102 Ia 264
Urteilskopf
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40. Urteil vom 19. Mai 1976 i.S. Klee und Schlegel gegen Freisinnig-Demokratische Partei des Bezirks Werdenberg und Regierungsrat des Kantons St. Gallen.
Regeste
Art. 85 lit. a OG. Bezirksrichterwahlen; Beeinflussung der Wähler durch ein privates Flugblatt.
1. Erschöpfung des Instanzenzuges; Anfechtungsobjekt der Beschwerde (E. 2).
2. Voraussetzungen, unter denen der Stimmbürger wegen unerlaubter Beeinflussung der Willensbildung durch irreführende private Publikationen von Bundesrechts wegen die Ungültigerklärung einer Wahl oder Abstimmung verlangen kann; Kognition des Bundesgerichtes (E. 3).
3. Prüfung der im konkreten Fall erhobenen Rügen: Anfechtung einer Bezirksrichterwahl wegen Verteilung eines privaten Flugblattes, welches, zusammen mit verfahrensmässigen Unregelmässigkeiten, das Wahlergebnis in unzulässiger Weise beeinflusst haben soll (E. 4 und 5).
Am 26./27. April 1975 fanden im Kanton St. Gallen die Erneuerungswahlen der Bezirksgerichte für die Amtsperiode 1975-1979 statt. Im Bezirk Werdenberg waren sieben Richter zu wählen. Acht Kandidaten stellten sich zur Wahl, darunter Dr. X, der bereits seit 12 Jahren das Amt des Bezirksgerichtspräsidenten innehatte, in diesem Wahlgang aber nicht mehr, wie bisher, als Kandidat der Freisinnig-Demokratischen Partei des Bezirkes Werdenberg (im folgenden FdP) auftrat, sondern als solcher der Jungliberalen Bewegung. Die FdP, aus der Dr. X kurz zuvor ausgetreten war, portierte als Gegenkandidaten für das Amt des Gerichtspräsidenten (welcher formell nach erfolgter Volkswahl der Bezirksrichter durch diese aus ihrer Mitte bestimmt wird) Rechtsanwalt Dr. Y. Die übrigen sechs Kandidaten waren unbestritten. Bei einem absoluten Mehr von 2635 Stimmen wurde Dr. Y mit 2921 Stimmen gewählt; Dr. X erhielt 2154 Stimmen und schied aus. Die übrigen sechs gewählten Mitglieder erhielten zwischen 4752 und 4907 Stimmen. Das Ergebnis der Bezirksrichterwahlen wurde im kantonalen Amtsblatt vom 12. Mai 1975 publiziert.
Eugen Klee focht diese Wahl im Anschluss an die Publikation des Ergebnisses mit Kassationsbeschwerde beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen an. Gleichzeitig reichte er, zusammen mit Hans Schlegel, gestützt auf Art. 85 lit. a OG wegen Verletzung politischer Rechte beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Die Behandlung dieser Beschwerde wurde im Hinblick auf das vor dem Regierungsrat hängige Verfahren ausgesetzt.
Der Regierungsrat wies die bei ihm erhobene Kassationsbeschwerde am 24. Juni 1975 ab, soweit er darauf eintrat.
Im Anschluss an diesen Entscheid des Regierungsrates führen beide Beschwerdeführer mit gemeinsamer Eingabe erneut staatsrechtliche Beschwerde.
Mit beiden staatsrechtlichen Beschwerden wird geltend gemacht, der Ausgang der Bezirksrichterwahlen sei durch Verteilung eines privaten Flugblattes mit irreführendem Inhalt unzulässig beeinflusst worden.
Das Bundesgericht weist die erste staatsrechtliche Beschwerde ab; auf die zweite Beschwerde tritt es nicht ein, soweit sich diese gegen den Entscheid des Regierungsrates richtet, im übrigen weist es sie ebenfalls ab, aus folgenden
Erwägungen:
1. a) Als "kantonale Wahlen" im Sinne von Art. 85 lit. a OG gelten auch Bezirkswahlen (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 342, mit Hinweisen).
b) Die beiden Beschwerdeführer sind im Bezirk Werdenberg stimmberechtigt. Sie sind daher legitimiert, im Zusammenhang mit den beanstandeten Bezirksrichterwahlen wegen Verletzung politischer Rechte gemäss Art. 85 lit. a OG staatsrechtliche Beschwerde zu führen.
2. Staatsrechtliche Beschwerden gemäss Art. 85 lit. a OG sind nur gegen letztinstanzliche Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG), d.h. der Beschwerdeführer muss vor der Anrufung des Bundesgerichtes von den kantonalen Rechtsmitteln, die zur Geltendmachung der betreffenden Rügen zur Verfügung stehen, Gebrauch gemacht haben (vgl. dazu LUDWIG, ZBJV 110/1974 S. 188).
Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen ist auf die bei ihm eingereichte Kassationsbeschwerde nur insoweit eingetreten, als damit gewisse Gesetzesverletzungen bei der Durchführung und Überwachung der Stimmabgabe gerügt wurden. Auf die Rüge, der Wahlausgang sei durch ein privates Flugblatt unzulässig beeinflusst worden, trat er nicht ein, da das kantonale Recht einen derartigen Kassationsgrund nicht vorsehe.
a) Zur Geltendmachung dieser letzteren Rüge stand den Beschwerdeführern demnach kein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung. Auf die erste staatsrechtliche Beschwerde, welche unmittelbar im Anschluss an die Publikation des Wahlergebnisses eingereicht worden ist und einzig die erwähnte Rüge zum Gegenstand hat, ist daher einzutreten.
b) In der zweiten, gegen den Regierungsratsentscheid gerichteten staatsrechtlichen Beschwerde wiederholen die Beschwerdeführer
BGE 102 Ia 264 S. 267
die Rüge bezüglich der Auswirkungen des Flugblattes. Dass die kantonale Kassationsinstanz diese Frage hätte prüfen müssen, wird nicht geltend gemacht. Anderseits wird auch nicht behauptet, dass die mit der Kassationsbeschwerde zusätzlich gerügten behördlichen Verfahrensfehler, die der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid einzig prüfte, für sich allein eine Aufhebung der Wahl gerechtfertigt hätten. Wohl wird in der zweiten staatsrechtlichen Beschwerde ausgeführt, dass die Zahl der durch die verfahrensmässigen Unkorrektheiten betroffenen Stimmen höher sei als vom Regierungsrat angenommen, doch wird nicht behauptet, dass der Entscheid der kantonalen Kassationsinstanz bereits unter diesem Gesichtswinkel hätte anders ausfallen müssen. Soweit sich die staatsrechtliche Beschwerde vom 18. August 1975 gegen den Entscheid des Regierungsrates richtet, ist daher nicht auf sie einzutreten.Es sei immerhin beigefügt, dass der Auffassung des Regierungsrates, er sei zur Aufhebung einer Wahl lediglich dann befugt, wenn von amtlicher Seite Verfahrensfehler begangen worden seien, kaum beigepflichtet werden kann. Wie nachfolgend noch darzutun sein wird, kann eine unerlaubte, wenn nicht gegen kantonales Recht, so doch gegen Bundesrecht verstossende Einwirkung auf ein Wahl- oder Abstimmungsergebnis unter gewissen Voraussetzungen auch von privater Seite her erfolgen. Auch wenn das positive kantonale Recht einen derartigen Kassationsgrund nicht ausdrücklich vorsieht, haben die zuständigen kantonalen Behörden diesem bundesrechtlichen Grundsatz doch Rechnung zu tragen. Jedenfalls kann sich der Stimmbürger in einem Fall wie dem vorliegenden ohne Gefahr eines prozessualen Nachteiles zuerst an die kantonale Kassationsinstanz wenden, bevor er gestützt auf Art. 85 lit. a OG staatsrechtliche Beschwerde führt. Die Grundsätze, welche das Bundesgericht in BGE 94 I 462 festgehalten hat (vgl. auch BGE 100 Ia 267, 123; BGE 97 I 226), gelten analog auch für Beschwerden nach Art. 85 lit. a OG. Das will heissen, dass eine Wahl oder Abstimmung auch noch im Anschluss an den Entscheid der kantonalen Kassationsinstanz unmittelbar mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann, und zwar gegebenenfalls auch mit Rügen, welche mit der kantonalen Kassationsbeschwerde nicht vorgebracht werden konnten. Auf die zweite, erst im Anschluss an
BGE 102 Ia 264 S. 268
den Regierungsratsentscheid eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten, soweit sie sich gegen die Wahl als solche richtet und im Namen von Eugen Klee erhoben wird. Hans Schlegel, der beim Regierungsrat kein Rechtsmittel eingelegt hat, kann in diesem Stadium nicht nochmals staatsrechtliche Beschwerde führen. Da es sich um eine einzige, gemeinsam eingereichte Beschwerdeschrift handelt, spielt diese Differenzierung hier praktisch keine Rolle.
3. Jeder Stimmbürger hat einen bundesrechtlich gewährleisteten Anspruch darauf, dass kein Wahl- oder Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 101 Ia 240; BGE 99 Ia 183; BGE 98 Ia 621, 78; BGE 97 I 662 f.; BGE 91 I 318, 9; BGE 90 I 73; BGE 89 I 443). Stellt das Bundesgericht Verfahrensmängel fest, so hebt es die Abstimmung auf, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Der Stimmbürger muss in einem solchen Fall nicht nachweisen, dass sich der Mangel auf das Ergebnis entscheidend ausgewirkt hat; es genügt, dass nach dem festgestellten Sachverhalt eine derartige Auswirkung im Bereiche des Möglichen liegt (BGE 101 Ia 240; BGE 98 Ia 621, 78; BGE 97 I 663, 665; BGE 93 I 535).
Von verfahrensmässigen Fehlern abgesehen, kann auch eine unzulässige Einwirkung auf die Willensbildung des Stimmbürgers die Ungültigkeit einer Abstimmung zur Folge haben. Eine unerlaubte Beeinflussung der Willensbildung liegt beispielsweise vor, wenn die Behörde im Rahmen einer Sachabstimmung ihre Pflicht zur objektiven Information verletzt und den Bürger über Zweck und Tragweite der Vorlage falsch orientiert (BGE 98 Ia 622, 78; BGE 93 I 439; BGE 89 I 443). Darüber hinaus können auch private Publikationen das Ergebnis einer Sachabstimmung in unstatthafter Weise beeinflussen, wenn der Stimmbürger durch falsche und irreführende Angaben getäuscht wird (BGE 98 Ia 625, 78 ff.). Einflüsse dieser Art vermögen indessen nur ausnahmsweise die Aufhebung einer Abstimmung zu rechtfertigen. Wohl ist die Verwendung von falschen und irreführenden Angaben im Abstimmungskampf verwerflich, doch lässt sie sich nie völlig ausschliessen und muss aus praktischen Gründen bis zu einem gewissen Grade in Kauf genommen werden. Wie in BGE 98 Ia 80 ausgeführt, kann von einer unzulässigen Beeinflussung der demokratischen
BGE 102 Ia 264 S. 269
Willensbildung durch private Veröffentlichungen erst dann gesprochen werden, "wenn die Presse in einem so späten Zeitpunkt mit offensichtlich unwahren und irreführenden Angaben in den Abstimmungskampf eingreift, dass es dem Bürger nach den Umständen unmöglich ist, sich ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu schaffen, und wenn überdies keinerlei Zweifel darüber bestehen, dass die Abstimmung dadurch entscheidend beeinflusst worden ist"; bei der Kassation einer Abstimmung wegen unzulässiger Beeinflussung durch die Presse ist "grösste Zurückhaltung" zu üben (im gleichen Sinne BGE 98 Ia 625 f.).Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf die Willensbildung bei Sachabstimmungen. Entsprechendes muss auch gelten in bezug auf kantonale Wahlen (vgl. Urteil vom 3. Februar 1939 i.S. Otto Thomann-Rasi gegen Regierungsrat des Kantons Zürich, gekürzt publiziert in ZBl 40/1939 S. 249 ff.). Es lässt sich nicht vermeiden, dass in einem Wahlkampf zur Unterstützung oder Bekämpfung umstrittener Kandidaten auch unsachliche, übertreibende oder gar unwahre Behauptungen verbreitet werden. Solche Verstösse gegen die guten Wahlsitten sind sicher unerwünscht und verwerflich; sie genügen in der Regel aber noch nicht, um die Gültigkeit eines Wahlganges in Frage zu stellen (vgl. dazu PICENONI, Die Kassation von Volkswahlen und Volksabstimmungen, Diss. Zürich 1945, S. 127 ff.). Aus praktischen Gründen ist auch hier grosse Zurückhaltung geboten; nur bei ganz schwerwiegenden Verstössen kann der Stimmbürger von Bundesrechts wegen eine Wiederholung des Wahlganges verlangen. Dass sich die beanstandete unerlaubte Wahlpropaganda auf das Ergebnis des Wahlganges entscheidend ausgewirkt hat, muss nicht nur im Bereich des Möglichen liegen (was bei Verfahrensmängeln für eine Wiederholung des Urnenganges genügt), sondern ausser Zweifel stehen oder zumindest als sehr wahrscheinlich erscheinen.
Ob diese bundesrechtlichen Voraussetzungen für die Aufhebung einer Wahl oder Abstimmung erfüllt sind, entscheidet das Bundesgericht im Rahmen einer auf Art. 85 lit. a OG gestützten Beschwerde mit freier Kognition; die Feststellung des Sachverhaltes durch die kantonalen Behörden überprüft es indessen nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 101 Ia 240; BGE 98 Ia 621, 78; BGE 97 I 663).
4. Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass die streitige Wahl schon wegen der Verfahrensfehler, die in zwei Gemeinden des Bezirks vorgekommen sind, ungültig sei. Sie begründen ihre Beschwerde in erster Linie unter Hinweis auf ein privates Flugblatt, welches die Willensbildung des Stimmbürgers unzulässig beeinflusst habe. Auf die erwähnten Verfahrensfehler berufen sie sich nur hilfsweise, indem sie geltend machen, dass die Voraussetzungen für eine Kassation der Wahl auf jeden Fall dann gegeben seien, wenn man neben den Auswirkungen des Flugblattes auch noch die möglichen Einflüsse der verfahrensmässigen Unregelmässigkeiten berücksichtige. Es rechtfertigt sich, vorweg zu prüfen, welcher Art diese formellen Mängel waren und welche Auswirkungen sie haben konnten.
Der Regierungsrat stellte hiezu in seinem Beschwerdeentscheid folgendes fest: Es sei unbestritten, dass im Stimmlokal im Bahnhofgebäude Buchs am Freitagabend während der ersten halben Stunde der Öffnungszeit eine korrekte Stimmabgabe nicht gewährleistet gewesen sei. Eine Stimmenzählerin habe, da die Urne zunächst unauffindbar gewesen sei, einzelne Stimmzettel bei sich aufbewahrt und diese erst später ins Kuvert und dann in die Urne gelegt. Damit sei das Stimmgeheimnis und der Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe verletzt worden. Sodann sei die Stimmabgabe nicht immer, wie vorgeschrieben, durch beide, sondern zeitweise nur durch einen Stimmenzähler überwacht worden. Es dürfe als gesichert gelten, dass nur 24 Stimmzettel auf diese unkorrekte Weise abgegeben worden seien. Ausserdem hätten am Freitagabend mehrere im fraglichen Abstimmungslokal erschienene Bürger wegen des anfänglichen Fehlens einer Urne ihre Stimme nicht abgegeben. Ob sie später doch noch zur Urne gegangen seien, lasse sich nicht feststellen. Falls die Stimmabgabe unterblieben wäre, weil sie sich auf die publizierten Urnenöffnungszeiten verlassen hätten, läge hierin eine unzulässige Verfälschung des Resultates. Es könne sich aber um höchstens 20-25 Stimmen handeln, die nicht abgegeben worden seien. Insgesamt ergebe sich aus dem fraglichen Zwischenfall eine mögliche Differenz von maximal 50 Stimmen. Daneben seien auch im Dorf Weite Unregelmässigkeiten vorgekommen, indem nicht beide Stimmenzähler dauernd bei der Urne anwesend gewesen seien. Dieser Mangel habe aber das Wahlergebnis nicht beeinflussen
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können, weil die beiden Stimmenzähler die eintreffenden Stimmbürger jeweils an die Urne begleitet hätten und aufgrund der Umstände ausgeschlossen sei, dass jemand sich unbemerkt hätte an die Urne begeben können. Selbst wenn man sämtliche in Weite abgegebenen Stimmen (153) ebenfalls unberücksichtigt lasse oder sie Dr. X zurechne, ändere sich am Wahlausgang nichts.Die Beschwerdeführer fechten diese Feststellungen nur insoweit an, als sie die Auffassung vertreten, dass die Zahl der Stimmbürger, die infolge der in Buchs vorgekommenen Unkorrektheiten der Urne ferngeblieben seien, höher liege als vom Regierungsrat angenommen. Dass die Schätzung des Regierungsrates willkürlich sei, wird indessen weder behauptet noch dargetan. Es ist daher auch in diesem Punkt von der Sachverhaltsdarstellung auszugehen, wie sie im Beschwerdeentscheid des Regierungsrates gegeben wird.
Ob der Umstand, dass eine Anzahl Bürger wegen der am Freitagabend im Wahllokal des Bahnhofes Buchs aufgetretenen halbstündigen Verzögerung möglicherweise keine Stimme abgegeben haben, überhaupt als rechtlich relevante Auswirkung dieses Verfahrensmangels angesehen werden kann, erscheint fraglich. Die im betreffenden Zeitabschnitt im Bahnhofwahllokal erschienenen Stimmbürger, welche auf eine Abgabe der Stimme unter den gegebenen Umständen (richtigerweise) verzichteten, konnten ihr Stimmrecht ohne besonderen Aufwand anderweitig (im Wahllokal des Rathauses) oder zu einem späteren Zeitpunkt (am Samstag oder Sonntag) ausüben; eine ernstliche Behinderung der Stimmabgabe lag nicht vor. Aber selbst wenn man zur Ermittlung des möglichen Fehlerbereiches nicht bloss die Zahl der unkorrekt abgegebenen, sondern auch jene der "nicht abgegebenen" Stimmen berücksichtigen will, konnte der Vorfall im Wahllokal des Bahnhofes Buchs nach den Feststellungen des Regierungsrates höchstens 50 Stimmen betreffen. Die Vorkommnisse im Dorf Weite waren nach unangefochtener Darstellung des Regierungsrates nicht geeignet, die Zuverlässigkeit des dortigen Wahlergebnisses in Frage zu stellen. Selbst wenn man von der äussersten, hier völlig unwahrscheinlichen Annahme ausgeht, es seien in Buchs die 24 unkorrekt abgegebenen Stimmzettel alle zugunsten von Dr. Y modifiziert worden und es hätten sämtliche 25 der Urne ferngebliebenen Bürger für Dr. X gestimmt,
BGE 102 Ia 264 S. 272
vermöchte dies am Ausgang der Bezirksrichterwahlen klarerweise nichts zu ändern. Es bleibt zu prüfen, wie der Einfluss des privaten Flugblattes zu bewerten ist.
5. In der Woche vor den Richterwahlen, d.h. am Donnerstag und Freitag, teilweise bereits am Mittwoch vor dem Abstimmungswochenende, verteilte die Post in alle Haushaltungen des Bezirkes ein von der Freisinnig-Demokratischen Bezirkspartei Werdenberg unterzeichnetes vierseitiges Flugblatt mit dem Titel "Wo liegt die Wahrheit?". Das Flugblatt, das am Mittwoch der Post übergeben worden war, nimmt auf seiner vordersten Seite Bezug auf die Propaganda der Wahlhelfer von Dr. X, die nicht müde würden, "über dessen Amtsführung in der Presse und auch in Interviews weiterhin das Loblied zu singen". "Von einer Anzahl Rechtsuchender, welche die tatsächlichen Verhältnisse auf dem Gerichtspräsidium Werdenberg selber kennenlernen mussten, erhielten wir jetzt das Einverständnis, mit Einzelheiten an die Öffentlichkeit zu treten". Die beiden folgenden Seiten des Flugblattes enthalten folgenden Text:
S. 2 (erste Innenseite).
DAS SIND DIE TATSACHEN
Das sagen Frauen und Männer, die die Dienste von Dr. X in Anspruch nehmen mussten.
K: "Mein Fall war nach 26 Monaten noch nicht abgeschlossen."
L: "Bei mir ging es vom Mai 1970 bis November 1972, keine Kinder, Geldfragen nicht zu regeln."
L: "Nach der Klage passierte vorerst einmal 10 Monate lang nichts. Die erste Einvernahme war nach 13 Monaten."
G: "Obwohl er zuerst gegen mich als Anwalt aufgetreten ist, sass er nachher über mich zu Gericht."
R: "Mein 'Fall' war nach 5 (fünf) Jahren beendigt, aber wie."
T: "Gegen mich wurde im Dezember 1968 geklagt, nach 4 Jahren und 3 Monaten hat Dr. X seinen Einzelrichterbeschluss herausgegeben."
R: "Ich wurde durch die Frau einvernommen, Dr. X verzog sich zeitungslesend ins Nebenzimmer."
B: "Die Frau wollte mich einvernehmen. Ich verlangte, durch den Präsidenten einvernommen zu werden. Ich musste dann eine halbe Stunde warten, weil er die Akten noch lesen musste."
H: "Es ging 23 Monate bis ich geschieden war. Wir waren beide einverstanden, keine Kinder, Finanzen geregelt."
S: "Seit September 1974 ist mein Mann fort, ich stehe allein mit den
S. 3 (zweite Innenseite)
DAS SAGT DAS KANTONSGERICHT ZU DEN ARBEITEN VON DR. X
... Sein Entscheid ist nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus schlechthin unhaltbar, denn er verletzt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz schwer. Der Entscheid läuft auch dem Gerechtigkeitsgedanken in stossender Weise zuwider. Er muss als willkürlich bezeichnet werden. Unrichtig und darüber hinaus schlechthin unhaltbar ist auch der Kostenspruch. Die Verfahrenskosten hat der STAAT zu tragen...
... Die Vernehmlassung des Gerichtspräsidenten ist verspätet. Auf seine Vorbringen kann nicht mehr eingetreten werden...
... Begründet sind die Beanstandungen hinsichtlich der Zeitspanne von 4 Monaten sowie von 7 1/2 Monaten...
... Auch wäre es mit der Stellung des Gerichtspräsidenten durchaus vereinbar, wenn er ausnahmsweise ein Urteil selber redigieren würde, besonders in einem Fall mit wenigen Akten, die er zudem kennt. Und der Rechtspflege wäre damit erst noch besser gedient, als wenn neue Verfahren, wie das vorliegende, veranlasst werden...
... Die Beschwerde war in erheblichen Punkten begründet, weshalb der STAAT die Kosten zu tragen hat...
... Besonders schwer wiegt der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung. Darin liegt ein irreparabler Mangel. Die sachliche Unzuständigkeit hat die Nichtigkeit zur Folge...
Auf der letzten Seite des Flugblattes wird darauf hingewiesen, dass die FdP die Verantwortung für Dr. X als Gerichtspräsident ablehne und als Kandidaten, der das Vertrauen der Wählerschaft verdiene, Dr. Y vorschlage.
Die Jungliberale Bewegung des Bezirkes Werdenberg antwortete mit einem Flugblatt "Hier liegt die Wahrheit!", in der sie die gegen die Amtsführung von Dr. X erhobenen Vorwürfe in Abrede stellte und die Propagandamethoden der Gegenseite kritisierte. Das Flugblatt wurde auf privatem Wege verteilt. Wann und in welchem Umfang dies geschah, ist nicht genau ersichtlich. Eine Verteilung durch die Post wäre offenbar nicht mehr rechtzeitig möglich gewesen.
a) Die Beschwerdeführer machen geltend, durch das Flugblatt "Wo liegt die Wahrheit?" seien die Stimmbürger des Bezirkes in schwerwiegender Weise irregeführt und das Wahlresultat dadurch in erheblicher Weise beeinflusst worden. Der Stimmbürger habe vor dem Urnengang keine Möglichkeit mehr gehabt, sich über die tatsächlichen Verhältnisse anderweitig zu orientieren, und es sei auch dem angegriffenen Kandidaten nicht mehr möglich gewesen, die unwahren und irreführenden
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Behauptungen wirksam zu widerlegen oder richtigzustellen.Die unter der Überschrift "Das sind die Tatsachen" auf der ersten Innenseite zitierten Äusserungen einzelner Personen seien nicht überprüfbar, solange die Verfasser des Flugblattes ihre "Quellen" nicht bekanntgäben. Jedenfalls liege eine Irreführung vor. Die meisten der wiedergegebenen Äusserungen beträfen die Verzögerung von gerichtlichen Verfahren. Dem Stimmbürger werde suggeriert, für alle vorgekommenen Verzögerungen sei Dr. X verantwortlich. Der im Gerichtswesen nicht bewanderte Stimmbürger könne nicht wissen, dass ein Prozess häufig auch durch Umstände verzögert werde, für die der Gerichtspräsident nicht verantwortlich sei, so durch Einholung von Gutachten, Fristerstreckungsgesuche von Anwälten usw.
Was die zweite Innenseite anbelange ("Das sagt das Kantonsgericht zu den Arbeiten von Dr. X"), so sei eine Überprüfung der Zitate mangels näherer Bezeichnung der betreffenden kantonsgerichtlichen Entscheide ebenfalls nicht möglich. Jedenfalls werde, in Verbindung mit der Überschrift dieser Seite, der unrichtige Eindruck erweckt, dass das Kantonsgericht mit den fraglichen Sätzen über die Tätigkeit von Dr. X als Gerichtspräsident ein allgemeines Werturteil gefällt habe. Ein Laie sei nicht in der Lage, den Stellenwert solcher Einzelzitate richtig einzustufen. Auch hierin liege eine schwerwiegende Irreführung des Stimmbürgers. Eine derartige Wahlpropaganda dürfe schon aus grundsätzlichen Erwägungen bei Richterwahlen nicht zugelassen werden.
b) Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht, dass im streitigen Flugblatt nicht angegeben wird, von welchen Personen und aus welchen kantonsgerichtlichen Entscheiden die betreffenden Zitate stammen. Die Gegenseite hat dies in ihrer Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde nur zum Teil nachgeholt; sie erklärt sich jedoch bereit, auf Aufforderung des Bundesgerichtes hin die "Prozedurnummern und Unterlagen", aus denen die Zitate stammen, anzugeben.
Wie sich zeigen wird, ist es für die Beurteilung der beiden staatsrechtlichen Beschwerden nicht ausschlaggebend, ob alle im Flugblatt zitierten Äusserungen richtig wiedergegeben und inhaltlich Wahr sind; besondere Abklärungen in dieser Richtung erweisen sich im vorliegenden Verfahren daher nicht als
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erforderlich. Die Herkunft einzelner Zitate (so u.a. des 1. Zitates auf der zweiten Innenseite des Flugblattes) geht übrigens aus den Akten hervor. Als Beschwerdegrund wird auch gar nicht in erster Linie geltend gemacht, dass die wiedergegebenen Äusserungen und Auszüge aus Urteilsbegründungen von den Initianten des Flugblattes schwer verfälscht oder überhaupt erfunden worden seien. Die Beschwerdeführer weisen nur eher beiläufig darauf hin, dass eine Überprüfung der Zitate nicht möglich sei; das Hauptgewicht ihrer Beschwerde liegt auf der Argumentation, dass selbst bei an sich richtiger Zitierweise eine unzulässige Beeinflussung des Stimmbürgers vorliege.c) Den Beschwerdeführern ist zuzugeben, dass die Art und Weise, in der der von ihnen unterstützte Kandidat durch das streitige Flugblatt angegriffen worden ist, Bedenken erweckt. Das gilt insbesondere in bezug auf die zweite Innenseite des Flugblattes, wo einzelne Sätze aus der Begründung kantonsgerichtlicher Entscheide zitiert werden. Feststellungen, wonach der Entscheid des unterinstanzlichen Richters "schlechthin unhaltbar" und "willkürlich" sei, "in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufe" usw., sind in der Tat geeignet, bei dem mit dem Gerichtsbetrieb nicht vertrauten Stimmbürger einen falschen Eindruck zu erwecken; wer die rechtstechnische Bedeutung und Funktion solcher Begriffe und Wendungen nicht kennt, könnte den irrigen Schluss ziehen, es werde dem betreffenden unterinstanzlichen Richter ein aussergewöhnlich schweres, seine fachliche Qualifikation geradezu in Frage stellendes Versagen vorgeworfen. Ähnlich verhält es sich mit dem im Flugblatt zitierten Satz aus einer kantonsgerichtlichen Urteilsbegründung, wonach infolge Gutheissung einer Beschwerde "der STAAT die Kosten zu tragen hat" (5. Zitat auf der zweiten Innenseite); auch Zitate dieser Art sind im vorliegenden Zusammenhang unsachlich und irreführend. Andere Äusserungen des Kantonsgerichtes betreffen immerhin die Amtsführung als solche und sind insoweit nicht sachfremd (Zitate 2-4 auf der zweiten Innenseite); doch stellen auch sie in dieser Form keine taugliche Information dar. Auch wenn es bei einer Volkswahl von Richtern grundsätzlich zulässig sein muss, dass die bisherige richterliche Tätigkeit eines Kandidaten im Rahmen eines Wahlkampfes öffentlich kritisiert wird, darf das nur mit statthaften Mitteln geschehen. Die
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Verbreitung unbelegter, aus dem Sachzusammenhang gelöster Zitate aus oberinstanzlichen Entscheiden lässt sich mit geordneten Wahlsitten nur schwer vereinbaren.Was die auf der ersten Innenseite des Flugblattes wiedergegebenen Äusserungen einzelner (anonymer) Bürger anbelangt, so betreffen sie zum grössern Teil (7 von 10 Zitaten) die Verzögerung von Gerichtsverfahren. Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass derartige Verzögerungen nicht vorgekommen seien. Ebensowenig wird behauptet, dass jene beiden Äusserungen, welche sich auf die Vertretung von Dr. X durch dessen Ehefrau beziehen, sachlich unwahr seien. Es wird lediglich bestritten, dass Dr. X in einem Falle in der vom Bürger "G" geschilderten Weise seine richterliche Ausstandspflicht missachtet habe. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben; es ist nicht anzunehmen, dass der Stimmbürger diesem einzelnen Punkt eine erhebliche Bedeutung beimass.
d) Trotz der berechtigten Einwände, die sich gegen das umstrittene Flugblatt erheben lassen, erscheint das Begehren der Beschwerdeführer um Kassation der Wahl nicht als begründet. Aus den von der Gegenseite wie auch von den Beschwerdeführern eingelegten Akten geht hervor, dass die im streitigen Flugblatt zum Ausdruck gebrachte Kritik an der Amtsführung von Dr. X im wesentlichen nicht neu war:
Nachdem die Delegiertenversammlung der Freisinnig-Demokratischen Bezirkspartei Werdenberg am 30. Januar 1975 nach einer längeren Diskussion in Anwesenheit von Pressevertretern beschlossen hatte, Dr. X für die Amtsperiode 1975-1979 nicht mehr als Richter zu portieren, erschien hierüber in der "Ostschweiz" vom 1. Februar 1975 ein ausführlicher Bericht. Bereits hieraus konnte die Öffentlichkeit entnehmen, dass Dr. X u.a. vorgeworfen wurde, er habe sein Amt als Gerichtspräsident nicht mit der nötigen Speditivität ausgeübt und verschiedene Gerichtsfälle verschleppt. Entsprechende Berichte über diesen "Hausstreit bei den Werdenberger Freisinnigen" erschienen auch im "Oberländer Tagblatt" vom 1. Februar 1975 und im "Werdenberger und Obertoggenburger" vom 4. Februar 1975. Über die Amtsführung von Dr. X wurde in der Folge auch an den Versammlungen der anderen Parteien diskutiert, worüber in den Zeitungen wiederum berichtet wurde. Am 8. April 1975 publizierte die "Ostschweiz"
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eine längere Erklärung der Freisinnig-Demokratischen Bezirkspartei Werdenberg, in der u.a. ausgeführt wurde, dass Dr. X neben seinem Amt als Gerichtspräsident noch zuviele andere Tätigkeiten ausgeübt habe (arbeitsintensives Verwaltungsratsmandat, kantonale Verwaltungsrekurskommission, privates Anwaltsbüro); damit sei die Erklärung dafür gegeben, "weshalb dem Gerichtspräsidenten neben einem umfangreichen Pendenzen-Katalog gravierende Verschleppungen, ungenügende Vorbereitung von Gerichtsverhandlungen, ungerechtfertigte Entscheide und sogar Fehlurteile zur Last gelegt werden". - In einem Interview, das unter der Überschrift "Der 'Angeklagte' hat das Wort" in der "Ostschweiz" vom 11. April 1975 veröffentlicht wurde, nahm Dr. X zu dieser Kritik Stellung. Die Jungliberale Bewegung, welche Dr. X als Kandidaten portierte, publizierte ebenfalls mehrere Stellungnahmen; sie wies u.a. darauf hin, dass laut eingeholter Statistik das Bezirksgericht Werdenberg keineswegs überdurchschnittlich viele Pendenzen aufweise, sondern im Vergleich zu andern Gerichten sogar gut dastehe. Am 18. April 1975 erschien in der "Ostschweiz" ein längerer Artikel von Dr. X, in welchem er über die verschiedenen Funktionen des Gerichtes sowie über die Zahl und Art der eingegangenen, hängigen und weitergezogenen Fälle detaillierte Angaben machte und auf die steigende Belastung hinwies. Der "Werdenberger und Obertoggenburger" publizierte am 19. April 1975 eine "Entgegnung der FdP", worin die Kritik an der Amtsführung von Dr. X nochmals in allen Punkten dargelegt und begründet wurde. Schliesslich erschienen im April 1975 zahlreiche Leserzuschriften, welche sich unter Bezug auf die erhobene Kritik teils für, teils gegen eine Wiederwahl von Dr. X aussprachen. In einer dieser Zuschriften wurde auch der - später zuoberst auf der zweiten Innenseite des Flugblattes wiedergegebene - Urteilsauszug zitiert, von dem unter Erwägung 5c eingangs die Rede war; Dr. X äusserte sich in einer Einsendung an die "Ostschweiz" am 23. April 1975 zu diesem Zitat, das er als ungenau und irreführend bezeichnete. Zu Beginn der Woche vor den Wahlen liessen die Anhänger von Dr. X zwei Flugblätter verteilen, in denen u.a. ausgeführt wurde, dass die Gegner hinsichtlich der Amtsführung "vereinzelte Fälle tendenziös hochgespielt" hätten. Gesamthaft gesehen ergebe sich jedoch ein gutes Bild; mit Bezug auf die Pendenzen stehe das BGE 102 Ia 264 S. 278
Bezirksgericht Werdenberg gemäss amtlicher Statistik unter 14 Gerichten an viertbester Stelle. Die FdP brachte daraufhin das streitige Flugblatt "Wo liegt die Wahrheit?" zur Verteilung, welches Anlass zu den vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerden gegeben hat.Aus dieser Schilderung des Wahlkampfverlaufes geht hervor, dass die Vorwürfe bezüglich der Amtsführung von Dr. X, welche im streitigen Flugblatt erhoben wurden, schon früher Gegenstand umfangreicher öffentlicher Diskussionen gebildet hatten. Die Anhänger von Dr. X hatten Gelegenheit, hiezu Stellung zu nehmen und die ihrer Auffassung nach unwahren Behauptungen der Gegenseite richtigzustellen; sie sind denn auch der erhobenen Kritik mit einer Reihe von Publikationen entgegengetreten. Es verhält sich somit nicht so, dass der Stimmbürger gleichsam in letzter Stunde mit völlig neuen, unüberprüfbaren Vorwürfen und Behauptungen konfrontiert worden wäre. Bei den Ausführungen im streitigen Flugblatt handelte es sich der Sache nach um eine Wiederholung jener Kritik, welche die Gegner von Dr. X schon bisher öffentlich verbreitet und zu der sich die Anhänger des angegriffenen Kandidaten ihrerseits bereits ausgiebig geäussert hatten.
Ob und wieweit diese Vorwürfe gegenüber der Amtsführung von Dr. X begründet waren und welche Hintergründe diese Auseinandersetzung haben mochte, ist hier nicht zu untersuchen; es kann auch dahingestellt bleiben, ob die im Flugblatt "Wo liegt die Wahrheit?" verwendeten Zitate im einzelnen alle richtig sind. Auch wenn dieses Flugblatt, unabhängig von der Frage der sachlichen Begründetheit der Vorwürfe und der Richtigkeit der Zitate, zu gewissen berechtigten Beanstandungen Anlass geben mag, dürfte es doch für sich allein nach all den vorangegangenen Publikationen auf die Willensbildung der Stimmbürger keinen grossen Einfluss mehr ausgeübt haben. Nach den unter Erwägung 3 dargelegten bundesrechtlichen Grundsätzen käme jedoch eine Kassation der Wahl nur dann in Betracht, wenn in Berücksichtigung aller konkreten Umstände mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden könnte, dass der Wahlgang ohne Verteilung dieses Flugblattes anders ausgefallen wäre. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Dr. Y, der Gegenkandidat von Dr. X, erhielt 2921 Stimmen; sein Resultat liegt 286 Stimmen über dem absoluten Mehr von 2635. Dr. X seinerseits, der
BGE 102 Ia 264 S. 279
2154 Stimmen auf sich vereinigte, hätte 481 zusätzliche Stimmen benötigt, um das absolute Mehr zu erreichen. Selbst wenn man die möglichen Auswirkungen der in einem Wahllokal in Buchs vorgekommenen Verfahrensfehler berücksichtigt (vgl. Erw. 4), d.h. vom Ergebnis von Dr. Y 24 oder 25 Stimmen abzieht und jenes von Dr. X um 50 Stimmen erhöht, bleibt das Resultat des ersteren immer noch um rund 250 Stimmen über dem (entsprechend modifizierten) absoluten Mehr. Dass das streitige Flugblatt eine Auswirkung von dieser Grössenordnung gehabt hatte und ohne seine Verteilung wenigstens ein zweiter Wahlgang erforderlich geworden wäre, lässt sich zwar nicht völlig ausschliessen. Es erscheint aber in Anbetracht der geschilderten Umstände - was entscheidend ist - auch nicht als sicher oder sehr wahrscheinlich. Das Begehren um Kassation der Wahl vermag schon aus diesem Grunde nicht durchzudringen.Referenzen
BGE: 101 IA 240, 98 IA 621, 89 I 443, 97 I 663 mehr...
Artikel: Art. 85 lit. a OG, Art. 86 Abs. 1 OG