BGE 99 Ia 697
 
80. Auszug aus dem Urteil vom 7. November 1973 i.S. Emmenegger gegen Guthauser und Marti und Kant. Rekurskommission Solothurn.
 
Regeste
Art. 4 BV und Art. 62 KV/SO (Gewaltentrennung).
 
Sachverhalt


BGE 99 Ia 697 (697):

A.- Art. 7 des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 (LMG; SR 817.0) schreibt vor, dass in jeder Gemeinde eine ständige Fleischschau einzurichten ist, die womöglich einem patentierten Tierarzt übertragen werden soll. Gemäss Art. 8 LMG gelten für die Fleischschau die von den Kantonen oder Gemeinden aufgestellten Tarife. In Ausführung von Art. 7 LMG bestimmt die Eidg. Fleischschauverordnung vom 11. Oktober 1957 (EFV; SR 817.191) in Art. 25, dass die Kantone oder Gemeinden für eine angemessene Entschädigung der Fleischschauer zu sorgen haben. Die Ausführung des Bundesgesetzes und der bundesrätlichen Erlasse obliegt den Kantonen, deren Vollziehungsbestimmungen der Genehmigung des Bundesrates bedürfen (Art. 56 LMG).
Der solothurnische Regierungsrat hat am 6. Dezember 1963 eine Vollziehungsverordnung zur Eidg. Fleischschauverordnung erlassen (im folgenden: KFV; Solothurner Gesetzessammlung Bd. 82 S. 449 ff.). Laut des Ingresses stützt sich diese Vollziehungsverordnung auf das Bundesgesetz (LMG), die Eidg.

BGE 99 Ia 697 (698):

Fleischschauverordnung und den Art. 38 Ziffer 1 KV, der dem Regierungsrat die Befugnis gibt bzw. die Pflicht auferlegt, "die zur Vollziehung von Gesetzen und Beschlüssen erforderlichen Verordnungen" zu erlassen. In § 12 Abs. 2 der KFV wird erklärt, in den Gemeinden ohne öffentliche Schlachthäuser würden die Fleischschauer für ihre Verrichtungen nach den in § 20 festgesetzten Ansätzen entschädigt. Dieser § 20 enthält einen ausführlichen Gebührentarif für alle Untersuchungshandlungen der Fleischschauer, abgestuft nach Grossvieh, Kleinvieh, Anzahl der Tiere usw.
Die Gemeinde Gerlafingen hat zur Regelung der in der KFV den Gemeinden übertragenen Pflichten am 1. April 1965 ein Fleischschaureglement erlassen. In § 5 dieses Reglements wird hinsichtlich der Gebühren auf § 20 KFV verwiesen und bestimmt, dass das Inkasso im Einzelfall Sache des Fleischschauers sei.
B.- Die Gemeinde Gerlafingen hatte bis 1969 einen einzigen von ihr gewählten Fleischschauer, Dr. med. vet. A. Guthauser, Biberist. Seit dem 10. Juli 1969 amtet neben ihm ein Stellvertreter, Dr. med. vet. E. Marti, Solothurn. Diese beiden Tierärzte sind u.a. für die Fleischschau in der Versandmetzgerei Hans Emmenegger, einer industriellen Grossmetzgerei in Gerlafingen, zuständig. Weil sich nach Ansicht Emmeneggers bei Anwendung des Gebührentarifs von § 20 KFV zu hohe Bezüge des Fleischschauers ergeben hätten, vereinbarte er ab 1960 mit dem damals einzigen Fleischschauer, Dr. Guthauser, ausdrücklich oder stillschweigend tiefere Gebührenansätze. Jedenfalls nahmen Dr. Guthauser und später auch Dr. Marti bis zum 12. November 1969 von Emmenegger Entschädigungen an, die geringer waren; als wenn sie nach § 20 KFV berechnet worden wären.
Am 16. und 17. Januar 1970 richteten die beiden Tierärzte Zuschriften an das kantonale Veterinäramt, worin sie erklärten, sie seien seit dem 12. November 1969 von Emmenegger nicht mehr honoriert worden und würden nun ab diesem Zeitpunkt den kantonalen Tarif zur Anwendung bringen. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch, ihre Forderung auf dem Betreibungsweg durchzusetzen, eröffneten sie Emmenegger am 17. Februar 1971 eine Gebührenrechnung für die Zeit vom 12. November 1969 bis 30. Dezember 1970.
C.- Gegen diese Forderung erhob Emmenegger Einsprache beim Sanitätsdepartement des Kantons Solothurn, und gegen

BGE 99 Ia 697 (699):

dessen abweisenden Entscheid führte er Beschwerde bei der kantonalen Rekurskommission. Diese wies die Beschwerde am 27. Dezember 1972 ab.
D.- Gegen den Entscheid der Rekurskommission hat Emmenegger staatsrechtliche Beschwerde erhoben.
 
Aus den Erwägungen:
b) Sowohl der Beschwerdeführer als auch die kantonale Rekurskommission gehen davon aus, dass es sich bei der Fleischschaugebühr um eine echte Gebühr im Sinne der Lehre und der Rechtsprechung handle, d.h. um ein Entgelt für eine bestimmte, vom Pflichtigen veranlasste Amtshandlung (BGE 90 I 80 /Bl, BGE 95 I 506 /07, BGE 97 I 203 lit. b und 334 E. 5; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. A., Bd. II Nr. 412; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 120). Ob dies bei der Fleischschaugebühr, wie sie im solothurnischen Recht ausgestaltet ist, wirklich zutrifft, mag vielleicht zweifelhaft sein, da sie im Gegensatz zu den meisten andern Abgaben weder von einem Gemeinwesen noch von einer andern öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt erhoben, sondern vom Fleischschauer selbst eingezogen wird. Ähnlich verhält es sich aber auch bei der bernischen Notariatsgebühr, der das Bundesgericht in Übereinstimmung mit der Rechtslehre Gebührencharakter zuerkannt hat (BGE 83 I 86 /87; MARTI, Kommentar zum bern. Notariatsrecht, N 6 zu Art. 23 NotG). Der Fleischschauer ist immerhin eine vom Gemeinwesen gewählte Amtsperson mit bestimmten Amtspflichten (Art. 16 ff. EFV), insbesondere mit der Pflicht, in seinem Fleischschaukreis für den Vollzug aller einschlägigen Erlasse zu sorgen (Art. 24 EFV). Er ist nicht befugt, Fleischschauaufträge aus seinem Kreis abzulehnen, und der Metzger

BGE 99 Ia 697 (700):

kann seinerseits nicht irgend einen Fleischschauer aus einem andern Kreis beiziehen. Darin unterscheidet sich der Fleischschauer z.B. vom freierwerbenden Anwalt, der zwar an einen Maximaltarif gebunden ist, aber keine amtlichen Funktionen ausübt und vom Auftraggeber frei ausgewählt werden kann. Dass der solothurnische Fleischschauer im Sportelsystem entschädigt wird, ähnlich den Betreibungsbeamten in gewissen Kantonen, spricht für sich allein noch nicht gegen den Gebührencharakter des für die Fleischschau zu entrichtenden Entgelts (vgl. auch FRITSCHI/RIEDI, Kommentar zur EFV, Art. 25).
Indessen kann die Frage, ob es sich bei der streitigen Gebühr um eine echte Kontrollgebühr oder um eine Gebühr eigener Art oder sogar bloss um eine Maximalgebühr handle, letztlich offenbleiben. Denn in jedem Falle ist es unerlässlich, dass der Tarif auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht und sich in den Grenzen der Verhältnismässigkeit und der Rechtsgleichheit bewegt. Wer auf eine amtliche Tätigkeit einer Privatperson angewiesen ist und diese Person dafür entschädigen muss, verdient mindestens den gleichen Schutz wie derjenige, der andere öffentliche Dienste beansprucht und das Entgelt dafür dem Gemeinwesen zu entrichten hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Person, welche die Amtshandlung vornehmen soll, nicht frei ausgewählt werden kann.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 97 I 203 lit. b, 347 und 804 E. 7, je mit Hinweisen auf frühere Entscheidungen), die von der herrschenden Lehre gebilligt wird (vgl. die in BGE 97 I 804 E. 7 erwähnten Autoren sowie HÖHN, in: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für Max Imboden, insb. S. 188 ff.), benötigen alle Abgaben - mit einziger Ausnahme der

BGE 99 Ia 697 (701):

Kanzleigebühren - in ihren Grundzügen und vor allem ihrer Höhe nach der Verankerung in einem Gesetz im formellen Sinne. Es genügt demnach nicht, wenn der auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg zustande gekommene Erlass lediglich die Einführung einer Abgabe vorsieht, ohne gleichzeitig zu bestimmen, in welchem Rahmen sich diese Abgabe zu bewegen hat und nach welchen Gesichtspunkten sie zu erheben ist; mindestens in ihren Grundzügen muss die Abgabe im formellen Gesetz ausgestaltet sein. Die in jeder Kantonsverfassung angeordnete Gewaltentrennung zwischen gesetzgebender und vollziehender Behörde (BGE 93 I 44) sowie der sich aus Art. 4 BV ergebende Grundsatz der Gesetzmässigkeit aller Abgaben (BGE 97 I 347) sind daher verletzt, wenn die Festsetzung der wesentlichen Elemente einer Abgabe der Exekutive überlassen wird. Das gilt auch dann, wenn das kantonale Recht die Gesetzesdelegation grundsätzlich nicht ausschliesst (BGE 92 I 47, BGE 97 I 348 lit. b und 804 E. 7; vgl. auch BGE 98 Ia 109 und 592).
Würde diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall angewandt, so hiesse dies, dass der solothurnischen Fleischschaugebühr die notwendige gesetzliche Grundlage fehlte. Art. 8 LMG sagt lediglich, es gelte für die Fleischschau ein von den Kantonen oder Gemeinden aufzustellender Tarif, und Art. 25 EFV bestimmt nur, dass die Kantone bzw. die Gemeinden die Fleischschauer angemessen zu entschädigen hätten. Keiner der beiden Erlasse enthält eine nähere Umschreibung der zu erhebenden Gebühr. Ein kantonales Ausführungsgesetz, das die erforderlichen Angaben enthielte, kennt der Kanton Solothurn nicht. Die vom Regierungsrat erlassene Fleischschau-Verordnung hingegen vermochte die formelle gesetzliche Grundlage nicht zu schaffen; denn nach solothurnischem Verfassungsrecht kommt die formelle Gesetzgebungskompetenz nicht dem Regierungsrat, sondern dem Kantonsrat zusammen mit dem Volke zu (Art. 31 Ziff. 1 und Art. 17 Ziff. 1 KV). Der Regierungsrat ist lediglich zuständig, Gesetze im materiellen Sinne, d.h. selbständige und unselbständige Rechtsverordnungen zu erlassen, und dies nur soweit, als er dazu aufgrund der Verfassung oder durch Gesetzesdelegation ermächtigt ist.
b) Nun hat aber das Bundesgericht in einigen neueren Entscheidungen (u.a. in BGE 97 I 204 E. 5 und 348 lit. a) die Frage aufgeworfen, ob auf das Erfordernis, dass Abgaben in einem formellen Gesetz verankert sein müssen, nicht auch bei andern

BGE 99 Ia 697 (702):

Gebühren als den blossen Kanzleigebühren verzichtet werden könnte, da ja der Betroffene mit Rücksicht auf das Wesen der Gebühr sich stets auf das Kostendeckungsprinzip und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit berufen und geltend machen könne, die Gesamteinnahmen aus einer Gebühr überstiegen die Gesamtkosten der entsprechenden Amtshandlungen oder die einzelne Gebührenforderung stehe in keinem vernünftigen Verhältnis zur erbrachten Leistung oder verletze den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Die Frage ist bisher nicht entschieden worden. Sie stellt sich im vorliegenden Fall erneut, aber insofern unter einem beschränkten Gesichtswinkel, als der Grundsatz der Erhebung einer Fleischschaugebühr bereits in einem formellen Gesetz (Art. 8 LMG) ausgesprochen ist und deshalb nur diskutiert zu werden braucht, ob dies allein genügt oder ob daran festzuhalten ist, dass auch alle wesentlichen Elemente der Gebühr im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festzulegen sind. Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, steht die gegenwärtige Rechtsprechung nicht in allen Teilen im Einklang mit der Rechtswirklichkeit. Eine Umfrage hat ergeben, dass in den weitaus meisten Kantonen der Fleischschautarif von der Exekutive erlassen worden ist, ohne dass in einem formellen Gesetz festgelegt wäre, in welchem Rahmen sich die Gebühr zu bewegen habe und nach welchen Grundsätzen sie zu erheben sei. Das kommt nicht von ungefähr. Die Fleischschautarife weisen einen stark technischen Charakter auf und richten sich nach einer Vielzahl von Kriterien wie Tierart, Anzahl miteinander untersuchter Tiere, Tätigkeit des Fleischschauers usw. Das bringt es mit sich, dass solche Tarife schwerlich zum voraus in allgemeine Regeln gefasst werden können, die geeignet wären, als Anweisung des Gesetzgebers an die Vollziehungsbehörde zu dienen. Das blosse Wiederholen der schon von Verfassungs wegen geltenden Prinzipien der Kostendeckung und der Verhältnismässigkeit in einem formellen Gesetz hätte wenig Sinn, da die Behörde, die den detaillierten Tarif aufzustellen hat, ohnehin an diese gebunden ist. Sollte es deshalb in Fällen wie dem vorliegenden nicht genügen, wenn im formellen Gesetz lediglich der Grundsatz der Gebührenerhebung festgehalten ist, wäre der Gesetzgeber praktisch genötigt, den ganzen Tarif selber zu erlassen. Das hätte jedoch bedeutende Nachteile: Einmal zeigt sich oft erst bei der Anwendung eines Tarifs, ob dieser nicht über die Kostendeckung hinausgeht, im Einzelfall angemessen ist und nicht Gleiches

BGE 99 Ia 697 (703):

ungleich behandelt. Notwendige Änderungen können aber vom Gesetzgeber viel weniger leicht verwirklicht werden als von der Exekutive, besonders wenn noch das Volk befragt werden muss. Das Zürcher Verwaltungsgericht hat aus ähnlichen Gründen - Vielzahl und Verschiedenartigkeit der zu regelnden Tatbestände sowie rasche Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten, die bei der Berechnung der Gebührenansätze zu berücksichtigen sind - erwogen, dass für gewisse Benützungsgebühren eine allgemeine Kompetenzdelegation an die vollziehende Behörde genügen sollte (ZBl 73, 1972, S. 355). Der Bundesgesetzgeber hat seinerseits wiederholt seine Kompetenz zum Erlass von Gebührentarifen an den Bundesrat delegiert, ohne diesem für deren Ausgestaltung irgendwelche Anweisungen zu geben (vgl. z.B. den Gebührentarif zum SchKG vom 7.7.71). Auch dies dürfte aus Überlegungen geschehen sein, wie die hier angestellten.
Zieht man, was die Fleischschautarife angeht, zudem in Betracht, dass diese im Rahmen der kantonalen Vollziehungsbestimmungen der Genehmigung des Bundesrates bedürfen (Art. 56 Abs. 2 LMG und Art. 118 EFV), so erscheint es als gerechtfertigt, hier das Legalitäts- und Gewaltentrennungsprinzip als genügend gewahrt zu betrachten, wenn der Grundsatz der Gebührenerhebung in Art. 8 LMG ausgesprochen ist und im Kanton der Tarif von einer Vollziehungsbehörde erlassen wird, die aufgrund einer allgemeinen Delegation dazu befugt ist. Ob nun allerdings im Kanton Solothurn der Regierungsrat diese Ermächtigung besass, ist nicht zum vornherein klar. Art. 8 LMG enthält selber keine Delegation an den Regierungsrat, sondern lediglich eine Kompetenzzuweisung an den Kanton. Gemäss Art. 38 Ziff. 1 KV ist jedoch der Regierungsrat zuständig, die zum Vollzug von Gesetzen (einschliesslich der Bundesgesetze; unveröffentlichter Entscheid vom 8.2.50 i.S. Fröhlicher) erforderlichen Verordnungen zu erlassen. Es darf deshalb davon ausgegangen werden, dass er aufgrund dieser Bestimmung befugt war, die durch Art. 8 LMG dem Kanton übertragene Aufgabe, einen Fleischschautarif zu erlassen, selber zu lösen. Dies hat er in § 20 KFV getan und dort eine Gebührenordnung aufgestellt, die den Anforderungen eines materiellen Gesetzes genügt. Der Einwand des Beschwerdeführers, der streitigen Gebührenforderung fehle die gesetzliche Grundlage, ist somit unberechtigt.


BGE 99 Ia 697 (704):

c) Zur Vermeidung von Missverständnissen sei immerhin beigefügt, dass die vorstehenden Erwägungen nicht dahin verstanden werden dürfen, die bisherige Rechtsprechung sei nun für alle Gebühren oder sogar für sämtliche Kausalabgaben geändert. Nicht alle Gebühren entziehen sich im gleichen Masse wie die Fleischschaugebühren einer generellen rechtlichen Umschreibung, nicht alle Gebühren sind derart von technischen Einzelheiten abhängig oder rasch wandelnden Verhältnissen unterworfen, und nicht alle Kausalabgaben können wie die Fleischschaugebühren nach der erbrachten Leistung eines Einzelnen bemessen werden. Zahlreiche andere Gebührentarife der kantonalen Exekutiven unterliegen zudem - anders als die hier zu beurteilende KFV - keiner Genehmigung durch den Bundesrat. Die verschiedenen Abgaben unterscheiden sich in ihrer Art so stark voneinander, dass mit Bezug auf ihre Gesetzlichkeit unter Umständen nicht immer der gleiche Mastab angelegt werden kann.