Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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1B_352/2019
Urteil vom 30. Oktober 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Sauthier.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Albrecht,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Bleichemattstrasse 7, 5001 Aarau,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau.
Gegenstand
Strafverfahren; Kontosperre,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des
Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
vom 5. Juni 2019 (SBK.2018.286 / va [ST.2018.2183]).
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg führt gegen B.________, C.________ und die A.________ AG ein Strafverfahren wegen Betrugs und Veruntreuung. Mit Verfügung vom 6. September 2018 ordnete sie eine Sperre über sämtliche bei der Bank D.________ in der Schweiz angelegten oder verwalteten Vermögenswerte an, an welchen B.________, C.________ oder die A.________ AG (wirtschaftlich) berechtigt oder unterschrifts- bzw. zugriffsberechtigt sind. Insbesondere ordnete sie eine Kontosperre über den EUR-Kontokorrent www und den CHF-Kontokorrent xxx an.
Mit Verfügung vom 8. Oktober 2018 sperrte die Staatsanwaltschaft einen weiteren CHF-Kontokorrent yyy sowie ein Mietspardepot zzz bei der Bank D.________.
Eine gegen die Kontensperren gerichtete Beschwerde von B.________ und der A.________ AG wies das Obergericht des Kantons Aargau am 5. Juni 2019 ab, soweit es darauf eintrat.
B.
Mit Eingabe vom 12. Juli 2019 führt die A.________ AG Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, Ziff. 1 des Entscheids des Obergerichts vom 6. Juni 2019 sei aufzuheben und die mit Verfügungen der Staatsanwaltschaft vom 6. September 2018 und 8. Oktober 2018 verfügten Kontensperren seien aufzuheben.
Die Oberstaatsanwaltschaft sowie das Obergericht verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein Entscheid des Obergerichts, mit welchem dieses die Beschwerde gegen die von der Staatsanwaltschaft verfügten Kontensperren abgewiesen hat. Es handelt sich dabei um einen Entscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Strafsache, gegen den die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 BGG ). Er schliesst das Strafverfahren nicht ab, ist mithin ein Zwischenentscheid. Als solcher ist er nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirken kann. Dies ist bei Kontensperren der Fall (vgl. BGE 128 I 129 E. 1 S. 130 f.). Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 BGG). Die nach Art. 98 BGG für vorsorgliche Massnahmen vorgeschriebene Beschränkung auf Verfassungsrügen ist auf strafprozessuale Zwangsmassnahmen nicht anwendbar (BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 59 f.). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt vorab, die Vorinstanz sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von ihr festgestellte Gehörsverletzung gemäss Art. 29 Abs. 2 BV durch die Staatsanwaltschaft habe geheilt werden können. Der formalistische Leerlauf, welcher eine Rückweisung der Sache zur Folge gehabt hätte, hätte ihrer Ansicht nach "in Respektierung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips" in Kauf genommen werden müssen. Diese Kritik ist unbegründet. Die Heilung der Gehörsverletzung durch die Vorinstanz (mit Berücksichtigung im Kostenpunkt) erfolgte unter Beachtung der in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und ist nicht zu beanstanden (vgl. BGE 142 II 218 E. 2.8.1 S. 266 f.; Urteil 1B_277/2019 vom 17. September 2019 E. 2.1.3; zur Berücksichtigung im Kostenpunkt: vgl. Urteil 1B_449/2017 vom 13. November 2017 E. 5; je mit Hinweisen).
2.2. Soweit die Beschwerdeführerin zudem eine erneute Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht, da ihr die Aktennotiz, auf welche sich die Vorinstanz bei der Begründung des Tatverdachts u.a. stütze, nicht zugestellt worden sei, ist die Beschwerde ebenfalls unbehelflich. Wenn sie vorbringt, die Vorinstanz habe ein "unbekanntes und offensichtlich unverwertbares" Dokument zur Begründung des Tatverdachts herangezogen, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass es ihr zum einen offen gestanden hätte, Einsicht in die Akten zu verlangen. Zum anderen handelt es sich bei dem der Beschwerdeführerin angeblich nicht bekannten Dokument um eine Aktennotiz der Kantonspolizei Aargau vom 8. April 2019, welche die Staatsanwaltschaft der Vorinstanz mit Eingabe vom 16. April 2019 übermittelt hat. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin wurde ihr die Eingabe gemäss der aktenkundigen Verfügung der Vorinstanz vom 18. April 2019 sodann zur Kenntnisnahme zugestellt. Folglich hätte die Beschwerdeführerin nach Erhalt der Eingabe eine Stellungnahme dazu einreichen bzw. zumindest Frist zur Stellungnahme verlangen und somit ihr Äusserungsrecht wahrnehmen können. Obschon bis zum Entscheid der Vorinstanz vom 5. Juni 2019 genügend Zeit für eine Reaktion bestanden hätte, hat die Beschwerdeführerin aber darauf verzichtet. Wenn sie nun behauptet, die Aktennotiz sei ihr unbekannt, kann sie demzufolge nichts zu ihren Gunsten ableiten. Die Vorinstanz durfte mithin das Ausbleiben einer Reaktion auf ihre Verfügung vom 18. April 2019 als Verzicht auf eine weitere Äusserung werten. Darin liegt jedenfalls keine Gehörsverletzung.
3.
3.1. Die Kontosperre ist eine Form der Beschlagnahme. Als Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 196 StPO kann eine Beschlagnahme angeordnet werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, sie verhältnismässig ist und durch die Bedeutung der Straftat gerechtfertigt wird (Art. 197 Abs. 1 StPO).
3.2. Art. 263 Abs. 1 StPO regelt die Beweismittelbeschlagnahme (lit. a), die Kostendeckungsbeschlagnahme (lit. b), die Restitutionsbeschlagnahme (lit. c) und die Einziehungsbeschlagnahme (lit. d). Eine weitere Beschlagnahmeart sieht Art. 71 Abs. 3 StGB vor. Danach kann die Untersuchungsbehörde im Hinblick auf die Durchsetzung einer Ersatzforderung Vermögenswerte des Betroffenen mit Beschlag belegen. Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz die Voraussetzungen einer Einziehungsbeschlagnahme nach Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO sowie auch einer Ersatzforderungsbeschlagnahme nach Art. 71 Abs. 3 StGB bejaht.
4.
4.1. Die Vorinstanz erwog, es bestehe der Verdacht, die Beschwerdeführerin habe direkt auf die Kundengelder zugegriffen und diese Gelder transferiert, wodurch sich nun auf den gesperrten Konten der Beschwerdeführerin Kundengelder befänden, welche diese im Rahmen von Vermögensdelikten erlangt haben könnte. Obschon den Kunden gemäss den Angaben der Beschwerdeführerin das alleinige Zugriffsrecht auf das Handelskonto zustehe, sei davon auszugehen, dass sich das Kundengeld nicht (mehr) auf den Kundenkonten befände. Das von der Beschwerdeführerin dargelegte Geschäftsmodell (Bereitstellen von Algorithmen ohne weiteren Zugriff auf Kundengelder und Rechnungsstellung direkt an die Kunden) scheine nicht den tatsächlichen Ereignissen zu entsprechen. Der Verdacht werde sodann durch die Aussagen eines weiteren Geschädigten untermauert, welcher angegeben habe, dass Auszahlungen aus dem investierten Kapital über die Beschwerdeführerin an die Kunden hätten erfolgen sollen (vgl. Aktennotiz vom 8. April 2019). Mit dem durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) eingeleiteten Verfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen Verdachts auf unerlaubte Tätigkeit als Finanzintermediärin, der Meldung der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) sowie dem von der Geschädigten plötzlich erlittenen massiven Verlust ihres Investments (ca. EUR 218'500.--) und ihrem bislang vergeblichen Versuch, an ihr restliches Geld zu gelangen, lägen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, die Beschwerdeführerin habe im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Vermögensdelikte begangen.
4.2. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, es könne bereits deshalb nicht von einem Anfangsverdacht, geschweige denn von einem hinreichenden Tatverdacht wegen Anlagebetrugs gesprochen werden, weil schon ein arglistiges Vorgehen gegenüber der Geschädigten ausgeschlossen werden müsse. Die Geschädigte sei wiederholt auf die Risiken ihres Investments aufmerksam gemacht worden und habe diese akzeptiert. Indem sie die Handelsvollmacht vom 25. Juli 2017 unterschrieben habe, habe sie den darin erwähnten "hochspekulativen Ansatz" ihrer Einlagen sowie die Tatsache, dass es sich um ein "experimentelles und störanfälliges" Investment handle, akzeptiert. Damit entfalle der Verdacht einer kriminellen Handlung als Grundlage für eine Beschlagnahme von vornherein und eine solche erweise sich demnach nicht als rechtmässig.
4.3. Nach der Rechtsprechung hat das Bundesgericht im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweise vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung der beschuldigten Person daran vorliegen, die Strafbehörden somit das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein, um einen hinreichenden Tatverdacht begründen zu können (BGE 143 IV 330 E. 2.1 S. 333; Urteil 1B_333/2019 vom 1. Oktober 2019 E. 4.1; je mit Hinweisen). Am Anfang der Strafuntersuchung stellt die Rechtsprechung an den hinreichenden Tatverdacht noch weniger hohe Anforderungen (BGE 122 IV 91 E. 4 S. 96; Urteil 1B_194/2018 vom 28. Mai 2018 E. 4.3 mit Hinweis).
4.4. Wenn die Vorinstanz die Tatsache, wonach die Beschwerdeführerin aufgrund der Handelsvollmacht die Möglichkeit besass, auf den Kundenkonten Transaktionen durchzuführen, als Hinweis gewertet hat, es bestehe ein hinreichender Verdacht, die Beschwerdeführerin habe im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit nicht lediglich Algorithmen bereitgestellt, sondern auch direkt auf Kundengelder zugegriffen, ist dies nicht zu beanstanden.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist sodann zur Entkräftung der Arglist nicht allein entscheidend, dass die Geschädigte auf den hochspekulativen Ansatz bzw. den experimentellen und störanfälligen Charakter der Algorithmen hingewiesen worden sei. Wie die Vorinstanz in diesem Zusammenhang zu Recht ausführte, ist diesbezüglich, neben der Frage, ob die Geschädigte korrekt über das Risiko informiert wurde, insbesondere zu prüfen, ob ihr Geld vereinbarungsgemäss auf einem eigenen Konto bzw. überhaupt angelegt worden ist. Indem die Vorinstanz ausführte, daran bestünden erhebliche Zweifel, da die Geschädigte unter anderem ihre bei der Beschwerdeführerin verbleibenden rund EUR 1'500.-- nicht habe zurückerlangen können, obschon gemäss der Behauptung der Beschwerdeführerin die Kunden das alleinige Zugriffsrecht auf ihr Handelskonto hätten, begründet sie nachvollziehbar, weshalb sie gestützt auf diese Umstände einen hinreichenden Verdacht auf Vermögensdelikte angenommen hat. Ausserdem überzeugen auch ihre Ausführungen, wonach die Unstimmigkeiten zwischen dem gegenüber der FINMA angegebenen Zweck der Gesellschaft, welche keine Vermögensverwaltung beinhalte und der tatsächlichen Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin als weiterer Anhaltspunkt zur Begründung des Tatverdachts heranzuziehen sei, zumal das von der FINMA geführte Strafverfahren sowie die Meldung der MROS den Tatverdacht ebenfalls erhärten.
Im Übrigen ist zwar nicht auf den ersten Blick erkennbar, weshalb die Staatsanwaltschaft, jedenfalls soweit dies aus den Akten ersichtlich ist, die Kontoauszüge der Geschädigten nicht ediert und zu den Akten erkannt hat. Wenn die Staatsanwaltschaft und mit ihr die Vorinstanz aber der Auffassung waren, die Edition der Kontoauszüge der Geschädigten vermöchten den Tatverdacht zum jetzigen Zeitpunkt der Untersuchung nicht entscheidend zu entkräften, ist diese antizipierte Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerdeführerin darin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör erkennen will, kann ihr jedenfalls nicht gefolgt werden (vgl. BGE 141 I 60 E. 3.3 S. 64). Es ist der Beschwerdeführerin ferner unbenommen, ihren Beweisantrag im weiteren Verlauf der Untersuchung erneut zu stellen.
4.5. Betreffend die von der Beschwerdeführerin nicht bestrittene Verhältnismässigkeit der Kontensperren kann im Übrigen auf die ausführlichen und zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. Demnach steht keine mildere Massnahme zur Verfügung und rechtfertigt die Bedeutung der in Frage stehenden Straftaten die Kontensperren (vgl. E. 2.6 des angefochtenen Entscheids).
Der Vorinstanz ist folglich keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, wenn sie vor dem Hintergrund des aktuellen Stands der Untersuchung einen hinreichenden Tatverdacht auf Betrug und Veruntreuung bejahte und die Kontensperren als rechtmässig bestätigte.
5.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. Oktober 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier