Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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8C_351/2019
Urteil vom 17. September 2019
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Jancar.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,
Beschwerdeführerin,
gegen
Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft AG, Place de Milan, 1007 Lausanne,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 6. März 2019 (UV.2018.35).
Sachverhalt:
A.
Die 1944 geborene A.________ arbeitete seit 5. September 2002 als Detailhandelsfachfrau im Atelier B.________ und war damit bei der Vaudoise Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend Vaudoise) obligatorisch unfallversichert. Am 9. Oktober 2015 zog sie sich eine mediale Schenkelhalsfraktur rechts zu. Am 16. Oktober 2015 wurde sie deswegen in der Klinik C.________ operiert (Osteosynthese mittels dynamischer Hüftschraube [DHS]). Die Vaudoise kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Verfügung vom 14. März 2018 stellte sie ihre Leistungen per 22. August 2017 ein, da die geklagten Beschwerden nicht mehr unfallbedingt seien. Hieran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 12. Juli 2018 fest.
B.
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 6. März 2019 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Vaudoise zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen für ihren Unfall vom 9. Oktober 2015 über den 22. August 2017 hinaus zu erbringen. Eventuell seien weitere Abklärungen zur Unfallkausalität der über dieses Datum hinaus bestehenden Beschwerden zu tätigen; im Anschluss daran sei erneut über ihre Versicherungsansprüche ab diesem Zeitpunkt zu entscheiden.
Die Vaudoise schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG ).
2.
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.) richtig dargelegt. Gleiches gilt für die Beweislast beim Wegfall der Unfallkausalität bei Erreichen des Zustands, wie er vor dem Unfall bestand oder sich auch ohne diesen ergeben hätte (Status quo ante vel sine; SVR 2016 UV Nr. 18 S. 55, 8C_331/2015 E. 2.1.1), den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und den Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229, 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3 S. 352 f.). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) unter anderem das Recht des Betroffenen umfasst, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237; 133 I 270 E. 3.1 S. 277). Ein Verzicht auf die Abnahme von weiteren Beweisen ist zulässig, wenn sich das Gericht aufgrund der bereits erhobenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass die abgelehnten Beweisanträge nichts an seiner Überzeugung zu ändern vermögen (nicht. publ. E. 3.3.2 des Urteils BGE 144 II 345; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie - der Vaudoise folgend - die Unfallkausalität der Hüftbeschwerden rechts der Versicherten ab 23. August 2017 verneinte.
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, laut Stellungnahme des Dr. med. D.________, beratender Arzt der Vaudoise, Spezialarzt FMH Chirurgie Orthopädie, vom 2. Juli 2018 sei die Schenkelhals-Fraktur aufgrund der Röntgenbilder vom 22. August 2017 konsolidiert gewesen. Gemäss der Stellungnahme des Dr. med. D.________ vom 16. Oktober 2018 könne die abduktorische Insuffizienz der Gesässmuskeln der Versicherten den Eindruck einer Verkürzung vermitteln. Laut Bericht des Prof. Dr. med. E.________, Facharzt FMH für Orthopädie und Traumatologie, vom 27. November 2018 sei anhand des "Singh-Indexes" keine zuverlässige Beurteilung der von Dr. med. D.________ diskutierten Osteoporose möglich. Letzterer habe am 2. Juli 2018 eine Unfallkausalität der von Prof. Dr. med. E.________ festgestellten abduktorischen Insuffizienz verneint und sie als "klassische Folge" einer Koxarthrose rechts bezeichnet. Prof. Dr. med. E.________ habe im Bericht vom 27. November 2018 nicht in Frage gestellt, dass auf der rechten Seite schon vor dem Unfall Anzeichen einer Koxarthrose bestanden hätten. Im Weiteren habe Prof. Dr. med. E.________ als unfallkausalen Faktor für die abduktorische Insuffizienz eine Osteonekrose im Hüftkopfbereich postuliert. Hierfür finde sich in den medizinischen Akten jedoch kein Hinweis. Der Hüftkopf habe intraoperativ nicht direkt untersucht werden können. Dr. med. D.________ und Prof. Dr. med. E.________ seien sich zudem einig, dass auf den Standardröntgenbildern eine Femurkopfnekrose nicht sichtbar gewesen sei. Letzterer sei jedoch am 27. November 2018 der Meinung gewesen, die aktuelle Belastungseinschränkung könne nicht mit rein degenerativen Hüftgelenksveränderungen abschliessend beurteilt werden. Es müsse sicher noch ein MRI (Magnetic Resonance Imaging) versucht werden. Auch Dr. med. D.________ habe am 18. Dezember 2018 eingeräumt, die bevorzugte Untersuchung zur Feststellung einer Nekrose wäre ein MRI gewesen. Indessen habe er - wie auch Prof. Dr. med. E.________ am 27. November 2018 - daran gezweifelt, dass aufgrund eines MRI sichere Erkenntnisse zu erwarten seien. Von dieser Abklärung sei somit in antizipierter Beweiswürdigung abzusehen. Prof. Dr. med. E.________ habe am 27. November 2018 zudem ausgeführt, die einschränkende Abduktoreninsuffizienz habe sich wesentlich gebessert. Dr. med. D.________ habe am 18. Dezember 2018 nachvollziehbar festgehalten, dies spreche gegen eine Femurkopfnekrose. Damit bestünden keine Zweifel an seinem Schluss, die Abduktoreninsuffizienz sei nicht Unfallfolge, sondern auf arthrotische Veränderungen zurückzuführen.
4.
4.1. Die Vaudoise hat die Unfallkausalität der Beschwerden der Versicherten bis 22. August 2017 bejaht, was die Vorinstanz bestätigte. Folglich trägt die Vaudoise die Beweislast für deren behaupteten Wegfall, weil es sich hierbei um eine anspruchsaufhebende Tatsache handelt. Das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung unfallbedingter Ursachen des Gesundheitsschadens muss überwiegend wahrscheinlich nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalls genügt nicht (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221 f.; Urteil 8C_609/2017 vom 27. März 2018 E. 3.2).
4.2. Dr. med. D.________ ist beratender Arzt der Vaudoise. Seinen Beurteilungen kommt daher der Beweiswert von versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen zu. Es ist deshalb zu prüfen, ob wenigstens geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; Urteil 8C_68/2019 vom 22. Juli 2019 E. 4.2.1).
Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, die Beurteilung des behandelnden Arztes Prof. Dr. med. E.________ wecke Zweifel an derjenigen des Dr. med. D.________. Es sei willkürlich, dass die Vorinstanz die Durchführung des MRI abgelehnt habe. Sie habe damit ihren Gehörsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV) und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) verletzt.
4.3.
4.3.1. Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es Sache des Sozialversicherungsgerichts (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein. Im Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 144 V 427 E. 3.2 S. 429; Urteil 8C_643/2018 vom 4. Juli 2019 E. 6.1).
4.3.2.
4.3.2.1. Prof. Dr. med. E.________ legte im Bericht vom 27. November 2018 dar, die mediale Schenkelhalsfraktur sei mit einer sehr hohen Osteonekrose-Rate im Femurkopfbereich vergesellschaftet, auch wenn dies auf den konventionellen Röntgenaufnahmen vom 22. August 2017 nicht beschrieben worden sei. Eine Weiterabklärung mittels MRI sei gar nicht einfach, da die Metallimplantate im Hüftkopf trotz MARS-MRI-Technik nicht zwingend eine zuverlässige Antwort erlauben würden. An anderer Stelle dieses Berichts führte er aus, die aktuelle Belastungseinschränkung könne nicht mit rein degenerativen Veränderungen im Hüftgelenk abschliessend beurteilt werden. Dazu müsste sicher nochmals eine MRI-Bewertung der Muskulatur und der Hüftkopfdurchblutung versucht werden, wobei dies, bedingt durch die Metallschraube im Hüftkopf, unter Umständen zu einem unbefriedigenden Resultat führe. Dr. med. D.________ gab am 18. Dezember 2018 an, die Art der von der Versicherten erlittenen Fraktur könne zu einem bestimmten Prozentsatz (zwischen 20 und 50 %) nach vier Jahren zu einer Nekrose führen. Die bevorzugte radiologische Untersuchung zur Feststellung einer Nekrose wäre tatsächlich ein MRI gewesen. Dieses könne jedoch aufgrund des vorhandenen Osteosynthesematerials, das nicht entfernt werde sollte, nicht unter optimalen Bedingungen durchgeführt werden.
4.3.2.2. Aufgrund der ärztlichen Berichte ist es zwar nicht sicher, aber auch nicht unmöglich, mittels eines MRI zu eruieren, ob nach dem 22. August 2017 am Hüftgelenk der Beschwerdeführerin eine unfallbedingte Schädigung vorlag.
Nicht überzeugend ist zudem das Argument der Vorinstanz, Dr. med. D.________ habe am 18. Dezember 2018 nachvollziehbar festgehalten, der klinische Verlauf einer Besserung spreche gegen die Bildung einer Femurkopfnekrose. Denn er untersuchte die Versicherte nie selber und führte ohne nähere Begründung lediglich in einem Satz aus, der klinische Verlauf befinde sich in der Besserung, was gegen die Bildung einer Nekrose des Femurkopfs spreche. Demgegenüber stellte der behandelnde Arzt Prof. Dr. med. E.________ im Bericht vom 27. November 2018 - trotz Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Versicherten in den letzten drei Jahren unter Physiotherapie - weiterhin ein deutliches Abduktoren-Hinken rechts und eine Belastungseinschränkung fest.
Unter diesen Umständen ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass die Vorinstanz und die Vaudoise den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG ) verletzten, indem sie auf weitere medizinische Abklärungen - insbesondere auf die Anordnung eines MRI - verzichteten. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann nicht in antizipierter Beweiswürdigung (hierzu vgl. E. 2 hiervor) gesagt werden, von zusätzlichen Abklärungen seien keine entscheidrelevanten Erkenntnisse mehr zu erwarten. Die Sache ist daher zu weiteren Abklärungen und evtl. zur Einholung eines Gutachtens an die Vaudoise zurückzuweisen, damit sie gestützt darauf über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge.
5.
Die unterliegende Vaudoise trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG ; BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 6. März 2019 und der Einspracheentscheid der Vaudoise vom 12. Juli 2018 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Vaudoise zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 17. September 2019
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Der Gerichtsschreiber: Jancar