99 Ia 444
Urteilskopf
99 Ia 444
54. Urteil vom 24. Januar 1973 i.S. Landesring der Unabhängigen gegen Einwohnergemeinde Zollikofen und Regierungsrat des Kantons Bern
Regeste
Art. 4 BV. Gemeinderecht; Wahlen in Gemeindekommissionen; Minderheitenschutz.
1. Zulässiger Rechtsbehelf für die Anfechtung kantonal letztinstanzlicher Entscheide über indirekte Kommissionswahlen ist die staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG (Erw. 1);
2. Voraussetzungen für die Beschwerdelegitimation einer politischen Partei (Erw. 2);
3. Gemeindebeschwerde wegen angeblicher Missachtung des im kantonalen und kommunalen Recht vorgesehenen Minderheitenschutzes bei Kommissionswahlen. Umfang der regierungsrätlichen Kognition im Weiterziehungsverfahren (Erw. 3);
4. Dürfen Listenverbindungen, die für die Wahlen ins Gemeindeparlament vereinbart worden sind, auch bei den Kommissionswahlen berücksichtigt werden? Beurteilung eines Falles aus der Gemeinde Zollikofen (Erw. 4).
A.- Das bernische Gesetz über das Gemeindewesen (Gemeindegesetz; GG) vom 9. Dezember 1917 enthält unter anderem folgende Bestimmungen: "Art. 17 Abs. 3 Bei der Bestellung der Behörden und Kommissionen ist auf die Vertretung der Minderheiten angemessene Rücksicht zu nehmen.
Art. 63 Abs. 1
Gegen die von Gemeindeorganen getroffenen Wahlen, sowie gegen Beschlüsse, welche allgemeine Interessen der Gemeinde berühren, kann jeder in Gemeindeangelegenheiten stimmberechtigte Bürger wegen Verletzung oder willkürlicher Anwendung von Gesetzen, Dekreten, Verordnungen oder Gemeindereglementen Beschwerde führen."
Über die Zusammensetzung der Gemeindekommissionen bestimmt die Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde Zollikofen vom 12. Dezember 1971 (GO) folgendes:
BGE 99 Ia 444 S. 446
B. Zusammensetzung
I. Mitgliederzahl
Art. 53
1 Die ständigen Kommissionen setzen sich aus 3 bis 11 Mitgliedern zusammen.
2 Innerhalb dieses Rahmens und vorbehältlich besonderer gesetzlicher Bestimmungen wird die Mitgliederzahl der einzelnen Kommissionen durch den Grossen Gemeinderat festgesetzt.
II. Vertretungsanspruch der Wählergruppen
Art. 54
1 Für die Berechnung der Mitgliederzahl, die jeder Wählergruppe in jeder einzelnen Kommission zufällt, ist auf die bei der Wahl des Grossen Gemeinderates erreichten Parteistimmenzahlen abzustellen.
2 Die Mitglieder der Kommissionen werden nach den Vorschriften der Geschäftsordnung der Wahlbehörden im Mehrheitsverfahren gewählt.
3 Mitglieder von Amtes wegen sind derjenigen Partei anzurechnen, welcher sie angehören. Ist ein solches Mitglied parteilos, so ist es derjenigen Partei anzurechnen, die am meisten Sitze aufweist. Bei Sitzgleichheit entscheidet das Los. Sind mehrere von Amtes wegen gewählte Mitglieder parteilos, so sind sie den vertretenen Parteien gemäss ihrer Stärke anzurechnen.
4 Im übrigen gelten für die Vertretung der Minderheiten die Bestimmungen des Gemeindegesetzes.
B.- Am 12. Dezember 1971 fanden in der Einwohnergemeinde Zollikofen Wahlen in den Grossen Gemeinderat statt, für welche die Freisinning-demokratische Partei, die Bürgerpartei und die Christlichsoziale Partei eine Listenverbindung im Sinne von Art. 102 und 116 GO vereinbart hatten. Der Urnengang zeitigte das folgende Ergebnis:
Stimmenzahl % Sitze im Grossen
Gemeinderat
Sozialdemokratische Partei 28038 29,88 12
Freisinnig-demokratische Partei 24449 26,05 11
Bürger-Partei 25127 26,78 11
Christlichsoziale Partei 8084 8,6 13
Landesring der Unabhängigen 8149 8,68 3
------------------------
Total 93847 100,00 40
Bei der Bestellung der Gemeindekommissionen kam es in der Folge zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Art. 54 Abs. 1 GO. Mit Beschluss vom 20. Dezember 1971 ging der Gemeinderat davon aus, dass bei der Verteilung nach Parteistimmenzahlen auf die Listenverbindungen abzustellen sei, d.h. dass die für die Gemeindewahlen durch Listen verbundenen
BGE 99 Ia 444 S. 447
Parteien eine "Wählergruppe" im Sinne von Art. 54 Abs. 1 GO bildeten. Diese Berechnungsmethode, die bereits bei den Gemeindewahlen der Jahre 1963 und 1967 angewendet worden war, hatte zur Folge, dass der Landesring der Unabhängigen in den Kommissionen mit sieben und neun Mitgliedern keinen Einsitz nehmen konnte, obwohl er einige Parteistimmen mehr erzielt hatte als die Christlichsoziale Partei.
C.- Am 22. Januar 1972 erhob die Ortsgruppe Zollikofen des Landesrings der Unabhängigen Gemeindebeschwerde mit der Begründung, das Vorgehen des Gemeinderats verletze Art. 17 Abs. 3 GG und Art. 54 Abs. 1 GO. Mit Entscheid vom 2. Juni 1972 wies der Regierungsstatthalter II von Bern die Beschwerde ab, soweit er darauf eintrat.
Diesen Entscheid zog die Ortsgruppe Zollikofen des Landesrings der Unabhängigen an den Regierungsrat weiter, der die Beschwerde am 23. August 1972 jedoch ebenfalls abwies. Der Regierungsrat nahm an, es liege nicht eine Wahlbeschwerde, sondern eine Gemeindebeschwerde im Sinne von Art. 63 Abs. 1 GG vor. In der Sache selbst erkannte er, der Gemeinderat von Zollikofen habe den Ermessensspielraum, der ihm bei der Wahl einer geeigneten Berechnungsmethode für die Sitzverteilung in den Kommissionen offen stehe, nicht willkürlich überschritten und daher weder Art. 17 Abs. 3 GG noch Art. 54 Abs. 1 GO verletzt.
D.- Die Ortsgruppe Zollikofen des Landesrings der Unabhängigen, vertreten durch zwei Vorstandsmitglieder, führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV und des Stimm- und Wahlrechts (Art. 85 lit. a OG). Die beiden Vorstandsmitglieder der Partei erheben ausserdem im eigenen Namen staatsrechtliche Beschwerde, in welcher sie ebenfalls einen Verstoss gegen Art. 4 BV und gegen das verfassungsmässig gewährleistete Stimm- und Wahlrecht rügen. Die Beschwerdeführer beantragen, den angefochtenen Entscheid des Regierungsrats des Kantons Bern vom 23. August 1972 aufzuheben, die angefochtenen Kommissionswahlen zu kassieren und festzustellen, dass die Berücksichtigung der Listenverbindungen bei der Zuteilung der Kommissionssitze unzulässig sei. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
E.- Der Gemeinderat von Zollikofen und die Direktion der Gemeinden des Kantons Bern beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, das vom Regierungsrat geschützte Vorgehen des Gemeinderats bei der Bestellung der ständigen Kommissionen verletze das Stimm- und Wahlrecht der Bürger und könne daher auf dem Weg einer staatsrechtlichen Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG angefochten werden.
Eine Verletzung des Stimm- und Wahlrechts setzt voraus, dass dieses durch Volkswahl, d.h. durch direkte Teilnahme der Stimmberechtigten an einem Wahl- oder Abstimmungsverfahren hätte ausgeübt werden können. Bei der Bestellung einer Behörde oder einer Kommission durch sog. indirekte Wahl, d.h. durch eine andere Behörde oder durch einen behördlichen Wahlkörper, kann somit nicht das Stimm- und Wahlrecht der Bürger, sondern allenfalls eine objektive Vorschrift organisatorischer Art verletzt werden (vgl.BGE 38 I 24). Wird also der gesetzlich verankerte Anspruch einer Minderheit, in einer Kommission angemessen vertreten zu sein, anlässlich eines entsprechenden indirekten Wahlverfahrens missachtet, so kann dieses Vorgehen nicht mit einer Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG, sondern höchstens mit einer solchen wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) beanstandet werden (unveröffentlichtes Urteil vom 11. November 1959 i.S. Blatter gegen Gemeinderat Meiringen und Regierungsrat des Kantons Bern, Erw. 2). Wem in diesem Zusammenhang die Beschwerdelegitimation zukommt, ist diesfalls ausschliesslich aufgrund von Art. 88 OG zu entscheiden (BIRCHMEIER, Handbuch der Bundesrechtspflege, S. 342 Ziff. 3).
Im vorliegenden Fall wurden die ständigen Kommissionen im Sinne von Art. 52 GO durch indirekte Wahlen bestellt. Eine Verletzung des Stimm- und Wahlrechts der Bürger fällt somit nach dem Gesagten von vorneherein ausser Betracht. Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
Zu prüfen bleibt demnach bloss, ob die Beschwerdeführer legitimiert sind, den kantonalen und kommunalen Behörden mit staatsrechtlicher Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften über den Minderheitenschutz vorzuwerfen, ob dem angefochtenen Entscheid bejahendenfalls tatsächlich eine solche Gesetzesverletzung zugrunde liegt und ob der Regierungsrat seine Überprüfungsbefugnis
BGE 99 Ia 444 S. 449
im kantonalen Beschwerdeverfahren willkürlich beschränkt und damit gegen Art. 4 BV verstossen hat, wie die Beschwerdeführer behaupten.
2. Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist legitimiert, wer behauptet, durch den angefochtenen Hoheitsakt persönlich in seinen Rechten verletzt worden zu sein (Art. 88 OG). Auch politische Parteien sind demnach zur staatsrechtlichen Beschwerde zugelassen, wenn ein Erlass oder eine Verfügung sie in ihrer Rechtsstellung berührt, sie beispielsweise an der Verfolgung ihrer satzungsgemässen Ziele hindert (vgl. Art. 56 BV;BGE 61 I 103ff.), oder wenn das kantonale Recht bestimmte Garantien zu ihren Gunsten enthält, wie namentlich auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes bei der Bestellung von Behörden und Kommissionen (BIRCHMEIER, a.a.O. S. 362 Ziff. 4; unveröffentlichtes Urteil vom 8. Mai 1963 i.S. Konservativchristlichsoziale Volkspartei der Einwohnergemeinde Grenchen, Erw. 1 a.E.; vgl. auch E. KIRCHHOFER, Über die Legitimation zum staatsrechtlichen Rekurs, ZSR 55/1935 I S. 175).
Art. 17 Abs. 3 GG sieht vor, dass bei der Bestellung von Behörden und Kommissionen auf die Vertretung der Minderheiten angemessen Rücksicht zu nehmen ist. Wie das Bundesgericht wiederholt erkannt hat, lässt sich daraus ein Rechtsanspruch der Minderheit auf Vertretung nach der zahlenmässigen Stärke ableiten (unveröffentlichte Urteile vom 26. Oktober 1966 i.S. Kämpf und Ogi, Erw. 3, vom 12. Juli 1950 i.S. Wyss und Grossmann, Erw. 3, u.a.m.). Was die Gemeindekommissionen von Zollikofen anbelangt, so ist der Vertretungsanspruch der Wählergruppen in Art. 54 GO näher umschrieben, wobei in Abs. 4 ausdrücklich auf Art. 17 Abs. 3 GG verwiesen wird. Daraus folgt, dass den politischen Parteien, aber auch anderen rechtlich selbständigen Gruppierungen unter Umständen von Gesetzes wegen ein Anspruch zusteht, in den kommunalen Behörden und Kommissionen mit ihren Vertretern Einsitz zu nehmen. Die beschwerdeführende Ortsgruppe Zollikofen des Landesrings der Unabhängigen ist deshalb als Verein im Sinne von Art. 60 ZGB legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine willkürliche Missachtung des gesetzlich verankerten Minderheitenschutzes zu rügen. Auf ihre Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ist daher einzutreten.
Bei diesem Ergebnis mag offen bleiben, ob auch den beiden Vorstandsmitgliedern der Ortsgruppe persönlich das Recht zusteht,
BGE 99 Ia 444 S. 450
sich mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen eine angebliche Verletzung von Art. 54 GO bzw. Art. 17 Abs. 3 GG zur Wehr zu setzen.
3. Der Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid aus, Art. 54 GO könne ohne Willkür dahin ausgelegt werden, dass die Listenverbindungen auch bei der Bestellung der Kommissionen zu berücksichtigen seien; dies um so mehr, als den Gemeindeorganen bei der Auslegung der Gemeindeordnung ein weiter Spielraum des Ermessens offen stehe. Die Beschwerdeführer machen in diesem Zusammenhang vor allem geltend, der Regierungsrat habe seine Überprüfungsbefugnis zu Unrecht beschränkt und sich damit einer formellen Rechtsverweigerung schuldig gemacht, denn nach Art. 70 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 22. Oktober 1961 (VRPG) sei der Regierungsrat verpflichtet, die Anwendung und Auslegung des Gemeinderechts im Weiterziehungsverfahren frei zu prüfen.
Der Umfang der regierungsrätlichen Kognition bei der Beurteilung von Gemeindebeschwerden ergibt sich aus dem kantonalen Gesetzesrecht. Insoweit vermag das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid deshalb nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür zu überprüfen. Läge der Betrachtungsweise des Regierungsrats jedoch eine willkürliche Auslegung der massgebenden Verfahrensvorschriften zugrunde, so wäre die Beschwerde in der Tat gutzuheissen, denn eine gegen den klaren Gesetzeswortlaut verstossende Beschränkung der Überprüfungsbefugnis verstösst nach der Rechtsprechung gegen Art. 4 BV (BGE 92 I 80 /81, BGE 84 I 227 ff.).
a) Das VRPG ist sowohl in der verwaltungsinternen als auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtspflege anwendbar (GYGI/STUCKI, Handkommentar, N. 1 zu Art. 1 VRPG). Es ist daher grundsätzlich auch für das Rechtsmittelverfahren (Weiterziehungsverfahren) vor dem Regierungsrat massgebend (vgl. Art. 70 VRPG), namentlich auch für die Beurteilung von Gemeindebeschwerden (Art. 70 VRPG in Verbindung mit Art. 65 Abs. 1 GG in der Fassung gemäss Art. 94 Ziff. 2 VRPG). Was die Überprüfungsbefugnis der kantonalen Rekursinstanz anbelangt, so folgt aus der appellatorischen Natur der Weiterziehung, dass im oberinstanzlichen Verfahren sowohl eine Rechts- als auch eine Ermessenskontrolle stattzufinden hat (GYGI/STUCKI, a.a.O., N. 5 zu Art. 70 VRPG). Vorbehalten bleiben freilich anderslautende Vorschriften in Spezialgesetzen. Als solche Sondernorm
BGE 99 Ia 444 S. 451
mag Art. 63 Abs. 1 GG gelten, wonach "wegen Verletzung oder willkürlicher Anwendung von Gesetzen, Dekreten, Verordnungen oder Gemeindereglementen" Gemeindebeschwerde geführt werden kann. Diese Bestimmung wurde - im Gegensatz zu anderen Normen des GG - beim Erlass des VRPG nicht revidiert. Mit Rücksicht auf das Wesen der Gemeindeautonomie lässt sich daher mit haltbaren Gründen die Auffassung vertreten, die Rüge der Unangemessenheit könne im Beschwerdeverfahren nach Art. 63 Abs. 1 GG jedenfalls dann nicht erhoben werden, wenn im konkreten Fall die Anwendung von Gemeinderecht in Frage stehe, und der Regierungsrat habe deshalb in einem allfälligen Weiterziehungsverfahren bloss eine Rechts-, nicht aber eine Ermessenskontrolle vorzunehmen (in diesem Sinne bereits E. BLUMENSTEIN, Das neue bernische Gemeinderecht, MBVR 16/1918, S. 107/8).b) Nach dem in Art. 54 Abs. 1 GO verankerten Grundsatz bestimmt sich die Vertretung der Wählergruppen in den einzelnen Kommissionen nach der bei der Wahl des Grossen Gemeinderats erzielten Parteistimmenzahl. Ob und gegebenenfalls wie dabei allfällige Listenverbindungen zu berücksichtigen sind, ist in Art. 54 GO nicht ausdrücklich geregelt. Mit den Beschwerdeführern könnte daraus ohne Willkür gefolgert werden, Listenverbindungen seien für die Zusammensetzung der Gemeindekommissionen unbeachtlich, da in Art. 54 Abs. 1 GO nur von "Wählergruppen" (vgl. Art. 101 Abs. 2 GO) die Rede sei und nach dem Gesetzeswortlaut bloss auf die Parteistimmenzahl abzustellen sei. Anderseits lässt sich mit haltbaren Gründen auch die Ansicht vertreten, der kommunale Gesetzgeber habe in Art. 54 Abs. 1 GO offenbar nur den Vertretungsanspruch der nicht durch Listenverbindung zusammengeschlossenen Wählergruppen umschrieben und offengelassen, was im Falle von Listenverbindungen zu geschehen habe. Dieser Betrachtungsweise steht insbesondere nicht entgegen, dass die GO lediglich in den Art. 102 und 116 Vorschriften über die Listenverbindung enthält und dass sich der Begriff "Listengruppe" bloss in Art. 116 GO findet, denn diese Bestimmungen gehören dem IV. Abschnitt über die Gemeindeabstimmungen- und wahlen an (Art. 82 ff. GO) und stehen mit den Normen über die Kommissionen (Art. 52 ff. GO) in keinem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang. Kann somit ohne Willkür davon ausgegangen werden, Art. 54 Abs. 1 GO enthalte für den Fall der Listenverbindung eine echte
BGE 99 Ia 444 S. 452
Lücke, so hat diesfalls bei der Kommissionsbildung Art. 54 Abs. 4 GO Platz zu greifen, wonach für die Vertretung der Minderheiten die Bestimmungen des GG massgebend sein sollen. In Betracht fällt dabei offensichtlich Art. 17 Abs. 3 GG ("Bei der Bestellung der Behörden und Kommissionen ist auf die Vertretung der Minderheiten angemessen Rücksicht zu nehmen."). Daraus folgt, dass den zuständigen Gemeindeorganen in diesem Zusammenhang ein weiter Ermessensspielraum offensteht (unveröffentlichtes Urteil vom 12. Juli 1950 i.S. Wyss und Grossmann gegen Regierungsrat des Kantons Bern, Erw. 4), und der Regierungsrat hat aufgrund der soeben erwähnten Auslegung die getroffene Lösung in einem Weiterziehungsverfahren nur auf das Vorliegen eines Ermessensmissbrauchs bzw. auf Willkür hin zu überprüfen. Wenn der Regierungsrat im vorliegenden Fall bloss prüfte, ob sich für die vom Gemeinderat vertretene Auffassung sachlich haltbare Gründe anführen lassen, machten er sich daher keiner formellen Rechtsverweigerung und mithin keines Verstosses gegen Art. 4 BV schuldig.
4. Ist demnach - wie ohne Willkür angenommen werden kann - davon auszugehen, dass der Gemeinderat bei der Bildung der Kommissionen nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden hatte, ob und gegebenenfalls wie dabei Listenverbindungen zu berücksichtigen sind, so bleibt im vorliegenden Verfahren - ähnlich wie im Verfahren vor dem Regierungsrat - bloss diese Ermessensbetätigung zu prüfen. Von einem Ermessensmissbrauch, dem einzigen hier in Betracht fallenden Verstoss, könnte freilich nur dann gesprochen werden, wenn der Gemeinderat sich von absonderlichen und sachwidrigen Überlegungen hätte leiten lassen und einen dem Sinn der GO klarerweise widersprechenden, offensichtlich unbilligen Beschluss gefasst hätte (vgl. BGE 96 I 429 Erw. 2; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 221 X, S. 79). So verhält es sich indessen nicht. Wohl ist die Listenverbindung in erster Linie eine Partnerschaft zur Verwertung der Reststimmen bei der Verhältniswahl (vgl. dazu BENNO SCHMID, Die Listenverbindung im schweizerischen Proportionalwahlrecht, Diss. Zürich 1961, S. 35 ff.). Damit ist jedoch ihre Aufgabe noch nicht notwendigerweise erschöpft, denn es ist nicht geradezu unhaltbar, sie darüber hinaus als taugliches Mittel des Minderheitenschutzes zu betrachten. Nach dem Sinngehalt von Art. 17 Abs. 3 GG ist es jedenfalls nicht offensichtlich sachwidrig, das für den Wahlkampf
BGE 99 Ia 444 S. 453
eingegangene und allenfalls auf Fraktionsebene fortgesetzte Bündnis mit Rücksicht auf das politische Kräfteverhältnis, wie es sich aus der Wahl ergeben hat, auch bei der Zusammensetzung der Kommissionen zu berücksichtigen. Dabei mag auch in Betracht fallen, dass dieses Vorgehen in der Gemeinde Zollikofen einerlangjährigen, unangefochtenenÜbung entspricht. Der angefochtene Beschluss des Gemeinderats kann deshalb nicht als offensichtlich minderheitsfeindlich bezeichnet werden, sondern liegt noch innerhalb des weiten Ermessensspielraums, der den Gemeindeorganen nach Massgabe von Art. 17 Abs. 3 GG offensteht. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.Zuzugeben ist freilich, dass kleine Parteien, die keine Listenverbindung vereinbart haben, bei der Bestellung der Kommissionen in einem nicht unerheblichen Mass benachteiligt werden können, wenn auf jene Stimmen abgestellt wird, die bei der Wahl des Grossen Gemeinderats auf die einzelnen Listengruppen entfallen sind. Ob das angefochtene Vorgehen in der Gemeinde Zollikofen auch bei freier Prüfung geschützt werden könnte, ist daher fraglich. Mit Recht weist der Regierungsrat die Gemeinde deshalb an, Art. 54 Abs. 1 GO zu revidieren und klare Vorschriften darüber aufzustellen, ob und gegebenenfalls wie bei der Zusammensetzung der Kommissionen auch Listenverbindungen zu berücksichtigen sind.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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