BGer 8C_150/2020 |
BGer 8C_150/2020 vom 08.04.2020 |
8C_150/2020 |
Urteil vom 8. April 2020 |
I. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Maillard, Präsident,
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Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Abrecht,
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Gerichtsschreiberin Polla.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Roger Lippuner,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Arbeitslosenkasse des Kantons St. Gallen, Geltenwilenstrasse 16, 9001 St. Gallen,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
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Beschwerde gegen den Entscheid des
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Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
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vom 9. Januar 2020 (AVI 2019/12).
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Sachverhalt: |
A. Die 1970 geborene A.________ meldete sich am 14. August 2018 bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem sie gleichentags ihre Stelle als Geschäftsführerin der B.________ GmbH infolge Insolvenz der Gesellschaft fristlos gekündigt hatte. Die B.________ GmbH fiel am 25. September 2018 in Konkurs. Seit der Gründung der Unternehmung bis zu deren Löschung am 4. März 2019 war A.________ als Gesellschafterin mit einem hälftigen Anteil am Stammkapital sowie als Vorsitzende der Geschäftsführung im Handelsregister eingetragen gewesen. Mit Verfügung vom 19. November 2018 wies die Arbeitslosenkasse des Kantons St. Gallen das Leistungsgesuch ab, weil die Versicherte bis zur Konkurseröffnung am 25. September 2018 arbeitgeberähnliche Stellung besessen habe. Für die Zeit danach sei der Lohnfluss nicht belegt. Ein Lohn sei weder bar noch auf ein Bankkonto überwiesen worden, weshalb sie den erforderlichen Mindestverdienst von Fr. 500.- nicht erreiche. Daran hielt die Arbeitslosenkasse mit Entscheid vom 12. Februar 2019 fest.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid 9. Januar 2020 ab (Dispositiv-Ziffer 1).
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, Dispositiv-Ziffer 1 des kantonalen Entscheids sowie der Einspracheentscheid vom 12. Februar 2019 seien aufzuheben. Es sei ihr ab 14. August 2018, eventualiter ab 25. September 2018, Arbeitslosenentschädigung zu gewähren. Ferner wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht.
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Erwägungen: |
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Nach dem Gesetz gilt als versicherter Verdienst der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG). Praxisgemäss ist bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes der im Bemessungszeitraum tatsächlich erzielte Lohn massgebend; eine davon abweichende Lohnabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat grundsätzlich unbeachtlich zu bleiben (BGE 131 V 444 E. 3.2.1 S. 450 f.; 128 V 189 E. 3a/aa S. 190, je mit Hinweisen). Der versicherte Verdienst nach Art. 23 AVIG bildet damit ein Korrektiv bei allfälligen missbräuchlichen Lohnvereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (BGE 131 V 444 E. 3.2.3 S. 451 mit Hinweis). Von dieser Regelung im Einzelfall abzuweichen rechtfertigt sich nur dort, wo ein Missbrauch im Sinne der Vereinbarung fiktiver Löhne, welche in Wirklichkeit nicht zur Auszahlung gelangt sind, praktisch ausgeschlossen werden kann (BGE 128 V 189 E. 3a/aa S. 190; Urteil 8C_472/2019 vom 20. November 2019 E. 4 mit weiteren Hinweisen; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 365 S. 2375 f.).
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3. |
3.1. Das kantonale Gericht erwog, es sei unbestritten, dass die Versicherte als Gesellschafterin und Geschäftsführerin der B.________ GmbH bis zur Konkurseröffnung eine arbeitgeberähnliche Stellung innegehabt habe. Nicht streitig sei weiter, dass der im Arbeitsvertrag vom 31. Mai 2016 festgelegte Verdienst von Fr. 52'000.- jährlich nie zur Auszahlung gelangt sei. Dieser sei einzig buchhalterisch als Guthaben der Gesellschafterin gegenüber der Gesellschaft verbucht worden. Es stehe weiter fest, dass die Beschwerdeführerin massgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft gehabt habe und damit auch auf die Konditionen ihrer Anstellung sowie auf die Entscheidung, dass ihr das Gehalt nicht ausbezahlt, sondern buchhalterisch als langfristiges Fremdkapital der Gesellschaft erfasst worden sei. So habe sie das Erlassgesuch gegenüber der Steuerbehörde dementsprechend damit begründet, dass sie mit ihrem Treuhandbüro vereinbart habe, den vertraglich festgesetzten Lohn als Verbindlichkeit der Gesellschaft ihr gegenüber zu verbuchen. Das kantonale Gericht führte weiter aus, wenn zu Gunsten einer neu gegründeten Unternehmung zum Zweck ihres Liquiditätserhalts auf die Auszahlung des vereinbarten Einkommens verzichtet werde und dieses in der Folge aufgrund des Konkurses dieser Gesellschaft nie ausbezahlt worden sei, gehöre es auch nicht zum versicherten Verdienst. Es sei zweckwidrig und daher missbräuchlich, wenn die Arbeitslosenversicherung zur Absicherung des unternehmerischen Risikos diente. Dies treffe im vorliegenden Fall zu, zumal die Beschwerdeführerin zusätzlich privates Kapital in die Firma eingeschossen habe, weshalb per 31. Dezember 2017 ein Saldo zu ihren Gunsten von Fr. 111'171.- verbucht worden sei. Überdies gehe aus den Buchhaltungsunterlagen hervor, dass im Zeitraum vom 12. Mai 2016 bis 31. Dezember 2017 der vertraglich festgesetzte Verdienst nicht annähernd gedeckt gewesen sei.
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3.2. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, Art. 23 AVIG habe nur dann die Bedeutung einer negativen Anspruchsvoraussetzung, wenn der Mindestbetrag von Fr. 500.- für den versicherten Verdienst nicht erreicht werde. Dass kein tatsächlicher Lohn geflossen sei, wirke sich allenfalls nur auf die Höhe des Taggeldes aus, nicht aber auf den Anspruch an sich. Es verletze daher Bundesrecht, wenn die Vorinstanz im tatsächlichen Lohnfluss eine positive Anspruchsvoraussetzung sehe. Ein missbräuchliches Verhalten sei nicht erwiesen. Es verstosse schliesslich gegen Treu und Glauben, wenn vom vertraglich zugesicherten Lohn Sozialversicherungsbeiträge verabgabt würden, dieser jedoch im Rahmen der Arbeitslosenversicherung beim versicherten Verdienst unberücksichtigt bleibe.
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4. Die Beschwerdeführerin verkennt in grundsätzlicher Hinsicht, dass es u.a. Ziel der Arbeitslosenversicherung ist, einen Arbeits- und Verdienstausfall zu entschädigen. Anrechenbar ist ein Arbeitsausfall nur, wenn er ein bestimmtes Mindestmass erreicht und einen Verdienstausfall zur Folge hat (Art. 11 Abs. 1 AVIG). Arbeitsausfälle, die nicht mit einer Verdiensteinbusse verbunden sind, sind nicht entschädigungsberechtigt (BGE 125 V 51 E. 6b S. 58 f.; NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 154 S. 2311). Es ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Umschreibung des versicherten Verdienstes (E. 2 hiervor), dass Art. 23 AVIG auf den tatsächlich erzielten und nicht bloss verbuchten Lohn abstellt. Dem Nachweis tatsächlicher Lohnzahlungen kommt zwar nach der Rechtsprechung nicht der Sinn einer selbstständigen Anspruchsvoraussetzung für den Bezug der erwähnten Leistung zu, wie die Beschwerdeführerin korrekt einwendet, aber derjenige eines bedeutsamen, in kritischen Fällen ausschlaggebenden Indizes für die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung (ARV 2008 S. 148, 8C_245/2007 E. 5 mit Hinweis auf Urteil C 284/05 vom 25. April 2006, E. 2.5). Wurde ein Verdienst tatsächlich erzielt und kann einzig die exakte Lohnhöhe nicht bewiesen werden, führt dies dementsprechend nicht zur Verneinung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung. Dieser Umstand ist bei der Festsetzung des massgebenden versicherten Verdienstes zu berücksichtigen, wobei sich die mangelnde Bestimmbarkeit der exakten Lohnhöhe zu Ungunsten des Versicherten auswirkt. In diesem Sinne ist der versicherte Verdienst neben dem anrechenbaren Arbeitsausfall und der Beitragsdauer die zentrale Bemessungsgrösse für die Ermittlung der Taggeldhöhe. Geht es aber, wie hier, nicht um den fehlenden Nachweis der exakten Lohnsumme, sondern um die Erzielung eines Einkommens überhaupt, und wurde unbestrittenermassen der vertraglich zugesicherte Lohn zu keinem Zeitpunkt tatsächlich bezogen, sondern lediglich buchhalterisch erfasst, lässt sich weder ein versicherter Verdienst bestimmen noch liegt ein Verdienstausfall vor. Eine einzig in den Geschäftsbüchern erfasste Lohnsumme, die nie tatsächlich zur Auszahlung gelangte, weil es die finanzielle Lage der Unternehmung nicht zuliess, kann keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung begründen. Wie die Vorinstanz bereits darlegte, würde dies zu einer Abwälzung des unternehmerischen Risikos auf die Arbeitslosenversicherung führen, was nicht angeht. Ein konkreter Missbrauch muss nicht vorliegen. Dass die Beschwerdeführerin Sozialversicherungsbeiträge verabgabt hat, wie sie weiter geltend macht, führt schliesslich nicht ohne Weiteres zum Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Die Versicherte erfüllt nicht sämtliche der hierzu notwendigen Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 8 Abs. 1 AVIG. Ein Verstoss gegen Treu und Glauben ist darin nicht zu erkennen. Zusammenfassend vermag sie nichts vorzubringen, was zu einem anderen Ergebnis führen könnte.
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5. Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG erledigt wird.
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6. Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann ihr wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons, St. Gallen, schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 8. April 2020
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Maillard
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Die Gerichtsschreiberin: Polla
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