17. Urteil vom 3. Mai 1978 i.S. X. gegen Kassationsgericht des Kantons Zürich
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Regeste
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Art. 4 BV; Voraussetzungen des Anspruchs auf Bestellung, eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes in Verfahren, die ganz oder vorwiegend von der Offizialmaxime beherrscht werden (hier: Verfahren betr. Abänderung des Scheidungsurteils in Bezug auf die Kinderzuteilung).
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Sachverhalt
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BGE 104 Ia 72 (72):
Am 27. März 1974 wurde die Ehe der Frau X., Theologin, geschieden und das aus der Ehe hervorgegangene Kind, geb. 1970, der Mutter zur Pflege und Erziehung zugewiesen. Mit Zustimmung der Mutter lebt die Tochter seit März 1977 bei ihrem Vater. Am 11. Mai 1977 stellte dieser das Gesuch, das Kind sei in Abänderung des Scheidungsurteils ihm zur Pflege und Erziehung zuzuweisen. Frau X. beantragte, es sei ihr die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen und ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen. Die unentgeltliche Prozessführung wurde vom Bezirksgericht Y. bewilligt, das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes jedoch abgewiesen. Einen gegen die Abweisung des Gesuches um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes erhobenen Rekurs wies die I. Zivilkammer des Zürcher Obergerichts ab. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies mit Beschluss vom 12. Dezember 1977 eine gegen diesen Entscheid erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ab. Dagegen führt Frau X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.
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Das zürcherische Kassationsgericht hat auf Antrag und Vernehmlassung zur eingereichten Beschwerde verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
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BGE 104 Ia 72 (73): Erwägungen:
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a) Nach der kantonalen Praxis zu § 87 wird die Beurteilung der Frage, ob eine Partei für die gehörige Führung des Prozesses eines unentgeltlichen Rechtsvertreters bedarf, davon abhängig gemacht, ob die Partei selbst rechtskundig, der Prozess schwierig und eventuell die Gegenpartei durch einen Anwalt vertreten ist (STRÄULI/MESSMER, Kommentar, N. 2 zu § 87 ZPO). Im Entscheid vom 16. Mai 1977 (SJZ 73/1977 Nr. 70, S. 255) führte das Kassationsgericht aus, der Anspruch BGE 104 Ia 72 (74):
auf unentgeltliche Verbeiständung gelte grundsätzlich im Scheidungsverfahren. Es könne nicht gesagt werden, die Parteien könnten wegen der in diesem Prozess geltenden Offizialmaxime (§ 54 Abs. 3 ZPO) ihre Interessen auch ohne die Hilfe eines rechtskundigen Vertreters wahrnehmen. Auch wo die Offizialmaxime gelte, obliege es in erster Linie den Parteien, das in Betracht fallende Tatsachenmaterial dem Gericht zu unterbreiten und die Beweismittel zu nennen. Die Auswahl der dem Richter vorzutragenden Tatsachen müsse unter rechtlichen Gesichtspunkten erfolgen und setze Rechtskenntnisse voraus; sie sei daher in nicht ganz einfachen Fällen nur dem Rechtskundigen möglich.
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b) Das Bundesgericht hatte die Frage der Notwendigkeit der Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Zivilprozess bisher nur in einigen wenigen Fällen zu beurteilen.
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In BGE 64 I 5 E. 2 war der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung in einem Scheidungsprozess streitig. Das Bundesgericht führte dazu aus, in einem solchen Verfahren sei der Tatbestand gemäss Art. 158 ZGB und st. gallischem Recht von Amtes wegen zu erforschen. Der Rekurrent bedürfe daher zur gehörigen Feststellung des Tatbestandes in diesem Verfahren, wo die Parteien nicht durch strenge Formvorschriften eingeengt seien, keines Rechtsbeistandes. Aber auch für die Behandlung der Rechtsfrage, ob die Ehefrau nach den festgestellten Tatsachen berechtigt gewesen sei, getrennt zu leben, habe der Beschwerdeführer keinen Rechtsbeistand nötig, da das Gericht auch diese Frage von Amtes wegen zu lösen habe und sie ziemlich leicht zu beantworten sei. Im übrigen war auch der klagenden Ehefrau der unentgeltliche Rechtsbeistand nicht gewährt worden.
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Im Entscheid vom 13. März 1952 i.S. S. (BGE 78 I 3) ging es vornehmlich um die Frage, ob der Beschwerdeführer, der schon gemäss Art. 392 Ziff. 2 ZGB durch einen Rechtsanwalt verbeiständet war, in einem Ehelichkeitsanfechtungsprozess vor einem ausserkantonalen Gericht Anspruch auf die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes habe. Die Frage wurde im damaligen Zeitpunkt des Verfahrens verneint, mit dem Hinweis, dass der Prozess im Untersuchungsverfahren durchgeführt würde und es "einstweilen nicht den Anschein mache, als ob der Prozess in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierige Fragen aufwerfen könnte". Es wurde dann BGE 104 Ia 72 (75):
allerdings beigefügt, dass einem neuen Gesuch um Bestellung eines Offizialanwalts entsprochen werden müsste, wenn Komplikationen eintreten sollten. Darin, dass der Ehelichkeitsanfechtungsprozess im Untersuchungsverfahren geführt wurde, erblickte das Bundesgericht kein absolutes Hindernis zur Gewährung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes. Zu berücksichtigen war ferner, dass der Beschwerdeführer schon einen rechtskundigen, wenn auch auswärtigen Beistand hatte.
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In BGE 89 I 1 ff. ging es um einen ähnlichen Fall. Dort hatte der unmündige Beschwerdeführer im Hinblick auf den Ehelichkeitsanfechtungsprozess des "Registervaters" einen Beistand in der Person eines Amtsvormundes erhalten. Mit Rücksicht darauf hatte das kantonale Obergericht das Bedürfnis des Kindes nach einem Offizialanwalt verneint, in der Annahme, dass der eigens zur Prozessführung ernannte Beistand als zur Erfüllung dieser Aufgabe fähig betrachtet werden dürfe, zumal er Amtsvormund sei, in Ehelichkeitsprozessen eine Art Offizialmaxime herrsche und die Zivilprozessordnung Vorschriften zum Schutze der rechtsunkundigen Partei aufstelle. Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde jedoch aus anderen, im wesentlichen folgenden Gründen abgewiesen: Wird ein Kind von seinem Vater auf Anfechtung der Ehelichkeit belangt, und ist ihm daher zur Wahrung seiner Interessen im Prozess ein Beistand zu ernennen, so ist dieses Amt einer Person zu übertragen, die den Prozess selber führen kann. Nur wenn eine solche im Vormundschaftskreis nicht zu finden ist, hat das Kind Anspruch auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes. Dabei ging das Bundesgericht stillschweigend davon aus, dass das verbeiständete Kind im hängigen Ehelichkeitsanfechtungsprozess eines rechtskundigen Vertreters bedürfe, ohne die Frage, inwieweit dieses Verfahren nach kantonalem Recht der Untersuchungsmaxime unterstehe, näher zu prüfen.
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Auch im nicht publizierten Entscheid vom 2. März 1977 i.S. W. c. Regierungsrat des Kantons St. Gallen ging es um den Anspruch auf Beiordnung eines Offizialanwalts im Ehelichkeitsanfechtungsprozess. Das Bundesgericht erachtete die Bestellung in einem solchen Verfahren, das für die Beteiligten von grosser Tragweite ist, als wünschbar und führte aus, es könne nur dann auf die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für eine rechtsunkundige Person verzichtet werden, wenn BGE 104 Ia 72 (76):
der Prozess im Untersuchungsverfahren durchgeführt werde und keine besonderen Schwierigkeiten biete. An solchen fehlte es in jenem Fall. Denn Mutter und "Registervater" waren sich darüber einig, dass dieser nicht der Erzeuger des Kindes sei, und der wirkliche Vater hatte sich bereits formell zu seiner Vaterschaft bekannt und eine entsprechende Verpflichtung unterschrieben.
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Schliesslich ist der Entscheid vom 11. Juli 1973 i.S. X. gegen Obergericht Uri (BGE 99 Ia 430 ff) zu erwähnen. Hier ging es um den Anspruch eines von einem Landwirt verbeiständeten Kindes auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes in einem vor einem Urner Gericht hängigen Vaterschaftsprozess. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gegen die verweigerte Bestellung eines Offizialanwalts gut. Wie dem Entscheid zu entnehmen ist, stützte es sich dabei auf BGE 78 I 1 ff, wonach dem Kind, dem die Vormundschaftsbehörde als Beistand im Ehelichkeitsanfechtungsprozess einen Rechtsanwalt bestellt hat, die Führung des Prozesses im Armenrecht nicht grundsätzlich zu verweigern ist, sondern nur dann und solange, als der Prozess keine Schwierigkeiten bietet. Mit Bezug auf die Frage der Notwendigkeit der Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters in Verfahren, die vollständig oder weitgehend von der Offizialmaxime beherrscht werden, enthält der Entscheid eine gewisse Ungereimtheit: in Erwägung 2a wird ausgeführt, der Vaterschaftsprozess unterstehe im urnerischen Zivilprozess nicht vollständig der Untersuchungsmaxime, sodass der Beizug eines Rechtsanwaltes zur Prozessführung für das von einem rechtsunkundigen Beistand vertretene Kind nicht von vorneherein als unnötig erachtet werden könne. Daraus könnte man schliessen, dass die Offizialmaxime, die ein Verfahren ganz oder vorwiegend bestimmt, an und für sich schon Grund genug zur Verweigerung der Bestellung wäre. Einen solchen Schluss lassen aber weder BGE 89 I 4 E. 4a, der in diesem Zusammenhang angeführt wird, noch BGE 78 I 5 E. 3 zu. Im gleichen Entscheid (BGE 99 Ia 430) wird dann in Erwägung 2b ausdrücklich auf den Ehelichkeitsanfechtungsprozess (BGE 78 I 5 E. 3), der ganz der Offizialmaxime unterstand, hingewiesen und der Anspruch auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für das schon verbeiständete Kind unabhängig von der Frage, wie das Verfahren nach eidgenössischem oder kantonalem Recht gestaltet sei, bejaht.
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BGE 104 Ia 72 (77):
Anhand der zitierten Urteile kann somit nicht gesagt werden, das Bundesgericht schliesse in Verfahren, die von der Offizialmaxime beherrscht werden, die unentgeltliche Rechtspflege i.S. der Beigabe eines Offizialanwalts von vorneherein aus. Es hat vielmehr von jeher bei der Frage der Notwendigkeit der Beigabe eines solchen Anwalts im Zivilprozess verschiedene Kriterien berücksichtigt, wohl gerade deshalb, weil die Offizialmaxime nicht dahin zu verstehen ist, dass sich die Parteien an der Sammlung des Prozessstoffes überhaupt nicht zu beteiligen brauchen; auch wo die Offizialmaxime gilt, obliegt es in erster Linie den Parteien, das in Betracht fallende Tatsachenmaterial dem Gerichte zu unterbreiten. Das Gericht kann wohl von Amtes wegen Beweise erheben; doch hängt es weithin von den Angaben der Parteien ab, ob es überhaupt Kenntnis von den Beweismitteln erhält, welche die Feststellung des Sachverhalts ermöglichen (GULDENER: Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 145).
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c) Ob ein Anspruch auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes besteht oder nicht, hängt weitgehend davon ab, wie leicht die sich im Prozess stellenden Fragen zu beantworten sind (BGE 64 I 5 E. 2; BGE 78 I 5 E. 3), ob die gesuchstellende Partei selbst rechtskundig ist - wobei unter Umständen selbst bei Rechtskundigkeit ein Anspruch nicht ausgeschlossen werden kann (BGE 78 I 5 E. 3) - und ob sich die Gegenpartei ihrerseits von einem Anwalt vertreten lässt (BGE 64 I 1 ff). Weiter ist auch die Tragweite des Entscheides von Bedeutung (Urteil vom 2. März 1977: i.S. W.); dabei ist eine gewisse Zurückhaltung am Platz, wo es ausschliesslich oder vorwiegend um finanzielle Interessen geht.
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d) Auf den vorliegenden Fall angewendet, bedeutet dies, dass der Anspruch auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes unter dem Gesichtspunkt des Art. 4 BV zu bejahen ist.
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Das in Frage stehende Abänderungsverfahren hat schon bisher verschiedene Eingaben der Anwältin der Beschwerdeführerin nötig gemacht. So hatte sich ihre Vertreterin schriftlich zum Antrag des geschiedenen Ehemannes auf Erlass einer superprovisorischen Verfügung sowie zu einem Bericht des Jugendsekretariats zu äussern. Das hängige Verfahren kann auch deshalb nicht als relativ einfach bezeichnet werden, weil das Kind beim Vater lebt und an dessen Wohnsitz zur Schule geht.
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BGE 104 Ia 72 (78):
Die Gesuchstellerin hat zwar die Hochschule besucht, hat aber nicht eine Ausbildung, die sie befähigen würde, die Probleme, die sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in diesem Verfahren stellen, richtig einzuschätzen.
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Andererseits ist die Gegenpartei durch einen Anwalt vertreten. Dem Postulat der anzustrebenden Waffengleichheit kommt in einem Fall wie dem vorliegenden, wo in besonderem Masse die Gefahr besteht, dass sich eine Partei im Prozess von Emotionen statt von sachlichen Überlegungen leiten lässt, erhebliche Bedeutung zu.
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Wird in Rechnung gestellt, dass der Streitfall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht immerhin nicht unerhebliche Schwierigkeiten bietet, dass es für die Beschwerdeführerin von grosser Tragweite ist, ob ihr die elterliche Gewalt über ihr Kind entzogen wird oder nicht, und dass sie sich als Beklagte im Prozess gegen eine Partei zur Wehr setzen muss, die ihrerseits durch einen Anwalt vertreten ist, so lässt es sich vor Art. 4 BV nicht rechtfertigen, der Beschwerdeführerin den unentgeltlichen Rechtsbeistand zu versagen.
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