BGer 6B_979/2019 |
BGer 6B_979/2019 vom 28.10.2019 |
6B_979/2019 |
Urteil vom 28. Oktober 2019 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiberin Schär.
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Verfahrensbeteiligte |
A._______,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Herausgabe von Verfahrensakten,
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Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 26. Juni 2019
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(AK.2019.190-AK).
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Sachverhalt: |
A. A.________ befindet sich im Strafvollzug. Am 23. November 2018 ersuchte das Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau das Kreisgericht St. Gallen um die Herausgabe von Gerichtsakten betreffend die gegen A.________ geführten Strafverfahren, damit im Rahmen des Risikoorientierten Sanktionenvollzuges (ROS) eine Risikoabklärung in Auftrag gegeben werden könne. Das Gesuch wurde zuständigkeitshalber an das Untersuchungsamt St. Gallen weitergeleitet. Der Leitende Staatsanwalt bewilligte das Gesuch am 30. November 2018. Am 3. Dezember 2018 wurden die Akten an das Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau zugestellt. Dieses retournierte die Akten am 17. April 2019.
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Mit Eingabe vom 19. Februar 2019 ersuchte das Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau das Kantonsgericht St. Gallen um Einsicht in die Verfahrensakten hinsichtlich eines Urteils vom 4. Juli 1997 betreffend A.________. Das Gesuch wurde im Wesentlichen damit begründet, die Akten würden benötigt, um den in § 12 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 12. Dezember 2006 über den Justizvollzug (Justizvollzugsverordnung; RB 340.31) definierten Fallabklärungsauftrag (Prüfung der Gemeingefährlichkeit) vollumfänglich erfüllen zu können. Das Gesuch wurde am 20. Februar 2019 zuständigkeitshalber an das Untersuchungsamt St. Gallen weitergeleitet. Dieses bewilligte das Gesuch am 21. Februar 2019. Die Akten wurden am 1. März 2019 dem Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau übermittelt. Am 15. April 2019 wurden die Akten an das Untersuchungsamt St. Gallen retourniert.
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B. A.________ erhob Beschwerde gegen die Herausgabe der Akten. Mit Entscheid vom 26. Juni 2019 wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintrat.
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C. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid der Anklagekammer vom 26. Juni 2019 sei aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter sei die Rechtsverweigerung festzustellen und es seien die ihn betreffenden Daten im Sinne einer vorsorglichen Massnahme zu sperren, bereits gelieferte Akten oder bereits gefertigte Kopien zurückzufordern und Abschriften oder Kopien zu untersagen. Ferner seien ihm vor dem Entscheid sämtliche Teilgehalte eines fairen Verfahrens inkl. das rechtliche Gehör zu gewähren. Die Vorinstanzen seien zu verpflichten, alle Akten zu seinem Strafverfahren und Vollzug zuzustellen. Schliesslich beantragt A.________, ihm sei für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Zudem sei ihm Rechtsanwalt B.________ als Offizialverteidiger beizuordnen und ihm sei zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte eine Entschädigung von Fr. 50.-- zuzusprechen.
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Erwägungen: |
1. Der angefochtene Entscheid betrifft eine Frage des Strafvollzugs und kann somit mit Beschwerde in Strafsachen angefochten werden (vgl. Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG).
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2. Der Beschwerdeführer ersucht um Beiordnung eines Rechtsbeistandes für das Verfahren vor Bundesgericht. Dem Antrag kann nicht stattgegeben werden. Im bundesgerichtlichen Verfahren ist es grundsätzlich an der beschwerdeführenden Person, für eine Vertretung besorgt zu sein. Die Beigabe eines Anwalts kommt nach Art. 41 Abs. 1 BGG indessen nur in Betracht, wenn die betroffene Person offensichtlich nicht im Stande ist, ihre Sache selbst zu führen. Das ist vorliegend nicht der Fall, kann der Beschwerdeführer doch verständlich machen, was er mit dem Verfahren erreichen will. Inwiefern sich der angefochtene Entscheid, welcher plausibel erscheint und prima vista keine Angriffsflächen bietet, mit formgerechten Rügen erfolgreich anfechten liesse, ist überdies auch nicht erkennbar. Damit fällt auch die Beigabe eines (unentgeltlichen) Rechtsanwalts nach Art. 64 Abs. 2 BGG wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ausser Betracht.
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3. Der Beschwerdeführer beantragt, ihm sei vor Erlass des Entscheids das rechtliche Gehör zu gewähren. Das Bundesgericht erachtet vorliegend einen Schriftenwechsel nicht als erforderlich. Der Beschwerdeführer hatte die Gelegenheit, sich in der Beschwerde ausführlich zu äussern. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb er zur Erstattung einer erneuten Stellungnahme aufzufordern wäre.
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4. |
Der Beschwerdeführer beanstandet die Herausgabe der Akten an das Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau in mehrfacher Hinsicht.
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4.1. Die Vorinstanz erwägt, gemäss Art. 34 Abs. 1 des Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung (EG-StPO/SG; sGS 962.1) würden die Akten des Strafverfahrens bei der Staatsanwaltschaft aufbewahrt. Über die Herausgabe von Strafakten und die Erteilung von Auskünften nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens entscheide die Leitende Staatsanwältin bzw. der Leitende Staatsanwalt (Art. 35 Abs. 1 EG-StPO/SG). Die Strafakten würden u.a. auch an schweizerische Vollzugsbehörden herausgegeben und entsprechende Auskünfte erteilt, wenn diese für die Begutachtung einer verurteilten Person durch eine sachverständige Person oder für die Beurteilung der Gefährlichkeit benötigt würden (Art. 35 Abs. 2 lit. c EG-StPO/SG). Eine Interessenabwägung sei diesbezüglich gesetzlich nicht vorgesehen. Dementsprechend müsse auch vorab keine Stellungnahme von allfällig betroffenen Personen eingeholt werden. Die Vorinstanz verweist dabei auf die zum Zeitpunkt der Herausgabe geltende Weisung der Anklagekammer vom 15. August 2012 über die Herausgabe von Strafakten und die Erteilung von Auskünften nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens (Art. 6; nachfolgend: Weisung der Anklagekammer).
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4.2. Gemäss Art. 99 Abs. 1 StPO richten sich nach Abschluss des Strafverfahrens das Bearbeiten von Personendaten, das Verfahren und der Rechtsschutz nach den Bestimmungen des Datenschutzrechts von Bund und Kantonen. Auf die Grundlagen in den Bestimmungen des kantonalen Datenschutzgesetzes geht die Vorinstanz nicht ein. Der Kanton St. Gallen hat bezüglich der Verfügung über Strafakten nach Abschluss des Verfahrens Art. 35 EG-StPO/SG erlassen, auf dessen Abs. 2 lit. c die Vorinstanz ihren Entscheid stützt. Kantonales Recht prüft das Bundesgericht nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen bundesverfassungsmässigen Rechten (Art. 95 BGG; BGE 141 I 105 E. 3.3.1 S. 108 mit Hinweisen).
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4.3. Die Einwände des Beschwerdeführers sind allesamt unbegründet, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann.
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5. |
Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die Vorinstanz hätte auf sein Gesuch betreffend Sperrung seiner Daten eingehen und dieses gutheissen müssen.
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6. |
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass über sein Gesuch um Akteneinsicht und Auskunft noch nicht entschieden wurde.
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7. |
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vorinstanz ihm die Verfahrenskosten vollumfänglich auferlegt hat. Der Einwand ist unbegründet. Der Beschwerdeführer unterlag im vorinstanzlichen Verfahren vollständig. Er hat daher auch die Verfahrenskosten zu tragen und ihm steht kein Anspruch auf Entschädigung zu. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine Eingabe, welche die Staatsanwaltschaft als Beschwerde entgegen genommen hat, zuständigkeitshalber an die Anklagekammer weiterleitete, führt nicht dazu, dass die Verfahrenskosten als durch die Staatsanwaltschaft verursacht gelten.
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8. |
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdefü hrer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer hat als unterliegende Partei keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG e contrario).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 28. Oktober 2019
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Schär
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