Urteilskopf
108 Ia 148
28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Juli 1982 i.S. Werner gegen Sanitätsdepartement und Appellationsgericht (als Verwaltungsgericht) des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Handels- und Gewerbefreiheit; Legitimation; (Art. 31 BV und 88 OG).
Der Ausländer kann sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, soweit er nicht gerade wegen seiner Ausländerqualität besonderen wirtschaftspolizeilichen Einschränkungen unterworfen ist (Präzisierung der Rechtsprechung).
Nach basel-städtischem Recht bedarf einer Bewilligung, wer den Beruf der Psychotherapie selbständig ausüben will. Dr. med. Werner, deutscher Staatsangehöriger, der sein Medizinstudium in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hatte, ersuchte die basel-städtischen Behörden um Erteilung der Bewilligung. Das Sanitätsdepartement wies das Gesuch ab. Ein Rekurs beim Appellationsgericht blieb ohne Erfolg. Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab. Zur Frage, ob der Beschwerdeführer sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen kann, macht es die folgenden
Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer ist ein in der Schweiz niedergelassener Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland. Soweit er sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV) beruft, stellt sich die Frage, ob auf diese Rüge eingetreten werden kann.
a) Nach bisher herrschender Lehre und Rechtsprechung kann sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit nur berufen, wer Schweizer Bürger ist (BGE 55 I 223 E. 1, BGE 48 I 285 E. 1, BGE 47 I 50 E. 2; HANS MARTI, Die Wirtschaftsfreiheit der schweizerischen Bundesverfassung, S. 30 f.; MAX BERNHARD MARTI, Die Handels- und Gewerbefreiheit für Ausländer in der Schweiz, Diss. Bern 1963, S. 24 f.; AUBERT, Le statut des étrangers en Suisse, ZSR 77 I/1958, S. 239; MOSER, Die Rechtsstellung des Ausländers in der Schweiz, ZSR 86 II/1976, S. 349; HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen
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Staatsrechtes, Bd. II, S. 133, 194). Ausländer geniessen nach dieser Auffassung nicht den Schutz von Art. 31 BV. Wenn sie in der Schweiz niedergelassen sind, können sie allenfalls die ihnen aus einem Staatsvertrag gewährleisteten Rechte geltend machen, soweit der Vertrag die wirtschaftliche Betätigung garantiert. Eine solche auf Art. 84 Abs. 1 lit. c OG gestützte Rüge erhebt der Beschwerdeführer nicht. Indes fragt sich, ob an der erwähnten Praxis, die den Ausländer von der Anrufung der Handels- und Gewerbefreiheit ausschliesst, weiterhin vollumfänglich festgehalten werden kann.b) Das schweizerische Fremdenpolizeirecht erlaubt dem Ausländer mit Niederlassungsbewilligung, bei Freizügigkeit im Bewilligungskanton nicht bloss dauernd zu bleiben, sondern auch jede Tätigkeit im Rahmen der Rechtsordnung auszuüben (Botschaft des Bundesrates zu Art. 6 ANAG, BBl 1948 I 1295). Es kann daher heute als Grundsatz des schweizerischen Fremdenpolizeirechts betrachtet werden, dass alle Ausländer mit Niederlassungsbewilligung - ohne Rücksicht auf den Inhalt der einzelnen Niederlassungsverträge - bezüglich ihrer Erwerbstätigkeit keinen fremdenpolizeilichen Schranken unterworfen sind, ausser der in Frage stehende Beruf sei ausnahmsweise und ausdrücklich Schweizer Bürgern vorbehalten (vgl. Art. 19 Abs. 2 des verworfenen Ausländergesetzes vom 19. Juni 1981, BBl 1981 II 568; siehe auch die Botschaft hiezu: BBl 1978 II 205). Der Vorbehalt zugunsten der Schweizer Bürger ist vor allem im Bereich der wissenschaftlichen Berufe von Bedeutung, insbesondere der medizinischen. So können grundsätzlich nur Schweizer Bürger zu den eidgenössischen Medizinalprüfungen zugelassen werden (Art. 16 Reglement für die eidgenössischen Medizinalprüfungen, SR 811.112.1). Ausländer, die zwar über einen dem Schwierigkeitsgrad nach gleichwertigen ausländischen Hochschulabschluss verfügen, haben - staatsvertragliche Bestimmungen vorbehalten - keinen Anspruch auf selbständige ärztliche Tätigkeit (vgl. Urteil vom 5. Februar 1982 i.S. N.). Soweit der Ausländer aber den gleichen gewerbepolizeilichen Vorschriften unterworfen ist, wie sie auch für Schweizer Bürger gelten, besteht kein Grund, ihn von Verfassungs wegen anders zu behandeln als einen Schweizer Bürger. In diesen Fällen kann der Ausländer daher die Rüge der Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit erheben. Wo dagegen das anwendbare Recht Angehörige fremder Nationalität gerade wegen ihrer Ausländerqualität besonderen wirtschaftspolizeilichen Einschränkungen
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unterwirft, ist der Nichtschweizer von der Anrufung der Handels- und Gewerbefreiheit weiterhin ausgeschlossen. Ob eine solche Schlechterstellung sachlich begründet ist, beurteilt sich, wie in der bisherigen Rechtsprechung, einzig nach Art. 4 BV.c) Der Kanton Basel-Stadt anerkennt als Voraussetzung zur selbständigen Psychotherapeutentätigkeit ausdrücklich den Studienabschluss in Psychologie an einer schweizerischen oder "an einer vergleichbaren ausländischen Hochschule" (§ 8 Abs. 1 lit. a Verordnung betreffend die selbständige Berufsausübung des Psychotherapeuten). Die Verordnung verlangt jedoch nicht, dass der Bewerber Schweizer Bürger sei; sie sieht vielmehr Bewerbungen von Kandidaten ausländischer Nationalität ausdrücklich vor (§ 8 Abs. 4). Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer gleich wie ein Schweizer Bürger die Verweigerung der Berufsausübungsbewilligung unter Anrufung der Handels- und Gewerbefreiheit anfechten kann.