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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_634/2019
Urteil vom 25. September 2019
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Pierre Boillat,
Beschwerdeführerin,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, 3013 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Gültigkeit der Einsprache (Widerhandlungen gegen
das Strassenverkehrsgesetz),
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen,
vom 2. Mai 2019 (BK 19 118).
Sachverhalt:
A.
X.________ wurde von der Regionalen Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland mit Strafbefehl vom 24. Oktober 2018 der mehrfachen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz schuldig gesprochen und mit einer Busse von Fr. 500.-- belegt.
Der Strafbefehl wurde am 25. Oktober 2018 der Schweizerischen Post zum Versand übergeben. Nach einem erfolglosen Zustellversuch am 26. Oktober 2018 meldete die Post die Sendung mittels Abholungseinladung zur Abholung bereit. Nachdem X.________ die Sendung innert der 7-tägigen Frist nicht abgeholt hatte, wurde das Einschreiben am 5. November 2018 an die Staatsanwaltschaft retourniert.
Die Staatsanwaltschaft wies die Polizei mit Schreiben vom 14. November 2018 an, X.________ den Strafbefehl gegen Empfangsbestätigung zuzustellen. Der Strafbefehl wurde X.________ am 21. November 2018 persönlich zugestellt. Diese erhob am 22. November 2018 Einsprache gegen den Strafbefehl.
Die Staatsanwaltschaft wies X.________ mit Schreiben vom 27. November 2018 darauf hin, dass ihre Einsprache vom 22. November 2018 verspätet sei und machte sie auf die Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 StPO, die Rückzugsmöglichkeit und die Modalitäten eines Wiederherstellungsgesuchs aufmerksam.
Am 6. Dezember 2018 teilte X.________ mit, dass sie an der Einsprache festhalte, woraufhin die Staatsanwaltschaft am 10. Dezember 2018 die amtlichen Akten zur Prüfung der Gültigkeit der Einsprache an das Regionalgericht Bern-Mittelland überwies.
B.
Am 1. März 2019 hielt das Regionalgericht in einer Verfügung die Verspätung der Einsprache fest, trat nicht auf die Einsprache ein und stellte die Rechtskraft des Strafbefehls vom 24. Oktober 2018 fest.
C.
Gegen die Verfügung des Regionalgerichts vom 1. März 2019 erhob X.________ Beschwerde. Mit Beschluss vom 2. Mai 2019 wies das Obergericht Bern die Beschwerde ab.
D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts vom 2. Mai 2019 sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass die Einsprache gegen den Strafbefehl vom 24. Oktober 2018 gültig sei und das Regionalgericht sei anzuweisen, auf die Einsprache einzutreten und in der Sache zu entscheiden.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerde zulässigerweise auf Französisch verfasst (Art. 42 Abs. 1 BGG). Das Verfahren vor Bundesgericht wird jedoch in der Sprache des angefochtenen Entscheids und damit auf Deutsch geführt (Art. 54 Abs. 1 BGG).
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, vom Strafbefehl zunächst keine Kenntnis gehabt zu haben, da die Abholungseinladung bei ihrer Nachbarin im Briefkasten deponiert worden sei. Erst am 21. November 2018 habe sie vom Strafbefehl Kenntnis erlangt, als ihr dieser durch die Polizei ausgehändigt worden sei. Daraufhin habe sie umgehend Einsprache erhoben. Nachdem ihr die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 27. November 2018 mitgeteilt habe, dass ihre Einsprache verspätet sei, habe sie sich sofort auf die zuständige Poststelle begeben, um sich darüber zu beschweren, dass die Abholungseinladung nicht in ihren, sondern in den Briefkasten ihrer Nachbarin gelegt worden sei. Aus diesen Ausführungen gehe klar hervor, dass sie sich um die Inempfangnahme ihrer Post gekümmert und umgehend die notwendigen Schritte eingeleitet habe. Die Vorinstanz habe verschiedene Sachverhaltselemente wie etwa ihre umgehende Reklamation bei der zuständigen Poststelle vom 1. Dezember 2018 unberücksichtigt gelassen. Weiter sei der Tragweite der vom Service Center der Post erhaltenen Informationen nicht ausreichend Beachtung geschenkt worden. So enthalte das Schreiben des Contact Centers der Post vom 1. Dezember 2018 folgende Passage: "Après avoir clarifié avec la distribution concernée, je vous informe, Madame X.________, que les recherches effectuées ont montré qu'il s'agit d'une négligence de notre part. Nous nous excusons du désagrément que cela a pu vous importuner." In einem Schreiben der Post vom 5. April 2019 werde ferner festgehalten, es könne nicht mit Sicherheit bestätigt werden, dass die Abholungseinladung korrekt im Briefkasten der Beschwerdeführerin deponiert worden sei. In einem zweiten Schreiben der Post vom 5. April 2019 sei von Seiten der Post bezüglich der fraglichen Abholungseinladung mitgeteilt worden: "Celui-ci a probablement été remis dans la mauvaise boîte aux lettres et cela a pu porter aux conséquences connues. Je vous prie de bien vouloir nous excuser pour le désagrément causé."
Entgegen den Erwägungen der Vorinstanz seien die Ausführungen der Mitarbeitenden des Post Service Centers in den Schreiben vom 5. April 2019 nicht vage. Die Post habe sich mehrmals für Versehen ihrerseits entschuldigt. Gestützt auf die erwähnten Schreiben müsse darauf geschlossen werden, dass der Post bei der Zustellung des Strafbefehls ein Fehler unterlaufen und die Abholungseinladung im Briefkasten der Nachbarin deponiert worden sei. Indem die Vorinstanz dies verneine und von einer ordnungsgemässen Zustellung ausgehe, verfalle sie in Willkür. Die Beschwerdeführerin rügt zudem eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Indem die Abholungseinladung nicht in ihren Briefkasten, sondern in denjenigen einer Nachbarin gelegt worden sei, seien schliesslich die Zustellvorschriften von Art. 85 StPO verletzt worden.
2.2. Die Vorinstanz erwägt im Wesentlichen, die Beschwerdeführerin habe mehrfach Zustellprobleme geltend gemacht und Korrespondenzschreiben mit Angestellten des Contact Centers der Post eingereicht. Bereits das Regionalgericht habe festgehalten, dass aus den Schreiben nicht klar hervorgehe, was konkret beanstandet worden sei und was daraufhin von der Post entschuldigt worden sei. Das Regionalgericht habe sich daraufhin bei der Post über die betreffende Postzustellung des Strafbefehls erkundigt. Die Post habe im Antwortschreiben vom 3. Januar 2019 festgehalten, es habe keine Unregelmässigkeiten bei der Zustellung der Post der Beschwerdeführerin gegeben. Ihrer Replik im vorinstanzlichen Verfahren habe die Beschwerdeführerin zwei weitere Schreiben der Post vom 5. April 2018 beigelegt, welche die von ihr geltend gemachten Unregelmässigkeiten bei der Zustellung des Strafbefehls belegen sollen. Der Inhalt der beigefügten Schreiben vom 5. April 2018 sei jedoch sehr vage. Die Postangestellten entschuldigten sich lediglich für mögliche Unregelmässigkeiten oder könnten nicht mit Sicherheit garantieren, dass stets eine korrekte Zustellung erfolgt sei. Vorliegend gebe es keine konkreten Anzeichen für einen Fehler seitens der Post. Den Akten könnten auch keine Hinweise auf frühere Postzustellprobleme entnommen werden. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Postangestellte ordnungsgemäss eine Abholungseinladung ausgestellt und in den Briefkasten der Beschwerdeführerin gelegt habe. Am Ergebnis würde sich im Übrigen auch nichts ändern, wenn die Abholungseinladung tatsächlich, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, im Briefkasten einer Nachbarin deponiert worden wäre. Nach der Rechtsprechung gelte die Vermutung, dass die irrtümliche Empfängerin die Einladung an die zutreffende Adressatin weiterleite. Zu guter Letzt habe die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 22. November 2018 selbst bestätigt, dass sie die Abholungseinladung Ende Oktober erhalten habe. Somit hätte sie die Gelegenheit gehabt, das Einschreiben bei der Poststelle vor Ablauf der Frist am 2. November 2018 abzuholen.
Angesichts dessen sei von folgender Fristberechnung auszugehen: Der erfolglose Zustellversuch habe am 26. Oktober 2018 stattgefunden. Die 7-tägige Abholfrist habe am 27. Oktober 2018 zu laufen begonnen und folglich am 2. November 2018 geendet. Die darauffolgende 10-tägige Einsprachefrist habe somit am 12. November 2018 geendet, weshalb die erst am 22. November 2018 erhobene Einsprache verspätet erfolgt und der Strafbefehl vom 24. Oktober 2018 in Rechtskraft erwachsen sei.
2.3. Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als abgeholt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO). Bei eingeschriebenen Postsendungen gilt eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet in diesem Fall eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als bei Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet. Diese Vermutung kann durch den Gegenbeweis umgestossen werden. Sie gilt so lange, als der Empfänger nicht den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung erbringt. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache ist, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden. Die immer bestehende Möglichkeit von Fehlern bei der Poststelle genügt nicht, um die Vermutung zu widerlegen. Vielmehr müssen konkrete Anzeichen für einen Fehler vorhanden sein (BGE 142 IV 201 E. 2.3 S. 204 f. mit Hinweisen). Der aus der Zugangsvermutung gezogene Schluss, der Gegenbeweis sei nicht erbracht, stellt eine Beweiswürdigung dar (BGE 142 IV 201 E. 2.3 S. 205 mit Hinweisen; Urteil 6B_940/2013 vom 31. März 2014 E. 2.1.4)
2.4. Den verschiedenen Schreiben des Service Centers der Post kann einerseits entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin mehrmals Reklamationen betreffend Zustellungen anbrachte und sich die Post mehrfach für Versehen ihrerseits entschuldigte. Andererseits geht daraus hervor, dass die Post selbst nicht imstande ist, eine verlässliche Auskunft hinsichtlich der korrekten Zustellung des Strafbefehls vom 24. Oktober 2018 zu geben. Ein Fehler bei der Zustellung des Strafbefehls vom 24. Oktober 2014 scheint soweit zumindest nicht ausgeschlossen. Relativiert wird dies jedoch dadurch, dass aus den übrigen Schreiben der Post, wie bereits von der Vorinstanz ausgeführt, nicht hervorgeht, was konkret beanstandet wurde. Lediglich im Schreiben vom 5. April 2019 wird überhaupt Bezug auf die einschlägige Sendungsnummer genommen und ausgeführt, dass die Abholungseinladung "möglicherweise" in den falschen Briefkasten gelegt wurde. Gegenüber dem Regionalgericht bestätigte die Post hingegen mit Schreiben vom 27. Dezember 2018, dass es bei der fraglichen Sendung zu keinen Unregelmässigkeiten gekommen sei. In ihrer Einsprache vom 22. November 2018 bestätigte die Beschwerdeführerin sodann explizit, die Abholungseinladung Ende Oktober 2018 erhalten zu haben.
Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie gestützt auf die genannten Umstände - wobei wesentlich ist, dass die Beschwerdeführerin selbst angab, die Abholungseinladung Ende Oktober 2018 erhalten zu haben - eine überwiegende Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung des Strafbefehls verneint. Die Vorinstanz durfte somit davon ausgehen, dass die Post die Abholungseinladung am 26. Oktober 2018 ordnungsgemäss im Briefkasten der Beschwerdeführerin deponiert hat. Dass die Beschwerdeführerin mit einer Zustellung rechnen musste, wird von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet. Die Abholfrist begann somit am 27. Oktober 2018 zu laufen und endete am 2. November 2018. An die Staatsanwaltschaft retourniert wurde die Sendung erst am 5. November 2018. Wäre die Beschwerdeführerin, wie von ihr in der Einsprache vom 22. November 2018 behauptet, umgehend zur Post gegangen, hätte ihr der Strafbefehl noch ausgehändigt werden können und ihr wäre genügend Zeit verblieben, um diesen fristgerecht anzufechten. Die Vorinstanz hat die am 22. November 2018 erhobene Einsprache zu Recht als verspätet taxiert.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Beschwerdeführerin wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. September 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Schär