99 Ia 561
Urteilskopf
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68. Urteil vom 19. Dezember 1973 i.S. Sonderegger gegen Sonderegger und Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh.
Regeste
Art. 4 BV; Namensänderung (Art. 30 ZGB).
Kindern aus geschiedener Ehe, die der Mutter zugeteilt und nach deren Wiederverheiratung in die Familie des Stiefvaters aufgenommen wurden, kann, wenn wichtige Gründe dies im konkreten Fall rechtfertigen, die Annahme des Familiennamens des Stiefvaters gestattet werden; die Zustimmung des leiblichen Vaters, der immerhin angehört werden muss und dessen Interessen ebenfalls zu berücksichtigen sind, ist keine rechtlich notwendige Voraussetzung.
A.- Die Ehe des Josef Sonderegger mit Heidi Sonderegger-Degen wurde im Jahre 1961 geschieden. Die beiden aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder Esther Sonderegger, geb. 1954, und Urs Sonderegger, geb. 1955, wurden der Mutter zugesprochen, welche im Jahre 1962 mit Johann Pfund eine neue Ehe einging. Mit Beschluss vom 9. Oktober 1968 gestattete die Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. den beiden Kindern Esther und Urs Sonderegger, künftig den Familiennamen ihres
BGE 99 Ia 561 S. 562
Stiefvaters Pfund zu führen. Der leibliche Vater der Kinder, Josef Sonderegger, erhielt von dieser Namensänderung offenbar erst am 22. Mai 1973 Kenntnis. Eine staatsrechtliche Beschwerde, mit der er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügte, wurde vom Bundesgericht am 19. Juli 1973 als gegenstandslos abgeschrieben, nachdem die Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. am 5. Juli 1973 ihren Beschluss vom 9. Oktober 1968 aufgehoben und die Neudurchführung des Namensänderungsverfahrens angeordnet hatte.
B.- Frau Heidi Pfund-Degen und ihr Ehemann Johann Pfund teilten der Standeskommission in der Folge mit, dass sie mit der Rückgängigmachung der Namensänderung nicht einverstanden seien, und stellten erneut das Gesuch, den Kindern Esther und Urs die Führung des Familiennamens Pfund zu bewilligen. Josef Sonderegger nahm hiezu am 8. August 1973 Stellung und beantragte Abweisung des Namensänderungsgesuches.
Mit Beschluss vom 16. August 1973 gestattete die Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. den Kindern Esther und Urs erneut, den Familiennamen Pfund zu führen.
C.- Gegen diesen Beschluss der Standeskommission richtet sich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde, mit der Josef Sonderegger eine Verletzung von Art. 4 BV rügt. Sein Antrag lautet auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Zur Begründung wird geltend gemacht, gemäss Art. 30 ZGB könne eine Namensänderung nur bei Vorliegen wichtiger Gründe bewilligt werden. Dies sei dann der Fall, wenn das Interesse des Kindes am neuen Namen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit und Dritter an der Beibehaltung des bisherigen Namens überwiege. Auch der leibliche Vater der Kinder habe ein schützenswertes Interesse daran, dass diese weiterhin seinen Namen trügen. Die kantonale Behörde habe dies im vorliegenden Fall völlig ausser acht gelassen. Die Tatsache, dass ein aus einer geschiedenen Ehe hervorgegangenes Kind bei einem Stiefvater aufwachse, bilde für sich allein noch keinen hinreichenden Grund, um die kraft Gesetzes im Namen liegende Verbindung zur Familie des leiblichen Vaters aufzuheben.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist
BGE 99 Ia 561 S. 563
der Vater eines minderjährigen Kindes, welches nach erfolgter Scheidung dem andern Elternteil zugesprochen wurde, legitimiert, den Entscheid der kantonalen Regierung, durch den dem Kind gestützt auf Art. 30 ZGB die Änderung des Familiennamens gestattet wird, wegen Verletzung von Art. 4 BV mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten. Er kann sich dabei nicht nur über eine Verletzung des rechtlichen Gehörs beschweren, sondern auch geltend machen, dass die (nach ordnungsgemässer Anhörung des Vaters) bewilligte Namensänderung in materieller Beziehung willkürlich sei (BGE 97 I 621 f, E. 3, mit Hinweisen). Auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten.Der Anspruch des Vaters auf rechtliches Gehör ist im zu beurteilenden Falle nach Aufhebung des früheren Beschlusses der Standeskommission vom 9. Oktober 1968 gewahrt worden. Der Beschwerdeführer erhielt Gelegenheit, zu den Argumenten, die zur Begründung des Namensänderungsgesuches vorgebracht wurden, Stellung zu nehmen, und er hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. In dieser Richtung wird denn auch kein Einwand mehr erhoben. Der Beschwerdeführer macht vielmehr geltend, dass bei der neuerlichen Bewilligung der Namensänderung das Interesse des Vaters an der Beibehaltung des bisherigen Familiennamens der Kinder nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.
2. Nach Art. 30 Abs. 1 ZGB kann die Regierung des Heimatkantons bei Vorliegen wichtiger Gründe eine Namensänderung bewilligen. Die Vorschrift geht davon aus, dass grundsätzlich jedermann den ihm von Gesetzes wegen zustehenden Namen zu tragen hat. Nur wenn "wichtige Gründe" dies rechtfertigen, kann die Annahme eines andern Namens gestattet werden. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist eine Ermessensfrage, die von der Regierung des Heimatkantons "nach Recht und Billigkeit" zu beantworten ist (Art. 4 ZGB). Das Bundesgericht kann im Rahmen einer Willkürbeschwerde nur eingreifen, wenn die kantonale Behörde ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat, d.h. wenn ihr Entscheid auf einer unhaltbaren Würdigung der Umstände beruht oder wenn sie sich von Erwägungen hat leiten lassen, die offensichtlich keine oder doch keine massgebliche Rolle spielen dürfen (BGE 98 Ia 451 E.2). Die Behörde hat beim Entscheid über das Namensänderungsgesuch sowohl die Interessen des Gesuchstellers als auch diejenigen betroffener Dritter sowie der Allgemeinheit zu berücksichtigen
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und abzuwägen. Gegen eine Änderung des Namens sprechen in der Regel die Interessen der Staatsverwaltung und des Verkehrs. In Fällen wie dem vorliegenden besitzt sodann auch der Vater ein schutzwürdiges Interesse daran, dass sein Kind den väterlichen Familiennamen beibehält (BGE 76 II 342), und die Behörde muss ihm im Verfahren nach Art. 30 Abs. 1 ZGB zumindest Gelegenheit geben, zum Namensänderungsbegehren Stellung zu nehmen, sofern das Kind noch unmündig ist (BGE 97 I 622 f.). Das will jedoch nicht heissen, dass die Behörde eine Namensänderung des Kindes nur mit Einwilligung des Vaters gestatten dürfte; ebensowenig vermöchte übrigens die Zustimmung des Vaters die Behörde von der Pflicht zu entbinden, das Vorhandensein wichtiger Gründe nach Massgabe von Recht und Billigkeit zu prüfen.
3. a) Die beiden Kinder des Beschwerdeführers leben seit der Scheidung ihrer Eltern im Jahre 1961 mit ihrer Mutter zusammen und sind bei deren Wiederverheiratung im Jahre 1962 in die neue Lebensgemeinschaft mit dem Stiefvater aufgenommen worden. Die Standeskommission nahm an, dass unter diesen Umständen die Namensänderung im Interesse der Kinder gerechtfertigt sei. Demgegenüber beruft sich der Beschwerdeführer auf das UrteilBGE 76 II 342f, in dem das Bundesgericht hiezu u.a. ausführte: "Der Umstand, dass das Kind bei der Scheidung der Mutter zugesprochen wurde - vielleicht nur, weil es noch sehr jung war oder weil der Vater keinen eigenen Haushalt mehr hatte -, und dass die Mutter sich wieder verheiratet und das Kind in ihre neue Familie aufgenommen hat, ist an sich noch kein hinreichender Grund, ihm den Namen des Vaters zu nehmen, dem es dadurch nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich entfremdet wird, ganz abgesehen von der durch den Namenswechsel entstehenden schiefen, die Öffentlichkeit täuschenden Situation."
Diese Überlegung hat sicher ihre Berechtigung. Anderseits ist aber doch zu beachten, dass Scheidungskindern nicht nur durch die Scheidung ihrer Eltern an sich, sondern auch infolge der damit verbundenen Nebenwirkungen sehr oft schwere Nachteile entstehen. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Schaden dort häufig noch grösser wird, wo durch die unterschiedlichen Familiennamen der Mutter und der ihr zugesprochenen Kinder ein weiteres Publikum ständig an die besondere familiäre Situation erinnert wird und oft auch entsprechend taktlos reagiert; durch
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die Unterschiedlichkeit der Namen wird es den Scheidungskindern erschwert, sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Im ähnlich gelagerten Fall des unehelichen Kindes, welches bei Pflegeeltern Aufnahme gefunden hat, wurde die Wünschbarkeit und Zulässigkeit einer Anpassung an den Familiennamen der Pflegeeltern in der Praxis denn auch schon längst anerkannt (BGE 96 I 429,BGE 70 I 220mit Hinweisen). Auch bei ausserehelichen Kindern, die den Namen ihrer Pflegeeltern annehmen, entsteht damit eine die Öffentlichkeit täuschende Situation, was jedoch gegenüber dem vorrangigen Interesse solcher Kinder nicht ins Gewicht fallen darf. Es würde jedenfalls schwer halten, in derartigen Fällen dem entgegenstehenden Interesse der Öffentlichkeit oder Dritter an der unverfälschten Offenlegung der familiären Verhältnisse trotz aller damit verbundenen Konsequenzen (Diskriminierung, Taktlosigkeiten, Aussenseitertum) den Vorzug zu geben. Diese Überlegung trifft, allerdings in geringerem Ausmasse, auch auf Scheidungskinder zu. Sie sind ebenfalls nicht verantwortlich für ihre besondere Lage und haben Anspruch auf Schutz vor den sich daraus ergebenden Nachteilen. Die Standeskommission konnte jedenfalls ohne Willkür davon ausgehen, dass es für Scheidungskinder, die in die neugegründete Familiengemeinschaft ihrer Mutter und ihres Stiefvaters aufgenommen werden, sowohl in der Schule als auch später im Beruf und überhaupt im Kontakt mit ihrer Umgebung von erheblichem Nachteil ist, wenn sie nicht den gleichen Namen wie ihre jetzigen Eltern tragen, und dass daher ihr Interesse an einer Änderung des Familiennamens, je nach den Umständen des einzelnen Falles, das an sich ebenfalls schutzwürdige, entgegenstehende Interesse des leiblichen Vaters an der Beibehaltung des Namens überwiegen kann.b) Im vorliegenden Fall weist die Standeskommission zu Recht darauf hin, dass den beiden Kindern, welche seit über zehn Jahren in der Familie ihres Stiefvaters leben, bereits im Jahre 1968 eine Namensänderung bewilligt worden ist, und dass sie seither den Familiennamen ihres Stiefvaters getragen haben. Auch wenn die im Jahre 1968 erteilte Bewilligung wegen eines Formmangels auf Begehren des Beschwerdeführers von der Standeskommission am 5. Juli 1973 aufgehoben worden ist, kann doch nicht leichthin darüber hinweggegangen werden, dass die beiden Kinder schon seit längerer Zeit den Familiennamen "Pfund" tragen und unter diesem Namen in ihrem
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Lebensbereich bekannt sind. Eine Abweisung des 1973 gestellten zweiten Namensänderungsgesuches wäre daher zumindest stossend und käme ihrerseits praktisch einer Namensänderung gleich. Diese Konsequenz liesse sich nur dann rechtfertigen, wenn der Beschwerdeführer als leiblicher Vater hieran ein ausserordentlich schwerwiegendes Interesse darzutun vermöchte. Dies ist nicht der Fall. Der Beschwerdeführer beruft sich lediglich in allgemeiner Weise auf die Funktion des Familiennamens nach schweizerischem Recht und macht geltend, dass er als Vater ein Recht darauf habe, dass seine Kinder seinen Familiennamen trügen. Er tut aber nicht dar, dass in seinem Fall die Änderung des Familiennamens seiner Kinder besonders unzumutbar wäre und welche konkreten Interessen er an einer Beibehaltung des Familiennamens hat. Er behauptet nicht, dass die Kinder in der Familie ihres Stiefvaters schlecht aufgehoben seien, oder dass die Ehe der Mutter und des Stiefvaters in ihrem Bestand gefährdet sei, und er bekundet auch keine Absicht, die Kinder über kurz oder lang zu sich zu nehmen oder mit ihnen künftig intensiver zu verkehren, als es bisher vielleicht der Fall war. Der vom Beschwerdeführer erwähnte Umstand, dass er für den Unterhalt seiner Kinder Alimente zu bezahlen hat, begründet noch kein besonders schutzwürdiges Interesse an der Beibehaltung des Familiennamens. Auch wenn die Kantonsregierung bei der Beurteilung des Gesuches um Namensänderung die dafür und dagegen sprechenden Gründe von Amtes wegen zu berücksichtigen hat, so darf doch vom Vater, der sich der Namensänderung widersetzt, verlangt werden, dass er in seiner Stellungnahme zum Gesuch alle ihm wichtig erscheinenden Gegengründe vorbringt; der blosse Hinweis auf die angebliche Rechtslage genügt nicht.c) Als die Standeskommission am 16. August 1973 zum zweiten Mal über das Namensänderungsbegehren entschied, waren die beiden Kinder des Beschwerdeführers bereits rund 18 bzw. 19 Jahre alt. Da das Recht am Namen zu den Persönlichkeitsrechten gehört, fragt es sich, ob die Standeskommission, bevor sie das von der Mutter als gesetzlicher Vertreterin gestellte Gesuch bewilligte, sich nicht auch der Zustimmung der beiden bald volljährigen Kinder hätte vergewissern müssen (EGGER, N. 15 zu Art. 19 und N. 9 zu Art. 30 ZGB; BGE 97 I 622 E. 4 a). Dies scheint unterlassen worden zu sein, offenbar in der Annahme, dass unter den gegebenen Umständen am Einverständnis
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der Kinder zum vornherein kein Zweifel bestehen könne. Der Beschwerdeführer erhebt in dieser Hinsicht keinen Einwand. Im übrigen hat er, wie aus den vorstehenden Erwägungen folgt, nicht dargetan, dass die Standeskommission das ihr im Rahmen von Art. 30 Abs. 1 ZGB zustehende Ermessen überschritten oder missbraucht hätte, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
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