BGE 98 Ia 374
 
61. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1972 i.S. Kohler und Erben Knobel gegen Politische Gemeinde Wald und Regierungsrat des Kantons Zürich.
 
Regeste
Art. 4 und 22ter BV; Revision von Zonenplänen.
Interessenabwägung im konkreten Fall (Erw. 6).
 
Sachverhalt


BGE 98 Ia 374 (374):

A.- Am 22. Oktober 1956 wurde für den sog. Baurayon II der Gemeinde Wald/ZH eine Bauordnung mit Zonenplan erlassen. Darin wurde u.a. eine Wohnzone ausgeschieden, welcher die insgesamt rund 267 a haltenden Grundstücke Nr. 5764 und 4755 des Hermann Kohler, Rüti, und der ebenfalls im Gebiet Haselstud-Steig gelegene Grundbesitz der Erben des Fritz Knobel, Wald, im Halte von rund 691 a zugewiesen wurden. Da sich das eingezonte Baugebiet in der Folge als zu gross erwies, erliess die Gemeindeversammlung Wald am 29. September

BGE 98 Ia 374 (375):

1970 eine neue Bauordnung mit Zonenplan, in welchem das Baugebiet um rund 50 ha verkleinert wurde. Dabei wurden die erwähnten Grundstücke des Hermann Kohler und der Erben Knobel dem Übrigen Gemeindegebiet im Sinne von § 68 c des zürcherischen Baugesetzes für Ortschaften mit städtischen Verhältnissen (BauG) zugewiesen. Demgegenüber wurde das am Ostrand von Wald gelegene und im erwähnten Plan aus dem Jahre 1956 nicht eingezonte Gebiet von Diezikon in die neue Wohnzone eingegliedert.
B.- Mit Entscheid vom 17. März 1971 hiess der Bezirksrat Hinwil einen Rekurs des Hermann Kohler und der Erben Knobel insofern gut, als er den angefochtenen Beschluss der Gemeindeversammlung vom 29. September 1970 teilweise aufhob und die Gemeinde Wald anwies, ein näher bezeichnetes Areal im Gebiet Haselstud-Steig einer der drei Wohnzonen gemäss neuer Bauordnung zuzuweisen. Zur Begründung führte er u.a. aus, das fragliche Gebiet werde zwar landwirtschaftlich genutzt und könnte unter diesem Gesichtswinkel nach Massgabe von § 68 c BauG dem Übrigen Gemeindegebiet zugewiesen werden; da es indessen in der Nähe des Dorfkerns liege, bilde die Notwendigkeit einer Verkleinerung der bisherigen Wohnzonenfläche keinen hinreichenden Grund für eine Auszonung, zumal wesentlich peripherer gelegene Gemeindegebiete (z.B. bei Diezikon) neu eingezont worden seien.
C.- Die Gemeinde Wald beschwerte sich gegen diesen Entscheid beim Regierungsrat des Kantons Zürich und verlangte die Bestätigung des Gemeindeversammlungsbeschlusses vom 29. September 1970, mit dem die neue Zonenordnung erlassen worden war.
Am 2. Dezember 1971 hiess der Regierungsrat den Rekurs der Gemeinde gut.
D.- Die Erben des Fritz Knobel einerseits und Hermann Kohler anderseits führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art 4 und 22ter BV. Sie beantragen, den angefochtenen Entscheid des Regierungsrats vom 2. Dezember 1971 aufzuheben.
E.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich und die Gemeinde Wald beantragen die Abweisung der beiden Beschwerden.
F.- Eine Delegation des Bundesgerichts hat am 26. Mai 1972 einen Augenschein vorgenommen.
 


BGE 98 Ia 374 (376):

Aus den Erwägungen:
- dem Gemeinwesen aus dem Bau keine eigenen Aufwendungen erwachsen,
- keine erhebliche Störung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung des umliegenden Landes zu erwarten ist,
- das Quartierplanverfahren durchgeführt und der Quartierplan vom Regierungsrat genehmigt worden ist und
- keine wesentlichen Nachteile für eine spätere Entwicklung der Bauordnung zu befürchten sind.
Zudem kann für solche Bauten der Anschluss an das öffentliche Wasserversorgungs- und Kanalisationsnetz verweigert werden. Die dem Übrigen Gemeindegebiet zugewiesenen Grundstücke der Beschwerdeführer können demnach nur noch in sehr beschränktem Mass überbaut werden. Insoweit stellt die neue Zonenordnung vom 29. September 1970 eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung dar, die mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar ist, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruht und im öffentlichen Interesse liegt; würde sie enteignungsähnlich wirken, so wäre sie nach Massgabe von Art. 22ter Abs. 3 BV zu entschädigen (BGE 98 Ia 33 oben, BGE 97 I 795 Erw. 2 b, BGE 95 I 553 Erw. 3 mit Verweisungen).
Die Beschwerdeführer anerkennen, dass für die angefochtene Auszonung eine hinreichende gesetzliche Grundlage besteht und dass über die Frage, ob sie eine materielle Enteignung bewirkt, nicht im vorliegenden Verfahren zu entscheiden ist. Zu prüfen bleibt demnach bloss, ob dafür ein erhebliches öffentliches Interesse vorhanden ist, das bei Abwägung mit den ihm entgegenstehenden privaten Interessen überwiegt. Bei der Beantwortung dieser Frage steht dem Bundesgericht grundsätzlich die freie Kognition zu (BGE 98 Ia 33 mit Verweisungen). Es übt jedoch Zurückhaltung, soweit die Antwort von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (BGE 95 I 554 mit Verweisungen).
5. Die Beschwerdeführer legen in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht auf die Tatsache, dass ihre Grundstücke

BGE 98 Ia 374 (377):

bisher in der Bauzone lagen, und sie machen geltend, dass im Falle einer Auszonung besonders strenge Anforderungen an das hiefür angerufene öffentliche Interesse zu stellen seien.
Wie der Regierungsrat mit Recht ausführt, hat ein Grundeigentümer keinen Anspruch darauf, dass ein Zonenplan, der die Überbauung seiner Parzelle zulässt, bestehen bleibt, denn Planung und Wirklichkeit müssen im Lauf der Entwicklung durch Zonenplanrevisionen miteinander in Übereinstimmung gebracht werden können. Richtig ist freilich, dass sich die Planungsbehörden dabei im Interesse der Rechtssicherheit eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen haben und dass Zonenpläne nur beim Vorliegen gewichtiger Gründe abgeändert werden sollen. In diesem Zusammenhang kann ferner von Bedeutung sein, welche Zeitspanne zwischen dem Erlass und der Änderung des fraglichen Plans liegt. Schliesslich ist der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten, wenn dem Betroffenen behördliche Zusicherungen über die Fortdauer der bisherigen Ordnung gemacht wurden oder wenn er aus anderen Gründen mit einer längeren Dauer dieser Ordnung rechnen durfte und dies für die zuständigen Behörden erkennbar war (BGE 94 I 350 /1, BGE 95 I 125 Erw. 4 b; unveröffentlichtes Urteil vom 28. Januar 1970 i.S. Cron, Erw. 2 a.E.).
Wie im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines eidgenössischen Raumplanungsgesetzes festgestellt wurde, ist derzeit in der Schweiz fast überall zu viel Baugebiet eingezont (Bericht der Expertenkommission für die Ausführungsgesetzgebung zu den Bodenrechtsartikeln, S. 21; Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung zum BG über die Raumplanung vom 31. Mai 1972, BBl 1972 I S. 1460). Dies trifft unbestrittenermassen auch für die Gemeinde Wald zu. Nach den überzeugenden Ausführungen des Regierungsrats liegt auch das mit der Revision 1970 ausgeschiedene Baugebiet an der obersten Grenze des Zulässigen, da die Planungsbehörden von einer Bevölkerungszunahme von 200% ausgegangen sind. Unter diesen Umständen bestand ohne weiteres ein sehr erhebliches Interesse an einer Verkleinerung des im Jahre 1956 eingezonten Baugebietes. Dies scheint im übrigen allgemein anerkannt zu sein, da sich mit Ausnahme der Beschwerdeführer offenbar alle betroffenen Grundeigentümer mit der Auszonung abgefunden haben. Insbesondere bestehen auch unter dem Gesichtswinkel der Rechtssicherheit keine Bedenken gegen eine Verkleinerung

BGE 98 Ia 374 (378):

der Bauzone, denn die bisherige Ordnung bestand während rund 14 Jahren. Da die durchschnittliche Geltungsdauer von Zonenplänen im Kanton Zürich etwa 10 Jahre betragen soll, mussten die Beschwerdeführer ohne weiteres mit einer Revision rechnen. Dass ihnen behördliche Zusicherungen über die Fortdauer der bisherigen Ordnung gemacht worden wären, behaupten sie selber nicht.
6. Dass ein gewichtiges öffentliches Interesse an einer Verkleinerung der im Jahre 1956 ausgeschiedenen Bauzonenfläche bestand, bedeutet freilich noch nicht, dass der angefochtene Beschluss vor der Verfassung standhält. Zu prüfen bleibt vielmehr, ob es sich aufgrund einer Interessenabwägung rechtfertigen lässt, im besonderen auch die Grundstücke der Beschwerdeführer auszuzonen bzw. dem Übrigen Gemeindegebiet zuzuweisen, d.h. ob im konkreten Fall die Grenzziehung zwischen Bauzone und Übrigem Gemeindegebiet mit der Eigentumsgarantie vereinbar ist. Da die Beantwortung dieser Frage in weitem Mass von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt und den Planungsbehörden bei der Zonenabgrenzung ein weiter Spielraum des Ermessens offen steht (BGE 94 I 136, BGE 89 I 198), hat das Bundesgericht dabei jedoch Zurückhaltung zu üben (vgl. oben Erw. 4 a.E.).
a) Die Beschwerdeführer behaupten zunächst, die von der Gemeinde für die Auszonung vorgebrachten Gründe seien bloss vorgeschoben, da in Wahrheit beabsichtigt sei, auf dem Weg über die Auszonung einen billigen Erwerb des fraglichen Gebiets für Gemeindezwecke (Sportplatz, Schulhaus, Friedhof) vorzubereiten. - Für die Richtigkeit dieser Behauptung fehlt indessen jeder Anhaltspunkt. Wie die Vertreter der Gemeinde Wald anlässlich des Augenscheins vom 26. Mai 1972 glaubhaft ausgeführt haben, ist nicht beabsichtigt, das Gelände für einen Sportplatz oder für ein Schulhaus zu verwenden. Theoretisch möglich scheint bloss, dass im Gebiet Haselstud ein neuer Friedhof angelegt werden könnte; doch würde ein solches Vorhaben wohl frühestens in ungefähr 20 Jahren aktuell, da die Gemeinde eben erst an anderer Stelle ihre Friedhofanlage erweitert hat. Nichts deutet deshalb darauf hin, dass für die umstrittene Auszonung sachfremde finanzielle Überlegungen der Gemeinde massgebend gewesen wären.
b) Die Beschwerdeführer weisen weiter darauf hin, dass das ausgezonte Gebiet Haselstud in der Nähe des Dorfzentrums

BGE 98 Ia 374 (379):

liegt, und sie machen gestützt darauf geltend, es bestehe kein hinreichendes öffentliches Interesse daran, ihre Grundstücke dem Übrigen Gemeindegebiet zuzuweisen.
Bei Betrachtung des neuen Zonenplans erscheint die angefochtene Planungsmassnahme zunächst in der Tat als erstaunlich. Der Augenschein vom 26. Mai 1972 hat indessen ergeben, dass das fragliche Gebiet eine in sich abgeschlossene, teils von Wald und teils von steilen Abhängen begrenzte sogenannte Geländekammer bildet, die vom Dorfzentrum weitgehend abgeschnitten ist und ihren rein landwirtschaftlichen Charakter beibehalten hat. Ferner lässt sich nicht bestreiten, dass das Gebiet baulich noch durchaus unerschlossen ist; es wird von einer bloss 3,5 m breiten Strasse durchquert und kann auch mit Bezug auf das Abwasser nicht als erschlossen gelten, da es ausserhalb des GKP liegt und keine Kanalisationsleitungen vorhanden sind. Falls das Areal zur Überbauung freigegeben würde, so müsste im übrigen auch der Nordholzbach beträchtlich ausgebaut werden, um auf diese Weise die Ableitung des Meteorwassers zu sichern. Ob ein neues Wasserreservoir und eine Hauptleitung erstellt werden müssten, um das Gebiet mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen, ist umstritten, mag aber offen bleiben, denn die Erschliessung hätte für die Gemeinde in jedem Fall einen erheblichen finanziellen Mehraufwand zur Folge. Hinzu kommt, dass das GKP notwendigerweise erweitert werden müsste, wenn das fragliche Gebiet der Bauzone zugewiesen würde (vgl. § 83 des zürcherischen Wassergesetzes in der Fassung vom 2. Juli 1967). Da auch die finanzielle Mehrbelastung des Gemeinwesens als sachlicher Grund für die angefochtene Planung gelten darf (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 20. Oktober 1971 i.S. Erben Knüsel, Erw. 5 b), lässt sich somit nach den gesamten Umständen durchaus die Ansicht vertreten, das Areal liege noch ausserhalb des organischen Entwicklungsgebiets der Gemeinde und könne deshalb dem Übrigen Gemeindegebiet zugewiesen werden. Dies umso mehr, als es auch nach dem regierungsrätlichen Gesamtplan, der als Richtlinie für die Ortsplanung gilt und der auf das sogenannte Planungsziel Z 2 (ca. 2020-2040) ausgerichtet ist, nicht zur Bauzone gehört. Daraus folgt freilich nicht, dass es einer Überbauung dauernd entzogen bleibt, denn wie das Bundesgericht im unveröffentlichten Urteil vom 5. Juni 1968 i.S. Burkhardt, Erw. 4, erkannt hat, bildet das Übrige

BGE 98 Ia 374 (380):

Gemeindegebiet ein Reservegebiet, das je nach der baulichen Entwicklung später einer Bau- oder Freihaltezone zuzuweisen ist.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass an der angefochtenen planerischen Behandlung des Gebiets Haselstud-Steig ein erhebliches öffentliches Interesse besteht.
c) Zu Unrecht machen die Beschwerdeführer sodann geltend, der Regierungsrat und die Gemeinde hätten ihr privates Interesse an der Erhaltung der bisherigen Ordnung in verfassungswidriger Weise unberücksichtigt gelassen. Wohl ist zuzugeben, dass die Beschwerdeführer nach wie vor ein beachtliches Interesse daran haben, ihre Grundstücke überbauen zu können. Anderseits fällt in Betracht, dass die Zuweisung zum Übrigen Gemeindegebiet - wie erwähnt - eine künftige bauliche Ausnutzung nicht schlechthin ausschliesst. Ferner muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass auch der Bezirksrat Hinwil nicht vom Bestehen eines überwiegenden privaten Interesses ausgegangen ist, sondern den Standpunkt der Beschwerdeführer im wesentlichen mit Rücksicht auf die Einzonung entfernter gelegener Gebiete d.h. unter dem Gesichtswinkel der Rechtsgleichheit (vgl. unten Erw. 7) geschützt hat. Schliesslich darf bei der Interessenabwägung auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass offenbar in den Jahren 1956 bis 1970 kein erhebliches Bedürfnis nach einer Überbauung des fraglichen Gebiets bestand. Wenn das private Interesse der Beschwerdeführer an der Beibehaltung der bisherigen Ordnung auch nicht als gering eingeschätzt werden darf, so verstiessen die kantonalen und kommunalen Behörden unter diesen Umständen nicht gegen die Eigentumsgarantie, wenn sie dem öffentlichen Interesse an der neuen Zonenordnung den Vorrang zuerkannten. Auch die Interessenabwägung, wie sie dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegt, gibt dem Bundesgericht, das sich in diesem Zusammenhang eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen hat (vgl. oben Erw. 4 a.E.), keinen Anlass zu Kritik.
Allein auch dieser Vorwurf ist unbegründet. Wie anlässlich des Augenscheins vom 26. Mai 1972 festgestellt werden konnte,

BGE 98 Ia 374 (381):

bestehen für die unterschiedliche Behandlung des Diezikoner Areals in der Tat gewichtige sachliche Gründe. Zunächst fällt auf, dass in Diezikon bloss Zwischengebiete neu eingezont wurden. Sodann ist zu berücksichtigen, dass die Erschliessung dieses Areals bereits weitgehend als gesichert gelten darf, denn es liegt innerhalb des GKP, und die Kanalisationssammelleitung ist nach den Angaben der Gemeindebehörden auch dazu bestimmt, das Abwasser der Zürcher Heilstätte Wald aufzunehmen. Schliesslich unterscheidet sich auch die tatsächliche Entwicklung wesentlich von jener im Gebiet Haselstud-Steig; in Diezikon befindet sich eine Schokoladenfabrik, und es wurden dort verschiedene Wohn- und Industriebauten errichtet. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich durchaus, der tatsächlichen Entwicklung durch eine vernünftige Einzonung Rechnung zu tragen. Von einem widersprüchlichen Verhalten der Planungsbehörden und von einer rechtsungleichen Behandlung der Beschwerdeführer kann daher nicht gesprochen werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden abgewiesen.