kausalzusammenhang bejaht werden könnte (SVR 2010 UV Nr. 25 S. 100, 8C_897/2009 E. 4.5; Urteil 8C_414/2017 vom 26. Februar 2018 E. 3.4).
6. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 16. September 2019
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo