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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
1C_319/2019
Urteil vom 1. November 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Stadtrat Aarau,
Rathausgasse 1, 5000 Aarau,
Departement Volkswirtschaft und Inneres
des Kantons Aargau, Gemeindeabteilung,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau 1 Fächer.
Gegenstand
Publikation des Nichtzustandekommens eines Referendums,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 23. April 2019 (WBE.2019.71).
Sachverhalt:
A.
Der Einwohnerrat Aarau fällte am 27. August 2018 einen Beschluss betreffend die Revision der kommunalen Nutzungsplanung. Im Amtsblatt des Kantons Aargau vom 5. Oktober 2018 publizierte der Stadtrat Aarau den Feststellungsbeschluss betreffend das Nichtzustandekommen des Referendums gegen diesen Einwohnerratsbeschluss:
Referendumsbegehren Ā«Revision NutzungsplanungĀ»; Feststellung des Nicht-zustandekommens
Am 25. September 2018 wurde für den folgenden, an der Einwohnerratssitzung vom 27. August 2018 gefassten Beschluss ein Referendumsbegehren hinterlegt:
- Der Einwohnerrat beschliesst die Revision der Nutzungsplanung mit Ausnahme der genehmigten Teilrückweisungsanträge zu § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 4, § 16 Abs. 4, § 17 Abs. 8, § 18 Abs. 4, § 52 und Anhang 2 (Perimeter Bahnhof Nord, Bahnhof Süd, Torfeld Nord und Telli Ost).
Am 1. Oktober 2018 sind bei der Stadtkanzlei fristgerecht 2 Unterschriftenlisten eingegangen.
Stimmberechtigte am 25. September 2018 14 229
- erforderliche Unterschriften (1⁄10) 1 423
- eingereichte gültige Unterschriften 13
- ungültige Unterschriften 0
Der Stadtrat Aarau hat festgestellt, dass das vorgenannte Referendumsbegehren die vorgeschriebene Anzahl gültiger Unterschriften nicht erreicht hat. Er hat das Referendumsbegehren als nicht zustande gekommen erklärt.
Stimmrechtsbeschwerden sind innert 3 Tagen nach Entdecken des Beschwerdegrundes, spätestens aber am 3. Tag nach der Veröffentlichung des Ergebnisses im Amtsblatt des Kantons Aargau beim Regierungsrat des Kantons Aargau, 5001 Aarau, einzureichen. Die Beschwerdeschrift muss einen Antrag und eine Begründung enthalten sowie den Sachverhalt kurz darstellen.
Aarau, 2. Oktober 2018
Stadtrat
In der gleichen Ausgabe des Amtsblatts hielt der Stadtrat in Bezug auf das Planfestsetzungsverfahren gemäss §§ 23 ff. des Gesetzes des Kantons Aargau vom 19. Januar 1993 über Raumentwicklung und Bauwesen (Baugesetz, BauG; SAR 713.100) Folgendes fest:
Revision allgemeine Nutzungsplanung; Rechtsgültigkeit Beschluss Einwohnerrat
Der Einwohnerrat hat am 27. August 2018 die Revision der Nutzungsplanung mit Ausnahme der Teilrückweisungen von § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 4, § 16 Abs. 4, § 17 Abs. 8, § 18 Abs. 4, § 52 und Anhang 2 (Perimeter Bahnhof Nord, Bahnhof Süd, Torfeld Nord und Telli Ost) beschlossen.
Nachdem innert Frist kein Referendum rechtsgültig zustande kam, ist dieser Beschluss rechtsgültig.
Wer ein schutzwürdiges eigenes Interesse hat, kann gegen diesen rechtsgültigen Beschluss beim Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5001 Aarau, Beschwerde führen.
Die nicht erstreckbare Beschwerdefrist von 30 Tagen beginnt am Tag nach der Publikation der Rechtsgültigkeit des einwohnerrätlichen Beschlusses im Amtsblatt des Kantons Aargau zu laufen. Organisationen gemäss § 4 Abs. 3 Baugesetz (BauG) sind ebenfalls berechtigt, Beschwerde zu führen.
Wer es unterlassen hat, im Einwendungsverfahren Einwendungen zu erheben, obwohl Anlass dazu bestanden hätte, kann den vorliegenden Beschluss nicht mehr anfechten (§ 4 Abs. 2 BauG). Vorbehalten bleiben Bestimmungen über die Wiederherstellung bei unverschuldeter Säumnis. Die Unterlagen können während der Beschwerdefrist im Stadtbüro Aarau, Rathausgasse 1, Aarau, eingesehen werden. Die Beschwerdeschrift muss einen Antrag und eine Begründung enthalten, das heisst, es ist
a) aufzuzeigen, wie der Regierungsrat entscheiden soll, und
b) darzulegen, aus welchen Gründen diese andere Entscheidung verlangt wird.
Auf eine Beschwerde, welche diesen Anforderungen nicht entspricht, wird nicht eingetreten. Eine Kopie des angefochtenen Entscheids ist der unterzeichneten Beschwerdeschrift beizulegen. Allfällige Beweismittel sind zu bezeichnen und soweit möglich einzureichen. Das Beschwerdeverfahren ist mit einem Kostenrisiko verbunden, das heisst, die unterliegende Partei hat in der Regel die Verfahrenskosten sowie gegebenenfalls die gegnerischen Anwaltskosten zu bezahlen.
Aarau, 2. Oktober 2018
Stadtrat
In der Folge reichten A.________, B.________ und C.________ beim Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) des Kantons Aargau eine Beschwerde ein, die sie als "Stimmrechtsbeschwerde/Gemeindebeschwerde" bezeichneten. Mit Entscheid vom 14. Februar 2019 wies das DVI die Stimmrechtsbeschwerde ab. In der Begründung hielt es unter anderem fest, die Eingabe sei allein als Stimmrechtsbeschwerde entgegenzunehmen. Zudem bezeichnete es einen Teil der Vorbringen als verspätet, weshalb darauf nicht eingetreten werden könne.
Die genannten Personen erhoben gegen den Entscheid des DVI Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, welches das Rechtsmittel am 23. April 2019 abwies, soweit es darauf eintrat.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 7. Juni 2019 beantragen A.________ und B.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass das Stimmrecht verletzt worden sei. Eventualiter sei der referendumsfähige Teil des Beschlusses vom 27. August 2018 mit neuer Referendumsfrist im Amtsblatt auszuschreiben. Subeventualiter sei die Sache ans Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Weiter sei die Gemeindebeschwerde vom 27. August 2018 anzunehmen oder zur materiellen Behandlung ans DVI, eventualiter ans Verwaltungsgericht, zurückzuweisen. Schliesslich sei eine Amtspflichtverletzung durch die Stadt Aarau und das DVI festzustellen. In prozessualer Hinsicht stellen sie unter anderem ein Gesuch um aufschie-bende Wirkung.
Der Stadtrat und das Verwaltungsgericht beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das DVI schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführer haben dazu Stellung genommen. Mit Eingabe vom 28. September 2019 stellen sie ein Gesuch um weitere vorsorgliche Massnahmen.
C.
Mit Präsidialverfügung vom 3. Juli 2019 hat das Bundesgericht das Gesuch der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung abgewiesen.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerdeführer machen zum einen geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. April 2019 verletze ihre politischen Rechte. Insofern ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in der Form der Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 82 lit. c BGG das zutreffende Rechtsmittel. Das angefochtene Urteil ist kantonal letztinstanzlich und entspricht den Anforderungen von Art. 88 BGG. Die Beschwerdeführer sind unbestrittenermassen in Aarau stimmberechtigt und damit gemäss Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde legitimiert.
1.2. Zum andern rügen sie eine Rechtsverweigerung, weil das Verwaltungsgericht den Entscheid des DVI, auf ihre Gemeindebeschwerde nach §§ 106 ff. des Gesetzes des Kantons Aargau vom 19. Dezember 1978 über die Einwohnergemeinden (Gemeindegesetz, GG; SAR 171.100) nicht einzutreten, geschützt habe. Inhaltlich machen sie geltend, bei der Auflage der Bau- und Nutzungsordnung hätten wichtige Akten gefehlt; dies habe mit dem Stimmrecht nichts zu tun. Ob in dieser Hinsicht trotzdem die Stimmrechtsbeschwerde oder stattdessen die Beschwerde gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts gemäss Art. 82 lit. a BGG zur Verfügung steht, kann offen bleiben, weil die Sachurteilsvoraussetzungen jedenfalls erfüllt sind.
1.3. Der Antrag, es sei eine Amtspflichtverletzung durch die Stadt Aarau und das DVI festzustellen, wird zum ersten Mal im bundesgerichtlichen Verfahren gestellt. Er ist neu und deshalb unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).
2.
2.1. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, das Verwaltungsgericht sei befangen, weil es sie als Gegner des neuen Stadionprojekts bezeichnet habe. Sie räumen ein, dass dies beim Beschwerdeführer 2 zutreffe, halten jedoch entgegen, dass deswegen "in anderen Fragen nicht willkürlich gegen ihn argumentiert werden" dürfe. In Bezug auf den Beschwerdeführer 1 bestreiten sie, dass von einem Stadiongegner gesprochen werden könne. Er habe einzig und allein Stimmrechtsbeschwerden eingereicht, die den demokratischen Umgang mit dem Stadionprojekt betroffen hätten. Weiter weisen sie auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Mai 2019, in welchem dem Beschwerdeführer 1 Kosten auferlegt worden seien, obwohl Stimmrechtsbeschwerden im Kanton Aargau kostenlos seien.
2.2. Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Garantie wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit begründen (BGE 140 I 240 E. 2.2 S. 242 mit Hinweisen).
2.3. Soweit die Beschwerdeführer die Befangenheit mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Mai 2019 begründen, handelt es sich dabei um ein unzulässiges Novum (Art. 99 Abs. 1 BGG). Darauf ist nicht einzutreten.
2.4. In der beanstandeten Erwägung 1.2.3 des vorliegend angefochtenen Urteils vom 23. April 2019 legte das Verwaltungsgericht dar, weshalb es davon ausging, dass der Beschwerdeführer 2 von den Bemühungen des Beschwerdeführers 1, ein Referendum zu erheben, Kenntnis hatte. Dies tat es, indem es aufzeigte, dass beide im Zusammenhang mit dem Stadionprojekt schon mehrfach von Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hatten. Das Letzteres zutrifft, bestreiten die Beschwerdeführer nicht. Selbst wenn übertrieben bzw. unzutreffend wäre, beim Beschwerdeführer 1 davon zu sprechen, dass er seit Jahren mit allen rechtlich möglichen Mitteln gegen die Realisierung des neuen Stadionprojekts kämpfe, kann darin keine Befangenheit der am Entscheid mitwirkenden Verwaltungsrichter erblickt werden. Die Aussage ist objektiv gesehen weder ehrenrührig noch unsachlich, auch wenn sie die Beschwerdeführer als Vorwurf auffassen. Art. 30 Abs. 1 BV erweist sich deshalb als nicht verletzt.
3.
Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, das DVI habe § 106 GG verletzt, indem es ihre Beschwerde ausschliesslich als Stimmrechtsbeschwerde entgegengenommen habe. Darin sei eine Rechtsverweigerung und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erblicken. Das Verwaltungsgericht hielt dazu zutreffend fest, die Gemeindebeschwerde sei subsidiär. Dies geht aus § 106 Abs. 2 GG hervor, wonach die Gemeindebeschwerde nur bei Rechtsverletzungen im Verfahren zulässig ist, sofern kein anderer Rechtsbehelf gegeben ist. Wenn das DVI die Beschwerde als Stimmrechtsbeschwerde entgegennahm und das Verwaltungsgericht dieses Vorgehen schützte, ist darin deshalb weder eine Rechtsverweigerung noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erblicken.
4.
Das Verwaltungsgericht legte darüber hinaus im Wesentlichen dar, die Stimmrechtsbeschwerde ans DVI sei verspätet erfolgt, soweit sie sich auf Umstände beziehe, die sich vor dem 5. Oktober 2018 ereignet hätten. Die Beschwerdeführer bestreiten dies und wiederholen dabei die Kritik, die der Beschwerdeführer 1 bereits im bundesgerichtlichen Verfahren 1C_301/2019 vorbrachte. Auf die Erwägungen des Urteils in jenem Verfahren, das am gleichen Datum wie das vorliegende Urteil ergeht, kann vollumfänglich verwiesen werden. Daraus ergibt sich, dass die kurze Beschwerdefrist von drei Tagen aufgrund des öffentlichen Interesses an einer raschen Klärung der Rechtslage nicht verfassungswidrig ist und dass der von den Beschwerdeführern behauptete Mangel bereits mit der Publikation des Beschlusses des Einwohnerrats vom 27. August 2018 im Amtsblatt vom 31. August 2018 erkennbar gewesen war (a.a.O., E. 4). Dass der im Amtsblatt vom 5. Oktober 2018 publizierte Beschluss des Stadtrats, der den Beschwerdeführern als äusserer Anlass für ihre Stimmrechtsbeschwerde diente, rechtsverletzend wäre, zeigen sie nicht auf.
5.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Das mit Eingabe vom 28. September 2019 gestellte Gesuch um vorsorgliche Massnahmen wird damit gegenstandslos.
Die Beschwerdeführer stellen ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Stadtrat Aarau, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. November 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Der Gerichtsschreiber: Dold