Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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9C_194/2019
Urteil vom 25. September 2019
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Williner.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Hübscher,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 31. Januar 2019 (VBE.2018.353).
Sachverhalt:
A.
Die 1980 geborene A.________, zuletzt bis Ende 2003 bei der B.________ AG tätig, meldete sich im Dezember 2004 wegen eines Morbus Crohn bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau (nachfolgend: IV-Stelle) wies das Leistungsbegehren - mit Hinweis auf die Mitwirkungs- und Schadenminderungspflicht sowie unter Aufforderung, die verordnete Medikation regelmässig während mindestens eines Jahres einzunehmen - mangels anspruchserheblicher Invalidität ab (Verfügung vom 14. September 2005). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 5. Dezember 2005 fest. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 15. November 2006).
Am 20. Juni 2013 meldete sich A.________ u.a. wegen eines Morbus Crohn, einer Arthrose sowie einem Bandscheibenvorfall erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle führte verschiedene erwerbliche und medizinische Abklärungen durch; namentlich veranlasste sie eine polydisziplinäre (allgemein-internistische, gastroenterologische, orthopädische, pneumologische, psychiatrische, chirurgische) Begutachtung bei der Medizinischen Abklärungsstelle ZVMB GmbH (MEDAS Bern; Expertise vom 20. September 2016 sowie Ergänzung vom 8. Dezember 2017). Gestützt darauf wies sie das Leistungsbegehren nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren ab (Verfügung vom 4. April 2018).
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 31. Januar 2019 ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, es sei die Angelegenheit unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids zur Durchführung weiterer Abklärungen und zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2. BGG; BGE 141 V 234 E. 1 S. 236). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen; Urteil 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die durch die IV-Stelle am 4. April 2018 verfügte Rentenablehnung zu Recht bestätigt hat.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 ATSG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 IVG) und den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 IVG) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.
3.
Die Vorinstanz mass der MEDAS-Expertise vom 20. September 2016 (inklusive der gutachterlichen Ergänzung vom 8. Dezember 2017) Beweiswert zu. Gestützt darauf stellte sie verbindlich fest, die Beschwerdeführerin sei in angestammter wie angepasster Tätigkeit ab Sommer 2016 zu 70 % arbeitsfähig. Das kantonale Gericht verneinte das Vorliegen einer Frühinvalidität und ermittelte in Anwendung der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 24 %; einen leidensbedingten Abzug gewährte es nicht. In Bezug auf den davor liegenden Zeitraum (ab Mai 2014) verneinte die Vorinstanz die Entstehung eines Rentenanspruchs mit der Begründung, die Beschwerdeführerin habe damals ihre Schadenminderungspflicht verletzt, indem sie die ihr zumutbare medikamentöse Behandlung des Morbus Crohn eigenhändig abgesetzt habe.
4.
4.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die ihr vorgeworfene Verletzung der Schadenminderungspflicht. Namentlich macht sie eine willkürliche Würdigung des Sachverhalts geltend, weil das kantonale Gericht darauf schloss, die von den den Gutachtern des ZVMB retrospektiv (unter Hinweis auf die Einschätzungen der behandelnden Ärzte) ab Mai 2013 attestierte vollständige Arbeitsunfähigkeit hätte bei konsequenter Einnahme des ärztlich verordneten und von der Beschwerdeführerin eigenhändig abgesetzten Medikaments (Humira) überwiegend wahrscheinlich nicht bestanden. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dieser Schluss lasse sich nicht mit aktenkundigen medizinischen Berichten stützen. Sie habe denn die medikamentöse Behandlung auch erst im Dezember 2013 eingestellt, wohingegen eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bereits ab Mai 2013 attestiert worden sei. Eindeutig unzutreffend sei im Übrigen die Feststellung des kantonalen Gerichts, sie habe die Zumutbarkeit einer weiterführenden Medikation nicht bestritten. Bereits im Einwandschreiben vom 17. April 2015 habe sie eine subjektive Unzumutbarkeit der Medikation geltend gemacht.
4.1.1. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde finden sich in den Akten sehr wohl medizinische Berichte, welche einen Zusammenhang zwischen der Behandlungssistierung und der attestierten Arbeitsunfähigkeit nahe legen. So hatte Dr. med. C.________, behandelnder Gastroenterologe des Kantonsspitals D.________, noch Ende Juli 2013 erklärt, der Morbus Crohn habe sich nach einem Auf und Ab sowie schweren Komplikationen mittlerweile stabilisiert. Übereinstimmend damit hatte die Beschwerdeführerin im Rahmen der IV-Anmeldung vom 14. Juni 2013 einen durchaus positiven Verlauf ihrer Krankheitsgeschichte beschrieben. Insbesondere hatte sie Ängste, Rückfälle und verschiedene gesundheitliche Sorgen unter Behandlung mit Humira verneint. Auch ihr Hausarzt, Dr. med. E.________, wies am 30. Juli 2013 auf zögerliche Fortschritte hin und hielt immerhin eine Umschulung für indiziert. Mit Blick auf diese Entwicklung bekräftigte Dr. med. C.________ am 16. Dezember 2013 sein ausserordentliches Bedauern darüber, dass die Beschwerdeführerin die Behandlung mit Humira abgesetzt habe. Unter Berücksichtigung der jahrelangen Vorgeschichte sei leider in absehbarer Zeit mit einem Rezidiv zu rechnen, welches dann - wenn überhaupt - nur schwierig und unvollkommen wieder zu kontrollieren sei. Entsprechend dieser Prognose trat gemäss den Folgeberichten vom 25. Februar und 28. Mai 2014 ein Rezidiv in Form von vermehrtem Durchfall, Gewichtsverlust und analen Schmerzen ein. Dr. med. C.________ wies explizit darauf hin, dass die Sistierung der medikamentösen Behandlung entgegen ärztlicher Empfehlung erfolgt sei; es sei nun zu sehen, ob und wie die Krankheit wieder unter Kontrolle gebracht werden könne. Mit Blick auf diese Ausführungen des behandelnden Gastroenterologen kann keine Rede davon sein, der vorinstanzliche Schluss, die ab Mai 2013 attestierte vollständige Arbeitsunfähigkeit hätte bei konsequenter Behandlung mit Humira überwiegend wahrscheinlich nicht bestanden, sei willkürlich (zum Begriff der Willkür vgl. E. 1.2 hievor).
4.1.2. Nichts zu ihren Gunsten abzuleiten vermag die Beschwerdeführerin aus der Behauptung, sie habe Humira erst im Dezember 2013 abgesetzt, womit ein Zusammenhang zu den vom Hausarzt Dr. med. E.________ bereits ab Mai 2013 attestierten Arbeitsunfähigkeiten zu verneinen sei. Abgesehen davon, dass eine entsprechende Behandlung gemäss Dr. med. C.________ bereits im August 2013 (gemäss früheren Angaben der Beschwerdeführerin im September 2013) sistiert worden war, bestehen durchaus Zweifel an der hausärztlich attestierten vollständigen Arbeitsunfähigkeit ab Mai 2013. So beschrieben, wie dargelegt, nicht nur Dr. med. C.________ und die Beschwerdeführerin im Sommer 2013 eine positive Entwicklung des Morbus Crohn unter Behandlung mit Humira, sondern auch Dr. med. E.________ selbst bestätigte in diesem Zeitraum Fortschritte und bejahte ausdrücklich die Indikation einer Umschulung durch die Invalidenversicherung.
4.1.3. Ob die Beschwerdeführerin die Einnahme von Humira im Zeitpunkt der Sistierung in subjektiver Hinsicht als unzumutbar erachtete, ist nicht von Belang. Es fehlen zumindest konkrete Hinweise und es wird beschwerdeweise auch nicht geltend gemacht, die Behandlung sei entgegen den Empfehlungen des behandelnden Gastroenterologen objektiv unzumutbar gewesen (zur grundsätzlichen Zumutbarkeit der dauernden Einnahme ärztlich verschriebener Medikamente im Rahmen der Schadenminderung vgl. Urteil 8C_625/2016 vom 24. Januar 2017 E. 3.4.1). Weiterungen dazu erübrigen sich.
4.2. Die Beschwerdeführerin bezweifelt den Beweiswert der MEDAS-Expertise, weil die Ausführungen der Gutachter, wonach sich die aus gastroenterologischer und orthopädischer Sicht je attestierten Arbeitsunfähigkeiten nicht addierten, nicht nachvollziehbar seien. So könne sie den unterschiedlichen Bedürfnissen, welche ihre Leistung zum einen wegen erhöhtem Pausenbedarf für vermehrte Stuhlgänge um 30 % und zum anderen wegen notwendiger Erholungsphasen für Gymnastik und Entspannung um 20 % einschränkten, nicht gleichzeitig nachkommen.
Diesbezüglich hat die Vorinstanz auf die gutachterlichen Ausführungen verwiesen, wonach die auf dem jeweiligen Fachgebiet festgestellte Leistungsminderung auf Funktionseinschränkungen fussten, welche die auf anderen Fachgebieten bestehenden Gesundheitsstörungen nicht zusätzlich negativ beeinflussten. Inwiefern diese Ausführungen nicht nachvollziehbar sein sollen, ist nicht ersichtlich. Mit ihren Einwänden lässt die Beschwerdeführerin vielmehr ausser Acht, dass Dr. med. F.________ in der gastroenterologischen Expertise nicht nur deshalb eine Leistungseinschränkung von 30 % attestierte, weil die Beschwerdeführerin häufig die Toilette aufsuchen muss, sondern er damit auch ihrer erhöhten Müdigkeit und Erschöpfung aufgrund der anhaltenden Krankheitsaktivität Rechnung trug. Dass der deshalb zugestandene zusätzliche Pausenbedarf nicht ohne Weiteres zu dem aus orthopädischer Sicht erforderlichen Pausenbedarf zu addieren ist, ist ohne Weiteres einleuchtend und - entgegen der Beschwerde - sowohl im Gutachten wie auch im angefochtenen Entscheid ausreichend begründet.
4.3. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt, weil sie das Valideneinkommen nicht nach Art. 26 Abs. 1 IVV im Sinne einer Frühinvalidität berechnet habe. Selbst wenn aber nicht von einer Frühinvalidität auszugehen wäre, sei das der Bemessung des Invaliditätsgrades zugrunde gelegte Valideneinkommen zu berichtigen.
4.3.1. Die Vorinstanz stellte für das Bundesgericht verbindlich fest, die Beschwerdeführerin habe 1996 eine Ausbildung als Coiffeuse begonnen, diese indessen 1998 wegen Hautausschlägen an den Händen abgebrochen. Obwohl die Ekzeme schnell wieder abgeklungen seien und sie über Jahre hinweg an diversen Arbeitsstellen verschiedene Tätigkeiten ausgeübt habe, sei in der Folge eine Berufsausbildung ohne ersichtliche medizinische Gründe unterblieben. Inwiefern diese Feststellungen willkürlich (zum Begriff der Willkür vgl. E. 1.2 hievor) sein sollen, ist nicht erkennbar. Unverfänglich ist insbesondere die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe 2001 nochmals versucht, eine Lehre (zur Postbeamtin) abzuschliessen, indessen auch diese krankheitsbedingt abbrechen müssen. In Bezug auf diese Tätigkeit enthalten die Akten lediglich ein Empfehlungsschreiben eines pensionierten Postverwalters vom 12. Mai 2008, worin dieser bestätigte, die Beschwerdeführerin habe ab 2000 während ca. 3/4 Jahren als Postassistentin beim Postamt G.________ gearbeitet und dieses auf eigene Initiative wieder verlassen. Inwiefern es sich dabei um eine Lehrstelle gehandelt haben soll, geht weder aus diesem Schreiben noch aus den übrigen Akten hervor; ebenso wenig eine krankheitsbedingte Aufgabe der Tätigkeit. Der blosse Umstand, dass besagte Tätigkeit im Lebenslauf der Beschwerdeführerin unter der Rubrik "Weiterbildungen" gelistet ist, ändert daran nichts.
4.3.2. Weiterungen zu den übrigen Einwänden betreffend die Vergleichseinkommen erübrigen sich. So resultierte selbst dann kein rentenbegründender Invaliditätsgrad, wenn diesbezüglich - bei im Übrigen unbestrittenem Einkommensvergleich - auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Vergleichseinkommen abgestellt würde.
5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 25. September 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Der Gerichtsschreiber: Williner