BGer 9C_770/2019 |
BGer 9C_770/2019 vom 11.03.2020 |
9C_770/2019, 9C_796/2019 |
Urteil vom 11. März 2020 |
II. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Parrino, Präsident,
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Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
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Gerichtsschreiberin N. Möckli.
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Verfahrensbeteiligte |
9C_770/2019
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A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
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Beschwerdegegnerin,
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und
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9C_796/2019
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IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzungen),
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Beschwerden gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 18. Oktober 2019 (5V 18 364).
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Sachverhalt: |
A. Mit zwei Verfügungen vom 15. Oktober 2018 sprach die IV-Stelle A.________ nach dessen Unfall am 2. Mai 2013 befristet, vom 1. Mai 2014 bis 30. September 2014 eine ganze Rente und vom 1. Oktober 2014 bis 28. Februar 2015 eine Dreiviertelsrente zu.
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B. Das Kantonsgericht Luzern hiess die dagegen erhobene Beschwerde teilweise gut und hob die angefochtenen Verfügungen auf. Es sprach dem Versicherten vom 1. Mai 2014 bis 31. Dezember 2014 eine ganze Rente zu. Für den Rentenanspruch ab 1. Januar 2015 wies es die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese nach weiteren Abklärungen gemäss den Erwägungen neu verfüge. Im Übrigen werde die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen (Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids vom 18. Oktober 2019).
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C.
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C.a. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm ab dem 1. März 2015 mindestens eine Viertelsrente zuzusprechen (Verfahren 9C_770/2019).
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C.b. Auch die IV-Stelle gelangt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie stellt den Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und es sei die Richtigkeit der Verfügungen vom 15. Oktober 2018 festzustellen bzw. die (zeitlich durch das Kantonsgericht teilweise angepasste) definitive Herabsetzung per 1. Januar 2015 auf eine Dreiviertelsrente und die definitive Aufhebung der Rentenleistungen per 1. Juni 2015 zu bestätigen. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen (Verfahren 9C_796/2019).
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A.________ wiederholt in seiner Vernehmlassung vorab seinen Antrag, den er in seiner Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gestellt hat (Antrag 1; vgl. Sachverhalt lit. C.a). Im Weiteren schliesst er auf Abweisung der Beschwerde der IV-Stelle, ebenso sei deren Gesuch um aufschiebende Wirkung abzuweisen (Antrag 2).
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Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Erwägungen: |
1.
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1.1. Die beiden Beschwerden richten sich gegen ein und denselben vorinstanzlichen Entscheid. Zwar werden unterschiedliche Punkte angefochten, ihnen liegt jedoch der nämliche Sachverhalt zugrunde, weshalb es sich rechtfertigt, die Verfahren 9C_770/2019 und 9C_796/2019 zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (Urteil 8C_477/2017 vom 21. November 2017 E. 1).
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1.2. Der Versicherte stellt in seiner Vernehmlassung im Verfahren 9C_796/2019 über die Abweisung der Beschwerde hinausgehende materielle Anträge im Sinne einer Anschlussbeschwerde (Sachverhalt C.b Abs. 2). Eine solche gibt es im Verfahren vor Bundesgericht nicht (BGE 138 V 106 E. 2.1 S. 110; 346 E. 2 S. 348). Nachdem der Versicherte zudem selbst Beschwerde erhoben hat (Verfahren 9C_770/2019) und daher anders als in BGE 138 V 106 E. 2.2 S. 110 f. keine besondere Konstellation vorliegt, ist die Anschlussbeschwerde zum Vornherein als unzulässig zu qualifizieren und darauf nicht einzutreten.
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2. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 139 V 42 E. 1 S. 44 mit Hinweisen).
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2.1. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen Endentscheide, das heisst gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG), und gegen Teilentscheide, die nur einen Teil der gestellten Begehren behandeln, wenn diese unabhängig von den anderen beurteilt werden können, oder die das Verfahren nur für einen Teil der Streitgenossen und Streitgenossinnen abschliessen (Art. 91 BGG). Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist hingegen die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (Art. 92 BGG), einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind Zwischenentscheide, die nur unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481), wobei es der beschwerdeführenden Person obliegt darzutun, dass eine der beiden Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG erfüllt ist, es sei denn, deren Vorliegen springe geradezu in die Augen (BGE 141 III 80 E. 1.2 S. 81; 138 III 46 E. 1.2 S. 47; 137 III 324 E. 1.1 S. 329; 134 III 426 E. 1.2 i.f. S. 429; 133 III 629 E. 2.3.1 und 2.4.2 S. 633).
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2.2. Die Vorinstanz hat in Ziffer 1 ihres Dispositivs über den Rentenanspruch vom 1. Mai 2014 bis 31. Dezember 2014 abschliessend entschieden. Insoweit handelt es sich um einen Teilentscheid (BGE 135 V 141 E. 1.4.6 S. 147 f.; Urteil 9C_201/2019 vom 28. Oktober 2019 E. 1.2). Im Übrigen liegt ein Zwischenentscheid vor, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 BGG anfechtbar ist.
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2.3. Die IV-Stelle ficht einzig die vorinstanzliche Rückweisung betreffend den Rentenanspruch ab 1. Januar 2015 an. Das kantonale Gericht stellte in den Erwägungen, auf welche sein Dispositiv verweist, fest, der Versicherte habe unter Beachtung von Art. 88a Abs. 1 Satz 2 IVV grundsätzlich vom 1. Mai 2014 bis 31. Dezember 2014 Anspruch auf eine ganze Rente und vom 1. Januar 2015 bis 31. Mai 2015 auf eine Dreiviertelsrente. Die IV-Stelle habe aber vorgängig der Rentenherabsetzung resp. -aufhebung zu klären, ob und inwieweit allfällige Eingliederungsmassnahmen durchzuführen seien.
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2.3.1. Ein Rückweisungsentscheid kann für die Verwaltung in jenen Fällen einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), in denen er materiellrechtliche Anordnungen beinhaltet, welche den Beurteilungsspielraum des Versicherungsträgers wesentlich einschränken, ohne dass dieser die seines Erachtens rechtswidrige neue Verfügung selber anfechten könnte (BGE 141 V 330 E. 1.2 S. 332 mit Hinweisen; SVR 2012 AHV Nr. 15 S. 55, 9C_171/2012 E. 3.3.1).
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Die IV-Stelle bestreitet die verbindlichen vorinstanzlichen Vorgaben betreffend Arbeitsfähigkeit und Invaliditätsgrad nicht. Vielmehr ist sie mit der vorinstanzlichen Rückweisung zur Abklärung, ob vorgängig der Rentenherabsetzung/-aufhebung berufliche Eingliederungsmassnahmen notwendig sind, nicht einverstanden. Hierzu hat die Vorinstanz jedoch nur die geltende Rechtsprechung - die von der IV-Stelle nicht weiter moniert wird - dargelegt, ohne ansonsten (materiell) verbindliche Vorgaben aufzustellen. Durch das vorinstanzliche Erkenntnis wird die IV-Stelle in ihrer Entscheidungsfreiheit über eine mögliche Selbsteingliederung und den davon abhängigen Rentenanspruch, nicht eingeschränkt, weshalb das Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils zu verneinen ist.
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2.3.2. Die Beschwerde ist ferner zulässig, wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden aus prozessökonomischen Gründen soll eine Ausnahme vom Grundsatz bilden. Diese ist restriktiv zu handhaben (statt vieler: SVR 2018 UV Nr. 35 S. 123, 8C_896/2017 E. 3.3).
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Die IV-Stelle macht zwar geltend, eine Gutheissung der Beschwerde führte sofort einen Endentscheid herbei, jedoch legt sie nicht dar und liegt auch nicht auf der Hand, dass damit ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde. Sie kommt somit der ihr obliegenden Begründungspflicht nicht nach (vgl. E. 2.1 in fine) und diese lässt sich auch nicht mit materiellen Ausführungen zum Vorhandensein einer Selbsteingliederung substituieren.
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2.4. Auf die Beschwerde des Versicherten, die (ebenfalls) den Rentenanspruch des "Rückweis ungsteils" zum Thema hat, ist ebenso nicht einzutreten, erläutert der Versicherte doch nicht ansatzweise, weshalb er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil erleidet oder inwiefern im Übrigen die Eintretensvoraussetzungen erfüllt sein sollen.
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3. Das Gesuch der IV-Stelle um aufschiebende Wirkung der Beschwerde wird mit dem heutigen Urteil gegenstandslos.
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4. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Entsprechend dem Ausgang werden die Gerichtskosten für das Verfahren 9C_796/2019 der IV-Stelle auferlegt und sie hat dem Versicherten für dieses Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1, Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Die Gerichtskosten für das Verfahren 9C_770/2019 hat hingegen der Versicherte zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Verfahren 9C_770/2019 und 9C_796/2019 werden vereinigt.
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2. Auf die Anschlussbeschwerde des Versicherten im Verfahren 9C_796/2019 wird nicht eingetreten.
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3. Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.
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4. Die Gerichtskosten von Fr. 1600.- werden dem Versicherten und der IV-Stelle je zur Hälfte auferlegt.
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5. Die IV-Stelle hat den Versicherten für das bundesgerichtliche Verfahren 9C_796/2019 mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
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6. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 11. März 2020
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Parrino
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Die Gerichtsschreiberin: Möckli
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