Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_114/2019
Urteil vom 26. Februar 2020
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin van de Graaf,
Bundesrichterin Koch,
Gerichtsschreiber Reut.
Verfahrensbeteiligte
Bundesanwaltschaft,
Guisanplatz 1, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenz Hirni,
2. B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lukas Bürge,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Verstoss gegen Art. 2 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen; rechtliches Gehör, Anklagegrundsatz etc.,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts, Strafkammer, vom 15. Juni 2018 (SK.2017.49).
Sachverhalt:
A.
Am 20. November 2015 veröffentlichte der Verein "E" (nachfolgend E.________") das Video "AR/EN/FR/DE - Exclusive Interview with Dr. D.________ - The Islamic State and I" auf seinem Youtube-Kanal. Am 5. Dezember 2015 führte der E.________ in einem Hotelsaal in Winterthur ausserdem einen Film mit dem Titel "al-Fajr as sâdiq" (deutsch: "Die wahrhaftige Morgendämmerung") auf und publizierte diesen anschliessend ebenfalls auf seinem Youtube-Kanal. Die Filme wurden auch über die sozialen Netzwerke des Vereins bekannt gemacht.
B.
Mit Anklageschrift vom 21. September 2017, die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen worden war, wird A.________, B.________ sowie dem Mitbeschuldigten C.________ vorgeworfen, gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen vom 12. Dezember 2014 (SR 122; nachfolgend "Al-Qaïda/IS-Gesetz") verstossen zu haben, indem sie die genannten Filme hergestellt (Vorwurf betrifft nur C.________), veröffentlicht und über die sozialen Medien sowie an einer öffentlichen Veranstaltung aktiv beworben hätten. Durch die Veröffentlichung der Propaganda-Videos habe D.________, Anführer der damals Jabhat Al-Nusra genannten Gruppierung (syrischer Ableger der Al-Qaïda), eine prominente, mehrsprachige und multimediale Plattform erhalten, um seine eigene Person sowie die Ideologie der von ihm vertretenen terroristischen Organsiation Al-Qaïda vorteilhaft darzustellen und zu propagieren.
C.
Am 15. Juni 2018 sprach die Strafkammer des Bundesstrafgerichts A.________ und B.________ vom Vorwurf der mehrfachen Widerhandlung gegen das Al-Qaïda/IS-Gesetz frei. C.________ sprach es dagegen in fünf von sechs Anklagepunkten schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von 20 Monaten.
D.
Die Bundesanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei in Bezug auf A.________ und B.________ aufzuheben. Diese seien des Verstosses gegen das Al-Qaïda/IS-Gesetz schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. B.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde, A.________ ein Nichteintreten auf die Beschwerde, eventualiter deren Abweisung. Das Bundesstrafgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Erwägungen:
1.
Der seit dem 1. Januar 2019 geltende neue Art. 80 Abs. 1 BGG (AS 2017 5769) ist nur auf Entscheide anwendbar, die nach dem 31. Dezember 2018 erlassen wurden (Urteil 6B_993/2017 vom 20. August 2019 E. 1.1). Da das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts vor dem 1. Januar 2019 erging, ist dessen Anfechtung mit Beschwerde in Strafsachen vor dem Bundesgericht zulässig (Urteil 6B_37/2019 vom 8. Januar 2020 E. 1 mit Hinweisen).
2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 9, Art. 325 und Art. 329 StPO . Die Vorinstanz komme zum Schluss, dass sich der Mitbeschuldigte C.________ des mehrfachen Verstosses gegen Art. 2 Al-Qaïda/IS-Gesetz schuldig gemacht habe, indem er eine bzw. mehrere Propagandaaktionen für die verbotene Organisation Al-Qaïda organisiert hätte. Sie habe gestützt auf die Anklageschrift sowie die Akten bejaht, dass es sich bei den fraglichen Videos um tatbestandsmässige Propaganda für den syrischen Al-Qaïda-Ableger Jabhat Al-Nusra sowie für die Ideologie von Al-Qaïda handle. Sie habe ebenfalls als erstellt erachtet, dass C.________ mit einem Auftritt per Videokonferenz an einer öffentlichen Vorführung in einem Hotel in Winterthur, das von ihm hergestellte und veröffentlichte Video beworben und damit ebenfalls Propaganda betrieben hätte. Gleichzeitig erachte die Vorinstanz die diesbezüglichen, identischen Vorwürfe gegenüber den Beschwerdegegnern in der Anklageschrift als unzureichend beschrieben. Ihre Kritik lasse sich nur so deuten, dass es unerlässlich gewesen wäre, in der Anklageschrift für beide Beschwerdegegner die Ausführungen zum Inhalt der beiden Propaganda-Videos, zur Person D.________ sowie zu den Gruppierungen Jabhat Al-Nusra und Jaysh Al-Fath zu wiederholen oder aber jeweils einen "präzisen Verweis" darauf anzubringen. Zu dieser Ansicht gelange die Vorinstanz durch eine übermässig formalistische Herangehensweise. Die Beschwerdegegner hätten jedenfalls sehr genau gewusst, welcher konkreten Handlungen sie beschuldigt würden. Nötigenfalls hätte die Vorinstanz das Verfahren sistieren und die Anklage zur Berichtigung bzw. Ergänzung zurückweisen müssen.
2.1. Nach dem in Art. 9 Abs. 1 StPO festgeschriebenen Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt der Anklagegrundsatz den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 143 IV 63 E. 2.2 mit Hinweisen). Die Anklageschrift muss den Anforderungen von Art. 325 StPO genügen. Danach sind die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten "möglichst kurz, aber genau" mit Beschreibung Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung zu bezeichnen (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Die Darstellung des Lebensvorgangs ist auf den gesetzlichen Tatbestand auszurichten, der nach Auffassung der Anklage als erfüllt zu betrachten ist, d.h. es ist anzugeben, welche einzelnen Vorgänge und Sachverhalte den einzelnen Merkmalen des Straftatbestandes entsprechen (BGE 120 IV 348 E. 3c S. 355 mit Hinweis). Ungenauigkeiten sind solange nicht von entscheidender Bedeutung, als für die beschuldigte Person keine Zweifel darüber bestehen, welches Verhalten ihr angelastet wird. Überspitzt formalistische Anforderungen dürfen an die Anklageschrift nicht gestellt werden (Urteile 6B_1319/2016 vom 22. Juni 2017 E. 2.1.2, nicht publ. in: BGE 143 IV 347; 6B_1313/2015 vom 29. November 2016 E. 1.3; je mit Hinweis).
2.2. Die Vorinstanz hat sich im Rahmen der Prüfung der Anklagevorwürfe gegen den Mitbeschuldigten C.________ einlässlich mit den Filmen "AR/EN/FR/DE - Exclusive Interview with Dr. D.________ - The Islamic State and I" sowie "Die wahrhaftige Morgendämmerung" auseinandergesetzt und dabei namentlich auch die Rolle von D.________ analysiert. Dieser habe die strategischen Anliegen von Al-Qaïda aktiv unterstützt und sich für deren Stärkung eingesetzt. C.________ habe wiederum mit der Herstellung und Veröffentlichung der Filme und mit seinem Auftritt via Videokonferenz an einer öffentlichen Vorführung des Films "Die wahrhaftige Morgendämmerung" in Winterthur, Propaganda für Jabhat Al-Nusra und die Ideologie von Al-Qaïda betrieben und sich damit der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 2 Al-Qaïda/IS-Gesetz schuldig gemacht (angefochtener Entscheid S. 45 ff.).
In Bezug auf die Anklagevorwürfe gegen die Beschwerdegegner kommt die Vorinstanz demgegenüber zum Schluss, die den Beschwerdegegnern vorgeworfenen Taten würden keine nach Art. 2Al- Qaïda/IS-Gesetz strafbare Handlung umschreiben. Es werde nicht dargelegt, welche Bilder, Texte, Äusserungen oder Gebärden Propaganda für D.________ und Jaysh Al-Fath (Rebellenallianz gegen das Regime von Bashar al-Assad in Syrien, zu der auch Jabhat Al-Nusra zählte) vom Vorwurf erfasst sein sollen, worin die vorteilhafte Darstellung der Ideologie von Al-Qaïda bestehe und wozu die Beschwerdegegner Dritte hätten beeinflussen wollen. Sodann könnten die Aktenverweise in der Anklageschrift nicht an die Stelle der erforderlichen Umschreibung des Tatvorwurfs treten. Hinzu komme schliesslich, dass die Anklageschrift die Vorwürfe gegen drei beschuldigte Personen umfasse, aber keine Mittäterschaft angeklagt sei. Die Beschwerdegegner seien nicht gehalten, die gegen eine mitbeschuldigte Person erhobenen Vorwürfe zu prüfen und abzuwägen, ob allenfalls und inwiefern diese auch gegen sie "miterhoben" sein könnten. Die in der Anklageschrift gegen C.________ beschriebenen Vorwürfe würden sich von jenen in der Anklage gegen die Beschwerdegegner unterscheiden. Eine Übertragung auf den Vorwurf gegen einen Dritten sei ohne klaren, eingrenzenden Verweis und logisch vollziehbaren Konnex nicht praktikabel. Unter diesen Umständen seien die Beschwerdegegner freizusprechen (angefochtener Entscheid S. 67 ff.).
2.3. Die insgesamt 31-seitige Anklageschrift umfasst zunächst eine kurze Zusammenfassung der Vorwürfe gegen alle drei Beschuldigten. Danach soll C.________ in Syrien Filmaufnahmen von D.________ gemacht haben. Die beiden von C.________ daraus anschliessend hergestellten Filme seien auf der Internetplattform Youtube öffentlich gemacht sowie vor und nach der Veröffentlichung durch C.________ und die Beschwerdegegner über soziale Medien und an einer öffentlichen Veranstaltung aktiv beworben worden (Ziff. 1 der Anklageschrift). Unter Ziff. 1.1 werden alsdann die Vorwürfe gegen den Mitbeschuldigten C.________ dargelegt, wobei sich die Anklageschrift über mehrere Seiten detailliert zum Herstellungsprozess der Filme, zur Person D.________, zu dessen Stellung als religiöse und ideologische Autorität, zum Inhalt des Interviews und zur Bewerbung der Videos äussert. Auch wenn die bildliche Artikulation von D.________, welche namentlich die Aufforderung muslimischer Jugendlicher zum gewaltsamen Dschihad beinhalten soll, durchaus zusätzlicher Ausführungen bedurfte, wird der C.________ vorgeworfene Sachverhalt in der Anklageschrift insofern nicht "kurz" im Sinne des Gesetzes, sondern vielmehr akribisch dargelegt. Die Anklageschrift geht damit über den gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt hinaus, allerdings ohne dass sie ihrer Umgrenzungs- und Informationsfunktion nicht mehr gerecht würde. Das gilt auch mit Blick auf die zahlreichen Aktenverweise, die nicht Bestandteil der Anklageschrift bilden (Urteil 6B_1032/2017 vom 1. Juni 2018 E. 1.2 mit Hinweis).
2.4. Ungeachtet einer möglichen Verletzung von Art. 329 und Art. 333 StPO , die es dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, die Anklage zur Ergänzung oder Änderung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, kann den Schlussfolgerungen der Vorinstanz, wonach der Tatvorwurf in Bezug auf die Beschwerdegegner (Ziff. 1.2 und 1.3 der Anklageschrift) zu wenig umschrieben sei, unter diesen Umständen nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass angesichts der Kritik der Vorinstanz bloss die unter Ziff. 1.1 der Anklageschrift dargelegten Ausführungen zur Propaganda im Sinne eines "copy and paste" unter Ziff. 1.2 und 1.3 hätten eingefügt werden müssen. Eine solche Forderung stellt einen übertriebenen Formalismus dar. Die Wiederholung würde zu einer blossen Aufblähung der Anklageschrift führen. Aus der Gesamtbetrachtung der Anklageschrift ergibt sich jedenfalls ohne Weiteres, welche Taten den Beschwerdegegnern vorgeworfen werden. Auch in Bezug auf den Modus Operandi unterscheidet die Anklage die von den Beschuldigten für die Ziele von Jaysh Al-Fath bzw. von Al-Qaïda jeweils organsierten Propagandaaktionen oder vorgenommenen Werbehandlungen hinreichend präzise. Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht, wenn sie die Beschwerdegegner mit der Begründung, die Tatvorwürfe seien in der Anklageschrift nicht hinreichend umschrieben, freispricht.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Damit erübrigt sich eine Prüfung der weiteren Rügen. Die Sache ist an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückzuweisen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG) und keine Parteientschädigungen geschuldet ( Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Ziff. II und Ziff. III des Urteils des Bundesstrafgerichts vom 15. Juni 2018 werden aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. Februar 2020
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Reut