Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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2C_879/2019
Urteil vom 27. Februar 2020
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Beusch,
Gerichtsschreiber Nabold.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Frau lic. iur. Eva Wirth, Rechtsanwältin,
gegen
Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau.
Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 4. September 2019 (WBE.2018.355).
Sachverhalt:
A.
Der 1990 geborene A.________ ist Bürger von Nordmazedonien. Er reiste im Dezember 2001 im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz ein und erhielt am 1. Februar 2002 eine Niederlassungsbewilligung.
Nach seiner Volljährigkeit wurde A.________ in der Schweiz wiederholt straffällig, insbesondere verurteilte ihn das Bezirksgericht Baden am 2. Dezember 2014 unter anderem wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und gewerbsmässigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten (wovon zehn Monate unbedingt vollziehbar). Am 25. Januar 2017 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zurzach unter anderem wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte und einfacher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten (teilweise als Zusatzstrafe zum erwähnten Urteil des Bezirksgerichts Baden) und zu einer Busse. Die sexuellen Handlungen mit einem Kind bestanden in regelmässigem Geschlechtsverkehr mit seiner 1998 geborenen Partnerin, die inzwischen drei Kinder hat (geboren 2014, 2018 und 2019). A.________ ist gerichtlich festgestellt Vater des ältesten Kindes und nach eigenen Angaben auch Vater der beiden anderen Kinder. Die Kinder und ihre Mutter besitzen das Schweizer Bürgerrecht.
Mit Verfügung vom 8. August 2017 und Einspracheentscheid vom 21. August 2018 widerrief das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau die Niederlassungsbewilligung und wies A.________ auf den Zeitpunkt des Endes des Strafvollzuges oder, falls die Verfügung zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig sein sollte, innert 90 Tagen nach Rechtskraft aus der Schweiz weg.
B.
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 4. September 2019 ab.
C.
Mit Doppelbeschwerde (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde) beantragt A.________, es sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils von einem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung und von einer Wegweisung aus der Schweiz abzusehen. Gleichzeitig stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
Während das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau und das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau auf Abweisung der Beschwerde schliessen, verzichtet das Staatssekretariat für Migration auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG ). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein Bewilligungsanspruch besteht, ist auf die Beschwerde einzutreten. Ob die Bewilligungsvoraussetzungen tatsächlich gegeben sind, bildet praxisgemäss Gegenstand der materiellen Beurteilung (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332). Da grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen der Niederlassungsbewilligung besteht (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4), ist gegen den angefochtenen Entscheid über den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Auf die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten.
1.2. Gemäss Art 83 lit. c Ziff. 4 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter anderem unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend die Wegweisung. Gegen solche Entscheide steht grundsätzlich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen. Im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde gegen die Wegweisung kann die betroffene Person jedoch keine Rügen erheben, die Gegenstand des Entscheids über den Widerruf bzw. über die Nichtverlängerung einer Bewilligung bilden und im Rahmen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu prüfen sind (vgl. BGE 137 II 305 E. 1.1 S. 307; Urteil 2C_200/2017 vom 14. Juli 2017 E. 1.2.2). Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde diskutierte Frage, ob eine Beendigung seines Aufenthaltes in der Schweiz sein Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK und Art. 13 BV verletzt, ist untrennbar mit dem Entscheid über die Zulässigkeit des Widerrufs der Niederlassungsbewilligung verbunden. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten (Art. 113 BGG e contrario); die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen sind jedoch bei der Beurteilung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu prüfen.
1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge ist rechtsgenüglich substanziiert vorzubringen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG ; vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen).
2.
Durch die Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten (wovon zehn Monate unbedingt vollziehbar) ist der Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG erfüllt, was der Beschwerdeführer nicht in Abrede stellt. Zu prüfen bleibt nur die Verhältnismässigkeit der Massnahme im Sinn von Art. 96 Abs. 1 AuG bzw. Art. 8 Ziff. 2 EMRK, wobei insbesondere die Art und Schwere der vom Betroffenen begangenen Straftaten und des Verschuldens, der Grad der Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit in der Schweiz sowie die dem Betroffenen und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen sind. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen sowie die Rechtsprechung zur Interessenabwägung (insbesondere BGE 139 I 16 E. 2.4 und 2.5 S. 149 ff.; 139 I 31 E. 2 S. 32 ff.) zutreffend wiedergegeben; darauf wird verwiesen.
3.
3.1. Das kantonale Gericht hat in sorgfältiger Abwägung der massgeblichen öffentlichen und privaten Interessen festgehalten, es bestehe aufgrund der erheblichen Delinquenz des Beschwerdeführers ein grosses bis sehr grosses öffentliches Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts. Dieses sei im konkreten Fall stärker zu gewichten als das private Interesse des insgesamt nur mangelhaft integrierten Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz. Dieses private Interesse werde durch die Beziehung zu seinen fremdplatzierten Kindern lediglich leicht erhöht; dies gelte umso mehr, als diese Beziehung nicht im Rahmen des kinderschutzrechtlich Möglichen gepflegt werde. Angesichts der geringen Entfernung seines Heimatlandes zur Schweiz sei es ihm zumutbar, diese Beziehung im Rahmen von Besuchsaufenthalten weiterzuführen; jedenfalls in Bezug auf seine älteste Tochter könnten hiezu zudem auch die modernen Kommunikationsmittel verwendet werden. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung sei daher auch unter Berücksichtigung des Anspruchs auf Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV verhältnismässig.
3.2. Was der Beschwerdeführer gegen diese vorinstanzlichen Erwägungen vorbringt, vermag sie nicht als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Entgegen seinen Vorbringen beruht seine mangelhafte berufliche und finanzielle Integration nicht auf den geltend gemachten Schwierigkeiten, welche sich aus dem Einzug des Ausländerausweises durch den Beschwerdegegner während des laufenden ausländerrechtlichen Verfahrens allenfalls ergeben haben. Die Vorinstanz hat nämlich gestützt auf ihre für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen und vom Beschwerdeführer nicht substanziiert bestrittenen Feststellungen zu seiner beruflichen Laufbahn nachvollziehbar erwogen, dass es dem Beschwerdeführer bereits in den Jahren vor seiner Inhaftierung - und damit bereits in der Zeit vor dem Einzug des Ausländerausweises - nicht gelungen ist, nachhaltig im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Weiter mag es zwar zutreffen, dass er in seinem Heimatland nicht über ein Beziehungsnetz verfügt, auf welches er für die dortige Integration wird zurückgreifen können. Er räumt indessen selber ein, dass eine sprachliche und kulturelle Wiedereingliederung in seinem Heimatland möglich sei. Somit erscheint eine Rückkehr nach Nordmazedonien auch bei fehlendem Beziehungsnetz nicht unzumutbar. Was schliesslich die Beziehung zu seinen Kindern betrifft, hat die Vorinstanz festgestellt, dass den Eltern bzw. der Kindsmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und die Kinder in einer Pflegefamilie platziert wurden. Unter diesen Umständen ist es zur Beziehungspflege nicht erforderlich, dass der ausländische Elternteil dauerhaft im selben Land wie das Kind lebt und dort über ein Anwesenheitsrecht verfügt. Auch unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf Familienleben (Art. 8 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 13 Abs. 1 BV) erscheint es im vorliegenden Fall als zumutbar, wenn das Besuchsrecht im Rahmen von Kurzaufenthalten vom Ausland her ausgeübt werden kann, wobei allenfalls die Modalitäten des Besuchsrechts entsprechend auszugestalten sind. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann ein weitergehender Anspruch nur dann in Betracht fallen, wenn in wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung zum Kind besteht, diese Beziehung wegen der Distanz zum Heimatland des Ausländers praktisch nicht aufrechterhalten werden könnte und dessen bisheriges Verhalten in der Schweiz zu keinerlei Klagen Anlass gegeben hat (sog. "tadelloses Verhalten"; BGE 144 I 91 E. 5 S. 96 ff.; 139 I 315 E. 2.2 S. 319 mit Hinweisen). Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, ist es dem Beschwerdeführer aufgrund der vergleichsweisen geringen Distanz zwischen der Schweiz und seinem Heimatland Nordmazedonien ohne Weiteres zumutbar, den Kontakt zu seinen Kindern im Rahmen von Besuchsaufenthalten und - sobald die Kinder hiefür genug alt sein werden - mittels der heutigen Kommunikationstechniken aufrecht zu erhalten. Sodann hat die Vorinstanz festgestellt, dass der Beschwerdeführer zwar eine affektive Beziehung zu den Kindern hat, diese aber nicht als eng bezeichnet werden kann, und dass eine wirtschaftliche Beziehung nicht bestehe. Schliesslich kann das Verhalten des Beschwerdeführers angesichts seiner Delinquenz nicht als tadellos bezeichnet werden.
3.3. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erweist sich somit unter allen Gesichtspunkten als verhältnismässig. Der Beschwerdeführer beruft sich im Übrigen zu Recht nicht auf Art. 63 Abs. 3 AuG, sind doch die Voraussetzungen, unter denen dieser Absatz einem Widerruf der Niederlassungsbewilligung entgegenstehen würde, nicht erfüllt (vgl. dazu Urteil 2C_468/2019 vom 18. November 2019 E. 5, zur Publikation vorgesehen). Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.
4.
Da die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offensichtlich unbegründet ist, wird sie im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG erledigt. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer sind demnach die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton Aargau, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
4.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Februar 2020
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Der Gerichtsschreiber: Nabold