BGE 98 Ia 169
 
24. Auszug aus dem Urteil vom 9. Februar 1972 i.S. Kuonen gegen Gemeinde Visp und Staatsrat des Kantons Wallis.
 
Regeste
Art. 4 BV; Mehrwertbeiträge; Ausbau einer Gemeindestrasse.
2. Berechnungsart (Erw. 3 und 4).
 
Sachverhalt


BGE 98 Ia 169 (170):

Aus dem Tatbestand:
Die Bahnhofstrasse in Visp, die früher eng war und nur auf der Ostseite ein Trottoir und Parkgelegenheit hatte, wurde auf einer Länge von ungefähr 150 m ausgebaut. Sie wurde auf 18 m verbreitert. Auf der Westseite erstellte man ein Trottoir und einen Parkstreifen. Das auf der Ostseite befindliche Trottoir verschmälerte man um ca. 1,5 m, sodass die Fahrbahn um 1 m verbreitert werden konnte. Beim Ausbau, der zur Hauptsache in den Jahren 1966/1967 erfolgte, wurden Leitungen für Wasserversorgung und Kanalisation verlegt.
Nach Art. 70 Abs. 1 des Strassengesetzes des Kantons Wallis vom 3. September 1965 können die Grundeigentümer, denen der Bau, die Korrektion oder die Instandstellung einer kantonalen oder Gemeindestrasse und ihrer Nebenanlage einen Wertzuwachs verschaffen, im Verhältnis der Vorteile, die ihnen daraus erwachsen, innerhalb der Grenzen von Artikel 76 zu Beiträgen an die Kosten des Werkes herangezogen werden. Art. 76 Abs. 2 und 3 lauten:
"Wenn der Beitragsaufruf durch eine Gemeinde erfolgt, so darf die Gesamtheit der Beiträge nachfolgende Normen nicht übersteigen:
a) ...
b) für die kommunalen Durchgangsstrassen 60% der den Mehrwert bestimmenden Baukosten;
c) für die Gemeindesackgassen, die Gehsteige und Quartierparkplätze 75% dieser Kosten.
Innerhalb der Grenzen des Mehrwertes und dieser Höchstsummen sind die Beiträge je nach dem Umfang des öffentlichen Interesses am Werk zu bestimmen."
Die Gemeinde Visp legte den von den Anstössern zu entrichtenden Anteil an den Gesamtkosten in der Höhe von Fr. 715'959 (Landerwerb Fr. 402'900.--, eigentliche Baukosten Fr. 313'059) auf 33 1/3% fest, was einen Betrag von Fr. 238'420 ergab. Bei der Verteilung der Beitragskosten wurde von der Anstosslänge der einzelnen Liegenschaften ausgegangen und ein 20 m breiter, bei der Einmündung in die Kantonsstrasse auf 15 m verengter Streifen entlang der beiden Strassenseiten in Rechnung gezogen. Neben den so errechneten Flächen galt als weiteres Berechnungselement eine Skala von mindestens 15 und höchstens 20 Punkten, in deren Rahmen der Tiefenlage und den besonderen Vorteilen der neuen Strasse für die einzelnen Anstösser Rechnung getragen wurde. Für die Gebrüder Richard und Siegfried

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Kuonen, Eigentümer des auf der Ostseite der Bahnhofstrasse gelegenen und östlich an die Balfrinstrasse grenzenden Grundstücks Nr. 206 ergab sich nach dieser Berechnung ein Betrag von Fr. 30'300.--. Sie erhoben dagegen - neben andern Beitragspflichtigen - Rekurs beim Staatsrat des Kantons Wallis. Dieser setzte mit Entscheid vom 19. März 1971 den Kostenbeitrag der Brüder Kuonen auf Fr. 16'779.20 fest, im wesentlichen mit folgender Begründung: Von den von der Gemeinde errechneten Kosten müssten jene für Kanalisation (Fr. 131'281.--) und Trinkwasserversorgung (Fr. 26'953.--) sowie die Hälfte des Ingenieurhonorars (Fr. 10'000.--) abgezogen werden, sodass von einem Kostenbetrag von Fr. 547'725.-- auszugehen sei. Die Summe der Anstösserbeiträge mache 1/3 davon aus, also Fr. 182'575.--. Das für die Kostenverteilung nach den individuellen Vorteilen von der Gemeinde verwendete System sei an sich nicht zu beanstanden. Die Gemeinde habe jedoch zu wenig berücksichtigt, dass durch den Strassenbau in erster Linie die Anstösser auf der Westseite Vorteile erlangt hätten (Trottoir und Parkstreifen). Die Punktzahl der auf der Ostseite gelegenen Grundstücke sei deshalb auf die Hälfte festzulegen.
Richard und Siegfried Kuonen verlangen mit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV die Aufhebung des angefochtenen Entscheids des Staatsrats des Kantons Wallis vom 19. Mai 1971, soweit er einen Mehrwertbeitrag von Fr. 16'779.20 aufrechterhält. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.
 
Aus den Erwägungen:
2. Die Beiträge an die Kosten des Strassenausbaus, die nach dem Walliser Strassengesetz von den Anstössern erhoben werden können, sind eine Vorzugslast. Darunter verstehen Lehre und Rechtsprechung eine Abgabe, die als Beitrag an die Kosten einer öffentlichen Einrichtung denjenigen Personen auferlegt wird, denen aus der Einrichtung wirtschaftliche Sondervorteile erwachsen, sodass ein gewisser Ausgleich in Form eines besondern Kostenbeitrages als gerechtfertigt erscheint. Der Beitrag muss einerseits nach den zu deckenden Kosten oder Kostenanteilen bemessen und anderseits auf die Nutzniesser der öffentlichen Einrichtung nach Massgabe des wirtschaftlichen Sondervorteils verlegt sein, der den einzelnen

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Beitragspflichtigen erwächst, wobei allerdings, wie später näher auszuführen ist, als Massstab unter Umständen ein allgemeines Kriterium dienen kann (BGE 94 I 276, BGE 93 I 106 ff, BGE 90 I 81, BGE 86 I 99,BGE 74 I 224; IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 3. A., Bd. II S. 512 ff. Nr. 413).
3. Die Beschwerdeführer behaupten, es sei willkürlich, dass die kantonale Behörde einen Drittel der Gesamtkosten ohne weiteres von den umliegenden Grundeigentümern bezahlen lasse. Sie wollen damit offenbar sagen, der Strassenausbau fördere nur den durchgehenden Verkehr und halte damit ausschliesslich der Allgemeinheit einen Vorteil zu. Die Frage, ob die Liegenschaft der Beschwerdeführer durch den Strassenausbau einen Mehrwert erfahren hat, ist später zu prüfen. Davon abgesehen, ist die Annahme der kantonalen Behörden nicht unhaltbar, der Ausbau der Bahnhofstrasse in Visp diene nicht nur den Interessen des Publikums, sondern bringe auch den Anstössern einen erheblichen Sondervorteil. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass diesen ein solcher Vorteil erwächst, wenn eine verhältnismässig schmale Strasse, die nur auf einer Seite ein Trottoir und Parkstreifen aufwies, erheblich verbreitert, modern ausgebaut und auf der Gegenseite mit Trottoir und Parkgelegenheit ausgestattet wird. Besonders wenn es sich wie bei der Visper Bahnhofstrasse vorwiegend um eine Geschäftsstrasse handelt, ist es nicht zweifelhaft, dass ein grosszügiger Ausbau, wie er hier vorgenommen wurde, eine Aufwertung der an die Strasse angrenzenden Liegenschaften zur Folge hat. Freilich ist bei einer Strasse, die anders als eine blosse Quartierstrasse vornehmlich dem allgemeinen Verkehr dient, das Interesse der Allgemeinheit am Ausbau grösser als jenes der Anstösser. Dem trägt aber Art. 76 des Strassengesetzes Rechnung, der im zu beurteilenden Fall auch entsprechend angewendet wurde. Nach Art. 76 dürfen die Anstösserbeiträge für die kommunalen Durchgangsstrassen 60 % der den Mehrwert bestimmenden Baukosten nicht übersteigen. Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass solche Strassen ganz allgemein in erheblichem Mass dem Publikum dienen. Die kantonalen Behörden haben zudem einen Prozentsatz gewählt, der wesentlich unter dem maximal zulässigen liegt, nämlich 33 1/3%. Damit ist dem Umstand, dass die Bahnhofstrasse im wesentlichen Mass dem Durchgangsverkehr dient, so Rechnung getragen, dass von einer Verletzung des Art. 4 BV nicht gesprochen werden kann. Es

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kommt hinzu, dass die Kosten für Wasser- und Kanalisationsleitungen ausgeschlossen wurden, während nach der Rechtsordnung anderer Kantone auch für solche Aufwendungen Anstösserbeiträge erhoben werden können. Bei Berücksichtigung aller Umstände ist es demnach nicht willkürlich, wenn die kantonale Behörde einen Drittel der massgebenden Baukosten von der Gesamtheit der Anstösser bezog. Dass die Gesamtheit der 13 Anstösserliegenschaften nicht einen diesem Drittel (= Fr. 182'575.--) entsprechenden Mehrwert erfahren hätte, behaupten die Beschwerdeführer ihrerseits nicht.
4. a) Der Haupteinwand der Beschwerdeführer geht dahin, dass sie selber aus dem Ausbau der Strasse keinen Nutzen gezogen, sondern nur Nachteile erlitten hätten. Sie begründen das damit, dass auf ihrer Strassenseite das Trottoir verengt, dagegen auf der Westseite ein Trottoir erstellt worden sei, was zur Folge habe, dass ein Teil der Fussgänger nun das neue Trottoir benütze und so für die Geschäftslokalitäten auf der Ostseite ein Nachteil entstehe. Es steht ausser Zweifel, dass durch die Verengung des Trottoirs auf der Ostseite der Bahnhofstrasse den Beschwerdeführern ein Nachteil entstanden ist. Es ist aber zu berücksichtigen, dass ihnen für die Abtretung des zum Strassenausbau benötigten Areals eine Entschädigung von Fr. 400.-- je m2 bezahlt wurde. Abgesehen davon lässt sich mit haltbaren Gründen die Ansicht vertreten, der aus der Verengung des östlichen Trottoirs resultierende Nachteil sei durch den Gesamtausbau der Bahnhofstrasse nicht nur aufgewogen worden, sondern auch den Eigentümern der auf der Ostseite gelegenen Grundstücke und im besondern den Beschwerdeführern sei - bei aller Berücksichtigung des erwähnten Nachteils - im ganzen genommen ein erheblicher Vorteil erwachsen. Wird berücksichtigt, dass aus der frühern engen Strasse, die noch sozusagen dörflichen Charakter hatte, eine moderne Geschäftsstrasse wurde, so erscheint die Annahme durchaus vertretbar, dass alle Anstösser aus dem Ausbau wirtschaftliche Vorteile gezogen haben. Auch wenn auf der Westseite ein neues Trottoir erstellt wurde, ist die Erwartung zulässig, dass beim jetzigen modernen Ausbau der Strasse mehr Leute als früher auch die Geschäfte auf der Ostseite besuchen werden. Die Annahme, dass die Beschwerdeführer wie die andern Anstösser, die sich offenbar mit der Bestimmung der Beiträge durch den Staatsrat abgefunden haben, einen erheblichen Vorteil erlangt haben, ist

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bei Berücksichtigung aller Umstände auf jeden Fall nicht geradezu willkürlich.
b) Den Wertzuwachs in jedem einzelnen Fall zu schätzen, wie es an sich wünschbar wäre, erweist sich, schon wegen der meist grossen Zahl der Beitragspflichtigen, aber auch der Sache nach, als schwierig oder gar unmöglich. Die Praxis hat deshalb schematische, nach der Durchschnittserfahrung aufgestellte Massstäbe geschaffen, die leicht zu handhaben sind. Dass derartige Massstäbe zulässig sind, ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt (BGE 93 I 114 mit Hinweisen). Im Lichte dieser Grundsätze verstösst es nicht gegen Art. 4 BV, wenn von den Beschwerdeführern ein Beitrag von Fr. 16'779.20 gefordert wird. Die kantonalen Behörden haben der Tatsache, dass der Strassenausbau den Anstössern auf der Westseite grössere Vorteile bringt, dadurch Rechnung getragen, dass sie von ihnen das Doppelte der Beiträge verlangten, welche die Eigentümer der auf der Ostseite gelegenen Grundstücke zu entrichten haben. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Willkür nicht zu beanstanden. Ein Verstoss gegen Art. 4 BV kann umso eher verneint werden, als bei der angewandten Berechnungsmethode nur ein Teil der Grundfläche des grossen, bis an die Balfrinstrasse reichenden Grundstücks der Beschwerdeführer als Bewertungselement herangezogen wurde und die berücksichtigte Tiefe von 15-20 m als eher bescheiden bezeichnet werden kann. Was die Beschwerdeführer gegen die Bestimmung des von ihnen zu entrichtenden Beitrags vorbringen, ist weitgehend eine appellatorische Kritik, auf die im Rahmen einer Willkürbeschwerde nicht eingegangen werden kann. Wenn sie behaupten, der Mehrwert könne in keiner Beziehung oder in keinem Verhältnis zu den Baukosten stehen, so ist damit nicht dargetan, dass der angefochtene Entscheid unhaltbar wäre. Der Beitrag muss einerseits nach den zu deckenden Kosten oder Kostenanteilen bemessen und anderseits auf die Nutzniesser der öffentlichen Einrichtungen nach Massgabe des wirtschaftlichen Sondervorteils verlegt sein, der den einzelnen Beitragspflichtigen aus der Einrichtung erwächst, wobei als Massstab ein schematischer genügt (BGE 74 I 225). Der Beitrag ist also von der Höhe des Kostenanteils und dem Mehrwert abhängig. Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid weder unter dem einen noch unter dem andern Gesichtspunkt zu beanstanden. Weder die Annahme, dass die Summe aller Mehrwerte den Betrag von

BGE 98 Ia 169 (175):

Fr. 182'575.-- erreicht, noch die Verlegung eines Anteils davon in der Höhe von Fr. 16'779.20 auf die Beschwerdeführer erscheint als unhaltbar.