BGer 8C_796/2019 |
BGer 8C_796/2019 vom 27.03.2020 |
8C_796/2019 |
Urteil vom 27. März 2020 |
I. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Maillard, Präsident,
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Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
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Gerichtsschreiber Hochuli.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Locher,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Arbeitslosenkasse des Kantons Zug, Industriestrasse 24, 6300 Zug,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Arbeitslosenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 24. Oktober 2019
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(S 2018 149).
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Sachverhalt: |
A. A.________, geboren 1969, war seit 1. April 2015 als Lagermitarbeiter für die B.________ AG tätig. Infolge einer Umstrukturierung mit Arbeitgeberwechsel übernahm die C.________ AG (nachfolgend: Arbeitgeberin) das Arbeitsverhältnis ab 1. Januar 2018. Weil der Versicherte nach einer schriftlichen Verwarnung vom 28. September 2017 am 5. und 11. Januar 2018 wiederum nicht bzw. erst zu spät für die Pause ausgestempelt habe, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis am 16. Januar 2018 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist per 31. März 2018. Am 9. März 2018 meldete sich A.________ beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Zug zur Arbeitsvermittlung an und am 20. März 2018 beantragte er Arbeitslosenentschädigung ab 1. April 2018. Mit Verfügung vom 29. März 2018 stellte ihn die Arbeitslosenkasse des Kantons Zug (nachfolgend: ALK oder Beschwerdegegnerin) wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab 1. April 2018 für 47 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Auf Einsprache hin hielt die ALK an der Verfügung vom 29. März 2018 fest (Einspracheentscheid vom 13. November 2018).
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug ab (Entscheid vom 24. Oktober 2019).
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, der angefochtene Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Angelegenheit zur rechtsgenüglichen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Während die ALK und das kantonale Gericht auf Beschwerdeabweisung schliessen, verzichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in einem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Als Rechtsfrage gilt, ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585).
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1.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) umfasst u.a. das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237; 133 I 270 E. 3.1 S. 277). Ein Verzicht auf die Abnahme von weiteren Beweisen ist zulässig, wenn sich das Gericht aufgrund der bereits erhobenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass die abgelehnten Beweisanträge nichts an seiner Überzeugung zu ändern vermögen (nicht. publ. E. 3.3.2 des Urteils BGE 144 II 345; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148).
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2. Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die mit Einspracheentscheid vom 13. November 2018 bestätigte Verfügung der ALK vom 29. März 2018 schützte, womit Letztere den Versicherten wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab 1. April 2018 für die Dauer von 47 Tagen in der Anspruchsberechtigung für Arbeitslosenentschädigung einstellte.
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3. |
3.1. Die für die Beurteilung der erhobenen Beschwerde massgebenden gesetzlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung hierzu konkretisierten Grundsätze hat das kantonale Gericht zutreffend dargelegt (vgl. Art. 30 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 AVIG; Art. 44 Abs. 1 lit. a und Art. 45 Abs. 3 AVIV; BGE 112 V 242 E. 1 S. 244 f.; Urteil 8C_582/2014 vom 12. Januar 2015 E. 4). Darauf wird verwiesen.
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3.2. Ergänzend ist festzuhalten, dass eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung nach Art. 20 lit. b des Übereinkommens Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 (SR 0.822.726.8; für die Schweiz in Kraft seit dem 17. Oktober 1991, AS 1991 1914) erst zulässig ist, wenn die gekündigte Person (zumindest) eventualvorsätzlich zu ihrer Entlassung beigetragen hat. Eventualvorsatz ist anzunehmen, wenn die versicherte Person vorhersehen kann oder damit rechnen muss, dass ihr Verhalten zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber führt, und dies in Kauf nimmt (ARV 2012 S. 294, 8C_872/2011 E. 4.1; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 837 S. 2515; Urteil 8C_99/2017 vom 22. Juni 2017 E. 3).
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3.3. Eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung kann nur verfügt werden, wenn das der versicherten Person zur Last gelegte Verhalten in beweismässiger Hinsicht klar feststeht (BGE 112 V 242 E. 1 S. 245; ARV 2012 S. 294, 8C_872/2011 E. 3.2 mit Hinweisen; SVR 2006 ALV Nr. 15 S. 51, C 223/05 E. 1; je mit Hinweisen; THOMAS NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2515 Rz. 837; Urteil 8C_19/2019 vom 1. April 2019 E. 2.4).
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4.
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4.1. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass er 2017 mündlich und schriftlich verwarnt wurde, weil er während Zigarettenpausen nicht ausgestempelt hatte. Er bestritt jedoch stets die beiden ihm mit Kündigungsschreiben vom 16. Januar 2018 vorgeworfenen Sachverhalte vom 5. und 11. Januar 2018 und insbesondere auch die von Verwaltung und Vorinstanz übernommene Behauptung der Arbeitgeberin, diese Sachverhalte gestützt auf Aussagen von Zeugen beweisen zu können.
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4.2. Laut angefochtenem Entscheid sind die von der ALK dem Versicherten basierend auf dem Kündigungsschreiben vom 16. Januar 2018 mit Verfügung vom 29. März 2018 - bestätigt durch Einspracheentscheid vom 13. November 2018 - zur Last gelegten beiden Vorfälle vom 5. und 11. Januar 2018 erstellt. Nach Angaben der Arbeitgeberin würden Stichproben beweisen, dass er im Januar 2018 die Firma wiederum bewusst mit Zeitdiebstahl betrogen habe. Er habe an diesen beiden Tagen erneut falsch ausgestempelt bzw. auf Kosten der Arbeitszeit private Einkäufe erledigt. Aus den nicht unterzeichneten und nicht datierten handschriftlichen Korrekturen auf dem Zeitrapport der Arbeitgeberin zu den im Januar 2018 elektronisch erfassten Arbeitszeiten schloss die Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer am 5. Januar 2018 statt erst um 12.17 Uhr tatsächlich gemäss handschriftlicher Korrektur schon um 12.08 Uhr und am 11. Januar 2018 statt erst um 12.06 Uhr schon um 12.02 Uhr in die Mittagspause ging. D.________, Leiter Umschlag, E.________, stellvertretender Leiter Umschlag, F.________, Leiterin Administration, und G.________, Personalverantwortliche bis Mitte Mai 2018, könnten diese von der Arbeitgeberin angeordneten "Stichproben" bezeugen. Eine Zeugeneinvernahme erübrige sich, weil "davon auszugehen [sei], dass die vier Personen den entsprechenden Tatbestand bestätigen dürften."
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4.3. Hiegegen wendet der Versicherte ein, die Vorinstanz übersehe, dass eben gerade keine schriftlichen oder mündlichen Aussagen der als Zeugen benannten Personen vorlägen. Weder gegenüber der ALK noch vor kantonalem Gericht hätten die angeblichen Zeugen den behaupteten Sachverhalt mündlich oder schriftlich bestätigt. Der Verfasser der handschriftlichen Korrekturen auf dem Zeiterfassungsrapport des Monats Januar 2018 sei unbekannt. Der Vorwurf der fehlerhaften Arbeitszeiterfassung im Januar 2018 beruhe lediglich auf der Behauptung der Arbeitgeberin. Diese habe er stets bestritten. Durch Nichteinvernahme der Zeugen habe die Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz und den Anspruch auf rechtliches Gehör in Bezug auf die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts verletzt. Da der ihm vorgeworfene Kündigungsgrund nicht auf Zeugenaussagen oder anderen Beweismitteln, sondern nur auf Behauptungen der Arbeitgeberin beruhe, habe das kantonale Gericht in klar willkürlicher antizipierter Beweiswürdigung auf die Einvernahme dieser Zeugen verzichtet.
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5. |
5.1. Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen. Die Verwaltung als verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das Gericht dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 144 V 427 E. 3.2 Hinweis).
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5.2. In beweismässiger Hinsicht ist für die Beurteilung der strittigen Einstellung in der Anspruchsberechtigung (E. 2) entscheidend, ob der Versicherte vorsätzlich - zumindest jedoch eventualvorsätzlich - zu seiner Entlassung beigetragen hat (E. 3.2). Die beiden ihm laut Kündigungsschreiben vom 16. Januar 2018 von der Arbeitgeberin zur Last gelegten Vorfälle vom 5. und 11. Januar 2018 (vgl. dazu E. 4.2 hievor) gehören zum rechtserheblichen Sachverhalt (vgl. E. 5.1) und müssen praxisgemäss in tatsächlicher Hinsicht klar feststehen (E. 3.3).
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5.2.1. Die Namen der vier Personen, die nach Angaben der Arbeitgeberin die Verfehlungen des Beschwerdeführers bezeugen können, blieben dem Letzteren bis zur Kenntnisnahme vom angefochtenen Entscheid ebenso verborgen wie allfällige Hinweise auf Beweisaussagen dieser Personen. Wie das kantonale Gericht die Namen dieser Personen in Erfahrung bringen konnte, ist weder dem angefochtenen Entscheid noch den vorinstanzlichen Verfahrensakten und auch nicht den Unterlagen der ALK zu entnehmen. Zu Recht beanstandete die Vorinstanz das Verhalten der Beschwerdegegnerin, welche die Bekanntgabe der Namen der von der Arbeitgeberin genannten vier Personen bisher ohne Rechtfertigungsgrund verweigert hatte. Zutreffend führte das kantonale Gericht aus, der versicherten Person müsse es möglich sein, die gemachten Aussagen widerlegen zu können.
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5.2.2. Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass solche Aussagen aktenkundig nicht vorliegen. Dass die vier genannten Personen - beweismässig erstellt - bezeugt hätten, der Versicherte habe an den Mittagen des 5. bzw. 11. Januar 2018 tatsachenwidrig erst um 12.17 bzw. 12.06 Uhr ausgestempelt, obwohl er schon um 12.08 bzw. 12.02 Uhr in die entsprechenden Mittagspausen gegangen sei, ist nicht ersichtlich und wird nicht geltend gemacht. Fehlt es mit dem Beschwerdeführer an verwertbaren Zeugenaussagen oder anderen Beweismitteln, welche das ihm von Verwaltung und Vorinstanz zur Last gelegte Verhalten in beweismässiger Hinsicht klar feststellen liessen, ist der angefochtene Entscheid mangels Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts aufzuheben.
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5.3. Indem das kantonale Gericht unter den gegebenen Umständen in antizipierter Beweiswürdigung auf ergänzende Beweismassnahmen und insbesondere die Einvernahme der Zeugen verzichtete, hat es den Gehörsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV; BGE 143 III 65 E. 5.2 S. 70 f.) des Versicherten verletzt. Denn es ist keine sachlich nachvollziehbar Begründung dafür ersichtlich, weshalb diesem Beweismittel zum vornherein jede Erheblichkeit abzusprechen wäre (vgl. BGE 114 II 289 E. 2a S. 291 und Urteil 4A_279/2019 vom 19. Februar 2020 E. 4.2.1). Hat die Vorinstanz die rechtserheblichen Tatsachen in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) unvollständig festgestellt, ist die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhalts zurückzuweisen. Danach hat sie über die Beschwerde neu zu entscheiden.
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6. Die Rückweisung der Sache mit noch offenem Ausgang gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten und den Anspruch auf Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie überhaupt beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder Eventualantrag gestellt wird (vgl. BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271; Urteil 8C_538/2019 vom 24. Januar 2020 E. 8). Entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG), die dem Beschwerdeführer überdies eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten hat (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 24. Oktober 2019 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 27. März 2020
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Maillard
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Der Gerichtsschreiber: Hochuli
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