Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_917/2019
Urteil vom 10. Februar 2020
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterinnen van de Graaf, Koch,
Gerichtsschreiber Held.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Gerhard Schnidrig,
Beschwerdeführerin,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Grobe Verkehrsregelverletzung; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 14. Juni 2019 (SK 19 7).
Sachverhalt:
A.
Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilte die A.________ wegen einfacher Verkehrsregelverletzung zu einer Busse von Fr. 500.- respektive zu fünf Tagen Ersatzfreiheitsstrafe im Falle schuldhafter Nichtbezahlung der Busse.
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft verurteilte das Obergericht des Kantons Bern A.________ wegen grober Verkehrsregelverletzung und sprach eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 50.- sowie eine Verbindungsbusse von Fr. 250.- (ersatzweise eine Freiheitsstrafe von fünf Tagen bei schuldhafter Nichtbezahlung) aus.
B.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt zusammengefasst, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und sie sei wegen einfacher Verkehrsregelverletzung zu einer Übertretungsbusse von Fr. 500.- zu verurteilen.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige und unvollständige Sachverhaltsfeststellung. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung stehe im Widerspruch zu den vorhandenen Beweismitteln und beruhe in Teilen auf blossen Annahmen. Zudem sei weder der objektive noch der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt. Zwar sei ihr Fahrmanöver verkehrswidrig gewesen und aufgrund des Bremsmanövers mit kurzfristig blockierenden Reifen des von ihr zuvor überholten Sattelschleppers habe die Gefahr einer Kollision bestanden. Es sei jedoch zu ihren Gunsten davon auszugehen, dass nicht die von ihr begangene Verkehrsregelverletzung, sondern die (unachtsame) Fahrweise des Lkw-Fahrers ursächlich für die Gefährdung der Verkehrssicherheit gewesen sei. Auch könne ihr Verhalten nicht als rücksichtslos bezeichnet werden. Entgegen der Vorinstanz habe sie das Stauende auf der Normalspur nicht wahrnehmen können und müssen.
1.2. Die Vorinstanz hält zusammengefasst für erstellt, dass die Beschwerdeführerin bei starkem Verkehrsaufkommen auf der A1 einen Sattelschlepper überholt und vor diesem vom dritten (linken) auf den zweiten Fahrstreifen (Mittelspur) gewechselt habe, um anschliessend auf die Normalspur (rechter Fahrstreifen) zu wechseln. Während die Fahrzeuge auf den beiden Überholspuren etwas langsamer als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gefahren seien, habe auf der Normalspur "stop and go"-Verkehr geherrscht, weshalb die Beschwerdeführerin ihr Auto (auf der ersten Überholspur) bis zum Stillstand habe abbremsen und einige Sekunden stehen bleiben müssen, bevor sie sich in die Kolonne habe einordnen können. Um einen Unfall zu vermeiden, habe der Führer des von ihr zuvor überholten Sattelschleppers derart stark bremsen müssen, dass die Reifen blockierten (und er habe ein Ausweichmanöver mit Spurwechsel vollziehen müssen). Die Strassen- und Sichtverhältnisse seien trotz leichter Schnee- bzw. Regenschauer gut gewesen.
Die Vorinstanz erwägt, dem Gebot des vorsichtigen Fahrstreifenwechsels komme auf Autobahnen, insbesondere bei einem hohen Verkehrsaufkommen, bei dem in der Regel der Abstand trotz verhältnismässig hoher Geschwindigkeiten geringer sei, besondere Bedeutung zu. Durch den Fahrstreifenwechsel mit vollständigem Stillstand während mehrerer Sekunden auf der ersten Überholspur sei es zu einer konkreten Gefährdung des Lkw-Fahrers gekommen und auch für den nachfolgenden Verkehr habe die Gefahr eines Auffahrunfalls bestanden. Die Beschwerdeführerin habe die angesichts des hohen Verkehrsaufkommens mit dem Fahrstreifenwechsel verbundene Gefahr pflichtwidrig nicht in Betracht gezogen. Die gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG erforderliche Rücksichtslosigkeit sei gegeben, da die Beschwerdeführerin eine evidente Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen habe, obwohl es ihr ohne Weiteres möglich gewesen wäre weiterzufahren, nachdem sie den Stau auf der Normalspur spätestens nach dem Überholvorgang wahrgenommen gehabt habe, und so die Gefahr zu vermeiden.
2.
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil grundsätzlich den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 144 V 50 S. 52 f. mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung, wenn der angefochtene Entscheid unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 143 IV 500 E. 1.1, 241 E. 2.3.1; je mit Hinweis). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Im Rahmen der Sachverhaltsrüge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 141 IV 369 E. 6.3; Urteile 6B_986/2017 vom 26. Februar 2018 E. 2.4.1; 6B_800/2016 vom 25. Oktober 2017 E. 10.3.1, nicht publiziert in BGE 143 IV 397).
2.2. Nach Art. 90 Abs. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. In objektiver Hinsicht setzt die Annahme einer schweren Widerhandlung bzw. einer groben Verkehrsregelverletzung voraus, dass die Verkehrssicherheit ernsthaft gefährdet wurde. Dabei genügt eine erhöhte abstrakte Gefährdung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt demnach nur zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 90 Abs. 2 SVG, wenn in Anbetracht der Umstände der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder gar einer Verletzung naheliegt (BGE 142 IV 93 E. 3.1; Urteil 6B_510/2019 vom 8. August 2019; je mit Hinweisen).
Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässiger Begehung grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht. Die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall voraus, dass das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht. Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein (BGE 142 IV 93 E. 3.1; Urteil 6B_510/2019 vom 8. August 2019; je mit Hinweisen).
3.
3.1. Die Sachverhaltsrügen erweisen sich als unbegründet, soweit auf sie eingetreten werden kann. Was die Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung vorbringt, erschöpft sich weitgehend in appellatorischer Kritik oder erweist sich für den Verfahrensausgang als nicht relevant. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich darauf, frei zum Beweisergebnis zu plädieren und die Schlussfolgerungen der Vorinstanz zu kritisieren. Damit ist sie im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht zu hören. Das Bundesgericht ist als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 140 III 264 E. 2.3). Es überprüft im Rahmen einer Sachverhaltsrüge lediglich - aber immerhin -, ob das erkennende Sachgericht unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise übersehen oder solche willkürlich ausser Acht gelassen hat (vgl. BGE 140 III 264 E. 3.2; Urteil 6B_800/2016 vom 25. Oktober 2017 E. 10.3.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 397; je mit Hinweisen). Inwieweit dies der Fall sein soll, ergibt sich aus der freien Beweiswürdigung der Beschwerdeführerin nicht und ist auch nicht erkennbar.
Zudem zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf, inwiefern für den Verfahrensausgang entscheidend sein soll, bei welchem Autobahnkilometer der Stau exakt begonnen hat (was die Vorinstanz im Übrigen ausdrücklich offfenlässt). Der Schuldspruch gründet nicht auf dem Vorwurf, dass die Beschwerdeführerin links an der Kolonne vorbeigefahren ist und sich nach dem Überholmanöver zu "spät" eingeordnet hat. Die Vorinstanz begründet die schwere Verkehrsregelverletzung ausschliesslich damit, dass die Beschwerdeführerin ihr Fahrzeug nach Abschluss des Überholmanövers auf der (ersten) Überholspur trotz hohen Verkehrsaufkommens mit Geschwindigkeiten von knapp 100 km/h bis zum vollständigen Stillstand während mehrerer Sekunden abgebremst hat, um sich in den stockenden Kolonnenverkehr auf der Normalspur einzuordnen. Insofern erweist sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung auch nicht als unvollständig. Denn unabhängig davon, ob der Lkw-Fahrer - wie die Beschwerdeführerin zur ihrer Verteidigung vorbringt - schneller hätte bremsen und damit ein Blockieren der Reifen hätte verhindern können, bleibt ihr Fahrmanöver hinsichtlich einer (allfälligen) Gefährdung des Strassenverkehrs kausal (vgl. zum natürlichen Kausalzusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non als Tatfrage: BGE 139 V 176 E. 8.4.1 ff. mit Hinweisen). Ob die Vorinstanz auf der Grundlage des von ihr willkürfrei festgestellten Sachverhalts einen adäquaten Kausalzusammenhang/Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fahrmanöver und einem (allfälligen) Gefahrerfolg bejahen durfte, betrifft eine vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage (BGE 143 III 242 E. 3.7; 142 IV 237 E. 1.5.1 f.; Urteil 6B_922/2018 vom 9. Januar 2020 E. 4.1.3).
3.2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 90 Abs. 2 SVG aus der von ihr als offensichtlich unrichtig gerügten Sachverhaltsfeststellung ableitet, ist sie nicht zu hören (vgl. vorstehend E. 3.1). Dass die Vorinstanz das Fahrmanöver der Beschwerdeführerin als grob verkehrswidrig mit der Folge einer ernstlichen Gefahr für die Verkehrssicherheit respektive für andere Verkehrsteilnehmer einstuft (vgl. Art. 4 Abs. 5, Art. 18 Abs. 1 VRV ), ist nicht zu beanstanden und wird auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Das Abbremsen des Fahrzeugs bis zum vollständigen Stillstand auf der Überholspur bei starkem Verkehr mit Geschwindigkeiten um 100 km/h führte vorliegend nicht nur zu einer abstrakt erhöhten Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer, sondern zog - wie die Beschwerdeführerin selbst ausführt - für den hinter ihr fahrenden Sattelschlepper aufgrund des Bremsmanövers mit kurzfristig blockierenden Reifen eine (konkrete) Unfallgefahr nach sich. Dass die kantonalen Instanzen ein kausalitätsunterbrechendes "Mitverschulden" des Sattelschlepper-Führers verneinen, ist nicht zu beanstanden. Das Strafrecht kennt keine Verschuldenskompensation. Die behauptete verspätete Reaktion des Lkw-Fahrers würde keinen "ganz aussergewöhnlichen Umstand" darstellen, der das Stehenbleiben auf der Überholspur in der konkreten Verkehrssituation als Ursache für die Gefahrschaffung völlig in den Hintergrund drängen würde (vgl. zur Unterbrechung des Kausalverlaufs: BGE 142 IV 237 E. 1.5.2; Urteil 6B_120/2019 vom 17. September 2019 E. 4.4; je mit Hinweisen).
Die Vorinstanz verletzt auch kein Bundesrecht, indem sie ein rücksichtsloses Verhalten aufgrund grober Fahrlässigkeit bejaht. Dieses entfällt nicht deshalb, da die Beschwerdeführerin nach ihrem Dafürhalten den Stau auf der Normalspur bei Beginn des Überholmanövers nicht habe erkennen können und sie den Fahrstreifenwechsel noch vor der hierfür vorgesehenen Signalisation vollzogen hat. Die Vorinstanz führt zutreffend aus, dass die Beschwerdeführerin eine evidente Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen hat, obwohl es ihr ohne Weiteres möglich gewesen wäre weiterzufahren, nachdem sie den Stau auf der Normalspur spätestens nach dem Überholvorgang wahrgenommen hatte, und so die Gefahr hätte vermeiden können. Den damit allenfalls verbundenen Umweg und Zeitverlust hätte die Beschwerdeführerin in Kauf nehmen müssen.
4.
Die Gerichtskosten trägt die Beschwerdeführerin (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. Februar 2020
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Held